Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

ber gewonnen wird. Ein Berliner photographisches Atelier erhält im Jahre über 2000 Thaler an metallischem Silber aus den Papierabfällen. Nimmt man den Preis eines Zollpfundes Silber zu 30 Thalern an, so berechnet sich hiernach die jährliche Darstellung des metallischen Silbers aus den Abfällen zu ungefähr 68 Zollpfund. Somit läßt sich ein Schluß ziehen auf den photographischen Verbrauch des Silbers im Ganzen und Allgemeinen.

Wie das Licht der Sonne, wenn es auf eine grünende Wiese fällt, zahllose Synthesen und Analysen ausführt — tausend und aber tausend von vegetabilen Vorgängen einleitet ebenso hat das Licht in seiner merkwürdigen Thätigkeit, wie sie sich in der Photographie entwickelt, die mannigfachsten Kräfte in Bewegung gesetzt; fast täglich liefert die technische Chemie der Photographie neues zweckmäßiges Material und chemische Präparate, welche vor wenigen Jahren noch nur als Seltenheiten in Sammlungen anzutreffen waren - wir finden sie heutzutage, dank dem photographischen Verbrauche, in den größten Men gen und in vollendeter Reinheit als Handelsartikel des täglichen Verkehres. So hat denn die Photographie auf die Thätigkeit der Technik und namentlich der technischen Chemie einen wesentlichen Einfluß ausgeübt. Und die Consequenzen der Photographie für die Technik- sie sind noch feineswegs erschöpft. Man hat bisher die artistische Seite der Photographie vorzugsweise zu entwickeln gesucht und mit Recht, da die Hervorbringung gelungener Bilder, wie sie den Anforderungen der Kunst entsprechen, allerdings als ihre höchste und lohnendste Aufgabe erscheinen darf. Die Photographie hat aber noch eine andere Seite, welche ihr für die Technik und tägs liche Praxis in der Folge eine wichtige Be deutung verspricht. Ohne noch nicht zum Abschluß gelangten Arbeiten vorgreifen zu wollen, mag nur erwähnt werden, daß es mit Hülfe der Photographie gelingen dürfte, die bekannten Arsen- und Antimonspiegel, echte und unechte Vergoldung und Versilberung, Wolle von Baumwolle in Zeugen u. dgl. zu unterscheiden. In gleicher Weise bietet uns die Schwärzung photographisch präparirter Papiere Anhaltspunkte zur Beurtheilung des Durchsichtigkeitsgrades verschiedener Tafelglassorten. Bei weiterer

[merged small][ocr errors][merged small]

Die Spectralanalyse in ihrer Anwendung auf die Stoffe der Erde und die Natur der Himmelskörper. Von H. Schellen. Zweite Auflage. Braunschweig, Druck und Verlag von George Westermann.

Zu den charakteristischsten Eigenthümlichkeiten der neueren Zeit gehört ohne Zweifel die bedeutende Rolle, welche gegenwärtig die Naturwiss senschaften spielen, der rege Eifer, mit welchem alle Zweige derselben cultivirt werden, und der mächtige Einfluß, den sie nach den verschieden ften Seiten hin auf das moderne Leben gewon

nen haben.

Haben wir doch von Jahr zu Jahr mehr wichtige naturwissenschaftliche Entdeckungen aufzu zählen, als deren im Alterthume in Jahrhunderten, ja in Jahrtausenden gemacht wurden. Die Entdeckungen unserer Naturforscher bleiben aber heutzutage nicht mehr Geheimniß engerer Kreise, sondern sie wirken schaffend und gestals tend auf das praktische, bildend und belehrend auf das geistige Leben der Nationen.

gebildete Welt an den Fortschritten der NaturBei dem regen Interesse, welches die ganze wissenschaften nimmt, ist es ein dringendes Bedürfniß, daß dieselben wenigstens in ihren Grundzügen in allgemein verständlicher Form auch dem wißbegierigen Laien zugänglich gemacht werden und diesem Bedürfniß ist Schellen durch das in der Ueberschrift genannte Werk in Beziehung auf die Spectral analyse gerecht geworden.

