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Es ist eine bekannte glückliche Eigenthümlichkeit der Luftwege, dass jede Verunreinigung der einzuathmenden Luft, sei es nun mit Dünsten oder anderweitigen fremden Körpern, eine Reaction in denselben hervorruft, welche sich in mehr oder minder heftigen stossweisen Exspirationen, Hustenanfällen, äussert und geeignet ist, die Ausstossung der genannten fremdartigen Theile aus dem Bereiche der Luftwege zu Stande zu bringen. Zufällige derartige Reizungen des Kehlkopfes haben deshalb der Regel nach die sofortige Entfernung des als Reiz wirkenden fremden Körpers zur Folge. Nur in den Fällen ist das natürliche Widerstandsvermögen der Respirationsorgane gegen Schädlichkeiten der genannten Art ausser Stande, den gewünschten Erfolg zur Rettung des gefährdeten Lebens zu bewirken, in welchen die Ausgänge der Athmungsorgane, also Mund und Nase, sich in einem Medium. befinden, welches massenhaft oder ausschliesslich diese fremdartigen Stoffe enthält, z. B. im Wasser, oder wenn gewaltsamer Weise bei den von Zeit zu Zeit nothwendig sich wiederholenden Inspirationen immer von Neuem der fremde Körper wieder in die Luftwege einzudringen gezwungen wird.

In dem vorliegenden Falle nun findet sich innerhalb des Kehlkopfes und der Luftröhre, im Schlunde, auf der Zunge, am innern Rande des rechten Unterkiefers, an den Rändern der Nasenlöcher und im Innern der Nase ein bräunlicher Schmutz, welcher seinem ganzen Aussehen nach als dieselbe Masse sich darstellte, welche auch im Innern des Magens angetroffen wurde. Dieselbe Masse war constatirt an dem unteren Theil des braunen Tuches, in welches die Kindesleiche eingeschlagen gewesen war; nur war hier die Farbe derselben mehr eine braune.

Für jeden Kundigen nun stellt sich die in den Luftwegen und im Verdauungskanal vorgefundene bräunliche Masse als Kindspech dar.*) Demnach haben wir aus der Anwesenheit der betreffenden Masse innerhalb der Respirations- und Verdauungsorgane den Schluss zu ziehen:

, dass das neugeborene Kind von dem zuerst abgegangenen
(noch dunklen) sogenannten Kindspech durch tiefe Inspi-
rationen sowohl, wie durch Schlingbewegungen einen Theil
in's Innere der genannten Wege gebracht habe."

Eine mikroskopische Untersuchung würde allen Zweifel gehoben haben.
Anm. d. Red.

Forschen wir nun weiter nach den Bedingungen, unter denen ein so abnormer Lebensact bei dem Kinde zu Stande gekommen sein kann, so haben wir zunächst aus der verhältnissmässig bedeutenden Menge, welche sich auf dem Wege durch Nase und Mund hin zum Kehlkopf und Magen fand, sowie aus der continuirlichen Verunreinigung der Schleimhäute mit jener bräunlichen Masse auf den bezeichneten Wegen zu folgern, dass nicht eben eine flüchtige, rasch vorübergehende Anwesenheit jenes fremdartigen Stoffes in der Nähe von Mund und Nase des Kindes die Ursache für das Zustandekommen des mehrfach bezeichneten Befundes gewesen sein könne.

Die einzige Erklärung vielmehr für das Entstehen der vielgenannten Erscheinungen liegt in der Annahme, dass eine längere Zeit hindurch ein mit Kindspech verunreinigter Theil dem Kinde gleichzeitig vor Nase und Mund gehalten sei, und dass das Kind in der Erstickungsangst gleichzeitig durch unwillkürliche tiefe Inspirationen und Schlingbewegungen die fremdartige zähe Masse in's Innere des Körpers gefördert habe.

