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in Rom, die übrigen 16pCt. in anderen Gemeinden der Provinz geboren. Die Anstalt ist finanziell zur Hälfte auf Einkünften durch Stiftungsgelder, zur Hälfte auf Beiträgen, die die Kommunen gesetzlich zu leisten haben, fundiert. Die Ausgaben belaufen sich jährlich auf 600000 Lire. Im Jahre 1871, seit welcher Zeit zahlenmässige Angaben darüber vorhanden sind, wurden 1064 Kinder aufgenommen. Diese Zahl erfuhr im Laufe der Zeit eine gelegentliche Steigerung bis auf gegen 1600, sank dann wieder und hielt sich in den letzten Jahren ungefähr auf der Höhe von 1000 Aufnahmen im Jahr. Die Verminderung der Zahl der aufgenommenen Kinder gegenüber früheren Jahren erklärt sich dadurch, dass seit 1886 nicht mehr wie früher auch legitime Kinder und Kinder bekannter Erzeuger, sondern nur noch uneheliche Kinder unbekannter Erzeuger aufgenommen werden.

Die Anstalt ist seit etwa 15 Jahren in einem Hause vornehmen. Aussehens, das ursprünglich nicht zu diesem Zweck erbaut worden. ist, untergebracht und liegt auf dem Monte Gianicolo in schöner Umgebung. Ausser den Räumen für die Verwaltung sind 7 Säle für je 10-20 Kinder vorhanden. Daneben gibt es besondere Zimmer im oberen Stockwerk für die Unterbringung kranker Kinder. Im ganzen ist Platz für etwa 100 Kinder; gelegentlich ist aber die Zahl schon überschritten. Bei voller Belegung ist der Raum etwas knapp, namentlich fehlen besondere Tagesräume sowohl für die Kinder als die Ammen. Im übrigen aber zeichneten sich die sämtlichen Räume durch gute Luft, Helligkeit und peinliche Sauberkeit aus.

Der Betrieb ist in der Weise geregelt, dass die unehelichen Kinder unbekannter Abstammung aus der Provinz Rom, soweit die einzelnen. Kommunen den vertragsmässigen Beitrag an das Institut zahlen (es) sind dies ausser der Stadt Rom 2 der sämtlichen Kommunen der Provinz) hier umsonst Aufnahme finden, sei es, dass sie alsbald nach der Geburt aus Krankenhäusern oder Gebäranstalten oder aus den Privatwohnungen (durch die Hebammen) hierher gebracht oder kürzere oder längere Zeit nach der Geburt von den Müttern oder sonst wie der Anstalt zugeführt werden. Unter den 7208 aufgenommenen Kindern des Zeitraums 1899-1905 waren fast 88 pCt., welche innerhalb der ersten 4 Tage (30 pCt. bereits am 2. Tage) aufgenommen wurden; die übrigen waren schon älter, meist allerdings nicht über einen Monat, jedoch mehrfach auch darüber hinaus bis zu einem Jahr, und in

2 Ausnahmefällen bereits über 1 Jahr alt. Von den 6052 in Rom geborenen Kindern, die in dem genannten Zeitraum im Findelhaus

Aufnahme fanden, waren 4621 oder 76 pCt. in verschiedenen Mutterschaftsanstalten geboren, der kleinere Rest von 24pCt. in Privatwohnungen.

In der Anstalt werden die Säuglinge zunächst, soweit es möglich ist, durch Ammen, im übrigen sehr bald mit künstlicher Nahrung grossgezogen. Die Zahl der Ammen, die täglich durchschnittlich in der Anstalt beschäftigt sind, beläuft sich auf etwa 23: jede Amme bekommt 1, höchstens 2 Kinder zum Stillen. Ein längeres Verbleiben der Findelkinder in der Anstalt liegt nicht im Plane der letzteren, vielmehr werden die Kinder sobald als möglich aufs Land ausserhalb der Stadt gebracht, und zwar die Säuglinge an Nährmütter, die grösseren Kinder an Zieheltern. Der durchschnittliche Aufenthalt der Säuglinge in der Anstalt selbst, der im Laufe der Jahre zugenommen hat, beläuft sich jetzt auf etwa 20 Tage. Die Zahl der bei Nährmüttern ausserhalb der Anstalt untergebrachten Kinder betrug in dem mehrfach genannten Zeitraum 5223 oder 86 pCt.; leider ist die Zahl von Jahr zu Jahr gesunken und betrug im Jahre 1905 nur noch 64 pCt. Eine grössere, und zwar von Jahr zu Jahr zunehmende Zahl von solchen Ammenkindern musste wegen Erkrankungen der Kinder oder Hinderungsgründe seitens der Zieheltern von ausserhalb wieder zur Anstalt zurückgebracht werden; in den letzten der Berichtsjahre waren dies 90 von 616 oder 14pCt. Auch von den bereits erwähnten in auswärtiger Pflege untergebrachten Kindern musste eine grössere Anzahl, welche im Zunehmen begriffen ist, der Anstalt wieder zugeführt werden; es waren dies im Laufe der 7 Jahre 2384, im letzten Jahr 359 Kinder.

