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verdankt und welche ihr die Gewalt über machen, jede für sich, einen selbständigen die Gemüter und Geister verleiht.

Wie der „Ahasver", so gehört auch die zweite epische Dichtung Hamerlings „Der König von Sion“ (Hamburg, 1869) der indirekten Verherrlichung des Ideals an, indem sie das Nichtideal, die Ver irrung des Guten, warnend schildert. „Der König von Sion“ ist wie der „Ahasver" ein historisch - philosophisches Epos großen Stils. Aus dem sybaritischen Rom verseht uns der Dichter in das westfälische Sybaris, in das Münster der Wiedertäufer, aus der Stadt gottloser Schwelgerei in die Stadt schwelgerischer Gotttrunkenheit. Die Geschichte der Ana baptisten wird uns mit glühenden Farben auf dem Hintergrunde einer wüst bewegten Zeit vor Augen geführt, eine Geschichte, welche der Ausdruck religiöser Zeitideen ist, die, von den sittlichsten Principien ausgehend, im Wuft der Unsittlichkeit tragisch enden müssen, weil sowohl die Führer wie die Geführten unbewußt an derselben Verirrung kranken, welche sie durch gewaltsame Umgestaltung der bestehenden Dinge an den Anders gläubigen zu bekämpfen sich bestreben.

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Der Kern der Dichtung ist wie im „Ahasver“ ein durchaus allegorischer. Während wir dort der Eigenliebe des römischen Cäsaren die Menschenliebe der ersten Christengemeinde gegenübergestellt sehen, finden wir hier die zwei Glieder welche dort wie hier die ethische Allegorie, bilden, in einer Gestalt vereinigt, in der Gestalt des Jan von Leyden, des sionischen Königs, welcher von heißer Begierde nach den Freuden des Lebens, doch zugleich von weltflüchtiger Gottessehnsucht erfüllt ist - eine excentrische Natur, in welcher blü hende Sinnlichkeit (gleich Nero im „Ahas ver") und ascetische Entsagung (gleich Ahasver) hart nebeneinander liegen. Ein Beurteiler des „Königs von Sion“ geht - vielleicht einigermaßen doktrinärin der Deutung dieses allegorischen Kernes der Dichtung noch weiter. Nach seiner Ansicht schaffen sich die beiden Eigenschaften, welche den Dualismus Jans aus

Leib, und zwar einerseits in dem prophetischen Bäcker von Harlem, welcher in seiner gottbegeisterten Ekstase mit der sittlichen Seite Jans korrespondiert, und andererseits in der mystisch-dämonischen Divara, dem Weibe des Bäckers, welche Jans sinnlicher Seite entspricht. beide, einzeln genommen, den beiden getrennten Seelenmomenten Jans gleichkommen, so repräsentieren sie nach der Ansicht unseres Kritikers in ihrer ehelichen Gebundenheit das unlösliche Dilemma, welches wir in Jan, der Geist und Sinn in seinem Inneren vergeblich zu versöhnen strebt, inkarniert sehen. Endlich findet unser Analytiker in der symmetrischen Gruppierung der gesamten handelnden Charaktere diese allegorische Grundidee noch weiter ausgeführt: nicht genug, daß die beiden divergierenden Seelenstimmungen Jans, die des Sittlichen und die des Sinnlichen, nach außen hin in dem Bäcker und seinem Weibe eine sich sondernde Wiederholung finden, auch die beiden in Münster zusammenströmenden Parteien, die der Puritaner und die der „Söhne des wandernden Stammes", bilden gleichsam eine Repräsentation en masse dieser beiden durch die ganze Dichtung gehenden Gegensäße. — Wir lassen es dahingestellt, ob dieser allegorische Parallelismus wirklich in der Absicht des Dichters lag oder ob er als eine geistvolle kritische Hineininterpretierung bezeichnet werden muß jedenfalls ist die Kunst der Komposition, mit der hier die Gegensäße sich gegenübergestellt werden, eine bewunderungswürdige.

