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fahren wir nur, dafs der Winter von 1516 sehr milde
gewesen, darauf ein fruchtbarer Sommer mit reichli-
chem Weinertrag '), und ein kalter Winter gefolgt
sei. Der Sommer von 1517 war unfruchtbar, doch
nicht wegen nasser Witterung, so dafs selbst hier und
da, namentlich in Schwaben, Vorkehrungen gegen Man-
gel getroffen wurden 2). Ein grofser Komet erschien
1516 3), und 1517 entstand in Tübingen, Nördlingen
und Calw während eines gewaltigen Sturmes ein Erd-
beben, worauf die „Hauptkrankheit“ *) mit Fieber- Hauptkrank-
wuth häufiger wurde, wenn auch ohne bedeutende Deutschland.
Sterblichkeit 5). Die Erscheinung war keinesweges
unerheblich), auch kann man vermuthen, dafs unter-
irdische Regungen in noch gröfserer Ausdehnung er-
folgten, denn auch in Spanien kamen Erdbeben vor ').
Als der Tag dieses Ereignisses wird der 16. Juni an-
gegeben, und da nun Erdbeben an ungewöhnlichen
Orten, d. h. in nicht vulkanischen Gegenden, als Vor-
zeichen grofser Erkrankungen häufig angeführt wer-

1) Spangenberg, M. Chr. fol 408. a.
2) Crusius, T. II. p. 187.

3) Wintzenberger, fol. 21. a.

Angelus, p. 282.

Spangenberg, a. a. O. Pingré, T. I. p. 483.

4) So hiefs in Deutschland das schon oft erwähnte bösartige Fieber mit hirnentzündlichen Zufällen. Wir haben es zuerst als Volkskrankheit in Frankreich (1482) kennen gelernt. (S. oben S. 13.) Im ganzen sechzehnten Jahrhundert kommt es häufig vor. 5) Crusius, T. II. p. 187.

6) 1517, den 16. Juni, ist ein gros Erdbiedem und ein grausamer Stormwind gewesen zu Nördlingen, das die Pfarrkirch zu St. Emeran gantz und gar aus dem Grund gerissen und ernieder geworffen, und in die 2000 Heuser und Stadel, so man gezehlet auff zwey meil wegs herumb nider geworffen und eingerissen, und wenig Heuser sampt den Kirchen so nicht darinnen beschedigt und zerrut. Wintzenberger, fol. 21. b.

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heit in

1517.

Völlerei.

den

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in vulkanischen Gegenden bedeuten sie bekanntlich nichts der Art - so könnte hieraus wohl mit einigem Grunde ein tellurischer Einfluss hergeleitet werden, dem der Schauplatz der zu Anfang Juli

wo nicht noch früher

ausgebrochenen Seuche vielleicht nicht unzugänglich gewesen ist. Aufserdem ist keine grössere Erscheinung aufzufinden, die nach menschlichem Ermessen zur englischen Schweifssucht in unmittelbarer Beziehung hätte stehen können, und die umsichtigste Forschung dringt auch hier nur wieder bis zu dem dichten Schleier, der die unergründlichen Ursachen der Volkskrankheiten verhüllt.

4. Lebensweise der Engländer. Dafs die vorbereitenden Ursachen der Schweifssucht nächst der eigenthümlichen Lebensstimmung, welche England seinen Bewohnern mittheilt, auch in der Weise der damaligen Engländer gelegen haben wer könnte daran zweifeln? Die Beschränkung der Seuche auf England deutet ganz augenscheinlich darauf hin; kein Schiff brachte sie zu den Holländern, die eine noch viel feuchtere Luft athmeten, oder zu den Franzosen, und doch war der Verkehr der englischen Seestädte mit diesen ganz nahen Völkern überaus lebhaft. Der Völlerei, welche Krankheiten am allgemeinsten vorbereitet, werden in dieser Zeit Vornehme und Geringe angeklagt; diese Eigenschaft der Engländer war im Auslande sprüchwörtlich 1). Fleischspeisen mit starken Gewürzen wurden in Uebermafs genossen, und lärmende nächtliche Gelage waren zur Gewohnheit geworden, auch liebte man es, am Mor

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gen,

1) „Il est saoul comme un Angloys." Rondelet, de dign. morb. fol. 35. b.

gen, sogleich nach dem Aufstehen, schweren Wein zu trinken 1). Der Cyder, in einigen Gegenden, z. B. in Devonshire, das gewöhnliche Getränk 2), wurde schon damals von den Aerzten für schädlich gehalten, denn man sah durch den Genufs desselben Schwächlichkeit mit Blässe entstehen, und die Jugendfrische bei Männern und Frauen verschwinden 3). Vielleicht könnte noch Aehnliches in der damaligen Lebensweise aufgeführt werden, woraus hervorgehen würde, dafs bei der durchaus noch fehlenden Verfeinerung der Nahrungsmittel vieles Unzuträgliche in der englischen Küche bereitet wurde, und eben deshalb gröbere Verderbnisse des organischen Stoffes entstehen mussten. Der Gartenbau, den die Franzosen schon in dieser Zeit zu kunstreicher Veredelung gebracht hatten *), war in England noch ganz in seiner Kindheit. Man sagt selbst, die Königin Katharina habe sich Küchenkräuter zur Bereitung des Sallats aus Holland kommen lassen, in England wären dergleichen nicht vorhanden gewesen 5). Ist nun auch diese Erzählung nicht geradehin auf Treu und Glauben anzunehmen, da sie noch andere Auslegungen gestattet, so beweist sie doch schon an und für sich, was hier hervorgehoben werden soll, und läfst noch auf mehr als den blofsen Mangel an feinen Küchenkräutern schliessen.

