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schritt im deutschen Staatsleben, weil diesem Bunde sowohl innere Entwickelungsfähigkeit, wie äussere Expansionskraft innewohnt, weil er schon jetzt eine Zusammenfassung unserer nationalen Kräfte gewährt, wie sie seit den Tagen des Interregnums nicht dagewesen ist. Wollen wir diese neue Staatsform richtig taxiren, so müssen wir ihren Werth nicht an idealen Gebilden, sondern an den verknöcherten Zuständen des deutschen Reiches und der Scheinexistenz des ehemaligen deutschen Bundes messen. Beide Formen sind an ihrer inneren Unwahrheit, an dem grellen Widerspruche zwischen realer Macht und theoretischem Rechte, vor allen aber an ihrer eigenen Entwickelungsunfähigkeit zu Grunde gegangen. Ueberall, wo die bestehende Verfassung keinen gesetzlichen Ausweg offen lässt, sprengt der junge Most die alten Schläuche.

Solchen grossen weltgeschichtlichen Thatsachen gegenüber muss auch der Staatsrechtslehrer seine Position zu nehmen wissen. Er soll nicht leichtfertig und sophistisch den Bruch des positiven Rechtes bemänteln, der immerhin ein schwerer, bedenklicher Schritt ist, aber er soll auch nicht, wie manche unserer weiland grossen Reichspublicisten, auf den Trümmern überlebter Zeiten trauern und Gespenster der Vergangenheit beschwören. Mag ihm die Zerstörung eines mit Mühe und Gelehrsamkeit aufgebauten Lehrgebäudes persönlich noch so unbehaglich sein, so soll er sich doch mit freiem Blicke und staatsmännischem Geiste auf den Boden der Thatsachen zu stellen wissen, seinem ganzen Berufe nach aber darauf hinarbeiten, dass dieser neue Boden möglichst bald wieder ein Rechtsboden werde, auf welchem lebenskräftige Keime einer neuen besseren Staatsordnung emporwachsen können. Ein solches Verfahren ist weit entfernt von jenem unhistorischen Radikalismus, welcher alles, früheren Entwickelungsstufen Angehörige, über Bord werfen will, wie einst leichtfertige Rheinbundspublicisten mit den ehrwürdigsten Sätzen des deutschen Staatsrechtes, wie mit den Werken Moser's und Pütter's verfuhren. Eine gesunde Staatsrechtswissenschaft soll vielmehr das

Neue überall an das Alte anknüpfen, die Gegenwart durch die Vergangenheit zu verstehen und alles, was aus den früheren Zuständen noch lebenskräftig ist und mit der Gegenwart nicht in Widerspruch steht, als werthvollen Schatz zu retten suchen. Darum wird gerade in den Zeiten grosser Umgestaltungen eine genaue geschichtliche Kenntniss derjenigen staatlichen Zustände, aus denen die Gegenwart sich unmittelbar entwickelt hat, nöthiger, denn je. Freilich verkenne ich nicht, dass eine völlig objektive Darstellung so nah liegender Ereignisse fast unmöglich ist. Obgleich ich politische Betrachtungen nur so weit hereingezogen habe, als dies für das Verständniss der staatsrechtlichen Entwickelung unbedingt nothwendig war, so bin ich doch nicht im Stande gewesen, meinen persönlichen Standpunkt ganz in den Hintergrund zu drängen. Seitdem ich überhaupt über staatliche Dinge nachzudenken begann, habe ich zu allen Zeiten an Preussens grosser Mission für Deutschlands Zukunft festgehalten, habe ich der Ueberzeugung gelebt, dass eine staatliche Wiedergeburt Deutschlands nur durch Preussens konsolidirte Staatsmacht möglich sei. Wenn man in dieser Beziehung meine Darstellung der neuesten Zeitereignisse einseitig nennen will, so muss ich mir diesen Vorwurf allerdings gefallen lassen. Dagegen habe ich mich bemüht, den Gang der Ereignisse einfach und ungeschminkt darzustellen, die Thatsachen möglichst selbst reden zu lassen. Ein grosser Theil meiner Darstellung ist. aus officiellen Actenstücken geschöpft. In dieser Beziehung verdanke ich dem wichtigsten Quellenwerke der Geschichte der Gegenwart, dem verdienstvollen Staatsarchiv der Herren Aegidi und Klauhold, viel*). Die anhangsweis mitge

