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Musikalischer Anzeiger.

Zehnter Jahrgang.
No 11.

** Wien, Donnerstag den 15. März 1838.

Von dieser mit Abbildungen und musikalischen Beylagen begleiteten Zeitschrift erscheint wochent
lich (am Donnerstag) eine Nummer. Der Jahrgang von 52 Nummern koftet in Buch- und Mu
Halienhandlungen 3 fi.C. M. Durch die k. k. Postämter in wochentlicher Zusendung 5 ft. 24 kr. C. M.,
Alle in diesem Blatte angezeigten Musikalien sind in der Berlagshandlung desselben zu haben.

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Diese sehnsuchtsvoll erwarteten Tonfeste, deren Forum, rücksicht lich der gegenwärtig im im Landhause Statt findenden Baulichkeiten, peremptorisch nach dem Saale der Musikfreunde verlegt wurde, konnten wohl kaum auf eine würdigere Weise eröffnet werden, als mit Spohr's neuestem Geistesproducte: seiner fünften Symphonie, welche er eigens für diese Kunstanstalt componirte, und den Directoren derselben, FreyHerrn von Lannoy, Ritter von Seyfried, Carl Holz und Ludwig Tive freundschaftlich achtungsvoll widmete. Es ist dieß abermahls ein Werk, das mit beredter Bunge seinen Meister lobet; ein Ganzes, rein in sich selbst abgeschlossen, und so recht aus einem Gusse geformt. Die Einleitung, Andante, C-dur, athmet heitere, doch keineswegs wolkenlos ungetrübte Ruhe, nimmt allmählig einen leidenschaftli cheren Charakter an, und bereitet in progressiv beschleunigterem Zeitmaße den Übergang zum Allegro, C-moll, vor, das, mit einer Fülle har monischen Reichthums glänzend ausgeschmückt, schon den fruchtbarsten Keim imposanter Wirksamkeit in sich trägt und bey einer klug berechneten Dauer den Hörer fortwährend in erwartungsvoller, doch nicht minder zugleich auch in vollkommen befriedigender, Spannung erhält. Der zweyte Sak, Larghetto, As-dur, verdient unbestritten ein Conglomerat von tiefem Gefühl, warmer Phantaste empfindungss vollem Gesange und melodiösem Ausdruck genannt zu werden; hier spricht wieder einmahl jeder Ton mit hinreißender Algewalt zum Herz zen, und wie, in welch hohem Grade unserm Meister die seltene Gabe innewohnt, alle Instrumente zusammen, so wie jedes derselben vereinzelt in selbstständiger Eigenthümlichkeit redend einzuführen, und in die interessanteste Conversation zu verslechten, davon hat er hier neuerdings den schlagendsten, unumstößlich evidenten Beweis geliefert. Das Scherzo, C-dur, tritt alsogleich kühn herausfordernd, mit frischem Muthe ins Leben; - die scharf corturirten Rhythmen, der ruh - und rastlose Wettstreit des blasenden und Bogenorchesters, das drängende Jagen, Treiben und Verfolgen im Antipoden = Gegensaße zur sanften, in spie= gelklarer Reinheit dahinfließenden Cantilene des Alternativs,

