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6. Die Beendigung der Verhaftung.

I. 1. Während nach erhobener Klage der StA. auf die Dauer der Untersuchungshaft eine andere Rücksicht, als die der Beschleunigung einer Haftsache überhaupt, nicht zu nehmen hat, schränkt ihn vor Erhebung der Klage ein der StPO. § 126.

a) Abs. 1 giebt die Aufhebungsgründe nicht vollständig: der Amtsrichter ist befugt, vor Ablauf der Frist auch ohne und selbst gegen den Antrag der StA. den Haftbefehl aufzuheben, wenn er der Meinung ist, daß der Grund der Verhaftung weggefallen sei.

"

b) 3ur Kenntniß des Amtsrichters gelangt ist": auch der StA. kann dieser Mittheilung sich unterziehen, amtlich, aber nicht nothwendig in urfundlicher Form, vielleicht selbst telegraphisch.

c) Abs. 2 ist in der Fassung wenn zur... nicht genügt" verfehlt: es kommt vielmehr darauf an, ob innerhalb der betr. Frist auch das Hauptverfahren eröffnet werden kann (Loewe Note 5 zu § 126).

d) Die Fassung des Abs. 2 scheint es zu bedingen, daß der Amtsrichter erst nach Prüfung der Sachlage, also der Akten, die Verlängerung ausspricht. Dies ist aber in den allermeisten Fällen unmöglich, ohne zugleich das Ermittelungsverfahren erheblich aufzuhalten und so die Absicht des Gesetzes in das Gegentheil zu verkehren. Das ganze System der zweimaligen Verlängerung ist unpraktisch.

2. Geht die Nachricht von der Vollstreckung eines Haftbefehls ein, so verfügt der StA. sofort und zuerst:

1. Ersuchen um Haftfristverlängerung (1 Woche.)

Die Ausführung dieser Verfügung geschieht durch ein Formular.

Ist der Verhaftete einem anderen Amtsgericht zugeführt als dem, welches den Haftbefehl erlassen hat, so ist dies dem gewöhnlichen Tert des Formulars zuzufügen:

1. Ersuchen um Haftfristverlängerung (1 Woche).

Zusa: X. ist am . . . auf Grund des dortigen Haftbefehls vom
ergriffen und dem Amtsgericht in . . . zugeführt worden.

Das Amtsgericht verfügt dann die Haftfristverlängerung und schickt das Formular mit dieser Verfügung zurück. Hierauf erfolgt, wenn nicht die Sache inzwischen völlig fertig gemacht werden konnte, Seitens des StA. wiederum sofort die Verfügung:

Ersuchen um Haftfristverlängerung (2 Wochen).

Die sonstigen Verfügungen laufen durchaus unabhängig von dieser Verfügungsreihe auf den jeweiligen Vorlagestücken. Selbstverständlich kann aber das Ersuchen um Haftverlängerung auch zugleich mit einer materiellen Verfügung erfolgen; auch steht nichts im Wege, schon mit dem Antrage auf Erlaß des Haftbefehls gegen einen vorläufig Festgenommenen die Verlängerung der zukünftigen Haftfrist um eine Woche zu beantragen; dagegen muß der Antrag auf Verlängerung um weitere 14 Tage immer bejonders gestellt werden (Loewe Note 7 zu § 126).

Der Amtsrichter seinerseits hat, wie schon oben erwähnt, selten überhaupt die Möglichkeit, es nachzuprüfen, ob die bisherige Frist zur Vorbereitung und Erhebung der Anklage genügend ist", weil ihm eben die Aften nicht zur Verfügung stehen. Aber auch wenn er diese hat, wird er es selbst bei einfachen

Sachen nicht immer übersehen können, worin für die StA. Hindernisse der sofortigen Anklageerhebung liegen (z. B. noch ausstehende Ermittelungen über ähnliche Fälle, die anscheinend von demselben Thäter begangen sind, Feststellungen über die Richtigkeit der Personalien). Es wird im Falle einer etwaigen Ablehnung des Verlängerungsantrags die Beschwerde des StA. (siehe unten § 115) selten ohne Erfolg bleiben.

