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schäftigungen aufzeichnen. Bei dieser Arbeit eröffnete sich ihm ein immer größeres Feld. Indem er die Erinnerungen an feine inneren Gefühle, und,,die äußern Ursachen," die auf ihn einwirkten,“ und»,,die Stufen," auf denen er zur Theorie“ und „Praxis" fortschritt, aufregte, ward er fürder und fürder geleis tet. Von der Betrachtung seines eigenen Privatlebens ,,ward er in die weite Welt versett." „Die Bil der der vielen erhabenen Charaktere, durch deren Beis spiel oder Bekanntschaft ich in einem höhern oder ge ringerň Grade vorwärts getrieben war, standen vor meinen Augen. Es war sogar nothwendig, das ungeheure Wogen in der politischen Welt, welches sowohl auf mich, als auf alle meine Zeitgenossen den lebhaftes sten Eindruck gemacht hatte, in besondere Betrachtung zu nehmen." Es scheint, man müsse Goethe's Leben so betrachten, als habe es in vielen Punkten den Stoff zu seinen Werken der Phantasie geliefert, weil wir in ihnen nach einer poetischen Ansicht seines Lebens und seiner Gefühle uns umsehen müssen.

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S. 12.

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Es ist nicht so ganz leicht, über unsere Liebschaf ten zu sprechen, geschweige denn eine Erzählung davon zu schreiben und durch den Druck öffentlich bekannt zu machen. Waren sie wirklich herzlich gemeint, so ist ihr Andenken heilig; und schwer ist es, das Bild eines Gegenstandes, den man aufrichtig geliebt hat, vor der gaffenden Volksmenge zu zeichnen. Die meisten Menschen sind auch zu verschämt, um sich nicht des Bekenntnisses zu schämen, daß sie unter der Herrschaft

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Indeffen giebt's doch rechtfertigen wußten,

zügellofer Leidenschaften erlagen. Schriftsteller, welche sich so zu daß selbst strenge Beurtheiler sich nicht geneigt fanden, ein hartes Urtheil über ihre Bekenntnisse zu fållen. Die lustigen Krieger Frankreichs erzählen ihre Galanterien mit der geübten Miene des Weltmanns, und sehen sich über ihre Schlechtheit hinaus, wie über eine ganz gewöhnliche Sache. Für dumme Teufel müßte man sie halten, hätten sie eine günstige Gelegenheit unbenußt gelassen. Und gefeht, sie verschwiegen nur eine ihrer vielen Buhlschaften, so würden sie ganz charakterlos handeln. Andere, wie Alfieri, überreden uns, daß sie Schlachtopfer einer ungestühmen, unüberwindlichen Leidenschaft wurden. Rousseau besitzt eine so künstliche Unbefangenheit, daß er uns glauben macht, es sei ihm wirklich unbewußt, sich irgend einem Gefühle hingege= ben zu haben, das nicht seiner vollständigen Beichte håtte mit eingeschlossen werden müssen. Unser Verfasfer spielt seine Rolle auf eine andere Manier. Er entà sah sich im mindesten nicht, uns zu Vertrauten aller seiner verliebten Tåndeleien mit mehreren verheiratheten und unverheiratheten Frauenzimmern zu machen, die ihn nach und nach fesselten. Inzwischen können wir versichern, daß selbst Leser vom feurigsten Temperamente alle seine Liebesgeschichten lesen können, ohne etwas dabei zu riskiren.

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Andere Verfasser ihrer eigenen Memoires schrånks ten sich darauf ein, solche von ihren Zeitgenossen zu zeichnen, die irgend gegründete, Ansprüche auf Notoriës