Diese Annahme würde schon nahezu Gewissheit für sich beanspruchen können, auch wenn keinerlei andere Befunde an der Leiche gewesen wären, welche eine dem Kinde angethane Gewalt erweisen. Solche aber finden sich in dem vorliegenden Falle zahlreich und unzweifelhaft vor, und bestehen in den vielfachen Verletzungen der Haut, welche die Oberfläche des Kindes darbot. Als vorzugsweise von Bedeutung weisen wir zunächst auf die zinnoberrothe Abschürfung der Oberhaut am obern Augenlide hin, welcher entsprechend am Rande des untern Augenlides eine kleine schmale Abschürfung der Haut sich zeigte, und mit welchen beiden Verletzungen im Zusammenhange eine rothe Injection der kleinern Gefässe der Bindehaut sowohl des untern, wie des obern Augenlides wahrgenommen wurde. Eine solche Verletzung der Augenlider mit gleichzeitiger Hyperämie in den darunter gelegenen Partien der Bindehaut erweist eine im Leben an dieser Stelle einwirkende örtliche Gewalt mittels eines stumpfen Werkzeuges, wahrscheinlich durch Druck, in Folge dessen als vitaler Act die Blutüberfüllung der darunter liegenden Theile zu Stande gekommen sein muss.

Anderweitige Hautverletzungen finden wir verzeichnet an der rechten Wange und an den Extremitäten. Ganz besonders charakte

ristisch für ihre Entstehung während des Lebens des Kindes sind ferner die gleichfalls an der linken Körperseite des Kindes vorfindlichen Hautverletzungen an der linken Seite des Unterleibes ,,von bräunlicher Färbung".

Aus der Natur der Verletzungen lässt sich schliessen:

,, dass die meisten derselben durch eine gewaltsame Einwir

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kung der Nägel der Mutter dem Kinde beigebracht seien." Das Kind ist mit höchster Wahrscheinlichkeit erstickt worden. durch eine vor Mund und Nase gehaltene, mit Kindspech verunreinigte Hand. Die Druckstelle an den Augenlidern des rechten Auges ist entstanden durch den Druck eines Fingers, entweder des Daumens, wenn die vorgehaltene Hand die rechte gewesen ist, oder des Zeige- oder Mittelfingers, falls die linke Hand die Erstickung vollbracht hatte. Die übrigen an der Oberfläche der Kindesleiche sich darbietenden Hautverletzungen verdanken ihren Ursprung den Nägeln derjenigen Hand, welche das Kind festhielt, während die andere Hand die Verschliessung von Nase und Mund ausführte. Es lässt sich nicht mit Sicherheit behaupten, ob die ganz vorwiegend an der linken Körperhälfte des Kindes gefundenen Verletzungen der von hinten um das Kind herumfassenden linken Hand der Mutter ihren Ursprung verdanken oder der von vorn her zupackenden Hand. Die Wahrscheinlichkeit und die Aussage der Inculpatin sprechen dafür, dass die linke Hand das Festhalten des kindlichen Körpers, die rechte Hand den Verschluss von Mund und Nase bewerkstelligt habe, und somit würden die vielfachen Verletzungen an der linken Seite des Kindes, sowie an der Innenseite des rechten Oberschenkels der linken Hand der Mutter zuzuschreiben sein. Gewiss aber können wir uns der Schilderung, wie das Kind während des Erstickungsaktes gehalten sei, für überhoben ansehen; nur so viel glauben wir noch hervorheben zu müssen, dass aus der Beschaffenheit, sowie aus der grossen Anzahl der Hautabschürfungen nach Grundsätzen der gerichtlichen Medicin der Schluss gerechtfertigt erscheint:

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dass der Tod des Kindes wohl nicht rasch und leicht zu Stande gekommen sei, sondern dass das von Erstickungsnoth geängstete Kind eine Zeitlang durch unwillkürliche sogenannte reflectorische Bewegungen des ganzen Körpers, namentlich der Gliedmassen, gegen die Gefahr sich zu wehren versucht und in Folge davon die verschiedensten Hautverletzungen erlitten habe."

Dass mit diesem Ausspruch die Aussagen der Inculpatin insoweit übereinstimmen, als dieselbe behauptet, „sie wisse nicht, wie die Verletzungen an dem Kinde entstanden seien, sie habe wenigstens absichtlich solche Verletzungen dem Kinde nicht zu- 、 gefügt, doch könnten ja möglicherweise die Verletzungen am Kopfe durch Eindruck ihrer Nägel entstanden sein", ist von selbst klar. Absichtlich und bewusst sind die von den Nägeln herrührenden Male gewiss nicht gewesen, vielmehr sind diejenigen Handgriffe der Inculpatin, durch welche sie das sich wehrende Kind während des Vorhaltens der Hand zu fixiren suchte, sicher unbewusste, unwillkürliche, durch die ganze Situation bedingte gewesen.

