Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

schen wollen, der eine durch reine Erfahrung, der andere durch klares und deutliches Denken. Auch darin weichen sie nicht voneinander ab, dass sie eine vollendete Erkenntnis des Weltganzen für möglich halten. Aber eben dieses, ob das Weltganze der menschlichen Erkenntnis zugänglich sei, ist bei ihnen eine blosse Voraussetzung. Sowie sich der Zweifel darauf richtet, entsteht offenbar das Problem, ob wirklich die Erkenntnismittel der reinen Erfahrung und des klaren und deutlichen Denkens so weit führen, oder ob nicht etwa ihre Kraft nur eine beschränkte sei, so dass also auch das natürliche Erkenntnisgebiet des Menschen ein viel engeres sei, als jene angenommen. Offenbar müssen die Erkenntnismittel einer genauen Kritik unterzogen werden, und da von der grösseren oder geringeren Tragweite der natürlichen Erkenntnisfähigkeit auch die Weite oder Enge des natürlichen Erkenntnisgebietes abhängt, so kann erst nach dieser kritischen Untersuchung ein von allen dogmatischen Einbildungen befreiter kritischer Naturbegriff aufgestellt, d. h. der kritische Naturalismus begründet werden.

Den Übergang von dem dogmatischen Naturalismus in Baco und Descartes zu dem kritischen Naturalismus in Kant bildet der skeptische Naturalismus, der in Locke beginnt, in Berkeley sich steigert, in Hume seinen Höhepunkt erreicht. Die naturalistische Skepsis Humes ist es, welche, indem sie den Grundbegriff alles Erkennens, den Begriff von Ursache und Wirkung, zersetzt, jede Möglichkeit der Erkenntnis eines ursächlichen Zusammenhanges in Frage stellt, damit aber nicht bloss die Philosophie, sondern auch alle Naturwissenschaft und zumal die heutige Entwicklungstheorie, deren ganze Absicht ja auf die Erkenntnis des ursächlichen Zusammenhanges gerichtet ist, an Abgründe führt, deren Ausfüllung oder Überbrückung, soweit ich sehe, bisher noch nicht gelungen ist. Wir sind der Meinung, dass gerade der Humeïsmus der modernen Entwicklungstheorie Probleme stellt, mit denen sie sich auseinandersetzen muss, und es wird hier eine unserer Aufgaben sein, diese Schwierigkeiten, wenn nicht zu lösen, so doch zu formulieren. Zu dem Zwecke müssen wir aber den philosophischen Entwicklungsgang

von Locke an durch Berkeley bis zu Hume hin verfolgen, da die Grundgedanken dieser Philosophie eine völlig in sich zusammenhängende Kette bilden.

1. Der Sensualismus Lockes.

Das Mittelalter hatte für die einzig wahren und wirklichen Erkenntnisse gerade die erklärt, welche sich niemals durch Erfahrung und sinnliche Wahrnehmung beweisen lassen: die auf das Transcendente gerichteten Annahmen der Religion. Sein erkenntnistheoretischer Grundsatz lautete: Die höchste und wahrste Erkenntnis liegt in dem Nichterfahrbaren. Gerade umgekehrt hatten Baco und seine Sinnesgenossen behauptet: Nur das Erfahrbare bietet Wahrheit; nur durch Erfahrung gelangen wir zur Erkenntnis. Aber was ist Erfahrung? Schon Baco und ebenso Descartes sind sich klar, dass diese zur Erkenntnis führende Erfahrung nicht etwas so einfaches ist, welches jeder Mensch ohne weiteres besässe; im Gegenteil: die naive Erfahrung musste von Idolen gereinigt und durch eine ausführliche Methode unterstützt werden. Wenn wir aber auch alle Regeln Baconischer und Cartesianischer Methode auf das genaueste befolgen, so ist damit nicht ausgeschlossen, dass uns doch vielfach der Zweifel beschleichen könne, ob wir denn noch im Gebiete des Erkennbaren seien oder dasselbe bereits überschritten haben. Man spricht auch da noch ohne weiteres von dem Stoff der Dinge, von den Atomen, aus denen er besteht, oder von der Seele und ihren Kräften, als ob wir es in alledem mit unzweifelhaften Erfahrungsobjekten und Erfahrungsbegriffen zu thun hätten; man wird sich auch da nicht klar über die unendlich feine, oft kaum bemerkbare Grenze, die zwischen der Erfahrung und der Einbildung liegt. Der Begriff der Erfahrung und des Erfahrbaren muss also genau untersucht und damit eine Grenzregulierung zwischen den beiden Reichen wirklicher Erfahrungserkenntnis und dogmatischer Einbildung vorgenommen werden. Den ersten Schritt zur Fixierung dieser Grenze über Baco und Descartes hinaus thut der englische Philosoph John Locke (1637-1704) in seinem ,,Versuch über den menschlichen Verstand" (1689). Locke ist