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tåt hatten, der Welt schon bekannt waren, oder von denen sich wenigstens eine unterhaltende Notiz, eine interessante Anekdote mittheilen ließ, ungeachtet sie eben nicht berühmt waren. Und unter dem närrischen Vorwande, die Geduld der Leser nicht mißbrauchen zu wollen, ließen sie liebloser Weise die meisten ihrer Freunde und Verwandte in beständigem Dunkel, bloß deswe-, gen, weil diese: ehrbaren Subjekte nie etwas thaten oder sagten, was aufgezeichnet zu werden verdiente. Bei Goethe ist das nicht der Fall. Er huldigte den ernsten Aufforderungen der Verwandtschaft und Freunds schaft mit einer so löblichen Folgsamkeit, daß er sein möglichstes that, jeden zu verewigen, der die Ehre hatte, ihm anzugehören — allen seine Bekannte alle Bekannte seiner Bekannten — und jeden Mann, jede Frau und jedes Kind, die zu seiner Bekanntschaft ge= hört haben mogten, konnten, sollten oder wollten. Das Andenken an einen kleinen eigensinnigen Bruder, welcher, als Goethe sechs Jahre alt war, an den Masern erkrankte und starb, bevor er noch die Hosen anziehn konnte, macht Anspruch auf ein herzliches Denkmal brüderlicher Liebe. Seine verschiedenen Tanten erhalten einen Zoll der Dankbarkeit für die vielen Gutheiten, die ich von ihnen in meiner Jugend empfangen," vorzüglich seines Großvaters zweite Tochter, die an einen,,Materialhåndler Melbert" verheirathet war, der,,in der besten Gegend der Stadt, an dem Markte" einen Laden hatte. Sie hat fürwahr ganz besondere Ansprüche auf Nachruhm; denn Goethe pflegte ihr die aus Süßholz bereiteten braunen gestempelten Zeltlein aus dem Schubkasten zu stehlen; und als Karl der Siebente

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gekrönt ward, kletterte meine Tante, welche die lebhafteste in der Familie war, auf einen Prallstein, und rief

hafte laut Vivat! so heftig, daß der gutmüthige

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Kaiser veranlaßt ward, den Hut vor ihr abzuziehn und für diese kecke Aufmerksamkeit gar gnädig zu danken." Seine Freunde betreffend, diese drången sich zu Tausenden auf uns ein, und noch dazu in der ganzen åchten Eigenthümlichkeit ihrer Kleidung und Haltung; z. B. der Doktor Salzmann,,,welcher im Speisehause zu Straßburg am Tische obenan saß," und immer ganz besonders nett und reinlich in seinem Aeußern war, ge= wöhnlich einen Regenschirm bei sich führte, und dessen Beschreibung in diesem emphatischen Ausrufe endet →→→ Ja, er war einer von denen, die immer in Schuhen und Strümpfen, mit einem Klapphute unter dem Arme gehn!! *)

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*) Mögte doch jeder: Schriftsteller beherzigen, was Fielding
fagt: An author ought to consider himself, not as
a gentleman who gives a private or eleemosynary
treat, but rather as one who keeps a public ordi-
nary, at which all persons are welcome for their
Men who pay for what they eat will
money.
insist on gratifying their palates, however nice
and whimsical these may prove; and if every thing
is not agreeable to their taste, will challenge a right
to censure, to abuse, and to d -n their dinner with-
out control. Hätte der große Goethe dies bedacht, ge=
wiß würde er manches nicht aufgetischt haben, was seinen
Gästen unmöglich behagen kann.i

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reiner Selbstfucht verblendet ward, so muß man schließen, daß einige seiner gelehrten Theorien ihn verhin= derten, sich einen richtigen. Begriff: von der Art und Weise zu machen, wie sein Gegenstand håtte behandelt werden müssen. Es bedarf mancher Hand- und Kunstgriffe, um die Wiederholung des häßlichen Vorworts zu seinem Werke dem Leser überall nur erträg= Lichy 6 zu machen..... Wer sein eigenes Leben beschreibt, dem muß es ohne Zweifel erlaubt sein, sich auf den Vordergrund zu stellen: und er ist verbunden, eine große Menge seiner Geheimnisse, um die er nur allein wußte, zu entdecken. Goethe macht aber gar keine Auswahl von solchen, die der Aufzeichnung werth find. Er zieht sich fadennackt aus, und die Taschen leert er noch obendrein in den Kauf aus. Er hat es unter, nommen, eine Ansicht von seiner literarischen Laufbahn zu geben, - eine Geschichte der Fortschritte seiner intellectuellen Fähigkeiten, der allmähligen Entwickelung seiner Talente, und der geistigen Genealogie seiner verschiedenen Werke, zu liefern: Indem er an diese Arbeit ging, scheint er nicht gefühlt zu haben, daß es nicht durchaus nothwendig war, die Tåfelchen seines Gedächtnisses durchzublåttern, und daraus, zum öffentlichen und immerwährenden Andenken, alle jene rohen Gedanken und seltsamen Grillen zu kopiren, die von einer eben so geringen Bedeutung sind, wie die Flecken des gefärbten Lichts, welches auf dem Sehnerven schwimmt, wenn das Auge geschlossen_~_ist: - so ist es dennoch in dem sonderbaren Werke, welches vor uns liegt. Mit ängstlicher Genauigkeit hat er jeden Vorfall seines Lebens, sein ganzes Thun und Lassen

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