* Nach Abgang meines Manuskriptes (Ende Juni) sind mir folgende Schriften zu Händen gekommen, welche ich erwähnen zu müssen glaube, obgleich ich sie nicht mehr für meine Arbeit benutzen konnte. Es sind dies: E. Hiersemenzel, die Verfassung des norddeutschen Bundes. Berlin 1867. Geh. Reg.-Rath Dr. Metzel, die Verfassung des norddeutschen Bundes mit Hinweisung auf die stenograph. Protokolle und mit alphabetischem Register.

theilte Verfassung des norddeutschen Bundes, in vergleichender Zusammenstellung mit dem Regierungsentwurfe, ist aus J. C. Glaser's inhaltsreichem und zweckmässig angeordnetem Archiv des norddeutschen Bundes abgedruckt.

Ob und wann ich mein, in der ersten Ausgabe meiner Einleitung gegebenes Versprechen erfüllen kann, ein »System des deutschen Staatsrechtes« zu liefern, hängt weniger von mir, als von dem Gange unserer nächsten staatlichen Entwickelung ab. Einen Theil meines bereits fertigen Manuskriptes habe ich auf unbestimmte Zeit zurückgelegt, weil ich es für unmöglich halte, solche schwankende, unfertige Uebergangszustände, wie die der Gegenwart, systematisch zu behandeln. Solche Zustände reizen wohl zu einer geschichtlich-politischen Betrachtung, bieten aber einer staatsrechtlichen, also juristischen Behandlungsweise unbesiegliche Schwierigkeiten. Nur wo feste Grundsätze des Verfassungs- und Regierungsrechtes nicht blos auf dem Papiere stehen, sondern sich eingelebt haben in das Rechtsbewusstsein der Nation, wo sich eine bestimmte Praxis der Staatskörperschaften, ein staatsrechtliches Gewohnheitsrecht, eine bestimmte Usualinterpretation der Rechtssätze gebildet hat, wird ein System des Staatsrechtes eine dankbare und nützliche Arbeit.

Allem Ermessen nach wird die Verfassung des norddeutschen Bundes vom 16. April 1867 für das nächste Menschenalter die Grundlage unserer staatlichen Entwickelung bilden. Wenn sich diese Verfassung praktisch eingelebt, wenn sich besonders ihr

Berlin 1867. A. Groote, der norddeutsche Bund, das preussische Volk und der Reichstag. Leipzig 1867. In gleicher Weise ist es mir mit einem trefflichen Aufsatze K. L. Aegidi's über »die völkerrechtlichen Grundlagen einer neuen Gestaltung Deutschlands,« welcher im IV. Hefte der Zeitschrift für deutsches Staatsrecht erschienen ist, und der ebenso juristisch scharfsinnigen, als patriotisch warmen Schrift von Römer-Tübingen »die Verfassung des norddeutschen Bundes und die süddeutsche Freiheit« ergangen. Um so mehr gereicht es mir zur Genugthuung, meine volle Uebereinstimmung mit letzteren beiden gewichtigen Stimmen aus dem Norden und dem Süden unseres grossen Vaterlandes hiermit konstatiren zu können.

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Einfluss auf die Verfassungen der Einzelstaaten klar herausgestellt, wenn der Bund seinen natürlichen Umfang durch Hinzutritt der süddeutschen Staaten gewonnen haben wird, dann ist die Zeit gekommen, wo es lohnt, ein »System des deutschen Staatsrechtes« zu veröffentlichen.

Sollte es mir vergönnt sein, diesen Zeitpunkt zu erleben, so würde ich es als schönste Aufgabe betrachten, ein Staatsrecht des verjüngten, staatlich wiedergeborenen Deutschlands in würdiger Weise bearbeiten und darbieten zu können.

Breslau, im October 1867.

Hermann Schulze.

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