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mässig festgestellt. Es galt nun, das bloss völkerrechtliche, auf ein Jahr eingegangene Schutz- und Trutzbündniss von 22 Staaten in ein bleibendes, staatsrechtliches und verfassungsmässiges Verhältniss überzuführen.

Dazu waren zwei Schritte nöthig, einerseits Einleitung zu treffen zur Berufung des norddeutschen Parlaments, wozu vor allem der verfassungsmässige Erlass eines Wahlgesetzes erforderlich war, andererseits Regierungsbevollmächtigte nach Berlin zu entsenden, um den Verfassungsentwurf festzustellen, welcher dem Parlamente zur Berathung und Vereinbarung vorgelegt werden sollte.

§. 10.

Das Wahlgesetz für den Reichstag des norddeutschen Bundes.

In dem Art. IV. der Grundzüge vom 10. Juni hatte die preussische Regierung bereits in Vorschlag gebracht, dass die Nationalvertretung nach den Bestimmungen des Reichswahlgesetzes vom 12. April 1849 gewählt werden sollte. Den verbündeten Staaten war noch während des Krieges der Wunsch ausgesprochen, dass sie die Vorbereitungen zu den Parlamentswahlen auf Grund des Reichswahlgesetzes vom 12. April 1849 durch Abtheilung der Wahlkreise und Wahlbezirke soweit einleiten möchten, dass im gegebenen Zeitpunkte sofort zur Ausschreibung der Wahlen geschritten werden könne. Es war nun nothwendig, dass für Preussen selbst diesen Wahlen die erforderliche gesetzliche Grundlage gegeben werde. Zu diesem Zwecke legte die königliche Regierung am 12. August 1866 dem Landtage das Reichswahlgesetz vom 12. April 1849 mit einigen nothwendigen Veränderungen als Wahlgesetz zum Reichstage des norddeutschen Bundes vor1.

In dem Abgeordnetenhause wurde indessen dieser von der Regierung eingebrachte Entwurf mehreren, nicht unwesentlichen Veränderungen unterzogen. Am wichtigsten ist diejenige Veränderung, wodurch die ganze rechtliche Stellung des zu berufenden Reichstages wesentlich alterirt wurde. Während die Grundzüge vom 10. Juni ausdrücklich die Vereinbarung der neuen Bun

1) Staatsarchiv Bd. XI. S. 262. Nr. 2393.

desverfassung mit dem zu berufenden Reichstage ins Auge gefasst und nur an zwei konstituirende Faktoren, nämlich einerseits die Gesammtheit der verbündeten Regierungen, andererseits die allgemeine Nationalvertretung gedacht hatten, traten dieser Auffassung, in der IX. Kommission des Abgeordnetenhauses »über den Entwurf eines Wahlgesetzes « und im Hause selbst, erhebliche staatsrechtliche und politische Bedenken entgegen. Unzweifelhaft stand durch die neu zu konstituirende Bundesverfassung - mochte sie ausfallen, wie sie wollte eine tiefgreifende Veränderung der preussischen Verfassung bevor. Man ging im Abgeordnetenhause von der Ansicht aus, dass die preussische Verfassung und Gesetzgebung in keinem Falle anders, als auf dem Wege der preussischen Verfassungsurkunde, also unter Zustimmung beider Häuser des Landtags, abgeändert werden könne2. Von einer Anwendung des Art. 118 der preussischen Verfassungsurkunde, welcher Abänderungen der Verfassung, die in Folge der für den deutschen Bundesstaat, auf Grund des Entwurfes vom 26. Mai 1849, festzustellenden Verfassung nöthig würden, allein der königlichen Anordnung überliess, könne selbstverständlich keine Rede sein, weil es sich damals um einen bestimmt formulirten, jetzt völlig aufgegebenen Entwurf gehandelt habe; aus dem gedachten Artikel könne daher in keiner Weise eine Ermächtigung für die Gegenwart gefolgert werden.

