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habe 27). An Eifer ließ er es nicht fehlen und so erlangte er bald, was er erstrebte: er wurde ein wolgeübter lateinischer Poet und, da es einmal die Natur des Handwerks mit sich brachte, von Fremden erborgtes Außenwerk zu lieben, verwandelte er seinen deutschen Vaternamen Schuler in den lateinischen Sabinus. Schon bei seinem ersten öffentlichen Auftreten, in den ersten Gedichten, die er herausgab, ließ er keine Gelegenheit vorüber der Großen Gunst zu erwerben". Besonders war es der heftige Gegner der evangelischen Sache Kardinal Albrecht, Erzbischof von Mainz, dem er,,einen vollständigen Panegyricus“ sang und bald darauf weissagte er sich selbst in einem zum eigenen Geburtstag verfaßten Gedicht: Du wirst die hohen Pforten der Könige suchen, deren Großthaten dein Lied verherrlicht. Von dort wird dir Reichthum kommen, von dort großer Ruhm, große Ehre und ein Name, den die Nachwelt kennt". Einige Jahre nachher schon durfte er sagen: ,,Meine Poesie ist bei Fürsten bekannt und beliebt 28)".

Beinahe ein Jahrzehnt lebte Sabinus im Hause des Melanthon. Anna hatte er von ihrer frühesten Kindheit an aufwachsen sehen. Ein älterer Bruder gleichsam hatte er mit ihr gespielt, vielleicht auch sie unterrichtet 29). Im Mai 1533 kehrte Sabinus nach einem Ausflug nach Süddeutschland in die Vaterstadt zurück. Doch nur kurze Zeit hielt er sich da auf. Reiselust, das Verlangen, einflußreiche Bekanntschaften berühmter Männer zu machen, wol nur eingebildete Sehnsucht nach klassischem Boden trieben ihn nach Italien. In Wittenberg kehrte er bei Melanthon ein. Und hier wurde ihm der Abschied von der zweiten Heimat auf eine seinem eitlen Herzen wolthuende Weise versüßt. Schon stampften die Rosse un

geduldig vor der Thür. Da trat die eilfjährige Anna heran und überreichte ihm einen Kranz.,,Er sei dir ein Pfand unserer Liebe" sprach sie verschämt die Augen niederschlagend. Sabinus aber ging auf den von Frau Katharina Melanthon veranstalteten Scherz ein und antwortete: Führt ein günstiges Geschick mich zurück, so wirst du Anna und keine andere mein Weib 30)".

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Diese Scene machte auf das Herz des Poeten einen tiefen Eindruck. Anna's Bild begleitete ihn, wie er versichert, nach Italien. Und als er nach etwa Jahresfrist ohne seinen Plan, tüchtige juristische Studien zu machen, ausge führt zu haben, aber zum päpstlichen Pfalzgrafen ernannt, um einige Gönner bereichert und in den Formen höfischer Sitte vervollkommnet zurückkehrte, dachte er nicht nur daran, sich mit Anna zu verloben, sondern sezte dieses sein Vorhaben auch durch. Es ist unerhört, ihn ernsthaft von Liebe zu dem zwölfjährigen Mädchen reden zu hören. Er erzählt in der weitschweifigen, manirirten Weise lateinischer Poeten: Venus sei zu ihm gekommen, den Sohn an der Hand.,,Nimm ihn in deine Schule", habe sie gebeten, „ich wünsche, daß er Dichter werde; rechter Lohn soll deine Mühe vergelten“. Doch der wilde Knabe habe die Zucht des Lehrers nicht ertragen. Scharfen Pfeil in die Brust desselben stoßend, sei er entschwunden unter dem Ausruf:,,Tiefe Wunde schlug dir zahmlos Amor. Melanthons Tochter wird. sie heilen". Sofort sei sein Herz in Liebe zu Anna erglüht, nicht müde geworden sei er im Bitten: Jungfrau, die du mir allein gefällst, sei meinem brennenden Wunsche geneigt" u. s. w.

War der Poet in einer Selbsttäuschung befangen, wie sie bei Menschen, die immer nach äußerlichem

schauend nie in ihr Inneres blicken, wol vorkommt? Ich scheue mich zu sagen: nein. Möge es sein, daß er sich selbst überredet hatte, er könne dem netten Mädchen, dem er von Kindheit an gewogen war, die Liebe des Gatten weihen; aber so viel ist auch gewiß, daß derselbe Sabinus, der jezt von Liebe verzehrt zu werden vorgab, Melanthon später eingestand: er habe nicht aus eigenem Antrieb, sondern auf den Rat Anderer, namentlich des durch seine Streitigkeiten mit Luther bekannten M. Agricola von Eisleben die Verbindung mit Anna erstrebt 32). Melanthons weltberühmter Name, sein einflußreiches Ansehen bei Fürsten und Städten, vielleicht auch die auf Wolstand deutende Behäbigkeit seines Hauses, waren Reizmittel genug, um einen Sabinus zu bewegen, nach Verschwägerung mit ihm zu ringen.