Und diese Gegensäge, wie und zu welchem Ende entwickeln sie sich? Der prophetische Ascet, der Bäcker, fällt schon im Anfang der Dichtung in Wahnsinn: Jan verliert in ihm seinen guten Genius und widersteht nur mühsam der mit Zauber und Liebestränken gegen ihn agierenden Divara, die wie sein böser Engel dämonisch neben ihm schreitet. Die Bürgerschaft von Münster erliegt den Verführungen dieses Weibes und ihrer Zigeunerrotten;

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endlich fällt auch Jan, nachdem er die Standpunkte würdigen zu können, wenn schöne Nonne Hilla, seine Geliebte (deren wir den Doppelcharakter der Dichtung ganze Erscheinung uns, nebenbei gesagt, in Anschlag bringen. Dieser Doppelkrankhaft verzerrt und als die unglücklichste charakter beruht, wie man bereits anderGestalt der Hamerlingschen Muse erscheint) weitig treffend bemerkt hat, halb auf alleverloren, in die Neße der üppigen Divara. gorischer, halb auf realistischer Basis. Die Schwelgerei bemächtigt sich aller. Er erste Seite dieser Basis bildet den Kern schlaffung folgt dieser auf dem Fuße. Das der Dichtung und wird demgemäß durch Verhängnis bricht herein. Die Stadt die drei Hauptcharaktere repräsentiert, wird erobert. Jan flieht in die düstere durch Jan, durch den Bäcker, durch Divara, Davert, stürzt die ihm folgende Divara welche (ähnlich wie Ahasver) mehr verin den Abgrund und erdolcht sich selbst. körperte Ideen und hier liegt der Das ist in kurzen Zügen die Idee des Hauptfehler des Ganzen - als Personen „Königs von Sion", das die fortschrei von Fleisch und Blut sind. Repräsentanten tende Entwickelung derselben durch die der realistischen Richtung des Gedichtes Stadien der Dichtung. Und mit welchem sind dagegen alle Nebenfiguren — Hilla berückenden Zauber tritt uns diese Idee etwa ausgenommen, welche streng auf dem düsteren Grunde des hier ent- episches Gepräge haben, wie auch die rollten epischen Nachtstückes entgegen! Die landschaftliche Scenerie und das Zeitkolorit Taufe Jans in der Davert, der Bilder durchweg realistisch sind. In Bezug auf sturm im Münsterschen Dome, die Liebes- beides hat sich unser Dichter im Gegenscene Jans und Hillas im Kloster, der saz zu der Handhabung der HauptcharakKampf vor der Stadt, Jans Begegnung tere und der ganzen Fabel des Epos an mit der Divara im Turm, die Gerichts- die Geschichte gehalten. scene, die Scene im Dome, das sionitische Alles in allem betrachtet, dürfte der Mahl auf dem Markte zu Münster, die „König von Sion“ im Vergleich mit dem wilde Orgie im Domhofe und endlich der „Ahasver in Rom" einen leichten Niederhochtragische lezte Seelenkampf Jans und gang der Hamerlingschen Poesie bezeichsein Sieg über sich selbst das sind nen. Im „König von Sion“ zersplittert unübertreffliche Prachtstücke dichterischer der eben angedeutete Doppelcharakter der Schilderung, welche, mag eine pedantisch | Dichtung allzusehr das Interesse, um ein decente Schulkritik über sie richten, wie sie wolle, troß ihres sinnlich glühenden Kolorits eine geradezu rigoristische Moral predigen. Episch am vollendetsten erscheint uns im Eingang des Gedichtes die köst liche, farbensatte Schilderung der Davert. An Schönheit ihr zunächst steht wohl die Scene der Erweckung Jans zum Propheten, wie auch seine Weihe und sein allmähliches Vordringen zur Königswürde in Sion leuchtende Beispiele Hamerling scher Epik sind. Am schwächsten dünken uns, wenn wir die einzelnen Gefänge in ihrer Ganzheit betrachten, der siebente, achte und neunte. Der lezte, der zehnte, ist wiederum grandios.

Fassen wir nun die Charakterzeichnung im König von Sion" ins Auge, so glauben wir dieselbe nur dann vom richtigen

ruhiges Genießen der großen Schönheiten des Epos zu gestatten. Die Neigung Hamerlings zur Symbolik drängt sich hier mit allzu nackten Gliedern hervor und wirkt in ihrer Absichtlichkeit nicht selten ernüchternd, ein Fehler, von welchem allerdings auch „Ahasver" nicht ganz freizu sprechen ist; aber dort dient die allegorische Grundidee nur als Hebel zur Herausbildung der Charaktere, ohne ihnen in dem Sinne immanent zu sein wie im König von Sion". Fällt sie dort doch nur als Schlaglicht auf die Gruppierung und die sich steigerude Bewegung des Ganzen, bleibt aber im übrigen zum Frommen der Dichtung latent.