Es dürfte kaum einem Zweifel unterliegen, dass die an der Kindesleiche sich findenden Hautverletzungen der überwiegenden Mehrzahl nach beim Festhalten des Kindes während des Erstickungsaktes durch die Nägel der Mutter ihre Entstehung gehabt haben.

Dass wir keine Spuren von Beschmutzung des Kindes im Gesicht durch das vorgehaltene Kindspech zu registriren hatten, hat seine genügende Erklärung in dem im Untersuchungsprotokoll verzeichneten Umstande, dass an dem Sonntage, wo die Leiche auf freiem Felde lag, den ganzen Tag und auch schon die Nacht vorher ein ungewöhnlich anhaltender und starker Regen gefallen war, welcher nothwendig alle am Gesicht haftenden Schmutztheile entfernen musste.

IV. Zum Schluss haben wir uns noch der vom verehrlichen B. Oberinspectorat gestellten Aufgabe zu unterziehen, zu untersuchen, ob und welche Momente vom gerichtsärztlichen Standpunkte aus beigebracht werden können zur Aufhellung der Frage:

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ob das von der Inculpatin verübte Verbrechen als ein im augenblicklichen Affekte begangenes oder als ein prämeditirtes anzusehen sei",

und werden wir in letzterer Beziehung namentlich zu prüfen haben, „ob die Behauptung der Inculpatin, dass sie dem Kinde die Brust gegeben oder zu geben versucht habe, durch den Befund an der Leiche eine Stütze finde oder nicht."

Bei der grossen Schwierigkeit, welche mit der Ergründung der Gemüthszustände dritter Personen überhaupt nothwendig verbunden ist, haben wir mit doppelter Gewissenhaftigkeit jedes Moment sorgfältig zu erwägen, welches geeignet erscheint, über den

Gemüthszustand eines Inculpaten im Augenblick seiner That Licht zu verbreiten. Wir enthalten uns jeden Versuchs, aus den im Allgemeinen ermittelten Thatsachen Folgerungen zu ziehen für die Annahme eines prämeditirten oder eines Handelns im augenblicklichen Affekt; wir glauben diese Quelle der Beurtheilung dem Gericht überlassen zu müssen. Nur diejenigen Momente haben wir geglaubt hervorheben und für die Gewinnung eines Urtheils über die vorliegende Frage dem Gericht darlegen zu müssen, . welche zu ihrer Würdigung gerichtsärztliche Kenntnisse voraussetzen. In dieser Beziehung nun haben wir Folgendes zu sagen:

1) Aus den vielfachen und nicht unbedeutenden Verletzungen an der Kindesleiche, wie die äussere Besichtigung sie ergab, lässt sich der Schluss ziehen, dass dieselben dem Kinde müssen zugefügt sein, ohne dass die Schürze der Inculpatin oder das braune Halstuch um dasselbe geschlagen war. Eine Umhüllung des Kindes entweder mit der noch neuen leinenen Schürze, die aus einem dicken und festen Gewebe bestand, oder mit dem weichen baumwollenen Halstuch, in welchem das Kind gefunden worden, würde es unfehlbar haben verhindern müssen, dass die auf das Kind ausgeübte Gewalt in so vielen einzelnen, scharf begrenzten Verletzungen der Oberhaut sich manifestirt habe. Es würden durch eine derartige Umhüllung hindurch wohl Druckstellen, aber nicht so scharf begrenzte und so distinkte Substanzverluste an der Oberhaut haben entstehen können, wie sie an der Leiche sich darstellten.

2) Die Verletzungen, welche wir mit dem an dem Kinde verübten Akt der Erstickung glaubten in Verbindung bringen zu müssen, sind demnach der letzten Betrachtung zufolge entweder sehr frühzeitig, sehr bald nach der Geburt, ehe noch die Einhüllung des Kindes von der Mutter vorgenommen war, dem Kinde zugefügt worden oder, wenn denn eine längere Zeit nach der Geburt verstrichen ist, wenn das Kind nach der Aussage der Mutter erst eine Weile auf dem Schooss und eine Zeitlang an der Brust gelegen hat, so werden wir zu der Annahme gedrängt, dass das Kind eine längere Zeit ohne diejenige Umhüllung geblieben sei, welche gewissermassen mechanisch als erste Hülfsleistung nach dem Durchschneiden der Nabelschnur jedem Neugeborenen zu Theil zu werden pflegt. Man kann nur die Alter

Vierteljahrsschr. f. ger. Med. N F. XXII. 2.

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