feuchtenden Gegenstand, etwa eine Kerzens oder Betrachtet man irgend einen schmalen hell Lampenflamme durch ein Glasprisma, so crscheint er bekanntlich als ein in die Länge gezogener Farbenstreifen, welcher den Namen des Spectrums führt und welcher an dem einen Ende mit Roth beginnt, auf welches dann, allmalig in einander übergehend, Orange, Gelb, Grün, Hellblau, Dunkelblau und Violet sogenannten Regenbogenfarben

folgen.

die

Spectrums nöthigen Vorsichtsmaßregeln an, so Wendet man alle zur Erzeugung eines reinen zeigt sich, daß jeder in Gasform glühende Stoff ein eigenthümliches, meist aus einzelnen charakteristischen hellen Linien bestehendes Spectrum liefert, so daß man mittelst prismatischer Zer

legung (Spectralanalyse) selbstleuchtender Gase | schwarz auf hellem Grunde, was bei dem ges zu erkennen im Stande ist, welche Stoffe sie enthalten.

Die Spectralanalyse hat bereits zu den wichtigsten und überraschendsten Resultaten geführt, indem sie nicht allein die Entdeckung neuer, bis dahin unbekannter Elemente vermittelte, sondern uns auch Aufschlüsse über die chemische Constitution der entferntesten Himmelskörper gab.

Das Schellen'sche Werk enthält nun eine aus führliche, zugleich aber allgemein verständliche Darstellung der Lehre vom Spectrum nebst allen durch Untersuchung der Spectra farbiger Flammen, elektrischer Funken, der Sonne und anderer Himmelskörper erlangten Resultaten. Die erste | Auflage dieses Werkes ist bereits im Herbst 1869 | (mit der Jahrzahl 1870) erschienen und, wenn schon jezt, nachdem kaum ein Jahr verflossen ist, trop der Ungunst der Zeitverhältnisse eine zweite Auflage desselben nothwendig gewors den ist, so liegt darin gewiß der beste Beweis, daß das Werk vollkommen seinem Zwecke ent spricht; einen weiteren Beleg für die Vortreffs lichkeit des Werkes aber bietet die Anerkennung, | welche J. H. von Mädler, eine allgemein aner kanute Autorität, demselben im Julihefte der „Illustrirten Deutschen Monatshefte“ von 1870 gezollt hat.

Wenn wir hier auf eine Besprechung der Scheller'schen Spectralanalyse zurückkommen, so kann es unser Zweck durchaus nicht sein, etwas zu wiederholen, was Mädler bereits darüber gesagt hat, wir beschränken uns vielmehr darauf, die Vorzüge hervorzuheben, durch welche sich die zweite Auflage des Werkes vor der ersten auszeichnet.

nannten Apparate nicht der Fall ist.

Die Mittel zur subjectiven Beobachtung werden aber zum großen Vortheile eines Jeden, welcher eine ernstere Belehrung erstrebt, in der zweiten Auflage weit eingehender behandelt, als es in der ersten der Fall war. So war z. B. in der ersten Auflage von den geradlinigen Spectroffopen (spectroscopes à vision directe), welche jezt namentlich bei der Untersuchung des Lichtes der Himmelskörper eine so bedeutende Rolle spielen, zwar die Rede, genauere Angaben über die Construction der in ihnen verwendeten Prismensysteme und den Gang der Lichtstrahlen durch dieselben, fehlten aber, ein Mangel, den wir uns freuen, als in der zweiten Auflage beseitigt bezeichnen zu können.

Als weitere erfreuliche Bereicherungen nach dieser Seite hin sind aufzuzählen: Browning's automatisches Spectroskop, Mitscherlich's Spectraldocht und Apparat für andauernde Spectra, eine Vorrichtung, welche Jedem willkommen sein wird, der längere Zeit mit farbigen Flammen zu experimentiren hat und welcher man hier zum ersten Male außerhalb der Fachjournale begeg nct, Morton's Apparat für monochromatisches Licht, Browning's Funkencondensator, SorbyBrowning's Mikroskop zu Absorptionsbeobach tungen u. s. w.

