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Menschen, mag und soll auftreten und lehren, wo er sieht, daß der Lehrer daselbst fehlt; doch so, daß es sittig und züchtig zu= gehe." Aber diese beiden Säße fügt er nur darum hinzu, damit man das über die an einen öffentlichen Prediger zu stellenden Forderungen Gesagte nicht weiter erstrecke, als es gemeint ist, nicht also auf diejenigen Fälle der Not, wo auch gläubige Laien der Wahrheit zu gut nicht schweigen dürfen. Auch an dieser Stelle behauptet er mit Bestimmtheit: „Wenn der Christ aber ist, da Christen an dem Ort sind, die mit ihm gleiche Macht und Recht haben, da soll er sich nicht hervorthun, sondern sich berufen und hervorziehen lassen". Und wie man sieht, haben diese Aus= nahmen mit Luther's Beruf nichts zu thun. Wenden wir denn zunächst jene Regel Luthers, daß man ordnungsgemäß berufen sein müsse, auf ihn selbst an!

Vielleicht werden manche eine Erörterung dieser Frage für unwichtig halten. Wie man heutzutage die Wahl des zu ergreifenden Berufes nicht selten in das subjektive Belieben des Einzelnen gestellt, nicht aber durch die äußerlich wahrnehmbare Herkunft, Veranlagung udgl. sich für gebunden erachtet, so meint man auch häufig, das Recht zur Ausübung einer bestimmten Thätigkeit nicht erst von äußerlich wahrnehmbaren Faktoren sich erteilen Lassen zu müssen; sondern in der guten Absicht, von welcher man geleitet wird, in dem dringenden Bedürfnis, welches man wahrzunehmen meint, in dem guten Erfolge, welchen man zu erzielen erwartet, glaubt man hinreichende Berechtigung zum Vorgehen in einer bestimmten Beziehung zu besigen. Wir haben an diesem Orte nicht die Richtigkeit dieser Anschauungen zu untersuchen, sondern nur hervorzuheben, daß Luther dieselben nicht geteilt hat. Aufs klarste hat er die, auch seinen Gegnern eignende Ueberzeugung vorgetragen, daß man zur Ausübung einer kirchlichen Thätigkeit nicht nur eines „innerlichen Berufs", sondern auch einer äußerlich geschehenden Berufung bedürfe. Er hat dies mit solcher Emphase behauptet, daß man klar erkennt, es war für ihn nicht nur eine abstrakte Doktrin, sondern auch das Ergebnis einer inneren Erfahrung. Er hatte selbst empfunden, daß man mit dem bestgemeinten, scheinbar dringend notwendigen Wirken in Verzweiflung geraten könne, wenn man nicht ordnungsmäßig

zu demselben berufen sei. Darum warnt er: „Wenn Gott dich nicht fordert zu einem Werk, wer bist du Narr, daß du dir es darfst vornehmen? Zu einem guten Werk gehört ein gewisser göttlicher Beruf und nicht eigene Andacht, welches man heißt: eigene Anschläge. Es wird denen sauer, die gewissen Beruf von Gott haben, daß sie etwas Gutes anfangen und ausrichten, obwohl Gott bei ihnen und mit ihnen ist. Was sollten denn die unsinnigen Narren thun, die ohne Beruf hinan wollen."60) „Ja, wenn du weiser und flüger wärest, denn Salomo und Daniel, doch sollst du davor fliehen wie vor der Hölle, daß du auch nur ein Wort redest, du würdest denn dazu gefordert und berufen. Wird Gott dein bedürfen, er wird dich wohl rufen. Ruft er dich nicht, lieber, laß dir deine Kunst nicht den Bauch aufreißen. Glaube mir, niemand wird mit Predigen Nußen schaffen, denn der ohne seinen Willen und Begierde zu predigen und zu lehren wird gefordert und gedrungen. Denn wir haben nur einen Meister, unser Herr Jesus Christus, der lehret allein und bringet Frucht durch seine Knechte, die er dazu berufen hat; wer aber unberufen lehret, der lehret nicht ohne Schaden, beide, seiner und der Zuhörer, darum daß Christus nicht bei ihm ist.“61)