Ein fernerer Grund zur Abschwächung der vollen Wirkung des Königs von Sion" dürfte in der Wahl des hexametri

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schen Verses zu suchen sein. Allerdings und Robespierre" (Hamburg, 1871). Wir

beweist Hamerling in der Behandlung des Hexameters auf Goethescher Basis eine große Meisterschaft. Aber dennoch scheint uns dieses Metrum, welches nun einmal den Charakter des ruhig und behaglich Schildernden trägt, nicht das entsprechende Gefäß zu sein für den gewaltig dahinhastenden, fast fiebernden Inhalt des Hamerlingschen Gedichtes, ganz abgesehen von der Principienfrage, ob das moderne Epos sich überhaupt noch des Hexameters bedienen solle, eine Frage, die wir aus hier nicht zu erörternden Gründen sehr geneigt sind mit nein! zu beantworten. Wie sehr übrigens Hamerling bestrebt ist, gerade die Form des „Königs von Sion" mehr und mehr zu verbessern, geht aus einem Briefe des Dichters an den Verfasser dieser Studie hervor. „Am beträcht lichsten," schreibt Hamerling dort, sind bei neuen Auflagen meiner Werke, die in formeller Beziehung stets wirklich verbesserte sind, die Abänderungen beim ,König von Sion', dessen Hexameter ich fortwährend meinem Ideal eines guten deutschen Hexameters anzunähern bemüht bin, wobei dann gelegentlich auch in sach licher Beziehung eine kleine glückliche Änderung sich ergiebt."

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begegnen unserem Dichter hier zuerst auf dem Gebiete dramatischen Schaffens und es freut uns, gleich hinzufügen zu können: auf einem Gebiete, dem sein Genius vollständig gewachsen ist. Die Tragödie Danton und Robespierre" ist, wie Hamerling in der Vorrede zu derselben ausdrücklich sagt, im Hinblick auf die Bühne geschrieben worden, und ohne Frage hat sie einen starken dramatischen Nerv und viel theatralische Verve. Wenn man sie in eine litterarhistorische Rubrik stellen wollte, so würde man sie am besten der durch Kleist, Grabbe, Hebbel und Otto Ludwig repräsentierten kraftgenialen Richtung des modernen deutschen Dramas anreihen; denn hierhin gehört sie durchaus mit ihrem männlich ernsten Inhalt, ihrer kernigen, energisch pointierten Form, ihrer markant hervortretenden konzentrischen Idee und ihren mitunter ins Bizarre und Barocke spielenden Charak= teren. Hamerling hat hier einen großen dramatischen Wurf gethan, und wenn diese eindrucksvolle Dichtung sich bisher die deutsche Bühne noch nicht erobert hat, so liegt das unseres Ermessens einzig in ihrer zu großen Ausdehnung, die über das gegebene Maß eines Theaterabends Für das Verhältnis des Dichters selbst weit hinauswächst. Das Thema des zum „König von Sion“ ist noch die nach-„Königs von Sion": die revolutionäre folgende Stelle aus dem soeben citierten Neugestaltung der auf Egoismus und Briefe charakteristisch: „Den König von Tradition gegründeten modernen GesellSion," schreibt unser Poet, wollte man schaft wie des modernen Staates dieses anfangs neben dem Ahasver nicht als Thema tritt uns hier in dramatischer ebenbürtig gelten lassen. Jezt giebt es Form entgegen. Paris wird uns zu einem viele, die ihm sogar den Vorrang ein- französischen Münster. Robespierre, überräumen. Ich selbst habe für dieses Werkzeugt von der Infallibilität und Reinheit eine große Vorliebe, vielleicht weil ich seiner socialpolitischen Sendung, wählt, mich schon seit meiner frühen Jugend mit der Idee desselben beschäftigte. Mei nes Geistes und Herzens Innerstes habe ich darin niedergelegt."

Das socialpolitische Problem, welches im König von Sion" eine so hervor stechende Rolle spielt, tritt uns auch in der nächsten Dichtung Hamerlings entgegen, in seiner in einer kraftvollen Prosa verfaßten fünfaktigen Tragödie „Danton |

um seine Zwecke zu erreichen, jedes sich ihm bietende Mittel, gleichviel, ob es ein gutes oder böses ist, und wird so bei aller Größe seiner Anschauung grausam, unmenschlich, gottlos. An dieser tragischen. Schuld geht er zu Grunde. Das ist gewiß ein großartiger dramatischer Vorwurf, und wenn er bereits von anderen Dichtern mehrfach behandelt wurde — unter anderem von Büchner und Griepenkerl —,

