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sein sagen können. Sie und freilich von beiden natürlich zumeist das kleine Wittchen, Fräulein Hroswitha Hamelmann haben eine so große Angst vor uns, eine so schlimme Meinung von uns, der ganzen, großen, weiten Welt!

Es schickt sich so vieles gar nicht! und es ist so traurig, sich in keiner Weise sel ber raten und helfen zu können und die Tante Fiesold noch gar dazu guten Rat geben zu hören!

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„Es sind schlimme Sachen, Gerhard chen," sagte die Tante, plößlich aus ihrem Winkel an den Tisch humpelnd, mit der einen dürren Hand ächzend die Seite haltend und die andere auf den neutralen Raum der Tischplatte legend und sich darauf stügend. „Kannst mir keine Schuld geben, daß ich es nicht von Anfang an so kommen sah und nicht immer meine Meinung darüber sagte. O Herr, Herr, wenn du's mir nur endlich offenbaren wolltest, wo du mit deiner unglücklichen Kreatur noch hin willst! Da fährt auch das Fräulein schon wieder mit dem Taschentuch vor die Augen, wo ich nur den Mund aufthue, um ein leises Wort über mein Elend vorzubringen. Und der Junge steckt nach seiner Art den Kopf nur noch tiefer hinter seine dummen. Bücher! Was soll denn nun werden, wo die ganze Stadt steht und von Tag zu Tag den Kopf mehr schüttelt?"

Nur selten war ein Kopf so rasch hinter einem Bücherhausen hervorgeho ben worden wie jezt der Gerhard Amelungs.

Mit einem angstvollen, scheu-zärtlichen Blick auf sein scheues, ängstliches, betrübtes Gegenüber am Tisch warf er auch der guten Tante einen Blick zu, aber einen ganz anderen.

„Dreh mir nur nicht den Hals um," ficherte höhnisch die liebe Tante, wie im hellen Schreck einen Schritt zurückweichend. „Daß du es gern möchtest, weiß ich schon längst. Daß ich dir seit meines Ludolfs Tode überleidig bin und tagtäglich mehr zum Überdruß werde, ist mein herzzerbre chender Kummer bei Tage und bei Nacht.

Hast ja nun auch 'ne viel hübschere, liebere Gesellschaft als deiner seligen Mutter alte, elende, gichtbrüchige Schwester. Ich gönne sie dir ja von Herzen, aber —“

Der junge Mensch hielt jezt wirklich die Alte am Arm mit einem Ausdruck, als ob er sie in der That lieber am Halse gefaßt haben würde. Und daß die Menschheit und die Welt außergewöhnlich viel verloren hätte, wenn er ein wenig zu fest zugedrückt haben würde, wollen wir ganz gewiß nicht behaupten.

„Tante Jakobine," feuchte er und flüsterte freilich mehr zu sich selber als zu der unzurechnungsfähigen alten Person vor ihm, „sie kann es nicht wissen, daß du nicht ein einzig Mal in deinem Leben fähig gewesen bist, Vernunft anzunehmen; aber ich will es nicht, daß du ihr das Herz noch schwerer machst! Hörst du? Da hast noch immer den weichsten Siz unter diesem Dache, und die besten Bissen gehören dir auch, und keiner nimmt sie dir; aber das fremde Kind soll nicht anhören und tragen, was wir, mein Bruder Ludolf und ich, unser Leben durch seit unserer Mutter Tode von dir haben hören und tragen müssen und mit aller Geduld getragen haben."

Das stupide alte Weibsbild wand sich boshaft winselnd unter dem festen, aber gewiß nicht rohen Griff des Jünglings. Es war zum erstenmal in seinem Leben, daß er das schlimme Hauskreuz so angriff; aber sein Atem ging schnell und wie im Fieber. Der arme Knabe zitterte an allen Gliedern, und die Thränen drohten ihn fast zu ersticken.

Er fühlte sich so grenzenlos hilflos diejem bitteren Leben gegenüber und mit allem, was er wußte und gelernt hatte, so ganz und gar unfähig, einem anderen, noch schwächeren, hilfloseren Wesen dem schönsten, süßesten, unschuldigsten, und dem noch dazu eine Zuflucht unter dem Dache seines Vaters gegeben worden war, im geringsten gegen die arge Welt zu Hilfe zu kommen.

Er hatte es nie so bitter gefühlt, daß er nichts war, nichts wußte und daß

ihm nichts, gar nichts in dieser schlimmen schön sein; aber, o Herr Amelung, wie Welt zu eigen gehörte.