Während das Buch in seiner zweiten Auflage durch diese Bereicherungen wesentlich gewonnen bat, so gereicht demselben andererseits auch die Weglassung des § 32 der alten Auflage, welcher über Phosphorescenzfarben handelte, nur zum Vortheile und wir freuen uns dieser Weglassung im Interesse des Werkes. Der ganze Paragraph gehörte nicht recht dahin und die Analogie der Phosphorescenz mit der Resonanz von Luftsäulen, wie sie dort besprochen wurde, war keineswegs eine schlagende.

Schellen's Werk ist aus einer Reihe öffentlicher Vorlesungen hervorgegangen, und bei solchen Vorträgen ist, wenn man auf experimen- | tale Erläuterung nicht ganz verzichten will, die objective Darstellung der Spectralerscheinun- Den Ausgangspunkt für die Spectralanalyse gen unumgänglich nothwendig. Von dieser Dar der Himmelskörper bildet die Umkehrung der stellungsweise, so kostspielig und mühsam sie auch hellen Spectrallinien und es ist deshalb sein mag, hat Schellen offenbar die ausgedehn von der größten Wichtigkeit, daß diese Umkehteste Anwendung gemacht, wie aus der ein rung durch einen einfachen Versuch auch an irgehenden Besprechung der zu solchen Versuchen dischen Lichtquellen erläutert werde. Ein sol nöthigen Apparate und Arrangements hervors cher Versuch ist nun allerdings der durch Figur geht, die man in seinem Werke findet. Für den 80, Seite 204 der zweiten Auflage erläuterte, Leser des Buches tritt die Bedeutung der ob- allein in der hier beschriebenen Form bietet derjectiven Darstellungsmethode freilich etwas in selbe doch zu viel Schwierigkeiten, als daß eine den Hintergrund, da Jeder, welcher durch eigene öftere Wiederholung desselben zu erwarten wäre. Versuche das Studium der Spectralerscheinun- | Ginen großen Dienst hat deshalb Schellen allen gen unterstüßen will, doch nur zur subjecti- | Freunden der Spectralanalyse dadurch erwiesen, ven Beobachtung greifen wird. daß er uns auf Seite 205 mit den Ladd'schen

In der ersten Auflage schien der subjectiven | Natriumröhrchen bekannt macht, mittelst deren Beobachtung fast zu wenig Aufmerksamkeit zu- | dieser wichtige Fundamentalversuch jederzeit mit gewendet worden zu sein und daraus erklärt sich | der größten Leichtigkeit wiederholt werden kann. vielleicht das Versehen, welches auch in die Es wäre sehr zu wünschen, daß diese Ladd’schen zweite Auflage übergegangen ist, daß nämlich Röhrchen auch in Deutschland mehr verbreitet von der Scala des vollständigen Spectroskops werden möchten, als es bis jezt der Fall ist. gesagt ist, die Theilstriche derselben ständen | Am besten könnte dies ohne Zweifel dadurch ge

schehen, daß deutsche Mechaniker und Glaskünst- | analyse auch ein Porträt Fraunhofer's aufgenom

ler sich mit der Herstellung solcher Röhrchen befaßten. *

Auch die soeben erst erschienene zweite und dritte Abtheilung des Werkes hat mannigfache Bereicherungen aufzuweisen. Nach der totalen Sonnenfinsterniß vom 18. August 1568 wird auch die am 7. August 1869 in Nordamerika beobachtete eingebend besprochen. Mit besonderer Sorgfalt sind die neuesten Entdeckungen verschiedener Physiker über die eigenthümlichen Modificationen behandelt, welche die Fraunhofer'schen Linien an verschiedenen Partien der Sonnenoberfläche und der Sonnenatmosphäre erleiden und welche so wichtige Aufschlüsse über die physische Beschaffenheit der Sonne geliefert baben.

Fachjournale ausgenommen finden wir hier zum ersten Male eine Abbildung und Beschreis bung des in seinen Leistungen so ausgezeichneten Merz'schen Objectivspectralapparates.

Die neue Auflage der Schellen'schen Spectral analyse hat aber nicht allein durch namhafte Bermehrung des Materials gewonnen, sie ist auch als eine wesentlich verbesserte zu bezeichs nen, indem manche etwas flüchtiger bebandelten Partien der ersten Auflage in der nun vollen deten zweiten eine correctere und klarere Form gewonnen baben.

