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1 Novbr.

10. Novbr.

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v. Bieberstein war unter den Toten. Vom Königin Elisabeth-
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Regiment waren außer dem Obersten die Leutnants v. Schönitz
und v. Merckel gefallen, vom Kaiser Franz-Regiment Haupt-
mann v. Obstfelder, vom Schüßenbataillon Leutnant v. Reclam
und der 17jährige Leutnant v. Haugwitz, der als einzig unver-
wundeter Offizier am Abend des 18. August das Bataillon aus
dem Gefechte geführt hatte. Der Brigadeadjutant Premier-
leutnant v. Berg wurde schwer verwundet. Unser Verlust an
Mannschaft belief sich auf 450 Mann. Der Verlust des Feindes
an Toten und Verwundeten war mindestens ebenso groß. An
einzelnen Stellen lagen die Leichen hochgetürmt, Freund und
Feind. Auch ein französischer Oberst (Baroche) fand sich im
Dorfe unter den Erschlagenen. An Gefangenen verloren die
Franzosen gegen 30 Offiziere und 1200 Mann, meist vom 28.
und 34. Marschbataillon, dem 14. und 42. Bataillon der
Garde mobile und Franctireurs.

Abends halb 9 Uhr löste die 6. Kompanie die 7., welche gestern die Vorposten in dem wiedergenommenen Dorfe bezogen hatte, ab. Die 7. Kompanie bezog Kantonnements im Schlosse von Le Blanc Mesnil. Heute wurden in Bonneuil und Arnouville die am 30. gefallenen Offiziere beerdigt.

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Unser kommandirender General Prinz August v. Württemberg dankte in einem Tagesbefehl Offizieren, Unteroffizieren und Soldaten für die Ehre, welche sie dem Gardekorps wieder erkämpft hatten. Die Verluste, mit denen der Sieg erkauft ist, sind groß", sagte der Befehl, aber das Gardekorps hat dafür einen neuen Ruhmestag in seiner Geschichte gewonnen.“ Und wahrlich, im Geiste derer, die dem Gardekorps und speziell dem Regiment Königin angehört haben oder angehören, wird der 30. Oktober als ein Tag hohen Rühmes, aber auch tiefer Trauer fortleben in allen Zeiten.

Die letzten Tage waren außer einer am 8. stattgehabten starken Kanonade der Franzosen gegen Le Bourget ziemlich ruhig verlaufen. Eine halbe Stunde weit hörten wir das Ges prassel der in die Vorräte der Porzellanfabrik von Le Bourget

einschlagenden Granaten. Heute wurden wir alarmirt, alle Anzeichen hatten auf einen ernsthaften Angriff des Feindes gegen unsere Stellungen gedeutet, der Feind unternahm jedoch nichts. fast jede Nacht erhellen die Franzosen von den forts aus das Vorterrain mit elektrischem Lichte. Unsre Patrouillen und Posten lassen sich dann stets zur Erde fallen, da man darauf rechnen kann, daß im nächsten Augenblick die zuckerhutförmigen Granaten ansausen.

Glücklicherweise krepiren die meisten dieser Geschosse nicht, wühlen aber kolossale trichterförmige Löcher in der Erde auf, in welche bei dunkler Nacht unsere Patrouillen, welche fast allnächtlich in und bei Drancy mit französischen Patrouillen zusammenstoßen und Schüsse wechseln, oft genug hineinstürzen. Wir haben uns jetzt schon an das zu allen Tages- und Nachtzeiten hörbare Blasen französischer Signale gewöhnt und messen ihm gar nicht mehr die Wichtigkeit bei wie in erster Zeit. An hellen Tagen können wir deutlich sehen, wie die franzosen evolutioniren oder an ihren Befestigungen arbeiten, Schützengräben auswerfen u. s. w.

Dieser Tage haben wir unter Aufsicht und Leitung des 14. Novbr. Zahlmeisters Kartoffeln ausgegraben. Wie öde und tot lag doch die ganze Gegend da, in den Dörfern außer Soldaten keine Menschenseele, kein Fuhrwerk auf den sonst belebten Landstraßen, kein Bahnzug auf den verlassenen, teilweis zerstörten Schienenwegen. Hüben und drüben durch nur kurze Entfernung die unsrige und die französische Postenlinie getrennt. Alles zwischen den beiden Postenketten liegende Terrain tot; selbst die Vögel aus der Luft verscheucht durch das Surren und Sausen der Granaten. Heute nachmittag 21 Uhr wurde das

Regiment alarmirt.