Und Anna, wie nahm sie die Bewerbungen des Anbeters auf? Der weltmännische Schliff seines Benehmens, die Eleganz seines Auftretens, das poetische Kleid der seinem beredten Mund entströmenden Liebesworte, konnten nicht verfehlen, ihr junges Herz zu verwirren. Gewiß war sie dem langjährigen Hausgenossen geneigt, aber von der Liebe, welche dieser jezt von ihr forderte, hatte sie keinen Begriff. Wenn sie seine Bitten erhörte, so wußte sie nicht was sie that.

Die Verlobung war bald förmlich abgeschlossen. M. Franz Burkhard, der spätere berühmte Vice-Kanzler und ,,feinste Orator im Latein, als man seiner Zeit in Germanien haben mochte", wie von ihm Cyprian sagt, damals Lector der griechischen Sprache in Wittenberg, machte den Freiersmann 33). Melanthon klagt sich später selbst an, daß er übereilt und sorglos gehandelt habe, als er seine Einwilligung gab. Aehnlich, nur schroffer

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spricht sich auch Luther aus 34). Einigermaßen dient es wol zur Entschuldigung des Vaters, daß man damals Töchter und Söhne so jung als möglich zu verheirathen strebte. Aber auf der andern Seite soll man auch nicht verhehlen, daß er, der vielerfahrene, weise Mann nicht übersehen durfte, wie seine Tochter und Sabin ihrer Anlage, ihrem Charakter, ihren Neigungen nach so grundverschiedene Naturen seien, daß unmöglich eine glückliche Ehe aus ihrer Verbindung sich erwarten lasse.

Anna eine tiefe Natur, die alles innerlich verarbeiten mußte, wie der Vater, war schweigsam, maßvoll in ihrem Benehmen, enthaltsam und, so klug sie war, dem Streit abhold 35). Sabinus dagegen glanzliebend, lebenslustig, ein wortreicher Sprecher, voll von Affect, eigenwillig, suchte ein wechselvolles bewegtes Leben, haßte die Einförmigkeit contemplativer Ruhe und wurde, wie es scheint, durch Häckeleien und Reibereien, die ihm nicht unangenehmen Wechsel der Stimmung gewärten, ergößt. Sein Horoscop zeigte eine Coniunction des Saturn und Mars in der Jungfrau und Melanthon wünscht später oft, daß er diese auf Hartnäckigkeit, unphilosophisches Wesen, Ehrgeiz und Zerrüttung der ökonomischen Verhältnisse hindeutende Constellation beachtet hätte, als Sabin seine Tochter verlangte 36). Von den starken Ausschweifungen anderer lateinischer Poeten scheint zwar Sabinus sich frei gehalten zu haben, aber da seine hoch= fahrende Natur mit den Sorgen des täglichen Lebens sich nicht befassen mochte, erwarb er das Geld und gab es mit vollen Händen aus, ohne um dessen Wert sich zu kümmern. Unordentlichkeit in pecuniärer Beziehung gehört mit zu den Grundzügen seines Wesens. Und diesem Manne sollte eine Frau die Wirthschaft führen,

welche kaum den Kinderschuhen entwachsen noch nicht die dazu erforderliche Festigkeit und Erfahrung besaß, welcher die Richtung ihres Charakters, ihre gelehrte Erzieh ung einen ganz anderen Weg anwies, als den einer rüftig waltenden Hausfrau, die mit Energie, doch umsichtig, dem ungestümen Treiben des Mannes kaum fühlbare Zügel anlegen konnte.

Zwei Jahre nach der Verlobung fand die Hochzeit statt. Nur mit Widerstreben hatte Sabinus deren Verzögerung sich gefallen lassen. Am 6. November 1536 führte er die vierzehnjährige Anna mit Pomp zur Kirche. Nach Sitte der damaligen Zeit hatte, den Ehrentag des Schühlings zu verherrlichen, Kardinal Albrecht seinen Kanzler Dr. Türk gesendet. Von dem Kurfürsten Joachim II. von Brandenburg war für Anna ein kostbares Geschenk eingetroffen. Camerarius hatte nicht nur eine werthvolle Gabe, sondern auch ein lateinisches Gratu lationsgedicht geschickt. Poetische Freunde des Bräuti gams wie Mattheus Illyricus, Melchior Accontius, Johann Stiegel u. A. beeiferten sich griechische und lateinische Epithalamien zu singen. Mit Allem bezeigt sich Sabin sehr zufrieden, ein Beweis, daß nichts unterlassen war, die Feier so glänzend als möglich zu begehen 37).

Bald nachher begab sich Sabin mit der Gattin an den üppigen Hof, den der prachtliebende Kardinal Albrecht zu Halle hielt. Welche Stellung Sabinus daselbst einnahm, ist unbekannt. Anna scheint in der zweiten Hälfte des Jahres 1537 wieder in das älterliche Haus zurückgekehrt zu sein und daselbst ihre erste Tochter, Anna, geboren zu haben 38). Sabin finden wir erst 3 1518 wieder zu Wittenberg. Luther schreibt am 8. April jenes Jahrs an Justus Jonas: Melanthons Tochter

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