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die Gelegenheit benüßen, ein bißchen Spektakel zu machen..

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„Gewiß! Allein man kann nicht leugnen Ich war dabei, als Schlachtergeselle Berkemeyer Herrn Benthiens Fensterscheibe zerwarf ... Er war wie ein Panther!" Das lezte Wort sprach Herr Gosch mit besonders fest zusammengebissenen Zähnen und fuhr dann fort: „O, man kann nicht leugnen, daß die Sache ihre erhabene Seite besigt! Es ist endlich einmal etwas Anderes, wissen Sie, etwas Unalltägliches, Gewaltthätiges, Sturm, Wildheit ... ein Gewitter ... Ach, das Volk ist unwissend, ich weiß es! Jedoch mein Herz, dieses mein Herz, es ist mit ihm..." Sie waren schon vor das einfache, mit gelber Ölfarbe gestrichene Haus gelangt, in dessen Erdgeschoß sich der Sizungssaal der Bürgerschaft befand.

Dieser Saal gehörte zu der Bier- und Tanzwirtschaft einer Witwe Namens Suerkringel, stand aber an gewissen Tagen den Herren von der „Bürgerschaft“ zur Verfügung. Von einem schmalen, gepflasterten Korridor aus, an dessen rechter Seite sich Restaurationslokalitäten befanden, und auf dem es nach Bier und Speisen roch, betrat man ihn linker Hand durch eine aus grüngestrichenen Brettern gefertigte Thür, die weder Griff noch Schloß besaß und so schmal und niedrig war, daß niemand hinter ihr einen so großen Raum vermutet hätte. Der Saal war kalt, kahl, scheunenartig, mit geweißter Decke, an der die Balken hervortraten, und geweißten

Wänden; jeine drei ziemlich hohen Fenster hatten grüngemalte Kreuze und waren ohne Gardinen. Ihnen gegenüber erhoben sich amphitheatralisch aufsteigend die Sißreihen, an deren Fuß ein grün gedeckter, mit einer großen Glocke, Aktenstücken und Schreibutensilien geschmückter Tisch für den Wortführer, den Protokollführer und die anwesenden Senatskommissare bestimmt war. An der Wand, die den Thüren gegenüberlag, waren mehrere hohe Garderobehalter mit Mänteln und Hüten bedeckt.

Stimmengewirr schlug dem Konsul und seinem Begleiter entgegen, als sie hinter einander durch die schmale Thür den Saal betraten. Sie waren ersichtlich die Lezten, die ankamen. Der Raum war gefüllt mit Bürgern, welche, die Hände in den Hosentaschen, auf dem Rücken, in der Luft, in Gruppen bei einander standen und disputierten. Von den 120 Mitgliedern der Körperschaft waren sicherlich 100 versammelt. Eine Anzahl von Abgeordneten der Landbezirke hatte es unter den obwaltenden Umständen vorgezogen, zu Hause zu bleiben.

Dem Eingang zunächst stand eine Gruppe, die aus kleineren Leuten, aus zwei oder drei unbedeutenden Geschäftsinhabern, einem Gymnasiallehrer, dem „Waisenvater" Herrn Mindermann und Herrn Wenzel, dem beliebten Barbier, bestand. Herr Wenzel, ein kleiner, kräftiger Mann mit schwarzem Schnurrbart, intelligentem Gesicht und roten Händen, hatte den Konsul noch heute Morgen rasiert; hier jedoch war er ihm gleichgestellt. Er rasierte nur in den

ersten Kreisen, er rasierte fast ausschließlich die Möllendorpfs, Langhals', Buddenbrooks und Deverdiecks, und seiner Allwissenheit in städtischen Dingen, seiner Umgänglichkeit und Gewandtheit, seinem bei aller Unterordnung merklichen Selbstbewußtsein verdankte er seine Wahl in die Bürgerschaft.

„Wissen Herr Konsul das Neueste ?" rief er eifrig und mit ernsten Augen seinem Gönner entgegen... ,,Was soll ich wissen, mein lieber Wenzel?" „Man konnte es heute Morgen noch nicht erfahren haben ... Herr Konsul entschuldigen, es ist das Neueste! Das Volk zieht nicht vor das Rathaus oder auf den Markt! Es kommt hierher und will die Bürgerschaft bedrohen! Redakteur Rübsam hat es aufgewiegelt ..."