Was die Ausstattung des Werkes betrifft, so war dieselbe schon in der ersten Auflage eine vertreffliche, in der zweiten Auflage aber hat sie noch bedeutend gewonnen; die neuen Holz schnitte sind vertrefflich ausgefallen und die bez reits im ersten Heste enthaltene Spectraltafel Tab. VI läßt in Betracht der Schönheit und Sauberkeit der Ausführung nichts zu wünschen übrig. Ueberraschend schön sind die auf Tab. VII und Tab. VIII dargestellten Sonnen protuberanzen, wie solche nach der Zöllners. jchen Beobachtungemethode gesehen werden, welche zu spät bekannt wurde, um noch in der ersten Auflage besprochen zu werden. Diese Farbentafeln sind eine wahre Zierde für die neue Auflage.

Eine sehr zweckmäßige, gewiß vielen Lesern böchst willkommene Zugabe der neuen Auflage find die Kirchhoff'schen Tafeln des Sonnens | spectrums, Tab. II und III. (In der Ueber: schrift der Tab. III bat sich ein kleiner Fehler eingeschlichen, es soll nämlich dort heißen: von b bis G und nicht von B bis G.)

Mädler hat den Wunsch ausgesprochen, daß in die zweite Auflage von Schellen's Spectral

Solche, ganz luftleer gemachte Natriumröhrchen fönnen, wie wir nachträglich erfahren haben, von Leybolt's Nachfolger in Köln zu 1 Thaler das Stück bezogen werden.

[ocr errors]

|

men werden möge. Diesem Wunsche ist die Verlagsbuchhandlung auf das bereitwilligste entgegengekommen; die dritte Abtheilung des Werkes bringt uns das wohlgelungene Bildniß dieses ausgezeichneten, nach kaum erreichtem neununddreißigsten Lebensjahre bereits 1826 verstorbenen Gelehrten, dessen Name in dem Schellenschen Buche so häufig genannt wird.

Zum Schlusse möge noch die Bemerkung Plaß finden, daß Schellen's Werk über Spectralanalyse keineswegs nur geeignet ist, den gebildeten und wißbegierigen Laien in dieses so interessante und wichtige Gebiet der neueren Optik einzuführen, sondern daß dasselbe auch für jeden Lehrer der Physik und Ghemie eine vielfach willkommene Erscheinung ist, denn neben Bielem, was ibm freilich bekannt ist, was aber des größeren Publicums wegen nicht allein berührt, sondern auch ausführlich besprochen werden mußte, lernt er hier die neuesten und vollkommensten Aprarate für die verschiedenen Branchen der Spectralanalyse kennen, die für eigene Anschauung nur dem zugänglich sind, welcher mit größeren rhysikalischen Gabinetten in Verbindung #cht; er wird mit den neuesten und überraschendsten Resultaten der Spectralanalyse bekannt gemacht, die ohne eine solche zweckmäßige Zusammenstellung Jedem fremd bleiben müssen, dem nicht ausgedehnte literarische Hülfsmittel zu Gebote stehen und welcher nicht über so viel Zeit zu verfügen hat, als nöthig wäre, um sich in ein eingehendes Studium der zerstreuten und umfangreichen Originalabhandlungen zu vertiefen.

Für Jeden, welcher eingehendere Studien dies ser ebenso interessanten als wichtigen Disciplin zu machen beabsichtigt, sind die literarischen Nachweise, welche am Schlusse der zweiten Auflage angehängt sind, gewiß sehr erwünscht. Freiburg.

Professor 3. Müller.

Von Mar Eyth ist „Wanderbuch eines Ingenieurs“ erschienen, welches namentlich für Techniker interessant ist, da es eine Menge von Beobachtungen, welche in ries Fach einschlagen, enthält. Der Verfasser wandert zuerst durch England, dann nach Aegypten und später nach Amerika, wo er in Norden und Süden die Agriculturverhältnisse beachtet und sich für die Ginführung des Dampfpfluges interessirt, dessen Ges schichte er am Schlusse seines zweibändigen Werkes, welches bei Winter in Heidelberg erschienen ist, mittheilt. Von demselben Verfasser ist in demselben Verlage auch ein Band „Novellen“ nebst einem kleinen Anhange von Gedichten berausgegeben worden. Die Novellen sind ganz lesenswerth und zeigen ein hübsches Talent in dieser Richtung.

