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Sechster Abschnitt.

Das Hauptverfahren.

$ 89.

A. Der Beschluß des Gerichts auf Anklage und Voruntersuchung. Die Eröffnung des Hauptverfahrens.

I. Gelangen die Aften entweder nach Schluß der Voruntersuchung mit dem Antrage des StA. (oben § 76 II 7), oder mit der Anklage (oben § 77) vor das Gericht, so ist

1. ein Theil der Entschließungen des Gerichts im ersteren Falle bereits oben § 76 II 8 S. 311 erörtert.

2. a) Das Gericht kann ferner bei unmittelbarer Anklageerhebung den Mangel der Erfordernisse des § 198 StPO. rügen und daher die Anklage zur Nachholung dem StA. zurückgeben.

b) Ist dagegen Voruntersuchung vorausgegangen, so ist das Gericht zu einer derartigen Ablehnung nicht befugt, weil es von amtswegen dem Verfahren Fortgang zu geben hat (Löwe Note 11 a zu § 198).

3. Das Gericht kann sich ferner mangels örtlicher Zuständigkeit (j. oben § 78) für unzuständig erklären.

4. Es kann ferner seine sachliche Zuständigkeit (s. ebenda) verneinen. Hier ist aber das Verfahren vereinfacht durch

StPO. § 207.

Das Landgericht, welchem im Falle des Absatz 2 dieses § die Akten vorgelegt werden, kann gleichwohl das Hauptverfahren vor dem Schöffengericht eröffnen. Findet es aber, daß die Sache zu seiner Zuständigkeit gehöre und auch eine leberweisung an das Schöffengericht nicht angemessen sei, so muß es zuvörderst die StA. zu einer dem § 198 Abs. 2 entsprechenden Aenderung der Anklageschrift veranlassen (Löwe Note 6 zu § 207). — Der Amtsrichter giebt also die Sache mit seinem Beschluß an den Amtsanwalt und dieser sendet fie der StA. Theilt lettere die Ansicht des Amtsrichters, so fertigt sie sofort die neue Straffammeranklage an und giebt die Akten so an das Landgericht. Ist sie im Zweifel oder abweichender Ansicht, so kann sie noch weitere Ermittelungen anstellen, oder die Akten, ohne eigne oder mit entsprechender Aeußerung, dem Landgericht vorlegen. (Hatte die Straffammer die Sache dem Amtsgericht überwiesen, so greift obiges Verfahren selbstverständlich nicht Play: Vgl. darüber unten § 108.)

II. Vor der förmlichen Beschlußfassung kann der StA. noch thätig werden in Straffammersachen aus:

StPO. § 199.

Der StA. wirkt hier bei folgenden Gelegenheiten mit:

1. Es gelingt möglicherweise dem Vorsitzenden die Mittheilung an den Angeschuldigten nicht, weil dieser nicht zu ermitteln. Dann kommen die Akten an den StA. zurück zur Ermittelung. Hier empfiehlt sich vor allem genaue Prüfung der aftenmäßigen Adresse; sehr oft ist nur diese bei dem Gange durch so viele Hände schließlich unrichtig wiedergegeben. Siehe sodann oben § 44 S. 179.

Schöffengerichts- und Ueberweisungs anklagen werden nach Absatz 4 § 199 dem Angeklagten nicht zugestellt.

2. Ferner, falls Erklärungen" oder „Einwendungen" aus gen.

v. Marek und Kloss, Staatsanwaltschaft, 2. Aufl.

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Abs. 1 des § 199 eingehen. Hier hat das Bestreben, den Angeschuldigten zu schützen, etwas Unpraktisches geliefert. Hat der Angeschuldigte wirklich Erhebliches vorzubringen, so thut er es von selbst; in den verschwindenden Ausnahmefällen, wo Jemand seine Sache nicht wahrnimmt, kann die Hauptverhandlung vertagt werden. Auf die Aufforderung hin aber schreibt Jeder einen mißverständlichen Antrag, der meistens nur die Worte der Aufforderung wiederholt und nun den ganzen Apparat des Gerichtsbeschlusses in Bewegung setzt.

oder

Der StA. hat sich gemäß § 33 StPO. zu erklären:

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oder auch, bei nur theilweiser Berechtigung des Antrages:

mit dem Anheimstellen zurück, die Ladung der vorgeschlagenen Zeugen L. und R. zur Hauptverhandlung zu beschließen; ihrer vorherigen Vernehmung und den übrigen Anträgen des Angeschuldigten widerspreche ich.