Was wird nun aus diesen Findelkindern? Ein Teil wird nachträglich von der Mutter oder den beiderseitigen Eltern, in seltenen Fällen auch von dem unehelichen Vater allein anerkannt und aus der Fürsorge der Findelanstalt entlassen und an Vater, Mutter oder beide Eltern zurückgegeben1). Die Zahl der so anerkannten Kinder ist von Jahr zu Jahr in erfreulicher Zunahme begriffen und betrug während des siebenjährigen Zeitraums insgesamt 805 oder 11 pCt. der gesamten Findelkinder. Erklärlicherweise ist bei den. zurückgegebenen Kindern die Zahl der bereits entwöhnten älteren

1) Anmerkung: Nach dem codice civile kann das natürliche Kind von Vater, Mutter oder beiden anerkannt werden, bestimmte Ausnahmefälle abgesehen (wie bei Verwandtschaft der Eltern in einem die Ehe ausschliessenden Grade).

Kinder bedeutend grösser als diejenige der Säuglinge (621 gegenüber 184). Die Anerkennung und Zurückforderung ihrer Kinder erfolgt am häufigsten durch die Mütter allein, selten durch beide Eltern und nur ganz vereinzelt durch die Väter. Es ist nicht uninteressant festzustellen, dass in ganz Italien von durchschnittlich jährlich 64386 unehelich geborenen Kindern mehr als die Hälfte, nämlich 58 pCt., von einem oder beiden der Eltern im Augenblick der Geburt anerkannt und nur der Rest von 26882 jährlich zum grössten Teil der öffentlichen Fürsorge anheimfällt. Auch diese Zahl ist in deutlicher Abnahme begriffen, was gewiss als erfreulich anzusehen ist.

Von wesentlicher Bedeutung für die ganze Beurteilung dieser Art von Findelfürsorge sind die Sterblichkeitsverhältnisse. Hierüber ist. folgendes zu sagen. Im Durchschnitt von 6 Jahren starben von den in der Findelanstalt selbst untergebrachten Kindern des ersten Lebensjahres jährlich 26,9 pCt. Die Sterblichkeitsziffer zeigt eine deutliche Tendenz der Zunahme für die letzten Jahre. Dagegen ist die Sterblichkeit der in der Aussenpflege bei Nährmüttern untergebrachten Säuglinge erstens an sich wesentlich geringer, nämlich im Durchschnitt von 6 Jahren 18,4 pCt., und zeigt zweitens eine Abnahme von Jahr zu Jahr, sodass für das Jahr 1904 nur noch eine Sterblichkeit von 14,47 pCt. besteht (gegenüber 23,37 pCt. im Jahre 1899). Diese erhöhte Sterblichkeit der in der Anstalt selbst untergebrachten Säuglinge ist zunächst ja geeignet, das ganze Institut als ungeeignet und bedenklich erscheinen zu lassen. Wie aber bei näherer Ueberlegung sich herausstellt, und wie dies von Pagliari in der zitierten Abhandlung dargelegt wird, liegen verschiedene Ursachen vor, von denen. manche im Wesen jeder solchen Anstalt beruhen, andere aber ganz unabhängig davon sind. Jede Anhäufung von kleinen Kindern bringt die Gefahr mit sich, dass gewisse Krankheiten auftreten und sich verbreiten. Eine ganze Anzahl der in die Anstalt verbrachten Kinder ist von vornherein in elendem, marastischem Zustande, sodass auch die beste Anstaltspflege nicht imstande ist, den nahen Tod aufzuhalten. Da es häufig an Ammen fehlt, muss eine grössere Zahl von Säuglingen künstlich ernährt werden. Die Anstalt in Rom ist eigentlich nur für 40 Kinder bestimmt, hat aber bei dem grossen Andrang aufzunehmender Kinder erheblich mehr Kinder aufnehmen müssen, wodurch ein gewisser Platzmangel eingetreten ist, und die Zahl der Ammen und Wärterinnen im Verhältnis zur Zahl der Kinder etwas hat zurückbleiben müssen; während nämlich 1899 die DurchschnittsVierteljahrsschrift f. ger. Med. u. öff. San.-Wesen. 3. Folge. XXXIX. 2. Suppl.-Heft. 5

zahl der täglich verpflegten Säuglinge nur 51 betrug, stieg diese Zahl 1905 bis auf 98. Diese und andere Gründe machen es vollkommen erklärlich, dass die Sterblichkeit der Säuglinge in der Anstalt selbst höher ist als bei den Aussenkindern, ohne dass man deswegen berechtigt ist, die Anstaltspflege etwa fallen zu lassen. Soweit Abhilfe geschaffen werden kann, wird es allerdings notwendig sein - und Pagliari spricht sich ganz offen hierüber aus, indem er seine bezüglichen Vorschläge macht Verbesserungen einzuführen. Hierzu würden gehören: Erweiterung der Unterkunftsräume für Kinder und Pflegepersonal, Errichtung von besonderen Pavillons zur Unterbringung der an Infektionskrankheiten leidenden Kinder, Vermehrung des Pflegepersonals, Beschaffung eines eigenen Kuhstalles usw. Wie ich bei meinem Besuch der Anstalt hörte, wird zunächst eine Erweiterung durch Errichtung von 2 Pavillons in dem zur Anstalt gehörigen, geräumigen Garten geplant.