Nach solchen Aeßerungen Luthers wird die Frage um so dringender, womit er selbst die Berechtigung zu seinem eigenen Wirken nachgewiesen habe. Evers behauptet: Luthers Berech= tigung beruht auf seiner ihm nach eigener Angabe gewissen persönlichen Prädestination und damit empfangenen persönlichen Unfehlbarkeit.'62) So schreibt er, obwohl er weiß, daß Luther etwas ganz anderes als seine Legitimation angeführt hat, obwohl er selbst fortfährt: Wir sollten billig bei ihm leichten Herzens darauf verzichten, was katholische Beschränktheit die Sendung nennt. Dieser bedurfte er natürlich nicht, wir dürfen also eigent= lich garnicht darnach fragen. Indes kommt der große Mann selbst bisweilen auf diese Frage zu sprechen'. Jene Verdächtigung aber begründet Evers damit, daß schon zu der Zeit, als Luther noch schüchtern „in den Winkel zu kriechen" geneigt war, einige sich dahin geäußert haben, er werde noch eine große Wirksamkeit entfalten. Und freilich hat Luther später, als ihm von Gott

ein so weiter Wirkungskreis eröffnet war, sich wieder an solche Aeußerungen erinnert. Es ist ihm aber nicht in den Sinn gekommen, hieraus das Recht oder die Pflicht zu seinem Wirken abzuleiten. Nirgends steht bei Luther ein Wort davon, daß er durch das, was andre ihm früher von der seiner noch wartenden wichtigen Zukunft gesagt haben, dessen gewiß geworden sei, er solle öffentlich lehren oder das Papsttum bekämpfen.

Ebenso hat er niemals als Grund, warum er lehren müsse, irgend eine innere Erfahrung angeführt, niemals etwa, daß er seines Glaubens zu gewiß sei, um davon schweigen zu können, daß der Geist Gottes ihn dazu treibe, daß er durch eine innere Stimme dazu berufen sei. Wohl hat er all dieses von sich behauptet, aber daraus nicht die Berechtigung, sondern nur die Befähigung zu lehren, abgeleitet. Ein Krieger mag davon reden, daß ein Traum in jener Nacht ihn zur Todesverachtung angefeuert habe, daß er, von heißer Kampfbegierde getrieben, am Morgen in die Schlacht gestürmt sei. Damit aber hat er nicht gesagt, daß er aus jenem Traume oder dieser Gemütsverfassung die Berechtigung herleite für den Kampf gegen den Feind. Diese Berechtigung ist ihm vielmehr durch nichts anderes gegeben als durch den klaren Befehl seines Vorgesetzten. Ebenso würde auch Luther, troydem er seines Glaubens so gewiß war, troßdem eine innere Stimme ihn zu reden antrieb, doch nicht öffentlich gepredigt und gelehrt haben, wenn nicht etwas ganz anderes ihm dies auferlegt hätte. Was war es?

Zu einer öffentlichen Lehrthätigkeit muß man berufen sein. Und mehr als einmal hat Luther auseinandergesezt, auf welche Weise das geschehen könne, am bündigsten etwa in folgenden Worten: „Nun ist zweierlei Berufung zum Predigtamt: Eine geschieht ohne Mittel, von Gott; die andre durch die Menschen und gleichwohl auch von Gott. Der ersten soll man nicht glauben, es sei denn, daß sie mit Wunderzeichen beweist werde. . . Man soll die, welche sich als Prediger aufwerfen, fragen: Wo hast du Brief und Sigel, daß du von Menschen gesandt seiest? Oder wo sind deine Wunderzeichen, daß dich Gott gesandt hat?63) Von sich selbst aber hat Luther niemals die zweite, wohl aber Immer wieder die erste Art des Berufenseins behauptet. Janssen

schlägt der Wirklichkeit direkt ins Angesicht, wenn er sagt: Luther pflegte sich auf eine ihm gewordene, außerordentliche Mission zu berufen'.64) Denn so schreibt Luther immer wieder: „Ich aber, Doctor Martinus, bin dazu berufen und gezwungen. Denn ich mußte Doctor [der heiligen Schrift] werden ohne meinen Dank, aus lauter Gehorsam [gegen meine Vorgesezten]. Da habe ich denn das Doctoramt müssen annehmen und meiner allerliebsten Schrift schwören und geloben, sie treulich und lauter zu predigen und zu lehren."65) „Ich soll unberufen nicht predigen, soll nicht gen Leipzig und gen Magdeburg gehen und allda predigen wollen. Denn ich habe dahin keinen Beruf noch Amt. Ja, wenn ich hörte, daß zu Leipzig lauter Keßerei gepredigt würde, so lasse ich sie immerhin machen. Es geht mich nichts an.. Aber wenn mich's unser Herrgott hieße, [indem er mich ordentlich dorthin berufen ließe], so wollte ich es thun und müßte es auch thun; wie ich denn hierher, nach Wittenberg, berufen bin zum predigen und werde gezwungen, daß ich predigen muß.“66)

