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fahren wir gerade unter dem Ohrläppchen abwärts über den Backen bis zum Munde, sodass die Lippen zwischen die Zirkelspitzen kommen, und darauf am andern Backen wieder aufwärts bis unter das andere Ohrläppchen. Dabei empfindet man zwei Linien, die sich im Fortschreiten des Zirkels für das Gefühl immer weiter auseinanderbauschen, um bei der Annäherung an das andere Ohrläppchen sich wieder zusammenzuziehen, und doch verlaufen objektiv die beiden Linien ganz parallel. Auch der Tastsinn giebt uns also keine sichere Kunde über das Ansich der Dinge, und so völlig kann er durch Erkrankung verändert werden, dass der Patient seinen Körper und alles, was er berührt, für gläsern hält und aus Furcht, sich selbst oder anderes zu zerbrechen, in das abnorme Betragen verfällt, welches ihn in das Irrenhaus bringt. Was ist also dasjenige, was, unabhängig von unserer Wahrnehmung, an sich draussen existiert? Haben wir das geringste Recht zu behaupten, die Ursache dort draussen, welche unsere Empfindung, Wahrnehmung, Vorstellung veranlasst, sei gerade so, wie diese in uns erregte Empfindung, Wahrnehmung, Vorstellung?

Auch die Lehre von der specifischen Energie der Sinnesorgane zeigt uns auf das klarste die grosse Differenz zwischen dem Wesen der äusseren Ursache und der durch sie bewirkten Empfindung. Die Lehre sagt, dass jeder Sinn stets nur in derselben, ihm gerade eigentümlichen Weise auf noch so verschiedene Reize antwortet, und dass umgekehrt derselbe äussere Reiz, wenn er auf die verschiedenen Sinnesorgane einwirkt, in jedem derselben eine andere, nämlich die dem Sinnesorgane gerade specifisch entsprechende Empfindung hervorruft. Dass die noch so verschiedenen Reize, auf dasselbe Sinnesorgan einwirkend, doch nur eine und dieselbe Empfindung hervorrufen, zeigt sich z. B. daran, dass, ob nun Ätherschwingungen oder elektrische Reizung oder ein mechanischer Stoss oder Schlag oder ein Messerschnitt oder Entzündungszustände den Sehnerv affizieren, doch diese verschiedenartigen Einwirkungen alle nur Lichtempfindungen verursachen. Ebenso bewirken Erschütterungen des Trommelfells durch Luftwellen oder Reizung des Gehörnervs durch den galvanischen Strom oder der durch übergrosse Blutzu

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fuhr in den Kapillargefässen hervorgerufene Druck im Gehörnerven immer nur die eine Empfindung des Tönens. Von aussen kommen also ganz verschiedene Reize, und doch zeigt sich im Innern stets dieselbe eine Wirkung. Ein und derselbe äussere Reiz bewirkt umgekehrt in den verschiedenen Sinnesorganen die diesen entsprechenden verschiedenen Empfindungen. Der galvanische Strom ruft in seiner Einwirkung auf die Zunge einen saueren Geschmack, auf die Augen eine rote oder blaue Lichtempfindung, auf die Haut oder die Gefühlsnerven einen Kitzel, auf die Ohrnerven ein sausendes Geräusch hervor. Die Schwingungen des Äthers erscheinen dem Auge als Licht, den Gefühlsnerven als Wärme.

Das Ergebnis aus all diesen Betrachtungen ist demnach, dass dasjenige, welches von da draussen auf unsere Empfindungsorgane einwirkt, also die Dinge an sich, ein von dem, was wir infolge davon vorstellen, sehr verschiedenes ist. So hat denn Helmholtz völlig recht, wenn er wiederholt bemerkt, dass unsere Vorstellungen sich zu den Dingen an sich nicht einmal verhielten wie die Kopie zum Original, sondern nur wie ein Symbol zu dem, was das Symbol bedeuten soll. Das Kreuz ist z. B. das Symbol des Christentums; der gläubige Christ wird beim Anblick des Kreuzes von den mannigfachsten Vorstellungen und Gefühlen durchwogt. Was hat aber diese Gestalt des Kreuzes an sich mit jenen Vorstellungen und Gefühlen zu thun? Der Nichtchrist empfindet beim Anblick desselben Gegenstandes nichts davon. sind das Kreuz und jene Gefühle, d. h. Ursache und Wirkung, völlig verschieden. So sind unsere Vorstellungen auch nur wie Symbole, welche uns wohl eine durch und durch subjektiv gefärbte Kunde von einer Aussenwelt, nicht aber diese selbst in ihrem wahren, eigenen Sein und Wesen geben. Was diese Aussenwelt an sich sei, darüber schweigen unsere Vorstellungen beharrlich. So ist denn auch für den heutigen Physiker die Welt an sich eine von der Welt unserer Wahrnehmung völlig verschiedene: Atome und Bewegungen da draussen erst in uns Wärme, Licht, Farbe, Ton Alles Qualitative nur subjektiv in uns, dort draussen nur Quantitatives! Könnte man diese Welt an