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dieß effectuirt in solch originell afficirender Art und Weise, wie durch Worte zu versinnlichen, schlechterdings immer nur ein unzureichend problematischer Versuch bleiben müßte. Nahmentlich besikt aber das Trio in seiner exoterischen Tonart Des-Dur, von Clarinetten und Fagotts unter den teisen Pulsschlägen des pizzikirenden Seitenquar= tetts gleich wehmuthsvollen Seufzern bloß hingehaucht, ein also fremds artig, fast beengendes Colorit, daß man dabey die an Beethoven's Scherzo's oftmahls gerichtete Frage wiederhohlen möchte: „ob das auch wirklich scherzhaft klinge?" Die Zweifler vergaßen, und vergessen aber, daß es einen Scherz gäbe, der seiner innersten Natur nach so wie selbst schon im Laute nahe, ja wahlverwandt sey mit Schmerz; wer aber diesen nie vernommen, nie heraus oder ganz hinein sich gefühlt, ja freylich, dem werden solch wundersame Zaubersprüche allers dings immerdar und ewig unverständliche Hieroglyphen bleiben. Für das Finale, Presto, C-minore - maggiore, scheint der Tondichter das Beste so er vermochte, die Totalsumme seiner complicirten Schöpfungskraft aufgespart zu haben; hier herrscht schlechterdings kein Stillstand; der unendlich mannigfaltig verzweigte Ideengang nimmt die vollste Aufmerksamkeit in Anspruch; zwey wohlthuende Empfindungen Vergnügen und Bewunderung ob der Herrlichkeit des Gegebenen, buhs len rivalisirend um den Vorrang; zwey Haupt- Motive, denen sich zuweilen noch ein drittes mit mild erquickenden Anklängen aus dem ersten Sake herüber anschmiegt, im nie ermüdenden Kampfe stets sich regenerirend durch den prismatischen Farbenreiz ächt contrapunetischer Kunst, ringen um den Preis der Obergewalt und - was zulekt der meisterhaften thematischen Ausführung die Krone wahren Verdienstes aufseht, ist der reislich erwogene Calcul, vermöge welchem kein Gegner den andern zu verdrängen, vielweniger noch zu unterjochen im Stande ist, sondern trok den vielgliedrigen Combinationen - Dank sey es dem erfahrnen und gerechten Kampfrichter, der Sonne und Wind so ebenmäßig zu theilen bemüht war, jede Bewegung, jede Wendung des handgemeinen Streiterpaares in den deutlichsten Umrissen hervortritt. - Wollte man von dieser Symphonie irgend eine Parallele zies hen, so wäre es vorzugsweise jene zu dem traulichsten Freundschaftsbun de, der auch um so enger und inniger festwurzelt, je näher man gegens seitig sich kennen, achten und lieben lernt. Das zweyte Tonstück war Albrechtsberger's Motette: Diffusa est gratia,« eine nach des Meisters gediegener Weise klar verständlich und plangerecht gehaltene Fuge in F-dur, mit lebhaft bewegter Violinfiguration, gleichsam ein Contrasubject bildend. Das Sängerpersonale war dießmahl nach der Chorgallerie dislocirt, um unten Raum für die bedeutend vermehrte Instrumentalistenzahl zu gewinnen; wodurch eine großartige, über das Orchester kräftig dominirende ninirende Wirkung erzielt, und dieser bisher allzusehr vernachlässigte Standpunct sei seiner ursprünglichen Bestimmung gemäß lobenswerth entsprechend benützt wurde. Unmittelbar darauf erfreuten wir uns eines lange entbehrten Genusses: Beethoven's Pianoforte Concert in Bdur, diese schöne, allverständliche, allgemein eingängliche Composition, welche ältere Kunstfreunde noch von dem Meister selbst in dessen activer Glanzepoche gehört zu haben mit wehmüthigem Andenken sich erinnern, - fand in dem mit Recht geschäßten Dilettanten Hrn. Rabel auch den rechten Mann; sein geistreicher Vors trag des brillanten Allegro, des unendlich zarten, idyllisch sentimentalen Adagio, so wie des humoristisch tändelnden, characteristisch

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nuancirten Rondo's, nebst der originell entworfenen, streng analogen Bravour = Cadenz befriedigte so vollständig, daß lebhafte Acclamationen nach jedem Abschnitt, und dreymahliges Hervorrufen am Schlusse dießmahl wirklich als wohlverdiente Würdigung sich gestaltete. - Die folgende Nummer, Mozart's Ouverture aus dem „Schauspieldirec tor, war ebenfalls ein noch seltenerer, der lebenden Generation beynahe gänzlich entfremdeter Gast, welcher erst jüngst, am 3. Februar, sein zweyundfünfzigstes Geburtsfest beging. Wer aber sieht dieser im jugendlichen Feuer ausströmenden, mit blendendem Frühlingsreiz geschmückten Conception sein Alter an? Wer vermöchte das nie verblühende, ewig unvergängliche Schöne nach Jahren zu tapiren? Noch ni nicht verhallte der lekte Accord, als auch ein donnernder Jubelruf der entzückten Versammlung den Saal durchdröhnte, der bloß bey der bereitwillig geleisteten Wiederhohlung momentan gezügelt, nach dieser, wo möglich mit noch in erhöhter, von reinstem Kunstenthusiasmus beseelter Präcision ausgeführten Reprise neuerdings als Symbol dankbarer Anerkennung den Manen des unsterblichen Tonfürsten dargebracht, in einen lautausbrechenden Beyfallssturm sich verwandelte.

Das Schlußstück bildete der Halleluja - Chor aus dem Hãn del'schen Messias. - Ist es wohl denkbar möglich, die höchste relis giöse Wonne erhabener und erhebender auszudrücken, wie hier mit diesen cinfachen. meist nur auf vollkommenen und unvollkommenen mmenen Dreyklängen basirten Harmonien? Selbst die Form, einem entschwundenen Säculum angehörend, doch gestempelt durch echte Classicität, tritt darin keineswegs störend entgegen; alles ist aus dem Herzen, aus der Andacht höchster Begeisterung geflossen; schon die ersten InstrumentalAccorde, im freudig aufjauchzenden D-dur, erscheinen als verkündeas de Herolde des Kommenden; welch ein Eindruck aber, wenn nunmehr die Chöre erschallen, und ihre glücklichste Bestimmung in dem stets wiederholten: „Halleluja!" finden!