Was sollen wir angesichts solcher Erklärungen zu der Anklage sagen: Luther begnügt sich mit der bloßen Behauptung, daß er unmittelbar von Gott berufen sei, ohne sich auf einen wissenschaft= lich controlierbaren Nachweis seines Berufes stüßen zu können’.67) Zur Zeit der Reformation dachte man anders über diese Frage. So erschien i. I. 1520 ein Büchlein, dessen Verfasser so wenig ein blinder Anhänger Luther's ist, daß er noch St. Hieronymus als seinen besonderen Schußheiligen verehrt, daß er sich nicht anmaßen will, zu entscheiden, ob Luthers Lehre richtig sei oder nicht, sondern solch ein Gericht zu fällen, allein die Kirche für kompetent erklärt. Ueber die Frage aber, ob Luther zu seiner Wirksamkeit berechtigt sei, spricht er sich ganz entschieden aus: „Daß Doctor Luthern aus Billigkeit gezieme und zustehe, dergleichen christliche Doctrin zur Unterweisung des christlichen Volkes vorzulegen, des mag ein jeder diese begründete Bewegung nehmen. Denn anfänglich ist Doctor Luther ein Ordensmann, zum andern ein Prediger, zum dritten ein Doctor, dem in allewege aus Erheischung seines Amtes zusteht, die christliche Lehre nicht zu verschweigen, sondern bis zu Vergießung seines Blutes zu verfechten."68)

Nun erklärt es sich auch, warum es Luther nicht in den Sinn kommen konnte, sich eine weltumfassende Mission' beizulegen, warum er sich nicht einfallen ließ, mit seiner neuen Lehre' in der Welt umherzuziehen, so sehnlich er auch wünschen mußte, daß alle Welt sie annehmen möchte. „Ich habe noch nie gepredigt, noch predigen wollen, wo ich nicht von Menschen bin gebeten und berufen. Denn ich mich nicht rühmen kann, daß mich Gott ohne Mittel vom Himmel gesandt hat," sagt er.69)

Nun dürfte auch leicht verständlich sein, warum er von gewissen Männern Wunderzeichen als Beglaubigung ihrer göttlichen Sendung verlangte. Ein Fall freilich, von dem Evers so viel Aufhebens macht, gehört durchaus nicht hierher. Von seinem Gegner Erasmus soll Luther gefordert haben, daß er mit Wundern seine Ansicht beweise; wie viel mehr müsse man solche von ihm selbst fordern, der er ein Evangelist von Gottes Gnaden zu sein behaupte.70) Welche Lust doch ein Evers am Spotten über Luther hat! Denn um was handelt es sich hier? Erasmus hatte die Freiheit des menschlichen Willens in so scharfer Weise verteidigt, daß Luther ihm scherzend antwortet, er möge doch einmal durch die That beweisen, daß wirklich der Mensch alles könne, was er wolle. Er möge doch einmal mit der Macht seines Willens über die Natur gebieten, möge doch auch nur einen Frosch schaffen, deren doch die heidnischen Zauberer in Egypten viele schaffen konnten. Oder er möge doch vermöge seines freien Willens über seine eigene Natur herrschen und in reiner Heiligkeit nach dem Geiste leben. Darnach hatte er doch wohl ein Recht fortzufahren: „Von uns, die wir es [die Freiheit des menschlichen Willens] verneinen, dürft ihr Geist, Heiligkeit, Wunder nicht fordern."71)

Wohl aber hat Luther von Carlstadt, Münzer und Genossen Wunderzeichen verlangt. Darum beklagt sich Janssen: An sich selbst und an sein Auftreten wider die alte Ordnung stellte Luther diese Forderung nicht'.72) Er muß bekennen', schreibt Evers, daß er keine Wunder zur Beglaubigung seiner Lehre thun könne'. Wir dispensieren ihn nicht von der Verpflichtung, sich durch Wunder zu beglaubigen.'73) Aber um so sagen zu können, entstellen die Gegner den ganzen Sachverhalt bis zur

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