Wir rückten in die Stellung von Pont Jblon, wo wir bis zum Abend verblieben. Dann löste das 2. Bataillon das 1. in den Baracken ab. Premierleutnant v. Saldern ist zum Hauptmann, die Sefondeleutnants Braumüller und v. Frobel sind zu Premierleutnants, die Avantageure Cleve und Sirt v. Arnim zu Portepeefähnrichen befördert.

29. Novbr.

1. Dezbr.

12. Dezbr.

Zwischen Vorpostendienst und Arbeiten, Ererziren und Instruktionsstunden über Feldwachtdienst vergingen in ereignisloser Stille die vorhergehenden Tage. Am 27. hatten wir Quartierwechsel und kamen nach Villepinte. Heute schon in der Frühe begannen die Franzosen einen Kanonendonner, wie wir ihn seit Beginn der Belagerung noch nicht gehört. Um 3 Uhr nachmittags rückten wir von Villepinte aus und marschirten in die Stellungen von Sevran, welche die Sachsen verlassen hatten, um den durch einen Ausfall der Franzosen hart bedrängten Württembergern beizustehen. Abends 8 Uhr kehrte das Regiment in die innegehabten Kantonnements zurück.

Gestern und heute Alarmirung. Halb 10 Uhr gestern morgen marschirten wir nach Sevran, nachmittags zogen wir bei dem Städtchen Livry auf Vorposten. Auf einem Patrouillengange statteten wir hier einem reizenden Landhäuschen kurzen, aber lohnenden Besuch ab. 170 Flaschen Champagner fanden sich hier als willkommene Stärkung für die Kameraden vor. Dem vielen Toilettenkram und herumliegenden, lediglich weiblichen eleganten Garderobestücken nach mußte eine Dame hier ihrer Idylle mit all den Cliquots und Moet et Chandons gelebt haben. Wir schlugen einigen Flaschen gleich den Hals ab und tranken auf das Wohl der leider abwesenden Besitzerin und liebenswürdigen Spenderin all der Silberhälse.

Die ersten Anzeichen, daß unser Generalstab wirklich zum Bombardement von Paris schreiten will, sind in den ersten angekommenen schweren Geschützen vorhanden. Mit freudiger Erwartung sehen wir den kommenden Dingen entgegen, werden sie uns doch, wenn auch nicht gleich zum Schluß, so doch ersehnte Abwechselung in den monotonen Gang der letzten Zeit bringen. Von all den immer häufiger und umfangreicher werdenden Ausfallgefechten wird einst die Geschichte zu erzählen wissen. Aber was uns mürbe zu machen im stande ist und schier unerträglich wird, das wird die Zeit vergessen: Geduld und immer wieder Geduld bei ununterbrochener Kampfbereitschaft; wachsame Ruhe bei fortwährender nervöser Aufregung; auf dem Posten bei Tag und Nacht, in Regen und Sonnenschein, in Nebel, Schnee und eisigem Frost wie im tiefen Schmutz und Schlamm; mit Gewehr

bei Fuß stillstehen in laut und ereignisloser Stille, wie in heftigem Granat- und Chassepotfeuer. Nicht vorwärts, nicht rückwärts, nein! unverrückt auf seinem Posten ausharren und Moment für Moment aufpassen, was sich auf feindlicher Seite zeigt; bei schneidender Winterkälte, wie sie jetzt eingetreten, die Nacht hindurch unter freiem Himmel schlaflos zubringen oder in engem, rauchigem Raume in großen Massen auf halbverfaultem Stroh aneinander gedrängt daliegen.