3. Meinungsverschiedenheiten zwischen StA. und Amtsrichter können auch in dem Falle entstehen, wenn der Beschuldigte bereits in anderer Sache in Untersuchungshaft sitt (s. oben § 63 III 2). Ist nämlich auch der zweite Haftbefehl dem Beschuldigten bekannt gemacht worden (s. § 69), so ist der Richter häufig der Ansicht, daß mit dieser Bekanntmachung der Haftbefehl im Sinne des § 126 StPO. vollstreckt sei, und daß also damit auch bezüglich dieses Haftbefehls die vierwöchentliche Frist zu laufen beginne. Dies ist irrthümlich. Vollstreckt wird der Haftbefehl dann, wenn er in Wirksamkeit tritt; wirksam aber wird er erst, wenn auf Grund gerade dieses Haftbefehls die Festhaltung erfolgt, wenn also der frühere Haftbefehl in Wegfall gekommen ist. Ueber die Maßnahmen, um letzteren Zeitpunkt zu erfahren, s. oben § 63 III 2.

4. Aus demselben Gesichtspunkte ist die Frage zu beantworten, von welcher Zeit an die Haftfrist läuft, wenn gegen einen vorläufig Festgenommenen (oben § 62) Haftbefehl erlassen wird: ob von dessen Festnahme, oder von dem Erlaß des Haftbefehls an. Hier kann von einer Vollstreckung des Haftbefehls erst die Rede sein, wenn er überhaupt erlassen ist; mit demselben Zeitpunkt aber wird er auch vollstreckt: die Haftfrist läuft also vom Erlaß des Haftbefehls an (Loewe Note 4 b zu § 126).

5. War endlich der Beschuldigte zur Zeit des Erlasses des Haftbefehls in Freiheit und wird er auf Grund des Haftbefehls ergriffen, so erfolgt mit letterem Zeitpunkte die Vollstreckung des Haftbefehls (Loewe ebenda); von hier an also laufen die Haftfristen.

II. Abgesehen von dem Falle des Haftfristablaufes tritt die Entlassung auch ein vermöge anderweiter Aufhebung des Haftbefehls:

StPO. § 123.

"

Die Worte wenn der in demselben. . . weggefallen ist" besagen keinesfalls, daß es sich nur um Wegfall der Verdunkelungsgefahr und des Fluchtverdachts handele, vielmehr ist geeignetenfalls auch wegen Verminderung der Verdachtsgründe der Haftbefehl aufzuheben. In der Praris treten noch andere Fälle hinzu, in denen man zur Entlassung schreitet. So z. B., wenn der Hauptbelastungszeuge nicht gefunden wird, ohne den eine Aburtheilung des Verhafteten nicht wohl erfolgen kann.

III. 1. Hält der StA. den Fall der Entlassung für gegeben, so beantragt er die Aufhebung entweder von selbst, oder er erklärt sich (§ 33 StPO., s. unten § 104) bei Anträgen einverstanden. Thut er dies lettere in der Voruntersuchung nicht, so hat das die in § 124 Abs. 2 StPO. hervorgehobene besondere Wirkung. Ist der in dem Haftbefehl angegebene Grund weggefallen, nunmehr aber ein anderer Grund hervorgetreten, so beantragt er Aufrechterhaltung aus dem letzteren.

2. Aus der Aufhebung folgt noch nicht immer die völlige Freilassung; siehe z. B.

Allg. Verf. v. 25. Oct. 1882 (JMBI. 325), oben in § 34 . 138, wegen solcher Personen, die wegen Geisteskrankheit entlassen werden. 3. Eine Bestimmung betr. Ausländer (vgl. ferner unten § 129) giebt

JMErlass v. 5. April 1894 (I. 1717): Es liegt im Interesse der Polizeibehörden, hinsichtlich solcher Ausländer, welche sich im Inlande in gerichtlicher Untersuchungs- oder Strafhaft befinden, von der bevorstehenden Entlassung rechtzeitig Kenntniss zu erhalten, um nöthigenfalls deren Beobachtung oder Ausweisung veranlassen zu können. Ich bestimme daher, dass in Zukunft von jeder bevorstehenden Entlassung von Personen der bezeichneten Kategorie der Ortspolizeibehörde so zeitig Nachricht zu geben ist, dass diese Behörde spätestens zur Stunde der Entlassung von letzterer unterrichtet ist.

Die Verpflichtung zur Ertheilung dieser Nachricht liegt im Falle der Strafthat der Vollstreckungsbehörde, im Falle der Untersuchungshaft der StA. und bei Gefahr im Verzuge demjenigen Richter ob, der die Aufhebung des IIaftbefehls anordnet. Angehörige eines anderen zum Deutschen Reiche gehörigen Bundesstaates werden selbstverständlich von dieser Verfügung nicht betroffen, da dieselben nach Artikel 3 der Reichsverfassung nicht „Ausländer" sind.

