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die vielen und verschiedenartigen Leidenschaften, die in jedem einzelnen Orte die Gemüther zu Hafs und Partheienwuth entflammten. Kalter Lebensüberdrufs ist die Folge einer solchen Zerrüttung, und diese findet in den nächsten übelen Begegnissen einen Vorwand zur Selbsttödtung, welche durch den Mangel an und für sich selten oder nie veranlafst wird. Denn mit unzerrüttetem Gemüth geht der Mensch lieber dem sichern Hungertode entgegen, und vertraut dem fernsten Schimmer von Hoffnung, als dafs er eigenwillig dem Genusse des Tageslichtes entsagte. Ohnmächti- Nicht weniger ist aber hierbei eine Art von ohnges Ermatten. mächtiger Ermattung in Anschlag zu bringen, die sich im Juni und Juli '), gerade bis zu der Zeit, wo die Schweifssucht ausbrach, vornehmlich in Pommern, zu grofser Verwunderung des Volkes zeigte. Mitten in der Arbeit, und ohne alle begreifliche Ursache wurden die Leute an Händen und Füfsen lahm, so dafs sie sich nicht helfen konnten, wenn sie auch gleich hätten sterben sollen 2). Man musste sie warm zudecken und ihnen stärkende Nahrung reichen, so afsen sie auch sehr viel, und gegen den dritten oder vierten Tag waren sie wieder gesund. Erscheinungen dieser Art, welche hier offenbar von atmosphärischem Einfluss abhingen, sind nur die äussersten Steigerungen einer allgemeinen krankhaften Abstumpfung des Lebensgefühls, welche wohl auch geradezu in Lebensüberdrufs, die Bedingung des Selbstmordes übergehen konnte.

Die

1) Von Pfingsten bis gegen Jacobi, den 25. Juli. Klemzen, S. 254.

2) Zwei Schiffer, die in einem solchen Anfall die Ruder verloren hatten, kamen in Gefahr in das Haff zu treiben, wurden aber bemerkt und gerettet. Ebend.

Die folgenden Jahre sind durchaus nicht alle Nothjahre. durch entschiedenen Mifswachs ausgezeichnet. Das Jahr 1530 war selbst fruchtbar, und es kamen nur vereinzelte Unfälle vor, wie z. B. eine grosse Ueberschwemmung im Gebiete der Sale, mitten in der Erntezeit 1). 1531 folgte ein sehr kaltes Frühjahr und ein nafskalter Sommer, nur dann und wann mit Sonnenschein, doch war der Ertrag der Felder nicht ganz unergiebig, und der allzugrofsen Noth wurde in Thüringen und Sachsen durch angelegte Korngruben gesteuert, so dafs die Landleute nicht nöthig hatten, wie dies in Schwaben oftmals geschah, das noch grüne Getreide abzumähen, um die Aehren im Backofen zu trocknen, und mit den noch unreifen Körnern sich das Leben zu fristen. 1532 und 33 waren wiederum sehr unfruchtbar; eben so 1534 wegen sehr grofser Sommerhitze und Dürre. 1535 endlich schien die Ordnung in dem Wechsel der Jahreszeiten, und mit ihr das Gedeihen wiedergekehrt zu sein, und die Noth hörte auf 2). Die Berichte aus den einzelnen Gegenden Deutschlands lauten sehr verschieden, doch blieb die Theuerung volle sieben Jahre lang (1528 bis 1534) vorherrschend 3), und da man in jedem kleineren Gesichtskreise ihre Ursachen nicht aufzufinden vermochte, so erinnerte man sich oft des alten Spruches: „Wenn eine Theuerung sein soll, so hilft es nicht, wenn auch gleich alle Berge eitel Mehl wären 4).“

1) Spangenberg, M. Chr. fol. 432. a.

2) Ebend, fol. 433. a. 435. b. Schwelin, S. 149. 50.

3) Ein märkischer Chronist versichert sogar, sie habe bis
Doch widersprechen

1546 gedauert. Annales Berol. Marchic.

dem die übrigen Zeitgenossen.

4) Spangenberg, fol. 432. a.

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5. Schweifs sucht in Deutschland.

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1529.

Diese Thatsachen sind hinreichend, um das Bild des Hintergrundes vorläufig zu entwerfen, auf dem das Gespenst von England sich bewegte, zu dem wir Aufhören in jetzt zurückkehren. Wie lange die Schweifssucht dort England. noch gewüthet, wann Heinrich VIII. seinen abgelegenen Zufluchtsort verlassen habe, um in seine Hauptstadt wieder einzuziehen, darüber hat niemand Nachrichten aufgezeichnet. Dafs sie sich sehr schnell über das ganze Königreich verbreitet habe, ist mit Bestimmtheit zu vermuthen, und würde wahrscheinlich noch aus geschriebenen Urkunden an Ort und Stelle leicht zu ermitteln sein. Die Annahme, dafs sie in keiner Stadt länger als einige Wochen heftig gewüthet habe, wird durch näher liegende übereinstimmende Erscheinungen gerechtfertigt, doch hat sie wohl ohne Zweifel bis in den lauen Winter in geringerer Stärke unter dem Volke fortgedauert. Dafs sie noch während des Sommers 1529 in England vorhanden gewesen sei, darüber sind keine, auch nicht einmal ungenaue Angaben zu ermitteln. Als Volkskrankheit bestand sie gewifs nicht mehr, doch ist bei Erwägung der Luftbeschaffenheit in diesem Jahre nicht in Abrede zu stellen, dafs noch vereinzelte Erkrankungen am Schweifsfieber vorgekommen sein mögen, denn Seuchen wie diese bleiben bei der Fortdauer ihrer ursprünglichen Ursachen nicht ohne Nachzügler ').