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Hierzu dann die Nachrichten und Gerüchte vom Entstehen und Heranrücken mächtiger feindlicher Entsatzheere von Norden, Westen und Süden wahrlich! es ist zu entschuldigen, wenn da zuweilen desperate Stimmung sich unserer bemächtigen will. Und wenn nun trotzdem das Regiment, trot manchen heimlichen Seufzens nach der Heimat von der treuen Pflichterfüllung, welche selbstverständlich ist, ganz zu schweigen den über alles Ungemach erhabenen rheinischen Humor bewahrt hat und in zahllosen Fällen täglich beweist, so ist dies wohl Zeugnis genug einer eisernen Zähigkeit und Beharrlichkeit und von Charakteren, die niemals müde werden, bevor sie das gesteckte Ziel auch erreicht.

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Um 7 Uhr gestern morgen wurden wir alarmirt. Die 22. Dezbr. Franzosen machten einen Angriff auf der ganzen Nordostfront. Das 2. Bataillon besetzte das Hauptrepli bei Sevran und kehrte abends 6 Uhr in die Quartiere zurück.

Heute empfingen wir vom Ersatzbataillon aus Koblenz angelangte neue Montirungs- und Ausrüstungsstücke.

Es ist bitterkalt. Heute früh riefen uns wieder die Alarm- 23. Dezbr. signale. Wir nahmen Stellung in Aulnay. Der Ort wurde vom Feinde stark mit Granaten beschossen, Verwundungen kamen jedoch keine vor. Abends marschirten wir nach dem Barackenlager von Pont Jblon, wo wir gegen 6 Uhr ankamen.

Wir arbeiteten gestern daran, den Molerettebach vom Eise 25. Dezbr. offen zu halten, eine beschwerliche Arbeit bei der grimmigen Kälte, kaum waren einige hundert Schritt mühevoll vom Eise frei gemacht, so waren sie auch schon wieder zugefroren. Durchnäßt und mit durchfrorenen Gliedern hatten wir uns nachher

27. Dezbr.

29. Dezbr.

31. Dezbr.

1871

1. Januar.

müde in der Baracke ums Feuer gekauert. Bei keinem aber hatte sich der Schlaf einstellen wollen; still in sich versunken saßen die Kameraden und gedachten der teuren Heimat. Es war ja heiliger Abend. Ein kleines Tannenbäumchen hatten wir aufgestellt und dasselbe mit einigen aus Bindfaden und Hammelfett selbst verfertigten Lichterchen versehen, Feldpostbriefe hatten kleine liebe Gaben gebracht; im stillen den Schöpfer preisend, der, nach so vielen Gefahren und Drangsalen uns das Fest noch einmal hatte erleben lassen, feierten wir still Weihnacht, und Paris salutirte durch den dumpfen Donner der Geschütze zu unserm Feste.

Um 11 Uhr heute morgen brach, durch irgend welche Unvorsichtigkeit herbeigeführt, Feuer in der Wachtbaracke aus. An Löschen war nicht zu denken. Die Baracke brannte total nieder. Die Kälte steigt und erschwert ungeheuer die meist nächtlichen Arbeiten an den zu errichtenden Belagerungsbatterien. Sehr fühlbar macht sich bei uns der Mangel an Brennmaterial.

Die auf der nordöstlich vom Mont Avron gelegenen Höhe bei Raincy errichteten Batterien, mit deren Bau am 22. begonnen war und welche inzwischen mit 72 Geschützen besetzt worden waren, eröffneten heute ihr Feuer. Starker Schneefall.

Das 1. Bataillon vom Königin - Elisabeth - Regiment traf heute im Barackenlager ein, unser 2. Bataillon rückte abends 5 Uhr von dort ab und marschirte nach Le Bourget, woselbst wir die Feldwachen, als: Bahnhofswache, Bauchwache, Seifenfabrik, Barrikadenwache, Zwischenwache, Schlößchen, Parkwache, Schafstall, Observatorium, besetzten. Infolge unsres Bom bardements gegen den Mont Avron hat der Feind seine dortige Stellung geräumt.

Wir hatten gestern die Replistellung und Besetzung der zugehörigen Wachen. Heute abend löste uns ein Bataillon des Kaiser-Franz-Regiments ab und marschirten wir um 9 Uhr nach

Villepinte.

Unfre schweren Batterien haben das Bombardement gegen Paris aufgenommen. Kanonendonner begrüßt das angetretene neue Jahr. Gestern wurde auch die bei Aulnay erbaute Batterie

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