Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

Gestern blieb es außer einigen kleinen Geplänkeln der Vorposten ruhig in der Linie. Am Abend traf unser von seiner bei St. Privat erhaltenen Verwundung wieder hergestellter Oberst Graf v. Waldersee mit mehreren Offizieren wieder bei uns ein und übernahm heute wieder das Kommando des Regiments.

Mit dem guten Wetter scheint es vorbei, wir haben schon empfindlich kalte Tage, dazwischen abwechselnd Regen. - Jm Regimente mehren sich die Erkrankungen und machen sich in den zusammengeschmolzenen Kompanien, von denen keine kaum mehr als 150 Mann noch zählt, recht fühlbar.

Unser Bataillon verließ heute Bonneuil und rückte ins 26. Oftbr. Barackenlager bei Pont Jblon. In regelrechter folge sollte für die Bataillone fortab, durch die Gestellung der Vorposten und die darauf folgende notwendige kurze Ruhe bedingt, der Wechsel zwischen den Quartieren in Bonneuil, Villepinte, Ce Blanc Mesnil, den Baracken von Pont Jblon u. s. w. sich wiederholen. In dem einen Quartier hatten wir an Betten, Möbeln und kleinen Gebrauchsgegenständen alles vollauf, in dem andern fehlte wieder alles. Dies Verhältnis brachte es mit sich, daß wir schließlich beim Quartierwechsel ganze Wagen mit Mobiliar mit und wieder fortschleppten. Die Ortschaften waren von den Einwohnern verlassen; fanden sich nun in einem mit sechs oder acht Mann belegten Quartier ein Dutzend Matratzen und zwei Dutzend Stühle, während im nächsten Hause einige 20 Mann sich mit der halben Anzahl von Betten, Stühlen und dergleichen begnügen sollten, so mußte eben an einen Austausch gedacht werden, und weil, wo der Wirt fehlt, die Gäste sich selber helfen müssen, so halfen wir uns denn durch Mobiliartauschhandel aus dem einen ins andre Haus oder selbst aus dem einen ins andre Dorf untereinander aus. Daß dadurch auf stundenweit in der Runde alle Möbel und Haushaltungsstücke durcheinander geschleppt wurden, das konnte uns nicht genieren.

Oberst Graf v. Waldersee besichtigte vorgestern bei Pont 28. Oktbr. Jblon die Kompanien. Heute früh drangen aus Drancy, Aubervilliers und Courneuve die Franzosen (Franctireurs de la Presse und Marschtruppen) in Le Bourget ein. Die Dunkelheit der Nacht hatte das unbemerkte Vordringen des Feindes bis

29. Oftbr.

30. Oftbr.

zu den Vorposten erleichtert. Sie warfen die Feldwache der 7. Kompanie, die übrigens einem gegebenen Befehle gehorchte, welcher vorschrieb, Le Bourget zu räumen, wenn der Ort von stärkeren feindlichen Massen angegriffen würde, zurück. Fechtend wichen die Unsern der Übermacht, während die Franzosen in immer größerer Zahl anrückten und das Dorf nach allen Seiten hin stark besetzten.

Nachdem General v. Budritzky von Pont Jblon aus die. vom Feinde eingenommene Stellung rekognoszirt hatte, ließ derselbe das Dorf durch die reitende Abteilung unsrer Korpsartillerie von 10 Uhr morgens bis 4 Uhr nachmittags bombardieren; die massiven steinernen Häuser gewährten jedoch den Franzosen eine zu vorzügliche Deckung. Ein von zwei Kompanien des Kaiser-Franz-Regiments bei eingetretener Dunkelheit unternommener Bajonettangriff wurde zurückgeschlagen, zwei Offiziere und 54 Mann wurden hierbei getötet und verwundet.

Starkes Feuer unsrer Artillerie gegen Le Bourget hinderte die Feinde an der Fortführung ihrer Befestigungsarbeiten. Den Batterien war zur Bedeckung unser Füsilierbataillon beigegeben. Abends rückte dasselbe nach Bonneuil in Quartier. Es ist uns der Befehl mitgeteilt, daß Le Bourget morgen früh wieder genommen werden soll.

Le Bourget ist ein freundlicher Ort von in Friedenszeiten etwa 1000 Einwohnern, das Dorf besitzt eine hübsche Kirche, Schul- und Mairiegebäude, eine große Glas und Porzellanfabrik. Die Spuren des Reichtums der nahen Hauptstadt erkennt man schon in Le Bourget, an den schönen massiven, im Innern meist mit allem Komfort versehenen Häusern, den Parks, Gärten und Gehöften, durchgängig mit hohen festen Steinmauern umgeben, welch letztere es leicht machten, fast jedes einzelne Haus in eine kleine Festung zu verwandeln.

Der das Dorf besetzt haltende Feind hatte in der Nacht sich ruhig verhalten. Um 7 Uhr heute morgen standen wir zum Angriff bereit. Es waren drei Sturmkolonnen gebildet; die erste, zwei Bataillone des Kaiser-Franz-Regiments, unter Major v. Derenthall, sollte von Dugny (nördlich) vorrücken, hinter ihr bei Bonneuil stand das 2. Garde-Ulanenregiment, bei Arnouville einige Batterien Korpsartillerie. Im Zentrum

[ocr errors]

bei Pont Jblon unter Oberst Graf v. Kanitz standen die drei Bataillone des Königin Elisabeth Regiments und unser von Hauptmann v. Trotha geführtes Füsilierbataillon, an dessen Spize sich unser tapferer Oberst Graf v. Waldersee gestellt hatte. Der Kolonne waren eine Kompanie Gardepioniere und drei Batterien reitender Artillerie beigegeben. Am linken Flügel bei Le Blanc Mesnil standen zwei Bataillone vom KaiserAlerander-Regiment, drei Kompanien Gardeschützen und zwei Batterien. Der übrige Teil unsrer Division war bestimmt, die Vorpostenstellung in der Linie Stains Dugny, Pont Jblon zu halten, die Brückenwache bei letzterem Orte ward von unserm Bataillon besetzt.