4. Wegen der Benachrichtigungen bei der Entlassung von Beamten usw. f. oben § 64.

5. Wegen der Unterstüßung eines mittellofen Entlassenen s. unten § 177. 6. Die erfolgte Aufhebung steht einer Wiederverhaftung nicht entgegen, wenn ein neuer Grund eintritt.

IV. Ein Entlassungsgrund endlich ist die Sicherheitsleistung. (Ist der Haftbefehl noch nicht vollstreckt, so wendet sie die Vollstreckung ab, siehe oben § 63 V 1). Ihn regelt

StPO. § 117.

Die Entscheidung darüber ergeht durch das Gericht, welches für die Haft zuständig ist (§ 124 StPO., s. oben § 63). Bei seinen Erklärungen (§ 33 das., f. unten § 104) zu diesem Anlaß, hat der StA. einmal zu erwägen, daß es nicht sowohl darauf ankommt, aus welchem Grunde die Verhaftung angeordnet worden ist, als vielmehr darauf, welcher Verhaftungsgrund zu der Zeit besteht, zu welcher die Sicherheitsleistung in Frage kommt; es kann ein früher vorhandener Grund inzwischen in Wegfall gekommen, aber auch ein neuer Grund hinzugetreten sein. Sodann aber muß der in der Sicherheitsleistung liegende Zwang, nicht zu fliehen, auch nach Lage des Falles wirksam erscheinen. „Es giebt strafbare Handlungen, bei denen die Schwere der den Angeschuldigten muthmaßlich erwartenden Strafe nothwendig die Vermuthung begründen muß, daß der Angeschuldigte ohne Rücksicht auf die Art und Höhe der Sicherheit sich lieber dem Verfall, als der Vollstreckung der Strafe unterwerfen werde, und es liegt mithin in der Natur der Sache, daß in vielen Fällen die Schwere des Delikts die Freilassung des Angeschuldigten gegen Sicherheitsleistung ausschließen wird" (Loewe Note 3 zu § 117).

Ueber die Art der Sicherheitsleistung, zu der der StA. gleichfalls durch Erklärung Stellung zu nehmen haben kann, verhält sich

StPO. § 118.

Auf weitgehende Prüfung der Güte der Papiere, Pfänder, Bürgen braucht man sich nicht einzulassen; schon Zweifel genügen zur Ablehnung. Auch wird der StA. im Falle des

StPO. § 119

vorweg, ohne auf die Sicherheit selbst einzugehen, widersprechen, solange nicht die Frage des Zustellungsbevollmächtigten, auch durch von diesem erklärte Annahme, erledigt ist. Hinterlegungsbevollmächtigter kann auch der Vertheidiger sein.

Die Sicherheitsleistung schüßt einmal nur in dieser Untersuchung, sodann aber auch hier nicht unbedingt:

StPO. § 120.

Das Freiwerden der Sicherheit regelt

StPO. § 121.

Das Freiwerden erfolgt von selbst; aber eine gerichtliche Entscheidung darüber ist doch wohl nöthig, da die Voraussetzungen zweifelhaft sein können. Ein fernerer Fall des Freiwerdens der Sicherheit ist selbstverständlich der, daß der Beschuldigte stirbt (s. oben § 30 S. 129).

Das Verfallen der Sicherheit regelt

StPO. § 122.

Nach dem

JMErlass v. 25. Feb. 1896 (I. 1009)

entfallen von einer für verfallen erklärten Sicherheit die Zinsen vom Tage der Hinterlegung, nicht erst vom Tage der Erklärung ab. Nach Verfügung der Oberstaatsanwälte wird über jede darüber vorkommende Entscheidung mit den Akten zu berichten sein.

Fünfter Abschnitt.

Die Entschließung darüber, ob die öffentliche Klage
zu erheben ist.

§ 71.

I. Allgemeines.

Ist der Sachverhalt erforscht“, so trifft der StA. seine Entscheidung über das Ergebniß.

1. Die Fragen: a) wie weit die Ermittelungen zu treiben sind, b) wie lange sie dauern dürfen, c) und ob nicht schließlich noch gewisse besond ere Erwägungen mitzusprechen haben, unterliegen dem staatsanwaltschaftlichen Ermessen.

Erwägungen der zu c) erwähnten Art kommen nur in Frage bei den oben §§ 27-29 gedachten Ausnahmen von der Anklagepflicht.