Es ist bei der Erklärung bezüglich der „einzelnen Beweiserhebungen“ vorzüglich zu beachten, daß ihre Vornahme auch wirklich vor der Hauptverhandlung (nicht erst in ihr) nothwendig sein muß, wie z. B. eine Augenscheinseinnahme, kommissarische Zeugenvernehmungen (§§ 222, 223 StPO.). Bei unwesentlichen Anträgen pflegt die StA. nicht gehört zu werden.

III. Nunmehr erfolgt vielleicht noch ein Beschluß aus

StPO. § 200: Zur besseren Aufklärung der Sache ...

Von der getroffenen Anordnung wird dem StA. durch Vorlegung der Aften Kenntniß gegeben. Die Ausführung des Beschlusses hat der StA. nicht zu übernehmen, s. oben § 6 S. 18. Während des bezüglichen Verfahrens wird er selbstverständlich wie in dem ordentlichen Verfahren von Terminen 2c. benachrichtigt.

1. Wenn nur eine Ergänzung der stattgehabten Voruntersuchung erfolgt ist, - und dasselbe gilt, wenn nur einzelne Beweise erhoben sind (Fall 1 und 3 des § 200), so werden nach Abschlußz der Ergänzung 2c. die Akten zunächst der StA. vorgelegt, damit diese in den Stand gesetzt werde, erforderlichenfalls ihre Anträge zu ändern oder zu ergänzen. Dies geschieht entweder durch eine förmliche Anklageergänzung (vgl. aber oben § 84 S. 331), hauptsächlich im Falle des § 198 Abs. 2, oder durch Anträge wie:

K. H. mit den Akten

An

die Strafkammer des Königl. Landgerichts

mit der Erklärung, daß ich meinen Antrag auf Eröffnung des Hauptverfahrens aufrechterhalte, die Beweismittelliste der Anklage aber noch durch Benennung des X. zu Y. als ferneren Zeugen ergänze.

2. Hat die Strafkammer aber die Eröffnung einer Voruntersuchung beschlossen (Fall 2 des § 200), so kommt die Sache hierdurch in ganz dieselbe Lage, wie wenn die Voruntersuchung auf Antrag der StA. (§ 177) eröffnet worden wäre. Der gedachte Antrag wird durch die Anklageschrift ersetzt; die letztere hat als solche keine Bedeutung mehr, und wenn die StA. nach Abschluß der Voruntersuchung aufs Neue die Eröffnung des Hauptverfahrens beantragt, so muß sie eine neue dem Ergebniß der Voruntersuchung ent

sprechende Anklageschrift einreichen (f. oben § 84 III S. 331 über deren Inhalt).

IV. 1. In der Sache selbst lautet abgesehen von § 203 bezw. § 196 Abs. 1 und § 261 Abs. 2 StPO. (f. unten §§ 101 und 109) der Gerichtsbeschluß entweder dahin, das Hauptverfahren zu eröffnen (§ 201); oder, sofern die Anklage unmittelbar erhoben war: dasselbe nicht zu eröffnen, sofern aber eine Voruntersuchung vorangegangen war: den Angeschuldigten außer Verfolgung zu sehen (§ 202).

Findet die Straffammer nach Prüfung der Sachlage, daß die That eine zur Zuständigkeit des Schwurgerichts gehörige sei, so steht die Unzulässigkeit der unmittelbaren Anklageerhebung (§ 176 Abs. 1 StPO.) der Eröffnung des Hauptverfahrens entgegen; dann hat die Strafkammer zugleich die Eröffnung der zunächst nothwendigen Voruntersuchung zu beschließen. Vgl. § 207 StPO.; auch den Schluß der Nr. III oben.

2. Hat das Gericht - um zunächst den verneinenden Fall zu erörtern — entgegen dem Antrage des StA. die Nichteröffnung beschlossen, so gelangt der Beschluß mit den Akten an den StA., und zwar in Straffammersachen in Ausfertigung, um dem Angeschuldigten zugestellt zu werden (in Schöffenfachen hatte der Amtsrichter selbst bereits zugestellt):

StPO. § 202 Abs. 3,

ebenso wie in dem oben § 76 S. 311 erörterten Falle.