es, der sowohl den unbegrenzten Erkenntnismut des Idealismus als auch des Empirismus bereits einzuschränken anfängt. Gegen ersteren, der alles aus angeborenen Begriffen erkennen zu können meint, richtet er seine Kritik der Lehre von den angeborenen Ideen; dem letzteren zeigt er, dass seine Erfahrungsmöglichkeit sich nur auf das Gebiet der sinnlichen Wahrnehmung bezieht und somit ebenfalls eine relativ beengte ist.

Locke ist mit Baco darin einverstanden, dass alle Erkenntnis nur durch die von Idolen geläuterte und methodisch fortschreitende Erfahrung gewonnen wird. Diese Erfahrung reicht aber nach Locke nur so weit, als die Werkzeuge reichen, mit denen wir Erfahrung machen. Diese Werkzeuge sind die Sinnesorgane. Das Gebiet der Erkenntnis ist also genau das Gebiet der Sinneswahrnehmungen. Erfahrung ist völlig gleich sinnlicher Wahrnehmung, natürlich gleich der methodisch-geläuterten, durch Instrumente und Experimente gestützten Sinneswahrnehmung. Alles, was wir an Vorstellungen in uns tragen, alle Erkenntnis stammt mithin aus der sinnlichen Wahrnehmung, und es kann nichts im Geiste sein, was nicht ursprünglich einmal aus dieser Quelle hervorgegangen ist: nihil est in intellectu, quod non antea fuerit in sensu, so lautet der erste Grundsatz des Locke'schen Sensualismus. Der Geist selbst ist demnach, bevor die Sinnesorgane ihn durch ihre Kanäle mit Material gefüllt haben, ein durchaus Leeres; er ist wie ein Blatt Papier, das erst von der Sinnenwelt vollgeschrieben wird, wie eine glatte Tafel, in die erst der Griffel der sinnlichen Empfindungen die Charaktere eingräbt. Der Geist ist tabula rasa, so lautet das zweite Schlagwort dieser sensualistischen Lehre.

Alle Vorstellungen stammen aus der sinnlichen Wahrnehmung, diese selbst aber fliesst aus zwei wohl zu unterscheidenden Quellen. Wir nehmen die äusseren Dinge vermittelst unserer äusseren Sinne wahr: Diese auf die Aussenwelt gerichtete Wahrnehmung bezeichnet Locke als Sensation. Aber wir nehmen auch wahr, was in unserem Organismus vorgeht, z. B. die Schmerzempfindung, die aus irgend einer krankhaften Veränderung desselben entspringt. Hier haben wir nicht die Wahrnehmung eines äusseren, von uns

verschiedenen Dinges, sondern die Empfindung eines inneren Vorgangs, die aber auch nichts anderes ist als eine Sinneswahrnehmung, die im Nervensystem verläuft. Diese innere Wahrnehmung, zu der auch alle Gefühle, Phantasiebilder und Gedanken gehören, nennt Locke die Reflexion. Sensation und Reflexion sind also die beiden Unterarten der sinnlichen Wahrnehmung. Nicht etwa ist die Reflexion etwas rein Geistiges, während die Sensation ein materieller Vorgang wäre. Hinsichtlich ihres Wesens sind beide gleich sinnlich; nur bezüglich ihrer Richtung auf die Erscheinungen der Aussen- oder Innenwelt sind sie zu unterscheiden.