Es bleibt noch zu erwähnen, in welcher Weise die weitere Sorge für die nach ausserhalb in Pflege gegebenen Kinder seitens der Findelanstalt von statten geht. Ueber jede Nährmutter, welche einen Säugling aus der Anstalt zum Aufziehen haben will, wird zuvor ein genauer Fragebogen ausgestellt, auf dem der Ufficiale sanitario den Gesundheitszustand der Nährmutter genau zu beschreiben und namentlich sich über etwaige Tuberkulose und Syphilis zu äussern und ein Urteil über die Stillfähigkeit abzugeben hat. Fällt das ärztliche Urteil und das Zeugnis des Bürgermeisters über die moralische und sonstige Qualifikation günstig aus, so erhält die Nährmutter mit dem Kinde

dem als Erkennungszeichen eine numerierte Medaille um den Hals gehängt wird ein Büchlein, in dem der Name und der Geburtstag des Kindes und Name und kurze Personalbeschreibung der Nährmutter selbst verzeichnet sind und in welchem abreissbar Blätter mit Vordrucken zu Bescheinigungen des Bürgermeisters über die anhaltende Pflege und des Arztes über etwaige Erkrankung des Pfleglings (an Lues) und den Allgemeinzustand des Kindes und der Nährmutter zur Einsendung an die Findelanstalt enthalten sind. Es wird damit bezweckt, dass die Anstalt dauernd über den Zustand der Pfleglinge unterrichtet bleibt. In dem Brefotrofio werden über jedes hier eingelieferte und nach auswärts in Pflege gegebene Kind Listen geführt, in die laufende Eintragungen über den Gesundheitszustand usw. gemacht werden. Nährmutter und Pflegeeltern, welche vom Tage der Annahme des Kindes dasselbe 2 Jahre ununterbrochen bei sich gehabt haben, erhalten eine Prämie von

10 Lire. Der beamtete Arzt hat die Verpflichtung, jedes in fremde Pflege untergebrachte Kind seines Bezirks regelmässig zu besuchen und zu besichtigen. Die Aerzte der Findelanstalt selbst machen gelegentliche Inspektionsreisen, um sich selbst von dem Gesundheitszustand ihrer Findelkinder zu überzeugen.

Das Pflegegeld, um auch das kurz zu sagen, beträgt für die Kinder des ersten Lebensjahres 12 Lire, für die Kinder vom zweiten bis zehnten Jahre 4 Lire monatlich.

Bei besonderen Erkrankungen, so stets bei Erkrankung an Syphilis, werden die Kinder nach erfolgter Bescheinigung durch den Uffizio sanitario auf Kosten der Anstalt in diese zurückgeholt.

Die Syphilis in der hereditären Form ist es besonders, die die grösste Aufmerksamkeit erfordert, damit weitere Uebertragungen durch die damit behafteten Säuglinge auf ihre Nährmütter verhindert werden. Nach einer Mitteilung von Silvestri1) findet man unter den unehelichen Kindern bis zu 35, ja bis zu 40 pCt. (!) mit Syphilis behaftete. Eine vom Staate veranstaltete Enquete vom Jahre 1900 ergab, dass in denjenigen Provinzen, in denen Brefotrofien existieren, in dem Zeitraum von 1890-1896 unter den versorgten Kindern 7677 Fälle von manifester oder verdächtiger Syphilis festgestellt wurden. Diese Zahl ist nach Ansicht von Silvestri zu niedrig gegriffen. Aus diesem Grunde schon ist die sorgfältige regelmässige Ueberwachung der auf dem Lande untergebrachten Findelkinder durch die beamteten Aerzte, wie sie vorgeschrieben ist, durchaus notwendig. Die Fälle, in denen Einzelerkrankungen ehrenwerter Nährmütter der aus den Brefotrofien ihnen überwiesenen Findelkinder an Syphilis der Brustwarze und ganze Familienepidemien von Syphilis, ausgehend von den Findelkindern beobachtet werden, sollen nicht zu den Seltenheiten gehören. Seitens der Verwaltung des Brefotrofio in Rom wird in Rücksicht auf die Möglichkeit dieser Uebertragung der Syphilis den Nährmüttern, welche nachweislich durch die ihnen anvertrauten und genährten Säuglinge sich infiziert haben, nicht nur freie ärztliche Behandlung, sondern auch noch eine bare Entschädigung von 30 Lire bewilligt.

Bei sonstigen Erkrankungen der Nährmütter, Aufhören der Stillfähigkeit und Eintreten von Schwangerschaft, hat nach Untersuchung durch den beamteten Arzt, welcher auch hierüber sofort der Anstalts

1) Anmerkung: Per la profilassi sifilitica in rapporto all' allattamento degli esposti. Milano 1906.

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