Hinsichtlich der zu b) erwähnten Dauer ergiebt sich eine Beschränkung aus § 126 StPO. bezüglich der Haftfrist (s. vor. §). Sodann aber ist in einem Falle die Entschließung selbst befristet. In dem Verfahren auf die oben S. 52 unter 4 erwähnten Anzeige über Schließung eines Vereins durch die Polizei ist nämlich zu beachten

Verordn. v. 11. März 1850 (GS. 277) § 16: Findet die StA. die angeblichen Gesetzwidrigkeiten nicht geeignet, eine Anklage darauf zu gründen, so hat die Ortspolizeibehörde auf die durch die StA. binnen

weiteren 8 Tagen zu ertheilende Nachricht die Schliessung des Vereins aufzuheben. Anderenfalls muss die StA. ebenfalls binnen 8 Tagen entweder die Anklage erheben oder binnen gleicher Frist die Voruntersuchung beantragen.

Zu beachten sind auch die kurzen Verjährungsfristen in Preßsachen, f. oben § 56.

II. Hauptsächlich handelt es sich aber um die zu a) erwähnte Frage. 1. Sie bedeutet nach materieller Richtung hin: welcher Grad von Gewißheit soll erbracht? in formeller Richtung: welche Menge beweis kräftiger Thatsachen soll gesammelt sein? Beides ist umfaßt durch den Ausdruck „genügender Anlaß" in dem hier grundlegenden

StPO. § 168.

2. Für alle Fälle jei im Allgemeinen bemerkt, daß die StA. die Anflagepflicht hier ebenso wie bei der Frage des ersten Einschreitens (vgl. oben § 26) beobachten muß, und ferner, daß sie zweifelhafte Rechtsfragen regelmäßig zur Entscheidung der Gerichte bringen und daß sie endlich die Erhebung der Klage nicht auf Grund ihrer eigenen Rechtsansicht unterlassen wird, wenn die lettere mit der Rechtsprechung der Gerichte und insbesondere mit der des höchsten Gerichtshofes im Widerspruch steht. Abgesehen hiervon aber ist sie in der Entschließung frei, es sei denn, daß besondere Anweisungen sie binden (j. unten § 72).

3. Ob der „Anlaß" genüge, ist verschieden beim Antrag auf Voruntersuchung (s. unten § 76) und bei der Anklageschrift (unten §§ 77 ff.).

a) Wo eine Voruntersuchung nothwendig ist oder doch angemessen erscheint, da fällt gerade ihr die Aufgabe der Beweissammlung zu, und somit ist für den Antrag auf Voruntersuchung ein geringstes Maß von Verdachtsgründen genügend.

b) Die Erhebung der Anklage aber darf nicht eher erfolgen, als bis zu erwarten ist, daß auf die Anklage hin auch die Eröffnung des Hauptverfahrens vom Gericht beschlossen wird. Das Gericht aber beschließt diese Eröffnung gemäß

StPO. § 201,

wenn der Angeschuldigte einer strafbaren Handlung „hinreichend verdächtig" erscheint (§ 89 unten). Vgl. auch

StPO. § 188.

a. Dabei ist jedoch für die Anklageschriften nicht überall der gleiche Maßstab anzulegen. Die Mot. S. 174 bemerken: „Es ist nicht zu verkennen, daß bei geringfügigen Strafsachen, namentlich bei Polizeiübertretungen, zur Eröffnung des Hauptverfahrens ein geringeres Maß von Beweisen genügen wird und muß, und man wird eine genauere Aufklärung der Sache im Wege von Vorerörterungen schon deßhalb ausschließen müssen, weil die Vornahme solcher nicht selten einen größeren Uebelstand darstellen würde, als eine etwa voreilige Eröffnung des Hauptverfahrens. Unbedenklich wird beispielsweise die Anzeige eines öffentlichen Beamten bei einer Polizeiübertretung zur Erhebung der Anklage genügen."

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B. Auf eine allgemeine Formel läßt sich die Frage, ob genügender Anlaß" vorliegt bezw. ob der Angeschuldigte hinreichend verdächtig" ist, nicht bringen. Vgl. auch Loewe Note 3 zu § 201. Die ebenda abgedruckten Ausführungen der Motive dürften noch immer die beste Handhabe bieten.

7. Der StA. hat die Gesichtspunkte des

JMErlass v. 14. Dec. 1894 (abgedruckt oben S. 174)

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