so stehen doch alle diese Bearbeitungen, glänzendste Zeugnis ausstellt, wie denn soweit sie uns bekannt geworden, an eigen- unseres Erachtens dieses von den deutschen artiger Kraft und psychologischem Tiefblick Bühnen viel zu wenig beachtete Stück an diesem „Danton und Robespierre" des origineller Erfindung und schlaghafter österreichischen Dichters bedeutend nach. Ursprünglichkeit alle anderen HamerlingCarlyle sagt in seinem Werke „French schen Dichtungen hinter sich zurückläßt, Revolution" über Robespierre: „It is a wenngleich es sich an Tiefe der Bedeutung wonderful tragical predicament", und weder mit dem „Ahasver" noch mit dem in der That, wie richtig dieser von unse-König von Sion" messen kann. rem Dichter als Motto benußte Ausspruch des englischen Historikers ist, das hat Hamerling in seiner grandiosen Tragödie vollauf bewiesen; sie gehört zu den genialsten Revolutionsdramen, welche die deutsche Litteratur besitzt.

Tiefgründiger als „Teut" ist die Kantate „Die sieben Todsünden“. Wohl in keinem anderen Hamerlingschen Produkt kommt der philosophische Kern der Gottund Weltanschauung unseres Dichters in prägnanterer Weise und zugleich in so Einmal dramatisch im Zuge, schrieb vollendeter Form zum Ausdruck wie in Hamerling in dem nächsten Jahre nach dem diesem geistvollen Mysterium. Die HandErscheinen des „Danton und Robespierre“ | lung ist in kurzen Zügen diese: Der Fürst zwei weitere Bühnenwerke „Teut“ (Ham- der Finsternis versammelt die Dämonen burg, 1872) und „Die sieben Todsünden“ | des Unheils um sich und heischt von ihnen (Hamburg, 1873), ersteres ein Scherzspiel Rechenschaft darüber, wie sie in der Welt in zwei Akten, lezteres eine Kantate.

der Menschen das Licht, also das Gute, Schenkte uns der Poet in,,Danton und bekämpft haben. Bei der Beantwortung Robespierre" eine social-politische Tra- dieser Frage entbrennt ein Hader unter gödie, so schuf er in dem viel verkannten den Dämonen. Der Fürst der Finsternis „Teut" eine national-politische Komödie beschließt, um den Streit zu entscheiden, von klassischer Signatur. Das nach Pla- die höllischen Geister auf die Erde zu betenschem Muster sich an das Vorbild des gleiten und so Zeuge ihrer Thaten zu Aristophanes anlehnende Scherzspiel macht werden. Dies geschieht. Zuerst erscheint die Hermannsschlacht zum Spiegelbilde auf der Erde ein Chor von Pilgern, die der großen geschichtlichen Wendung, welche auf dornigem Pfade zur Zinne der Vollauf dem Felde von Sedan allem doktri- kommenheit emporwallen. Der Dämon nären Hader und allem unfruchtbaren der Trägheit entkräftet sie in ihrem StreGeschwäß durch eine große deutsche That ben. Nun ein Liebespaar der Dämon ein Ende bereitete; „Teut" eröffnet uns der Hoffart hält dem Jüngling den mit ungewöhnlichem dichterischen Scharf Spiegel der Jchsucht vor, und dieser verblick die weitesten Perspektiven nach vor- läßt die Geliebte. Der Dämon der Habund rückwärts. Wir lernen hier eine neue sucht bethört durch die goldene Kugel Farbe auf der Palette Hamerlings ken- Fortunas, die er in die Welt wirft, die nen, die Farbe des Humors, die unser gedankenlose Menge. Die Dämonen des Dichter hier nicht selten in die der Satire Neides, der Völlerei, der bösen Lust, des hinüberspielen läßt. Es ist eine besondere Zornes sie alle üben ihre Gewalt über Feinheit des Teut", daß er die Keckheit die Herzen der Menschen, bis die Erde aristophanischer Entwürfe mit den Elemen- ein Jammerthal voll Schmerz und Elend ten und Formen heimischer, bühnengemäßer wird und selbst der Genuß schal und blaß Komik zu vereinigen wußte. Das Motiv erscheint. Der Mensch verflucht verzweides verlorenen Pakets", welches in die- felnd sein Dasein. Der Verzweiflung aber sem Scherzspiel eine so hervorragende folgt die Erschlaffung, und der Dämon Rolle spielt, ist eine höchst geniale Idee, der Trägheit triumphiert. Der Fürst der die der Erfindungsgabe des Dichters das | Finsternis erteilt ihm im höllischen Wett