1) Elyot, in seinem,, Castell of Health," bei Aikin, p. 64. Rondelet, a. a. O.

2) In dem fruchtbaren Obstjahre 1724 entstand in eben dieser Grafschaft durch unmäfsiges Cydertrinken eine epidemische Kolik, die Colica Damnoniorum. S. Huxham Opera (Lips. 1764.) Tom. III. p. 54.

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Warmhalten

Viel wichtiger aber für unsern Gegenstand ist die Sitte des unmäfsigen Warmhaltens, über welche wir glaubwürdige Berichte haben. Von Jugend auf bedeckte man den Kopf mit dicken Mützen, um vor jeder Kühlung, jeder Zugluft gesichert zu sein, und wie denn nun durch dies unzuträgliche Verhalten das Gehirn fortwährendem Blutandrang ausgesetzt, und die Haut verzärtelt wurde, so gab es in diesem Jahrhundert keine häufigere Krankheit unter den Engländern, als die Flüsse '), welche immer nur wieder durch erschlaffendes Schwitzen und erhitzende Mittel gehoben wurden. Kommt dieses Uebel mit scorbutischer Entmischung zusammen, oder befällt es auch nur Menschen, die der Völlerei ergeben, unausgearbeiteten Nahrungsstoff in ihren Adern bergen, so sucht die erhaltende Lebenskraft einen Ausweg durch die erschlaffte Haut, und die an sich nothwendige und lindernde Regung dieses Gewebes wird zur Krankheit, die wohlthätige Aussonderung artet in Zerfliefsen aus, reifst ungewöhnliche thierische Stoffe mit sich fort, und der Körper erliegt dem lange vorbereiteten Angriff. Man stelle sich diese Verweichlichung der Haut als das allgemeine Uebel in England vor, man erwäge den schädlichen Einflufs der vielbenutzten heifsen Badestuben 2) und der schweifstreibenden Arzneien

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1) Now a days if a boy of seven years of age, or a young man of twenty years have not two caps on his head, he and his friends will think that he may not continue in health; and yet if the inner cap be not of velvet or sattin, a serving man feareth to lose his credence." Elyot, bei Aikin, p. 64.

2) ubi homines perpetuo in hypocaustis degunt, multoque carnium esu se ingurgitant, et alimentis piperatis continuo utuntur. Quare factum est, ut continua hypocaustorum aestuatione meatuum cutis relaxatio consequeretur, quae sudoris promptissima et potentissima causa esse solet, cuius materia in humorum

in den meisten Krankheiten, man bringe den noch seltenen Gebrauch der Seife und die grofse Kostbarkeit der Leinwand in Anschlag, so wie nicht minder die grofse Dürftigkeit der niederen Volksklasse, welche die Seuchen fast immer ausbrütet, die äusserst Unreinlichkeit. schlechte Beschaffenheit und wahrhaft scythische Unreinheit der englischen Wohnungen 1), endlich die Ueberfüllung von London im Jahre 1517 und man wird, so weit menschliche Forschung reicht, das Entstehen der Schweifssucht in eben diesem Jahre aus längst bewährten Erfahrungen erklärlich finden. Anderes liegt noch im Hintergrunde, davon später.

5. Ansteckung.

Für jetzt erfordert das rasche Fortschreiten des Schweifsfiebers über ganz England bis an die schottische Gränze, und hinüber bis nach Calais noch eine besondere Berücksichtigung Die meisten Fieber, welche durch allgemeine Einflüsse hervorgebracht werden, vorübergehende (epidemische) wie bleibende, dem Lande eigenthümliche (endemische), oder einen Verein von beiden, wie solcher fast immer stattfindet, und hier offenbar vorhanden war, pflanzen sich eine Zeit lang durch sich selbst fort. Die Ausströmungen

exsuperantia consistebat, quam frequens alimentorum multum nutrientium et piperatorum usus collegerat." Rondelet, a. a. O.

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1)., Die Fussböden der Häuser bestehen gewöhnlich nur aus Lehm, und werden mit Binsen bestreut, die, immer wieder frische darüber, zuweilen wohl an zwanzig Jahre liegen bleiben, Fischgräten, Ausgebrochenes und andern Unrath darunter, und durchdrungen von Hunde- und Menschenharn. Erasm. Epist. L. XXII. ep. 12. col. 1140. Diese wahrscheinlich übertriebene Beschreibung gilt wohl nur von den ärmlichsten Hütten, ist aber gewifs nicht erdichtet und wird von Kaye nicht widerlegt.

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