u. s. w.!

an

sich

sich wahrnehmen, sie wäre nicht die bunte Welt des Lichts, der Farbe, der Wärme, der Form, sondern eine wer weiss wie aussehende! Und dabei muss man sich noch bewusst bleiben, dass auch die Annahme des Physikers über diese Welt an sich im Grunde nur seine subjektiven Vorstellungen, also hypothetische Voraussetzungen sind, die auf absolute Unbezweifelbarkeit somit keinen Anspruch machen können.

Hinsichtlich unsrer Vorstellungen kann also die Ursache nicht blos verschieden sein von der Wirkung, sondern sie ist es thatsächlich. Die soeben gegebenen konkreten Beispiele zeigten, dass der Schluss, den wir machen: Die Ursache müsse der Wirkung, wenn nicht gleich, so doch ähnlich sein sich nicht bestätigt. Aber auch die Logik lehrt uns, dass ein strikter Schluss von der Wirkung auf die Ursache nicht statthaft sei. Von der Ursache auf die Wirkung kann man mit Sicherheit schliessen. Hat man bestimmte Ursachen in ihrem vollen Umfang in seiner Gewalt, so kann man auf das Eintreten der in ihnen angelegten Wirkung auch mit Sicherheit rechnen. Zeigt sich uns aber irgend etwas, von dem wir voraussetzen, dass es die Wirkung einer Ursache sei, so kann man nie mit absoluter Sicherheit sagen, welches die Ursache sei, da der Ursachen unendlich viele und verschiedene sein können. Die Bewegung, welche ich in der Ferne wahrnehme, kann ebensowohl durch blosse Schwerkraft, als durch Dampfkraft, als durch Elektrizität u. s. w. hervorgerufen sein. Hat man also als Wirkung eine Reihe von Vorstellungen, so ist es auch ein logischer Fehler zu behaupten, die Ursachen meiner Vorstellungen müssten diesen gleich oder ähnlich sein.

Der Schluss, dass die Dinge da draussen ebenso sein müssten, wie wir sie vorstellen, ist aber auch nichts andres als ein ontologischer Schluss, da wir in ihm die blos subjektive Vorstellung gleich setzen einem an sich Existierenden. Die Dinge an sich sind uns niemals gegeben; unsere Vorstellungen bilden eine undurchdringliche Wand, über die wir niemals hinaus können. Behaupten wir also: es müssen die Dinge an sich so sein wie unsre Vorstellungen, so setzen wir das subjektive Vorstellen gleich

dem Sein an sich, den vorgestellten Baum z. B. gleich dem Baum an sich. Thatsächlich bleiben wir aber stets in unsrer Vorstellungswelt, kein Schluss trägt uns über dieselbe hinaus, da jeder Schluss selbst wieder nichts andres ist als eine rein subjektive Vorstellungsverbindung; jeder Schluss hier ist also ein ontologischer

Fehlschluss.