[graphic][merged small][merged small][merged small][merged small]

Das achtzehnte Jahrhundert, das sogenannte Zeitalter der Aufklärung, war besonders in seiner letten Hälfte so reich an bedeutenden Männern, an großen Geistern, die gleich Sonnen an dem literarischen Himmel glänzten, daß man leicht bei dieser Fülle und solchem Ueberfluß die Sterne zweiten und dritten Ranges, die zu jeder andern Epoche den ersten Plaß beanspru chen durften, übersehen und vernachlässigen fonnte.

Am Vorabende einer großen welterschütternden Revolution zeigten sich eine Reihe genialer und talentvoller Dichter und Den fer, vorzugsweise in Frankreich, ähnlich wie der Boden in der Nähe der flammenspeienden Vulcane sich durch seine üppige Frucht barkeit auszeichnet. Neben den Heroen der französischen Literatur, einem Voltaire, Diderot, Montesquieu und Rousseau sah man große Talente, wie d'Alembert, Helvetius u. s. w. Dazu kam noch ein jüngerer Nach wuchs, zwar minder berühmt, aber nicht weniger bedeutend durch seinen Einfluß auf den Geschmack und die Stimmung der Menge.

Zu diesen bemerkenswerthen Epigonen der Aufklärung zählt vor Allen Chamfort, einer der geistvollsten Männer jener Zeit. Wenn derselbe weniger bekannt geworden,

als er es verdient, so trägt wohl hauptsächlich der Umstand Schuld, daß er vermöge seiner eigenthümlichen Natur und der Verhältnisse kein größeres Werk hinterlassen hat, in dem er die ganze Fülle seiner tiefen Weltanschauung, seiner scharfen und feinen Beobachtungsgabe, seines originellen Geistes zeigen konnte.

Er gehörte zu jenen sorglosen Talenten, die mit vollen Händen verschwenderisch die Goldkörner ihrer Gedanken ausstreuen, statt sie zu einem großen Capital anwachsen zu lassen und zu sammeln. Auf der Straße, in der Unterhaltung mit seinen Freunden vor Allem in den Salons sprach er die tiefsten und überraschendsten Wahrheiten aus, ohne sich weiter darum zu kümmern. Im höchsten Grade besaß er die den Franzosen eigene Kunst, in kurzen, klaren und schlagenden Sentenzen die bedeutendsten Gedanken, die tiefsten Lebensanschauungen auszusprechen, wie es vor ihm Larochefoucauld gethan, dem er jedoch durch seine mehr philosophische als weltmännische Bil dung und durch seinen sittlichen Ernst weit überlegen ist. Mit Recht sagt daher der berühmte Balzac von Chamfort und dem ihm verwandten Rivarol ebenso wahr als geistreich: Diese Leute legten in einen Gedanken ein ganzes Buch, während man

"

heut kaum einen Gedanken in einem gan= ! zen Buche findet."

Ganz und gar von den Ideen seiner Zeit erfüllt, begeistert für die Freiheit, griff er schonungslos die Tyrannei der Großen, die Vorurtheile der Gesellschaft an, deren geheime Schäden und Gebrechen er erkannt hatte. Viele seiner Aussprüche dienten den Zeitgenossen als Stichworte und wurden so populär, daß man darüber den eigentlichen Urheber vergessen hat.