So wie hinsichtlich des Wahrnehmens, so ist nun auch hinsichtlich des Wahrgenommenen eine Unterscheidung zu treffen. Vermittelst des Gesichts, Gehörs, des Tastens u. s. f. nehmen wir eine Fülle von Erscheinungen ausser uns wahr. Ist diese Wahrnehmung aber auch wirklich wahr? Zeigt sie uns wirklich das objektive Sein der ausser uns befindlichen Dinge? Schon Hobbes hatte darauf hingewiesen, dass die sinnliche Wahrnehmung uns nicht das wirkliche,,Wesen an sich" der äusseren Dinge zeige. Dort draussen, hatte er gemeint, giebt es nur Bewegungsvorgänge der Atome; diese Bewegungen wirken auf unsere Sinnesorgane, und alle unsere Empfindung ist nur die Reaktion unserer Empfindungswerkzeuge auf jene Bewegungseindrücke; unsere Empfindungen, wie die der Farbe oder des Lichtes, sind also rein subjektive Vorgänge in uns, die wir fälschlich mit der Natur der äusseren Dinge verwechseln und auf diese übertragen. Ähnlich hatten auch schon Baco, Descartes und Spinoza sich geäussert. So unterscheidet denn auch Locke in der Wahrnehmung eines Dinges erstens diejenigen seiner Eigenschaften, die in Wahrheit nur subjektive Empfindungen in uns sind und fälschlich von uns als an dem Dinge befindliche Eigenschaften genommen werden, und zweitens diejenigen, die diesem Gegenstande an sich wirklich zukommen und wirklich in seinem eigenen Wesen liegen. Die Eigenschaften des Dinges, die in Wahrheit nur subjektive Empfindungen in uns sind, nennt Locke die sekundären Qualitäten: dahin gehören die Eigenschaften des Geruchs, der Farben, der

Töne. Die wirklich objektiven Eigenschaften der Dinge dagegen nennt Locke die primären Qualitäten: dahin gehören Ausdehnung, Undurchdringlichkeit, Grösse, Gestalt, Lage, Zahl, Bewegung, Ruhe. Die Welt der objektiven Dinge ist also durchaus nicht gleich unserer subjektiven Vorstellung von ihr. Dass wir aber naiv und unkritisch die Natur, wie sie an sich ist, verwechseln mit den durch unsere Sinnesorgane vielfach veränderten subjektiven Vorstellungen von ihr, ist eins der am tiefsten im Menschen haftenden Idole, das ein für allemal zerstört werden muss.

Die sinnliche Empfindung, Sensation und Reflexion, ist der Urquell, aus welchem alle im Geiste befindlichen Vorstellungen ausnahmslos hervorgeflossen sind. Die Vorstellungen selbst aber unterscheiden sich in einfache (simple ideas), wie z. B. die Vorstellung einer Farbe oder eines Tones, und zusammengesetzte (complex ideas), das sind solche, welche durch Verschmelzung von mehreren Elementarvorstellungen gebildet sind, wie z. B. die Vorstellung eines Baumes, in der ja eine Fülle von Einzelvorstellungen sich vereinigt finden. Aber selbst die allerkompliziertesten Vorstellungen, bei denen, wie z. B. bei abstrakten Begriffen, ihre Abstammung von ganz und nur sinnlichen Elementen auf den ersten Blick nicht mehr zu erkennen ist, entspringen doch in letzter Instanz aus der sinnlichen Quelle. Man forsche nur nach, und man wird stets ihren Ursprung aus einfachen Ideen entdecken; man wird von da aus den allmählichen Übergang zu immer abstrakterer, von dem sinnlichen Urelement scheinbar ganz abliegender Form verfolgen können. Selbst Begriffe, bei denen eine solche Entstehung aus der Sinnenwelt scheinbar ganz unmöglich ist, wie etwa die Begriffe Gott, Geist, Seele, sind ursprünglich aus einer einfachen Sinneswahrnehmung hervorgegangen. So giebt Locke hier gewissermassen die Anregung zur Aufstellung einer Descendenz- und Entwicklungstheorie der Vorstellungen, und in diesem Lockeschen Sinne ist ja Sprachwissenschaft und Psychologie bemüht, die Herkunft unserer Abstrakta aus einfachen sinnlichen Elementen nachzuweisen und ihren allmählichen Entwicklungsgang klarzulegen.

Wenn nun der Geist an sich leer ist, und alle seine VorFritz Schultze, Philosophie der Naturwissenschaft.

24

« ZurückWeiter »