Eine ähnliche vorgängige Genehmigung liesse sich nur dann rechtfertigen, wenn bestimmte Grundzüge der Bundesverfassung und der Stellung des Reichstages innerhalb derselben festständen, aber derartige Vorlagen seien weder gemacht, noch in Aussicht gestellt. Vielmehr müsse das Haus daran festhalten, dass, wenn Rechte des preussischen Volkes und Landtages zu Gunsten eines deutschen Parlaments aufgegeben werden sollten, diesem Parlamente auch die volle Ausübung dieser Rechte gesichert werden müsste. Wenn in der künftigen Gestaltung des Bundes der Schwerpunkt der Volksvertretung aus dem preussischen Landtage in den Reichstag verlegt werden sollte, so könne der erstere auf Rechte und Befugnisse nur dann verzichten, wenn dem Volke durch die Reichsverfassung voller Ersatz für die Abänderung der preussischen Verfassung geboten werde. Bis dahin

2) Vergl. auch die Rede des Abg. Twesten im Reichstage. Stenogr. Ber. S. 691.

Keinesfalls

müsse die letztere unversehrt bewahrt werden. dürfe die vorhandene Rechtsbasis durch eine anderweitige Versammlung von zweifelhafter Zusammensetzung in Frage gestellt werden.

Wenn nun auch diesen, besonders von dem Berichterstatter Twesten scharfsinnig ausgeführten Erwägungen ihre streng juristische Berechtigung nicht abgesprochen werden kann, so hatte dieses Amendement doch vom praktisch politischen Standpunkte seine grossen Bedenken, weil nach Annahme desselben nicht nur der preussische Landtag, sondern die volksvertretenden Körperschaften aller übrigen 21 Staaten ein gleiches Recht der definitiven Bestätigung in Anspruch nehmen konnten. Durch Aufnahme dieses Amendements als Art. 1 des Wahlgesetzes wurde allerdings der einzuberufende Reichstag zu einer bloss berathenden Versammlung gemacht. Es zeigte sich aber auch hier, dass die moralische Autorität einer, aus allgemeinen Volkswahlen hervorgegangenen, einsichtsvollen und patriotischen Versammlung mehr wiegt, als die ihr beigelegte schmale juristische Kompetenz. Keiner der Einzellandtage hätte, nach einem solchen mit grossartiger Majorität gefassten Beschlusse des Reichstages, es ohne moralische Selbstvernichtung wagen können, durch sein verneinendes Votum das grosse Werk in Frage zu stellen.

Von geringerer Bedeutung sind einige andere, in das Gesetz übergegangene Amendements, so wurde das aktive und passive Wahlrecht in Preussen ausgedehnt auf alle Staatsbürger der zum norddeutschen Bunde gehörigen Staaten, wobei man sich dem ursprünglichen Reichswahlgesetze vom 12. April 1849 näher anschloss, so wurden ferner mehrere die Freiheit der Berathung des Reichstages sichernde Zusatzbestimmungen in das Gesetz aufgenommen, insbesondere:

§. 16: der Reichstag prüft die Vollmachten seiner Mitglieder und entscheidet über deren Zulassung. Er regelt seine Geschäftsordnung und Disciplin «.

§. 17. »Kein Mitglied des Reichstages darf zu irgend einer Zeit wegen seiner Abstimmung oder wegen der in Ausübung seines Berufes gethanen Aeusserungen gerichtlich und disciplinarisch verfolgt oder sonst ausserhalb der Versammlung zur Verantwortung gezogen werden «<.

Durch diese dem §. 120 der Reichsverfassung von 1849 ent

nommene Bestimmung glaubte man die Redefreiheit der Abgeordneten noch mehr zu sichern, als durch den Art. 84 der preussischen Verfassungsurkunde.

Die Anordnung der Wahlkreise und Wahlbezirke, der Wahldirektoren und des Wahlverfahrens überliess man der Regierung reglementsmässig festzustellen §. 153.

Dieser Entwurf des Wahlgesetzes für den Reichstag des norddeutschen Bundes, wie derselbe in der Sitzung des Abgeordnetenhauses vom 12. September 1866 beschlossen und von dem Herrenhause genehmigt worden war, erhielt die königliche Sanktion am 15. Oktober 1866.

Auf gleiche Weise wurde dieses Wahlgesetz in allen übrigen verbündeten Staaten, hie und da mit einigen Modifikationen, auf verfassungsmässigem Wege angenommen".