1) Newenar behauptet zwar, das Schweifsfieber sei in England alljährlich zum Ausbruch gekommen, fol. 68. b.; doch haben dergleichen allgemeine und unbestätigte Versicherungen von Fremden, die selbst nicht in England gewesen waren (der Graf Hermann von Newenar war Propst in Köln), nicht die geringste Glaubwürdigkeit.

Westwärts nach Irland drang das Schweifsfieber nicht vor, und eben so wenig überschritt es die schottische Gränze; die Geschichtschreiber, die über ein so gefürchtetes Ereignifs gewifs berichtet haben würden, wissen davon durchaus nichts. Das Trauerspiel sollte sich anderswo entwickeln, andere Völker sollten darin auftreten.

Hamburg war der erste Ort des festen Landes, Ausbruch in Hamburg, den wo das Schweifsfieber ausbrach. Hier waren die Ge25. Juli. müther noch in grofser Aufregung von den Begebenheiten der letzten Monate. Die Evangelischen hatten nach langen und leidenschaftlichen Kämpfen die Päpstlichen endlich überwunden. Eben erst hatte man unter Bugenhagen's weiser Leitung das grofse Werk der Kirchenverbesserung vollendet, die Klöster aufgehoben, die Mönche entlassen, Schulen eingerichtet, und der Friede kehrte wieder im Genusse der kirchlichen Freiheit. Da erschien unvermuthet gegen den 25. Juli die gefürchtete Seuche, von der man schon so lange und so oft Wunderbares gehört. Sie erregte sogleich, wie bisher immer in England, allgemeine Bestürzung, und bevor man sich noch von Engländern, oder von Deutschen, die in England gewesen waren, von ihrer Behandlung so oder so unterrichtet

hatte, tödtete sie täglich 40 bis 60, und im Ganzen Sterblichkeit. innerhalb 22 Tagen 1) gegen 1100 Einwohner, denn so viele Särge waren in dieser Zeit von den Schreinern verfertigt worden. Die Dauer des grofsen Sterbens so wollen wir das stärkere Wüthen der Seuche nennen -war indessen bei weitem geringer, und kann füglich auf etwa neun Tage bestimmt werden,

1) Von Jacobi, den 25. Juli, bis zu Mariae Himmelfahrt, den 15. August. Staphorst, a. u. a. O.

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denn aus dem erhaltenen Bruchstücke eines Briefes aus Hamburg, der von einem dortigen Burgemeister am 8. August nach Wittenberg gesandt wurde, geht hervor, dafs schon einige Tage früher niemand weiter am Schweifsfieber gestorben war, als einer oder zwei Trunkenbolde, und man um diese Zeit wieder Athem Ende um den schöpfte '). Danach ist denn auch die unverbürgte 5. August. Nachricht zu beurtheilen, dafs die Krankheit noch gegen vierzehn Tage länger gewährt habe, und der Menschenverlust auf 2000 gestiegen sei. Jedenfalls kündigte sich aber die Seuche dem Festlande mit derselben Bösartigkeit an, die ihr von Ursprung an eigenthümlich war, und wenn in der Entfernung die Angaben über die Sterblichkeit in Hamburg immer höher und höher gesteigert wurden 2), so war gewiss Grund genug zu Uebertreibungen dieser Art vorhanden, die ohnehin in Zeiten so grofser Gefahr nicht ausbleiben. Die Geschichtschreiber der damals schon mächtigen und gebildeten Handelsstadt haben im Ganzen nur wenig über dieses wichtige Ereignifs berichtet, wie dies wohl leicht erklärlich wird aus der anhaltenden Beschäftigung der Gemüther mit den heiligsten Angelegenheiten des Menschen, und dem altherkömmlichen

1),,Denn so schrieb ein Burgermeister von Hamburg, am Sonnabend fur Laurentii (d. i. den 8. August) M. D. XXIX. iar, Hie stirbt, Gott lob, an der Schwitzenden seuche niemand mehr, und ist auch in etlichen Tagen niemand gestorben, an allein einer oder zwehn trunckenbölt, die sich nicht regiren wollen." Ein Regiment u. s, w. Wittemberg.

2) So steht z. B. irgendwo im zweiten Bande von Leibnitz Scriptores rerum Brunsvicensium, es wären in Hamburg 8000 Menschen am Schweifsfieber gestorben. Ein unbekannter Chronist

bei Staphorst, Th. II. Bd. I. S. 85. giebt 2000 an.

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