In ohnmächtiger Ratlosigkeit knirschte er mit den Zähnen, wie er die Alte aus dem Lichtschein der Lampe, in den auch sie eben sich von neuem so gespenstisch ein gedrängt hatte, zurückdrängen wollte in ihren Winkel hinter dem Ofen. Da aber fühlte auch er eine Hand auf seinem Arme, eine leichte zitternde Hand, und Wittchen Hamelmann sagte mit gleichfalls von unterdrückten Thränen halb erstickter Stimme:

es ist, geht es wirklich nicht länger, und die Tante Jakobine hat ganz recht, und ich darf Ihnen nicht länger zur Last sein, Herr Gerhard. Ich denke, wenn ich auch weiter nichts gelernt habe, so mag ich doch wohl mit Kindern umgehen können, und so meine ich, wenn ich mich in die Zeitung sezen ließe, so fänden sich wohl gute Leute, die mich ein Kind warten ließen, und das Abc würde ich ihm im Notfall ja auch beibringen können.“

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„O Fräulein schluchzte der arme ratlose Junge, und es wird gottlob uur selten so viel Elend in eine höfliche Anrede zusammengepreßt wie in diesem Falle. Er saß wieder auf seinem Stuhl am Tische und hielt das Gesicht in den Händen, und mit gefalteten Händen stand Fräulein Witha Hamelmann neben ihm, und in ihrem Winkel stieß die Tante Fiesold ganz sonderbare Töne schadenfrohen Wohlbehagens aus.

„Gerhard, lassen Sie doch nur! Sie hat ja recht. Wie sie es auch sagt die Tante Fiesold hat ja ganz recht, und es geht wirklich nicht so länger! Der Onkel Schönow kann uns so, wie es jezt ist, mit aller seiner Herzensgüte nicht länger helfen; die Welt leidet es nicht! Männer können das wohl nicht so leicht merken wie wir Frauen. Ich habe mich schon als kleines Mädchen darüber wundern müssen, wie der arme Papa immer so gleichgültig gegen das war, was die Welt von ihm sagte. Ach, Gerhard, lieber Herr Gerhard, daß die Tante meint, ich stehe Ihnen zu viel im Wege in Herrn Schönows Anteilnahme, und es wäre besser für Sie und Ihr Fortkommen in der Welt, wenn ich nicht wäre das ist gar nichts! Aber das andere ist etwas! nämlich, daß wir keine Kinder mehr sind und die Welt sehr auf uns achtet, und keine Dornenhecke wie im Märchenbuch um Ihr kleines Haus wächst, Herr Amelung! Wenn wir in einem Urwalde miteinander als elternlose Waisen allein wohnten, wäre es ja alles schön und lieb. Ich könnte Ihnen den Haushalt führen wie Schneewittchen den sieben Zwergen, und Sie erzählten mir am Abend von der Welt und den großen Kriegen und den großen Gelehrten, und läsen mir auch wohl, was ich verstande. Wir brauchten uns um Wir sind wohl schon etwas länger als keinen Menschen zu kümmern, und wenn zehn Minuten vom Preußischen Hofe wegder gute Onkel Schönow aus seinen Ge- geblieben; es thut aber nichts. Der lauen schäften oder von Berlin zu uns käme, Nächte wie die gegenwärtige giebt es sollte er es recht behaglich bei Ihnen fin- | wahrlich nicht allzu viele im manchmal den, Herr Gerhard. Ach, es würde zu zu unverfroren gegen besseres Wissen be

Ein großer Nachtfalter war aus dem Garten in das offene Fenster gekommen. und flatterte in immer näheren Kreisen um die Lampe. Allerhand Blütenduft des Gartens füllte auch das niedere Zimmer, in dem wir einmal, des Eiterdunstes aus der Schlacht bei Beaune la Rolande wegen, so schwer Atem zu holen vermochten. Das Atemholen wird den Jungen wie den Alten, den Gesunden wie den Kranken eben auf die verschiedenste Art in dieser Welt schwer gemacht. Und die Alte im kalten Ofenwinkel hatte vollkommen recht: zu viele Leute auf einem engen Raume benehmen einander gewöhnlich den Atem, ganz abgesehen von der be= haglichen täglichen Leibesnahrung für Menschen und Vieh.