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kampf den Preis. Nun aber und in sich erheben kann, der die Schönheit zur

diesem ergreifenden Schlußaccord klingt die Dichtung ausweckt das Lied des Sängers in den Herzen der Menschen wieder die schlummernde Sehnsucht nach dem Göttlichen, das Wahrheit, Freiheit, Schönheit, Güte, Liebe ist. Die Genien des Lichtes kommen auf die Erde herab und verscheuchen die Dämonen der Finsternis. Die Möglichkeit des Glückes ist den Menschen aufs neue geschenkt und ein menschenwürdiges Leben ihnen gewährleistet. Es ist ein erhabener und er hebender Hymnenschwung in den im Schmucke der Allitteration und des Reimes einherwogenden freien Rhythmen dieser tiefsinnigen Dichtung. Faustisches Sehnen nach dem Allumfassen und ein eigentümlich dämonisches Kolorit stempeln das Gedicht zu einem Hapaɣlegomenon der deutschen Litteratur.

Religion wurde, eine wie köstliche Blütezeit ein Volk erlebt, das diesem Ideal nachstrebt das sucht uns der Roman „Aspasia“ darzuthun. In hellenischer Plastik stehen die schönheitsvollen Gestalten des damaligen Athen leibhaftig vor uns: Perikles führt mit starker Hand das Staatsruder; Sophokles schafft seine unsterblichen Dramen; Phidias und Alkamenes dichten in Marmor; Sokrates und Anaxagoras steigen in die Tiefen des Gedankens hinab, und Aspasia, die schöne Milesierin, wird dem Volke eine Vermittlerin all dieser Weisheit und Schönheit. Der Roman entwirft uns ein leuchtendes Bild des goldenen Zeitalters von Hellas, und wenn der Dichter im Eingang seines Werkes sich verleiten ließ, den kulturgeschichtlichen Hintergrund desselben mit allzu antiquarischer Genauigkeit auszuführen und zu untermalen, so wird der ausharrende Leser für diese etwas ermüdende Exposition vollauf entschädigt durch die Pracht und den Glanz der Schilderungen wie durch die Plastik und realistische Schönheit der Gestalten, welche diese klassische Prosadichtung uns in ihrem ferneren Verlaufe vorführt. Aber der Dichter ist nicht blind für die Mängel und Schäden des hellenischen Staats- und Familienlebens - trop all seiner flammenden Begeisterung für dasselbe sieht er im voraus die Flecken der Verwesung an dem schönheitstrahlenden Leibe Griechenlands: Schönheit ohne innere Freiheit und Humanität kann nicht die lezte und höchste Stufe menschheitlicher Entwickelung sein es gab in dem Staate des Perikles noch die Sklaverei, und unter dem weithin schattenden Scepter des schönheitliebenden Herrschers lebten nicht nur die freien Hellenen, sondern auch die als Barbaren verachteten unterjochten Völker, und so läßt uns der Dichter ahnen, daß Diesmal ist es die Metropole des grie- das Ideal von Hellas gekrönt werden chischen Geisteslebens, in die uns der müsse durch das Ideal einer späteren Zeit Dichter verseßt, das prächtige Athen des das Schöne durch das Gute. Perikles. Auf eine wie glänzende Höhe Über die Aufnahme, welche der Roman des Ruhmes und der Macht eine Nation | beim Publikum gefunden, schreibt Hamer

Wenn Hamerling in seinen Jugenddich tungen für die abstrakte Verherrlichung des Schönheitsideals eintrat, wenn er im „Ahasver“ und im „König von Sion" das Nichtideal zur Folie für die Prokla mation des Ideals stempelte und in „Danton und Robespierre", in „Teut" und den „Sieben Todsünden“ ähnliche poetische Ziele verfolgte, so stellt er in dem nunmehr zu beleuchtenden Dichtwerk zuerst voll und ganz das Ideal in concreto dar und liefert damit eine Art Gegenbild zu jenen beiden großen Epen. Der dreibän dige Prosaroman „Aspasia“ (Hamburg, 1876) denn von diesem reden wir zeigt uns den Dichter in der vollen Freude am Schönen. Nichts von der elegischen Sehnsucht nach dem Ideal, nichts von der negativen Art der Verherrlichung des Schönen, nichts von alledem finden wir in der Aspasia". Hier tritt an die Stelle der Sehnsucht nach dem Schönen der Besiz des Schönen, an die Stelle der Negation das Positive.

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