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Aus den polyphonischen Tonmassen geht das grandiose, weitschrit tige Baß Motiv hervor, gleich der Posaune des Erzengels aus dem Frohlocken des Weltalls, mit dem gewichtigen Fugenthema; und wie Schaaren von Seligen den himmlischen Führer zu den goldenen Pforten, folgen ihm die andern Stimmen; da halten die beyden Ersten inne, und singen jubilirend aus vollen Kchlen: „Herr der Herren! der Götter Gott!" und dazwischen ertönt der Übrigen, bis zu den lichten Räumen empor sich schwingendes: Halleluja! Halleluja!" Und durch den Preis des Höchsten mehret sich ihre Seligkeit, und höher noch hebt sich der Gesang zum Lobe des Unnennbaren, der da thront ober den Sternen. Nun aber vollends der ersten Stimme gewaltig erschütternde Steigerung, für deren mächtigen Impuls die Sprache keinen Ausdruck besist, mit jedem Tone folgt ihr das stufenweise anschwellende „Hal leluja," bis alles einstimmt in das feyerliche: „Herr der Herren!" der Baß von Neuem in majestätischen Krafttönen beginnt: „und er regiert auf ewig," - die andern nachahmend sich anschließen, gleich wieder zu Einem Ausruf: „Herr der Herren!" sich vereinen, und ends lich unerschöpflich, von allen Zungen, aus allen Sphären und Welten des „Halleluja!" Jubelklang nachhallt.

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Wer immer fähig war, auf diese Hymne, an demselben Abende, sein Ohr noch anderen Tönen zu leihen, wahrlich, der verdient es, ein Sclave des modernen Vandalismus zu seyn, und anges schmiedet in dessen Ketten zu schmachten.

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Ein überzahlreiches, sein gebildetes, aufmerksames und warm empfängliches Auditorium bekrönte sämmtliche Kunstleistungen mit ehren. voll lohnendem Beyfall, welcher ebensowohl, der Trefflichkeit des Gegebenen, als desselben musterhaft preiswürdiger Ausführung galt. Keine der zahllosen Schönheiten in Spohr's Symphonie, deren sehr bedeutende Anforderungen von dem ausgewählten Künstlerverein siegreich gelöst wurden, blieb unbeachtet; jeder einzelne Sak erhielt den gebührenden Trivut anerkennender Meisterschaft; ja, das phantasiereiche Scherzo electrisirte so unanim, daß es da capo gespielt werden mußte.

So hat denn dieses erste Concert spirituel selbst die hoch gestellten Erwartungen noch übertroffen, und für die nachfolgenden die freudigste Aussicht eröffnet.

Notizen.
Wien.

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Das dritte Concert des Conservatoriums der Musik (am 2. März) rechtfers tigte neuerdings, was wir schon früher über die vorzügliche Leirung dieser Kunstanstalt gesprochen haben. Die herrliche und so schwer auszuführende Sinfonia eroica von Beethoven, die Ouverture zur Tragödie „Faust" von Lindpaint. ner, und die Ouverture zur Oper „Carlo Fioras" von Fränzl, gaben neue Beweise von dem wohl eingeübten, kräftigen und gediegenen Vortrage des gans zen Orchesters. Proch's Lied: „Lebewohl, " und ein Psalm von Schubert, lekterer von 12 Mädchen vorgetragen, waren liebliche Ausführungen im Gesange, aber eine Urie von Donizetti hätten wir weggewünscht, sie war hier nicht am Plake, und stand unter gediegenen Musikstücken fremd und kleinlich da, bes sonders da die jugendliche Sängerinn durch Stimme und Vortrag nicht ersehen konnte, was der Composition an Gediegenheit mangelt. Ein Concertino für Oboe und Flöte, Variationen für das Horn, und ein Concert für zwey, Violis nen, machten uns mit vielversprechenden, iugendlichen Talenten für diese Ins strumente bekannt.