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lobten deutschen Vaterlande. Und außer dem guten Onkel Schönow und Fräulein Julie können wir unbedingt bis über mitternacht hinaus solus cum sola trauen und sie troß Frau Helene und Herrn Privatsekretär Giftge dreist beisam men lassen, vorzüglich bei Tische, und noch dazu an einem gedeckten Tische, auf welchem kein leerer, ängstlich-blöder Raum zwischen den beiden Geschlechtern sich dehnt.

bei Böschen Mühle wohl das lebendigste, wenn auch bei Daemel noch Licht ist, dumpfes Gemurmel hinter den herabgelassenen Vorhängen der Bogenfenster hervordringt und verschiedene Stammgäste noch lange nicht die Absicht haben, nach Hause zu gehen. In den Heckenwegen und Gärten um die Stadt ist es ganz still, nur daß die Heimchen ihr Konzert noch fortseßen, auch wohl ein Hund anschlägt oder ein Säugling in

Höchstens sagt da die Jungfrau: „Schö- | einer der Hütten schreit. now, Schönow, das bezeichnen Sie wie- Ganz merkwürdig aber ist's jetzt mit der nur als eine Idee Rum? Ich nenne es Spirituosa mit Thee, wie ich auch das, was Sie vorhin Ihre freudige Aufregung am Bahnhofe nannten, vielleicht anders nennen könnte. Kellner, wir haben Sie wirklich nicht mehr nötig, und diese Flasche Liebfrauenmilch nehmen Sie unbedingt wieder mit fort. Ich habe wahrhaftig nicht Lust, mich noch konfuser machen zu lassen, als ich schon bin.“

Wenn dann auch Schönow tief seufzend nichts weiter als: „ Fräulein!" sagt und für seine übrigen Gefühle und Bedrängnisse vergeblich nach Worten ringt, so können wir seelenruhig Fräulein Julie über ihrer letzten Tasse Thee mit Milch ihre Gelegenheiten abpassen lassen, um von ihrem alten Freunde wenigstens nach und nach ein wenig mehr in Erfahrung zu bringen, wie es eigentlich kommt, daß sie so urplöglich so fern von ihrer gewohnten häuslichen Umgebung hier sizen muß und mit nicht abzuleugnendem Behagen den Hauch dieser fremden Berge und Wälder, der durch die geöffneten Fenster auch in diesen Provinzialgasthof dringt, einatmet.

Wir können es jezt nicht mehr voraus sagen, wie lange wir noch das Hotel de Prusse sich selber überlassen müssen: die Nacht da draußen ist zu lieblich, und die Tante Fiesold hatte zu sehr recht!

dem kleinen Hause der Gebrüder Amelung in der Hundstwete. Es liegt um diese Zeit vollständig da wie im pfadlosen Walde der guten Zwerge Anwesen, als Schneewittchen das andere Schneewittchen seinen Weg zu ihm fand und auch keinen anderen Laut darin vernahm als vom Heimchen unter dem Herde.

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Die Tante Fiesold ist gar nicht zu rechnen. Die hat den Schlüssel am Küchenschrank umgedreht und weiß ihn sicher unter ihrem Kopfkissen. Sie hat noch ein Vaterunser gebetet und dann noch mürrisch nach ihrer Art etwas in sich hineingemurmelt, und jetzt liegt sie und schläft tief und fest, nur daß sie merkwürdigerweise dabei im Traume unter magistratlicher Polizeiaufsicht auf dem Gefängnishofe recht hartes Holz zu sägen hat und nur zu oft auf einen nichtsnugigen Astknorren stößt. Bei lezteren Vorkommnissen ruckt sie jedesmal das Kinn aufwärts und zieht ein ander Register in der Nase.

Auf dem Tische in der Wohnstube liegen auf der einen Seite noch immer die römischen Geschichten des Titus Livius aufgeschlagen und die Grammatik und das dicke Lexikon daneben. Auf dem leeren Raum in der Mitte des Tisches brennt noch immer die Lampe, und das Nähkörbchen steht auf seiner Seite auch Anderwärts, zum Exempel in den noch am alten Flecke; aber wegtragen Städten Wien und Berlin, ist es noch könnte das alles jeder, dem's beliebte: ziemlich früh in der Nacht und sind die nicht bei den Brüdern Grimm noch in Gassen noch recht lebhaft. In unserem irgend einem anderen germanischen, römiStädtchen ist um diese Stunde der Bach |schen oder sonstigen Geschichtenbuch war

jemals irgend ein persönliches Eigentum | gemacht wurde, wie klein und unbedeumit bedingungsloserem Vertrauen in die tend ihr Recht und Anspruch sowohl an Ehrlichkeit der Menschen in dem wilden die nächste Nachbarschaft wie an das Walde dieser Welt sich selbst überlassen übrige Weltall rundum von Rechts wegen worden. und von eigenen Verdiensten, Künsten und Fähigkeiten aus sei.