,,Ei, nicht möglich!" sagte der Konsul. Er drängte sich zwischen den vorderen Gruppen hindurch nach der Mitte des Saales, wo er seinen Schwiegervater zusammen mit den anwesenden Senatoren Doktor Langhals und James Möllendorpf erblickte. „Ist es denn wahr, meine Herren ?" fragte er, indem er ihnen die Hände schüttelte ...

In der That, die ganze Versammlung war voll davon; die Tumultuanten zogen hierher, sie waren schon zu hören ...

„Die Canaille!" sagte Lebrecht Kröger kalt und verächtlich. Er war in seiner Equipage hierher ge= kommen. Die hohe, distinguierte Gestalt des chemaligen ,,à la mode-Kavaliers" begann, unter gewöhnlichen Umständen von der Last seiner achtzig

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Jahre gebeugt zu werden; heute aber stand er ganz aufrecht, mit halb geschlossenen Augen, die Mundwinkel, über denen die kurzen Spigen seines weißen Schnurrbartes senkrecht emporstarrten, vornehm und geringschäßig gesenkt. An seiner schwarzen Sammet= weste blizten zwei Reihen von Edelsteinknöpfen ... Unweit dieser Gruppe gewahrte man Hinrich Ha= genström, einen unterseßten, beleibten Herrn mit rötlichem, ergrautem Backenbart, einer dicken Uhrkette auf der blau karierten Weste und offenem Leibrock. Er stand zusammen mit seinem Kompagnon, Herrn Strund, und grüßte den Konsul durchaus nicht.

Weiterhin hatte der Tuchhändler Benthien, ein wohlhabend aussehender Mann, eine große Anzahl anderer Herren um sich versammelt, denen er haarklein erzählte, wie es sich mit seiner Fensterscheibe begeben habe ... „Ein Ziegelstein, ein halber Ziegelstein, meine Herren! Krach hindurch und dann auf eine Rolle grünen Rips ... Das Pack!... Nun, es ist Sache des Staates ..."

...

In irgend einem Winkel vernahm man unaufhörlich die Stimme des Herrn Stuht aus der Glockengießerstraße, welcher, einen schwarzen Rock über dem. wollenen Hemd, sich an der Auseinanderseßung beteiligte, indem er mit entrüsteter Betonung beständig wiederholte:

,,Unerhörte Infamie!"— Übrigens sagte er,,Infamje“.

Johann Buddenbrook ging umher, um hier seinen alten Freund C. F. Köppen, dort den Konkur

renten desselben, Konsul Kistenmaker zu begrüßen. Er drückte dem Doktor Grabow die Hand und wechselte ein paar Worte mit dem Branddirektor Gieseke, dem Baumeister Voigt, dem Wortführer Doktor Langhals, einem Bruder des Senators, mit Kaufleuten, Lehrern und Advokaten ...

Die Sizung war nicht eröffnet, aber die Debatte war äußerst rege. Alle Herren verfluchten diesen Skribifax, diesen Redakteur, diesen Rübsam, von dem man wußte, daß er die Menge aufgewiegelt habe... und zwar wozu? Man war hier, um festzustellen, ob das ständische Prinzip in der Volksvertretung beizubehalten oder das allgemeine und gleiche Wahlrecht einzuführen sei. Der Senat hatte bereits das leştere beantragt. Was aber wollte das Volk? Es wollte den Herren an den Kragen, das war Alles. Es war, zum Teufel, die faulste Lage, in der sich die Herren jemals befunden hatten! Man umringte die Senatskommissare, um ihre Meinung zu erfahren. Man umringte auch Konsul Buddenbrook, der wissen mußte, wie Bürgermeister Deverdieck sich zu der Sache verhielt; denn seitdem im vorigen Jahre Senator Doktor Deverdieck, ein Schwager Konsul Justus Krögers, Senatspräsident geworden war, waren Buddenbrooks mit dem Bürgermeister verwandt, was sie in der öffentlichen Achtung beträchtlich hatte steigen lassen ...

Plöglich schwoll draußen das Getöse an ... Die Revolution war unter den Fenstern des Sizungsfaales angelangt! Mit einem Schlage verstummten

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