Damit war die wichtigste gesetzliche Vorbedingung für das einzuberufende Parlament erfüllt. Ehe man jedoch zur wirklichen Einberufung desselben schreiten konnte, war es geboten, dass sich die verbündeten Regierungen über einen vorzulegenden Entwurf der Bundesverfassung einigten. Zu diesem Zwecke wurden die Bevollmächtigten sämmtlicher verbündeten Staaten zu einer Konferenz auf den 15. December 1866 nach Berlin berufen.

§. 11.

Die Konferenzen zur Berathung und Feststellung des Entwurfs der Verfassung des norddeutschen Bundes vom 15. December 1866 bis zum 7. Februar 1867.

Nachdem auf Einladung der preussischen Regierung Bevollmächtigte sämmtlicher verbündeten Staaten erschienen waren, eröffnete Graf Bismarck am 15. December 1866 die Konferenzen, indem er den preussischen Entwurf einer Bundesverfassung vorlegte und zur Annahme empfahl. In seiner Eröffnungsrede legte er die leitenden Grundgedanken des Entwurfes dar:

>> Der frühere deutsche Bund erfüllte in zwei Richtungen die Zwecke nicht, für welche er geschlossen war; er gewährte seinen

3) Dieses »Reglement zur Ausführung des Wahlgesetzes für den Reichstag des norddeutschen Bundes« wurde publicirt am 30. Dec. 1866.

4) Sämmtliche Wahlgesetze, nebst den dazu gehörigen Reglements, sind zusammengestellt in J. C. Glaser's Archiv des nordd. Bundes, Heft II.

Mitgliedern die versprochene Sicherheit nicht und er befreite die Entwickelung der nationalen Wohlfahrt des deutschen Volkes nicht von den Fesseln, welche die historische Gestaltung der innern Grenzen Deutschlands ihr anlegten. Soll die neue Verfassung diese Mängel und die Gefahren, welche sie mit sich bringen, vermeiden, so ist es nöthig, die verbündeten Staaten durch Herstellung einer einheitlichen Leitung ihres Kriegswesens und ihrer auswärtigen Politik fester zusammenzuschliessen und gemeinsame Organe der Gesetzgebung auf dem Gebiete der gemeinsamen Interessen der Nation zu schaffen. Diesem allseitig empfundenen und durch die Verträge vom 18. August bekundeten Bedürfnisse hat die königliche Regierung in dem vorliegenden Entwurfe abzuhelfen gesucht. Dass derselbe den einzelnen Regierungen wesentliche Beschränkungen ihrer partikulären Unabhängigkeit zum Nutzen der Gesammtheit zumuthet, ist selbstverständlich und bereits in den allgemeinen Grundzügen dieses Jahres vorgesehen. Die unbeschränkte Selbstständigkeit, zu welcher im Laufe der Geschichte Deutschlands die einzelnen Stämme und dynastischen Gebiete ihre Sonderstellung entwickelt haben, bildet den wesentlichen Grund der politischen Ohnmacht, zu welcher eine grosse Nation verurtheilt war, weil ihr wirksame Organe zur Herstellung einheitlicher Entschliessungen fehlten und die gegenseitige Abgeschlossenheit, in welcher jeder der Bruchtheile des gemeinsamen Vaterlandes ausschliesslich seine lokalen Bedürfnisse ohne Rücksicht für die des Nachbarn im Auge behält, bildete ein wirksames Hinderniss der Pflege derjenigen Interessen, welche nur in grösseren nationalen Kreisen ihre legislative Förderung finden können. Die königliche Regierung hat sich bei dem vorliegenden Entwurfe der Bundesverfassung auf die Berücksichtigung der allseitig erkannten Bedürfnisse beschränkt, ohne über dieselben hinaus die Bundesgewalt in die Autonomie der einzelnen Regierungen eingreifen zu lassen, . . . . sie zweifelt nicht, dass der einmüthige Wille der verbündeten Fürsten und freien Städte, getragen von dem Verlangen des deutschen Volkes, seine Sicherheit, seine Wohlfahrt, seine Machtstellung unter den europäischen Nationen durch gemeinsame Institutionen dauernd verbürgt zu sehen, alle entgegenstehenden Hindernisse überwinden werde «<.

Nachdem der preussische Entwurf den Bevollmächtigten vorgelegt worden war, fanden über denselben vertrauliche Be

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