Hierauf nahm Chamfort, der das Bedürfniß nach Zerstreuung hatte, die Stelle eines Secretärs bei einem reich gewordenen Parvenu an, die er jedoch bald wieder aus Liebe für die Unabhängigkeit aufgab. Von nun an widmete er sich ausschließlich der Literatur; er wurde Mitarbeiter verschiedener Zeitschriften und betheiligte sich an der Herausgabe eines Lexikons, daneben bewarb er sich um den Preis der Akademie, den er durch ein Gedicht auch im Jahre 1764 davontrug. Ermuntert durch diese Erfolge schrieb er ein kleines Lustspiel,

Seine geistvollen Sentenzen erhalten noch einen besonderen Werth dadurch, daß sie nicht die bloßen Abstractionen eines den-,,Der Kaufmann von Smyrna," das mit lenden Kopfes, sondern Ausflüsse eines ge- vielem Beifall auf dem Theatre-Français fühlvollen Herzens find. Mehr oder min- aufgeführt wurde und sich auf dem Reder tragen sie alle den Stempel des inner pertoir bis in die neueste Zeit erhal= sten Seelenlebens, und der melancholische ten hat. Hauch, der sie umschwebt, steigert nur noch das Interesse an der Person dieses aus gezeichneten Mannes.

Sebastian Roch-Nicolas Chamfort wurde 1740 auf einem Dorfe in der Nähe von Clermont als ein Kind der Liebe geboren. Seine Mutter lebte als Gesellschafterin in einer vornehmen adligen Familie, der wahr scheinlich ihr Verführer angehörte. In Folge ihres Fehltritts verlor sie ihre Stelle, so daß sie lange Zeit mit der bittersten Armuth zu kämpfen hatte. Nichtsdestoweniger sorgte sie mit großer Liebe für die Erziehung ihres Sohnes, der schon frühzeitig ein ungewöhnliches Talent ahnen ließ. Auf der Schule trug er fünf Preise in einem Jahre davon. Der Vorsteher der selben suchte ihn für den geistlichen Stand zu gewinnen, was jedoch Chamfort entschieden ablehnte, da er keinen Beruf dafür fühlte. Wegen einer Satire gegen einen der Professoren wurde er von der Universität ausgeschlossen. Ohne jede Stüße, ohne Familie, sah er sich gezwungen, Stunden zu geben und literarische Beschäftigungen zu suchen, um sich und seine Mutter, die er abgöttisch verehrte, zu ernähren. Einer seiner Freunde, ein junger, wohlhabender Abbé hatte die Verpflichtung, wöchentlich einmal vor dem Hofe zu predigen. Da dieser mehr Geld als Geist besaß, so wandte er sich an Chamfort, der sich in der entgegengeseßten Lage befand und der ihm die Predigten Stück für Stück für einen Louisdor lieferte, wobei Beide ihre Rech nung fanden, bis nach einem Jahre diese einträgliche Verbindung aufhörte.

Sein Talent wurde anerkannt; man war auf ihn aufmerksam gemacht und Voltaire selbst urtheilte äußerst günstig über den jungen Schriftsteller, dem sich bald die ersten Kreise öffneten. Da er auch von der Natur, wie öfters die Kinder der Liebe, mit äußerer Schönheit und persönlicher Liebenswürdigkeit ausgestattet war, so fehlte es ihm nicht an zahlreichen Freunden und besonders nicht an Freundinnen, welche Chamfort in das Leben der damaligen Gesellschaft einweihten und ihm nicht nur ihre Salons, sondern auch ihr Boudoir öff| neten. Seine edlere Natur rettete ihn jedoch aus dem verderblichen Strudel dieser Zerstreuungen und Verirrungen, denen er sich anfänglich nur zu sehr überlassen hatte. Mit zerrüttetem Körper aber mit frischem Geist kehrte er zu seinen früheren Arbeiten zurück. Zunächst verfaßte er ein Trauerspiel „Mustapha und Zeangir," das vor dem Hofe zu Fontainebleau mit großem Beifall aufgeführt wurde und ihm eine königliche Pension von zwölfhundert Livres eintrug, abgesehen von den Lobsprüchen, womit ihn die entzückte Königin Marie Antoinette bei dieser Gelegenheit überhäufte.

Der Prinz von Condé verlieh außerdem Chamfort eine einträgliche Sinecure, auf die er jedoch bald wieder verzichtete, weil er in keiner Weise gebunden sein wollte. Dafür wählte ihn die Akademie im Jahre 1781 zu ihrem Mitgliede; ein Beweis der Achtung, die er als Schriftsteller genoß. Er selbst legte jedoch auf alle diese Aus

« ZurückWeiter »