Dies selbst dann, wenn der Angeschuldigte von der gegen ihn erhobenen Anklage gar nicht in Kenntniß gesetzt worden war (vgl. § 199 Abs. 4 StPO.). Vom gesetzgeberischen Standpunkte aus ist auch diese Vorschrift wenig glücklich. Hatte der Angeschuldigte von der Erhebung der Anklage keine Kenntniß erhalten (in Schöffengerichts- und Ueberweisungssachen, oben II), so ist für ihn der Beschluß vielleicht unverständlich und seine Kenntniß davon unnöthig.

a) Will der StA. bei dem Beschlusse sich beruhigen, so erläßt er neben dieser Zustellung die oben im § 76 gedachten Abschlußverfügungen.

b) Entgegengesettenfalles hat er die sofortige Beschwerde (unten § 115) nach

StPO. § 209 Abs. 2.

c) Nach Erledigung der Beschwerde beim Beschwerdegericht läßt die höhere StA. den von diesem gefaßten Beschluß mit Haupt- und Hand-Akten an die StA. zurückgelangen zur weiteren Veranlassung". Hat das Beschwerdegericht das Hauptverfahren eröffnet, also der Beschwerde stattgegeben, so liegt der Beschluß in Ausfertigung für den Angeklagten bei:

B.

1. Ausfertigung des Beschlusses dem X. zuzustellen.

2. Urschriftlich mit den Gerichtsakten

An (das erkennende Gericht).

Zugleich beantrage ich ...

d) Die Wirkung des die Eröffnung ablehnenden Beschlusses bestimmt StPO. § 210.

"

Unter neuen Thatsachen oder Beweismitteln" im Sinne dieses § sind alle diejenigen zu verstehen, welche, „nach Lage der Akten zur Zeit der Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens unbekannt, nicht benutzt werden konnten, einerlei ob sie früher oder später zur Entstehung gekommen sind" (Prot. der RTK. S. 329). Vgl. auch oben § 33 S. 133 und § 76 S. 311. Selbstverständlich müssen sie gegenüber den Gründen des Einstellungsbeschlusses

von Erheblichkeit sein. Nach Löwe Note 4 zu § 210 sollen neue Beweismittel und solche Thatsachen, welche nur für den Beweis von Bedeutung sind, gegenüber einem auf Rechtsgründen beruhenden Beschlusse nicht in Betracht kommen können: Aus dem Wortlaute des § dürfte dies nicht zu folgern sein; es würde eine Einschränkung von größter Tragweite sein.

Hat der StA. Umstände, welche hiernach unter § 210 fallen, in Erfahrung gebracht überhaupt braucht er ja nach dem Einstellungsbeschlusse nicht jede Thätigkeit seinerseits einzustellen (s. ähnlich oben § 72 S. 290), so kann er sie aufklären selbst durch Anträge beim Amtsrichter; die neue Klage hat er entsprechend dem § 407 StPO. bei „demselben“ Gerichte anzubringen; geseßliche Bestimmungen darüber fehlen (vgl. Löwe Note 5 zu § 210).

V. Ist der Beschluß auf Eröffnung des Hauptverfahrens gefaßt worden, so erhält der StA. hierüber regelmäßig eine

1. gesonderte Mittheilung nicht, sondern meist erst aus Veranlassung der darauf folgenden Terminsanberaumung (unten § 91); er erhält also Kenntniß von dem Eintritt jenes wichtigen Stadiums in Schöffensachen gar nicht, in den höheren Sachen oft erst verspätet; muß er z. B. Bericht erstatten oder Mittheilung machen (f. oben § 88) über Eröffnung des Hauptverfahrens, so mußte er vorher, mit der Anklage, ersuchen:

Von der Eröffnung des Hauptverfahrens bitte ich mir alsbald nach dem Beschlusse durch Herübergabe einer Abschrift desselben Mittheilung zu machen.

2. Auch die Zustellung des Eröffnungsbeschlusses durch den StA. erfolgt daher erst mit der Ladung des Angeklagten zur Hauptverhandlung. Gesetzlich rechtfertigt sich dieses Verfahren durch

StPO. § 214.

Praktisch ist es, daß zwei verschiedene Zustellungen, ein Hin- und Hersenden der Akten zwischen StA. und Gericht und ein ziemlicher Zeitverlust vermieden werden.

Anders etwa in Schwurgerichtssachen, falls die Terminsanberaumung nicht sogleich erfolgen kann, weil die nächste Periode noch in zu weiter Ferne ist; oder, wenn aus einem anderen Grunde der Hauptverhandlungstermin ausgesetzt werden muß.

3. Der Eingang des Beschlusses bedingt gewisse äußere Veränderungen in der Behandlung der Aften. Es wird nämlich die Sache in das Strafprozeßregister übertragen und neu bezeichnet, wie oben § 10 S. 33 gezeigt.