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Waren sie etwa auch zu Bett gekrochen, die beiden jungen Bewohner des kleinen Gartenhauses? Hatten sie sich so sehr ohne die Gesellschaft der Tante Jakobine in der Einsamkeit und der Nacht vorein ander und der bösen Welt gefürchtet, daß sie gleichfalls die Decke über den Kopf gezogen hatten, nachdem sie nach guter braver Kinder Sitte leise ihr Gebet gesagt hatten:

Lieber Herr Jesus, mach mich fromm,
Daß ich zu dir ins Himmelreich komm.
Und sollt ich das nicht werden,

So nimm mich lieber von der Erden!?

In diesem Falle war es doch zu unvorsichtig, Thür und Fenster offen zu lassen, so weit draußen vor dem Thor, in dem allerleßten Häuselein der Hunds twete! Gehört einem auch von Rechts wegen und Gerichts wegen nichts mehr von allen Notwendigkeiten und Herrlichkeiten der Erde wie im vorliegenden Fall, so bleibt doch immer noch das allgemein menschliche Gefühl, daß es hinter vor geschobenem Riegel besser und sicherer sei, und jener vacuus viator, der vordem in dem alten lateinischen Vers (Fräulein Julie kennt ihn vom Papa her) coram latrone sang, der sang und pfiff wohl auch mehr aus Herzensangst als aus leichtem und sorglosem Herzen.

Es giebt aber verschiedenartige Ängste in der Welt. Einige treiben einen in das Haus, hinter möglichst feste Mauern, Git ter und Läden; andere hingegen treiben ihr Spiel und Wesen anders mit der un ruhigen Menschenseele, und ob einen dann das Gefühl des Erstickens im weiten Brachthaal oder unter dem niedrigsten Strohdach überkommt, das ist ganz einerlei.

Ach, nur allzu leicht glaubt der Mensch jedem aufs Wort, daß er nichts sei, nichts habe, nichts könne, nichts bedeute. Und es ist nicht immer der „Vater, der Lehrer, der Aldermann“, der so spricht: die Dummheit, die Bosheit, die Selbstsucht haben nur allzuoft das große und leider fast immer überzeugende Wort in diesem Falle. Und, o, wie viel besser hat es dann alles da draußen als der arme gebundene Mensch drinnen in seinem Gefängnis! Ach, und nur selten kriecht die Tante Fiesold, nachdem sie „nochmals ihre Pflicht gethan hat“, zu Bette und bekümmert sich weiter nicht darum, daß die Fenster und die Hausthür noch offen stehen, und von den Bergen der laue Wind kommt, und die Sterne flimmern, und das Wasser von ferne rauscht.

Der verstorbene Bruder hat noch, ehe er in den Krieg mußte, die kleine Laube an der äußersten Grenze des Gartens, dem Berge zu, aufgerichtet, die Zweige der Hainbuche darüber gezogen und die Holundern angepflanzt. Auch den kleinen Tisch und die Bank hat er gezimmert und nach dem Kriege gern dort gesessen, wenn sein kranker Fuß es zuließ. Es ist ein hübsches Pläßchen, sowohl am sonnigen Tage wie auch in der späten Sommernacht. Man hat von ihm aus einen netten Blick in das Thal und über einige. der letzten Dächer der Stadt. Man kann darin sich von der großen Belagerung der Festung Meß und der Winterschlacht bei Beaune la Rolande erzählen lassen, und man kann darin den Homer lesen und die lateinische Syntax studieren, und man kann darin auch beide Ellbogen auf den Tisch stützen und den Kopf zwischen beide Hände nehmen und laut seufzen, ja auch leise und hilflos in sich hineinschluchzen.

Vorzüglich junge Leute halten es dann und wann schwer aus zwischen Hausmauern und Stubenwänden; besonders wenn ihnen eben erst von neuem deutlich Was alles kann man noch darin?