Und dieser ontologische Schluss lässt sich auch durch keine Erfahrung jemals bewahrheiten. Denn wenn ich sage: Der Baum, wie ich ihn vorstelle, ist so, wie der Baum an sich, d. h. also wie der Baum, wie ich ihn nicht vorstelle, so spreche ich eine Behauptung aus über die Gleichheit oder Ähnlichkeit zweier Dinge, ohne dass doch die Möglichkeit einer Vergleichung irgendwie gegeben wäre. Ich kann wohl den gesehenen Baum A mit dem gesehenen Baum B vergleichen und über ihre Ähnlichkeit oder Unähnlichkeit empirisch richtige Aussagen bilden; ich kann also jede Vorstellung mit jeder Vorstellung vergleichen, aber wie will ich eine Vorstellung vergleichen mit dem, was nie Vorstellung ist, wie ein Vorstellbares und Vorgestelltes mit einem Nichtvorstellbaren und Nichtvorgestellten? Vollziehe ich also jenen ontologischen Schluss, so ist doch jede Bewahrheitung des Erschlossenen durch Erfahrung ausgeschlossen, und es zeigt sich also klar, dass, wenn schon innerhalb der Erfahrungswelt der Schluss von der Wirkung auf eine dieser ähnliche oder gleiche Ursache nicht zwingend ist, dieser Schluss, von den Vorstellungen auf die Dinge an sich vollzogen, erstens logisch überhaupt nicht gerechtfertigt, zweitens als ontologischer ohne Erfolg, drittens durch Erfahrung nicht zu bestätigen ist.

Wenn wir bisher, anknüpfend an das populäre Bewusstsein und dieses Schritt für Schritt berichtigend, gezeigt haben, dass jede Aussage darüber, ob die Dinge an sich unsren Vorstellungen ähnlich oder gleich sind, unmöglich ist, so müssen wir jetzt, noch einen Schritt weiter gehend, endlich auch zu der Einsicht gelangen: dass wir gegenüber der Forderung eines in jeder Hinsicht tadellos strengen Beweises mit mathematischer Gewissheit nicht einmal behaupten können, dass es Dinge an sich überhaupt

giebt. Ich habe da eine Kirsche. Farbe, Form, Weichheit, Elasticität, Geruch, Geschmack u. s. w., alles das sind meine Wahrnehmungen und somit völlig subjektiv bedingt. Was die Kirsche an sich wäre, das müsste zu Tage treten, wenn ich alles von ihr hinwegdenke, was meine subjektive Empfindung und Vorstellung ist. Ich ziehe daher alles Sichtbare, Hörbare, Tastbare, Schmeckbare, Riechbare, kurz überhaupt Empfindbare und Vorstellbare, also meine vollständige Gesamtvorstellung von der Kirsche ab. Was bleibt? Offenbar nichts, was Vorstellung ist; es bleibt ein Unvorstellbares. Etwas, das in keiner Weise in unser Empfinden und Denken eintritt noch eintreten kann, ist für uns doch wohl = nichts. Ich sage: für uns ist es nichts, denn wir lassen ganz dahingestellt, ob es an sich ist oder nicht ist. Wir wenigstens haben weder eine Empfindung noch Anschauung noch einen Begriff von dem, was bleibt, nachdem all unsre Vorstellungen abgezogen sind. Das Ding an sich der Kirsche ist also für uns weder eine Empfindung noch eine Anschauung noch ein Begriff; es ist für uns = nichts. Wie wollen wir also seine Existenz beweisen können? Wie mit der Kirsche, so verhält es sich aber mit jedem Gegenstande, also mit der Summe aller Gegenstände, mit der Welt selbst, die wir vorstellen. Wenn wir von dieser unsrer Erfahrungswelt, der einzigen, die wir kennen, alle unsre Vorstellungen abziehen, so bleibt ein absolut Unvorstellbares, von dessen Sein oder Wesen wir nicht die geringste sichere Idee haben können, es bleibt für uns ein Nichts übrig. Ich sage wiederum : für uns, also ein relatives Nichts, da wir nichts davon vorstellen können; wir können nicht sagen: ein absolutes Nichts; denn wir können alle unsre Aussagen nur thun in Verhältnis und Beziehung zu unserm Vorstellen, also nur relativ, nie absolut. Wir können sagen: Die Dinge an sich sind für unser Vorstellen absolut nichts, d. h. nichts andres als: sie sind ein relatives (nämlich für uns) Nichts, und zwar dies ausnahmslos, ganz und gar; also absolut nichts für uns. Hier gilt das ,,absolut" also nur innerhalb der Relativität. Wir können aber nicht sagen: Die Dinge an sich sind, abgesehen von all unsrem Vorstellen überhaupt, an sich absolut nichts, denn davon können

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