4. In materieller Beziehung aber prüft der StA. den Inhalt des Eröffnungsbeschlusses. Ueber den Fall, wo das Gericht, im Uebrigen entsprechend den Anträgen des StA., die Hauptverhandlung einem niederen Gerichte zugewiesen hat, s. oben § 83 S. 329. Hätte ferner das Gericht bei der Beschlußfassung die Grenzen der erhobenen öffentlichen Klage überschritten, hätte es z. B. das Hauptverfahren wegen eines gar nicht zum Gegenstande der Klage gemachten Straffalles oder gegen eine von der StA. nicht angeschuldigte Person eröffnet, so würde der Beschluß in diesem Punkte der sofortigen Beschwerde der StA. unterliegen. Dagegen kann der das Hauptverfahren eröffnende Beschluß nicht zu dem Zwecke angefochten werden, damit ein Einstellungsbeschluß erlassen werde; dies gilt auch dann, wenn die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen den Antrag der Staatsanwaltschaft beschlossen worden ist (§ 206 StPO.). Ebensowenig steht der StA. eine Beschwerde zu, wenn das Gericht die That anders, als dies in der Anklageschrift geschehen, rechtlich

beurtheilt hat; die StA. kann ihre abweichende Ansicht in der Hauptverhandlung geltend machen. Der Angeklagte kann den Eröffnungsbeschluß überhaupt nicht anfechten nach

StPO. § 209 Abs. 1.

Unabhängig aber davon, ob der Eröffnungsbeschluß angefochten wird oder nicht, ist die Wirkung desselben, daß die Anklage nun nicht mehr zurückgenommen werden kann, nach

StPO. § 154 (s. auch oben § 76 S. 301).

Ficht der StA. den Eröffnungsbeschluß nicht an, so hat er zunächst noch vielleicht einige Maßregeln zu treffen, die sich aus Nebenbeschlüssen des Gerichts ergeben. Ist z. B. erst jetzt die Untersuchungshaft beschlossen, so vollstreckt der StA. wie oben § 65 dargestellt. Gelingt die Verhaftung nicht, so ergiebt sich vielleicht folgende Verfügung:

Urschriftl. m. A.

An (das Spruchgericht)

mit dem Antrage, vor der Hand Hauptverh. Termin wenigstens gegen K. und S. anzuberaumen; gegen L. habe ich Steckbrief erlassen.

Ist eine Trennung nicht möglich, wenn z. B. der Dieb flüchtig ist und die Hehler sizen, so bleibt nichts übrig, als

mit dem Ersuchen, den K. und S. der Haft zu entlassen, da der Zeitpunkt der Ergreifung des L. unbestimmt, ohne ihn nicht zu verhandeln ist, und die anderen Angeklagten darunter nicht leiden dürfen.

Ueber die etwa nöthigen Mittheilungen und Berichte (j. auch oben § 88) ist, da sie ebenfalls regelmäßig erst nach der Terminsanberaumung (s. oben) erfolgen, gelegentlich der Ladungen (unten § 100) zu sprechen.

B. Die Vorbereitung der Hauptverhandlung.

$ 90.

1. Allgemeines.

1. Zunächst ist zu bemerken, daß es nicht immer einer Hauptverhandlung bedarf, vielmehr eine Einstellung des Verfahrens durch einen in berathender Sizung zu erlassenden Beschluß (abgesehen von dem Falle des Todes des Angeklagten s. oben § 30 S. 129) da geboten erscheint, wo ein der Strafklage entgegentretendes Hinderniß von der Art ist, daß es nicht blos die Verurtheilung, sondern auch die fernere Strafverfolgung, d. h. die Anwendung einer strafrichterlichen Zwangsgewalt gegen den Angeklagten (vgl. insbesondere § 235 StPO.), unzulässig macht. Hierher gehört der Fall, wenn die Verfolgung eines Beamten wegen einer amtlichen Handlung 2. durch die Vor= entscheidung der hierfür zuständigen Behörde für unstatthaft erklärt wird; wenn sich die Erterritorialität des Angeklagten herausstellt; wenn sich ergiebt, daß der Angeklagte zur Zeit der That noch nicht zwölf Jahre alt gewesen ist; wenn die Zurücknahme des zur Strafverfolgung erforderlichen Antrages erfolgt (Löwe Note 3 a zum V. Abschnitt). Wenn der Angeschuldigte inzwischen ins Heer eintritt, so siehe oben § 17 S. 71.

In allen übrigen Fällen aber kann die das Hauptverfahren abschließende Entscheidung nur in der Hauptverhandlung erlassen werden, und dies gilt insbesondere auch dann, wenn sich ergiebt, daß die Strafklage bereits durch Verjährung oder durch rechtskräftige Entscheidung erloschen ist.

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