- Zu den interessanteren Concerten der hiesigen Virtuosen verdient vorzugs= weise das des Hrn. Jansa, Mitglieds der k. k. Hofcapelle, gezählt zu werden. Jansa hat, besonders in neuerer Zeit, auf der Violine eine Meisterschaft er rungen, die ihm, wenn wir mit dem Liebling der Grazien, 1 mit unserm Ma y= Seder eine Ausnahme machen, von Niemanden mit Erfolg bestritten werden kann. Sein Spiel ist kühn, dabey voll Ausdruck und Gefühl, und zeigt ein Vors wärtsstreben, dessen Folgen das bisher gebothene Schöne und Edle gewiß noch übertreffen werden. Auch seine neueren Compositionen sind einfacher gehalten, als manche früheren mit schwierigen Kunststücken überladenen Concerte, ohne diesen deßhalb an Wirkung nachzustehen, Gewiss, Hr. Jansa ist auf dem solie desten Wege, und es wird ihm, den so vielen ausgebildeten Mitteln, nicht schwer werden, seinen Ruf immer glänzender zu schaffen. Fräulein Sallamon_spielte mit dem Concertgeber und Hrn. Borzaga das Trio von Hummel in E, ein Lonstück, das nie veraltet, und jeden Kenner stets entzücken musß; wer hierin nicht mehr als einzelne Stellen hübsch findet, von dem läßt sich wohl behaupten, daß er ein Kunstwerk weder im Ganzen zu übersehen, noch zu würdigen versteht. Die Aufführung entsprach dem Geiste der lieblichen Tondichtung. Hr. Haizin ger sang Mozart's Arie in A aus der Entführung" mit schöner Stimme und seelenvollem Vortrage; ein vortheilhafter Ersak für das angekündigte Duett von Generali. Beethoven's Ouverture zu „Coriolan," einer der schönsten Prologe, die je zu einem Trauerspiele geschrieben worden, wurde mit starker, Besekung zur Eröffnung des Concertes präcis und feurig ausgeführt.

Redigirt von I. F. Castelli.

Wien.

Verlag der k, k. Hof- und priv. Kunst- u. Musikalievhandlung des Lob. Haslinger.

Musikalischer Anzeiger.

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Zehnter Jahrgang.
No. 12.

Wien, Donnerstag den 22. März 1838.

Bon dieser utit Avbildungen und musikalischen Beylagen begleiteten Zeitschrift erscheint wochent= lich (am Donnerstag) eine Nummer. Der Jahrgang von 52 Nummern kostet in Buch- und Muikalienhandlungen 3 fi.C. M. Durch dief, t. Postämter in wöchentlicher Zusendung 5 fl. 24 kr. C. M. Alle in diesem Blatte angezeigten Musikalten und in der Verlagshandlung desselben zu haben.

Zweytes Concert spirituel ;

den 8. März.

Beethoven war, ist. und bleibt wohl unbestritten der kühnste Segler auf den Fluthen der Harmonie; jenem Gebiethe, woselbst er vorzugsweise schaltet und waltet mit gigantischer Schöpferkraft als unbeschränkter Herr und Metster. Jede seiner Fahrten auf des Tonreiches gränzenlosem Ocean gestaltet sich zu einer Entdeckungsreise, von wannen er stets Neues, noch Ungekanntes aus weiter Ferne mit zurück in die Heimath bringt. Scheint es auch zuweilen, als sey der allen Meeres= stürmen hohnlachend trokende Argonaut irgendwo verschlagen, an schroff entgegenstarrende Klippen, oder auf ein wüstes, unbewohntes Eiland; doch immer, findet der Genius seines kräftig unbeugsamen Geistes sich wieder zurechte, denn er darf vertrauen mit Zuversicht dem innern, nie trügenden Compaß, und ihm leuchtet als treuester Führer der reinste, hellstrahlende Demantglanz des unbeweglich am Himmelszelte flammenden Polarsterns; und so landet unser Colon zuletzt doch wieder in einer neuen Atlantis; dort aber ruhig, bleibend sich anzusiedeln, ja freylich, das war ihm nicht gegeben, lag auch keineswegs in seiner absoluten We senheit; wie denn der Phantaste ätherischer Wolkenflug durch kein Ziel sich hemmen, viel weniger festbannen läßt, und jede Fessel, bestände selbe auch nur aus süßduftenden Rosengewinden, verächtlich abstreift, oder im stolz erhebenden Gefühl eigener Kraft mit nerviger Faust zer= reißt. - Vorstehende Reflexion rief uns die dießmahl zu Gehör gebrachte Sinfonia pastorale ins Gedächtniß zurück; die sechste Pierinne im symphonischen Novellen-Cyclus, deren Zahl, gleich jener der Parnaßbewohnerinnen, auf die heiltge, verdreyfachte Trias sich erstreckt, wovon jedoch die jüngste Musenschwester für die Gegenwart leider noch beynahe als terra incognita erscheint; wie denn die Empfänglichkeit für den Maßstab des Außerordentlich - Ungewöhnlichen erst, naturbedingt, vou

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