Wenn man Glück in seinem kleinen, alltäg lichen, ganz gewöhnlichen und gemeinen Unbehagen hat, das schönste, lieblichste, tröstlichste Wunder in dieser unbehaglichen Welt an seiner ratlosen, gequälten Seele erleben!

Glück freilich muß man haben. Es wird nicht jedem, der es innerhalb seiner vier Wände nicht aushielt, so gut, daß ihm den Berg hinauf, in die dämmerige Nacht, den Baumschatten und das Blätter geflüster hinein ein gleich ratloses, gequältes Seelchen nachschleicht, daß sich ihm eine kleine, scheue, angstvoll mit leidige Hand auf die Schulter legt und jemand sagt:

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Gerhard, wie weh hat das mir gethan! ... Und mein Vater hat erst sterben müssen, daß auch ich erfahre, wie schlimm es uns auf Erden gehen könne! Herr Gerhard lieber Gerhard, ich habe es ja gar nicht gewußt, wie es in der Welt draußen aussieht. Ich hatte es zu gut in unserem Hause, von dem ich nicht wußte, daß es eigentlich auch nicht uns gehörte. Es ist frei lich wohl betrübt, daß wir gar kein Eigentum haben; aber, o bitte, Herr Gerhard, nehmen Sie es sich nicht zu sehr zu Herzen. Viele reiche und gelehrte Leute haben in in Ihrem Alter auch nichts gehabt und stehen doch jezt als berühmte und reiche Menschen in den Büchern, und was ihre Stadt zu ihrer Zeit von ihnen sagte, darauf kommt es jezt gar nicht mehr an. Sie sollen Mut haben, Herr Gerhard; ich habe ja auch Mut, und wenn ich nicht noch um den armen Papa so betrübt wäre, so könnte ich ganz gewiß über die Tante Jakobine und die übrigen lachen. Und wie gut sind doch auch viele Menschen gegen uns gewesen! Und wie gut ist der Onkel Schönow, wenn er auch nicht recht was mit uns anzufangen weiß! Und wer weiß denn, ob er nicht schon viel klüger oder lieber ebenso klug als barmherzig und mitleidig für uns gehandelt und in der lezten Zeit so viel nach Berlin geschrieben hat? Wenn er zu seinem wei

nerlichen Ton so lächerlich den Mund zieht, kommt immer was heraus, was auf die eine oder andere Weise zur Sache gehört, hat mein Papa so oft, so oft ge= sagt und ihn als Freund immer nur noch Eine merkwürdige gerner gehabt. Dame hat er zu seiner Hilfe, wie er sagt, der Onkel Schönow, von Berlin verschrieben, und eigentlich wollte er uns beide ja heute abend mit an den Bahnhof nehmen, um sie abzuholen. Wer weiß, weshalb er sich anders besonnen und uns zu Hause gelassen hat? Ich habe zwar auch vor ihr eine entsetzliche Angst, wie jezt seit des Papas schrecklichem Tode vor jedem fremden Menschen; aber, Gerhard, lieber Gerhard, fürchte du dich nur nicht, habe du nur guten Mut, sie ist ganz gewiß anders, die fremde Dame, wie die Welt und die Tante Jakobine, und weiß ganz sicher das rechte Wort und die beste Hilfe für dich und — für mich wohl ein bißchen mit. O, habe du nur Mut, lieber Gerhard!“

Es ist jedenfalls ein seltsames Ding um das Muthaben auf dieser Erde. Der, der ihn nicht hat, habe ihn einmal auf guten Rat und vernünftiges Zureden lieber Freunde, guter Bekannten und wohlmeinender Nachbarschaft hin!

Und doch wie leicht und unvermutet und so ganz selbstverständlich bringt ihn oft ein leiser Hauch von Menschenatem oder Westwind, ein Ton aus der Ferne oder ein Geräusch in der Nähe, ein Lichtstrahl aus einem Kinderauge oder aus trübe ziehendem Regengewölk! Dann ist er, den Roß und Reisige und alles noch so sehr verbesserte Geschüß dem mächtig= sten Könige nicht geben können, da: in dem dunkelsten Gefängnis erhebt er dem Gebundenen das Gesicht; Krankheit und Sorge sind ein Nichts, selbst der Sterbende richtet sich noch einmal auf dem Ellbogen empor; in blißender Rüstung steht der Mensch, der vor einem Augenblick noch im Erdendreck und Lumpenbehang sich verkommen fühlte, und alles ist Freiheit, und alles ist Kraft, und alles ist Ergebung alles ein Wohlduft, ein

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