Pfarrer Heinen, der den Katholiken die Absolution und den Segen erteilte, wies in einer Ansprache darauf hin, daß, weil heute Sonntag, in allen Kirchen der Heimat die fernen Lieben mehr als sonst unsrer im Gebete gedächten. Wir hätten bislang als brave Grenadiere gestritten, die Tugenden hingebender Königstreue und der Tapferkeit sollten wir auch heute vor Augen halten. Inzwischen hatte Prinz August von Württemberg, von seinem Stabe begleitet, sich auf eine nördlich von Pont Jblon gelegene Anhöhe begeben, um von dort aus das Gefecht zu übersehen. Sämtliche Truppen waren auf den ihnen angewiesenen Posten und genau 8 Uhr eröffnete die Artillerie den Kampf, während die linke Flügelkolonne unter Oberst v. Zeuner, welche den weitesten Weg zurückzulegen hatte, den Vormarsch antrat. Kaum hatte der Feind das Vorrücken gewahrt, als die Forts de l'Est, Aubervilliers, Romainville und Noisy ziemlich gleichzeitig ein heftiges feuer eröffneten. Aber ruhig wie auf dem Ererzirplate folgten die Bataillone den voranstürmenden Führern, sich Schritt um Schritt dem der Stadt Paris zugekehrten Südende des Dorfes mehr nähernd. Jetzt ging auch die rechte Flügelkolonne und eine halbe Stunde später (9 Uhr) unsere, die Zentrumskolonne, vor. Die Artillerie hatte während der Zeit über unsere Köpfe weg anhaltendes Granatfeuer gegen den Ort gegeben. Die Musik des Königin-Elisabeth-Regiments spielte den Preußenmarsch; dem Regimente folgte unser Füsilierbataillon. Der Anmarsch in dem durchweichten Lehmboden war schwierig, schon weil fast die ganze Ebene von Drancy, Aulnay und Le Blanc Mesnil unter Wasser gesetzt war. Ein Hagel von Geschossen überschüttete die Unseren. Die Schützenlinie machte kurzen Halt und warf dann sich am Boden nieder, um in

möglichst wenig erponirter Stellung Atem zu schöpfen. In entsprechender Entfernung folgten indessen die Soutiens. Nach kurzer Pause erhoben sich die ausgeschwärmten Angreifer dann wieder und drangen auf diese Weise bis zur Dorflisiere vor. Hier feuerte der Feind hinter den Umfassungsmauern aus Schießscharten und hinter einer den Dorfeingang sperrenden hohen Barrikade. Die Pioniere unter Hauptmann v. Spankeren schlugen Bresche in die Mauern, durch welche die Infanterie sich durchzwängte und so seitwärts der Straße in das Dorf stürmte, während von der front aus ein Bataillon des Königin-Elisabeth-Regiments, welchem unser Füsilierbataillon folgte, gegen die Barrikade vorging. In den Häusern verschanzt, richtete der Feind ein konzentrisches, überaus mörderisches Feuer auf die andringenden Bataillone. Der Fahnenträger vom Königin-Elisabeth-Regiment stürzte tot zu Boden, ein zunächst stehender Unteroffizier ergriff das Banner, aber auch er sank tödlich getroffen nieder; da sprang General v. Budritzky vom Pferde und die Fahne hoch hebend, schwang er sich, von mehreren Soldaten unterstützt, auf die Barrikade. Neben ihm, an der Spitze des ihm nachdrängenden Regiments sank zum Tode verwundet Oberst v. Jaluskowsky hin. Dem Füsilierbataillon voran setzte als erster desselben Graf von Waldersee mit dem Pferde über die Barrikade weg, ihm nach stürmten die Füsiliere. Ein äußerst hartnäckiges Gefecht entstand, jedes einzelne Haus und jedes Gehöft, aus deren Fenster und Kellerluken, von deren Dächer die Franzosen die Anstürmer, welche ohne jegliche Deckung waren, mit einem furchtbaren Kugelregen überschütteten, mußte erkämpft werden. Schnell und besonnen erteilte Graf v. Waldersee seine Befehle, wo zuerst eingegriffen werden sollte. Ein entsetzlicher Lärm, Geknatter und Gekrach, Ächzen, Stöhnen und Hurra toste durcheinander. Die Pioniere mußten oft die Wände einschlagen, oft die Häuser anzünden, um den Feind zu vertreiben, der sich mit äußerster Tapferkeit schlug. Besonders heftig war das Ringen in der Nähe der Kirche. Vor einem hier inmitten eines mit starken Mauern umgebenen Gartens gelegenen Hause, aus welchem furchtbares Gewehrfeuer kam, traf eine Kugel unsern Obersten. Der Schuß war ihm in die Brust gegangen. Hauptmann v. Trotha, der schneidige Führer des Bataillons, der den Obersten fallen sah und ihn auffangen wollte, stürzte schwer getroffen neben ihm nieder. Auch der Adjutant Leutnant Cleve, welcher hinzueilte, stürzte. Da durchbrachen mit

53 wuchtigen Schlägen unsre Pioniere mitten im mörderischen Feuer die Steinmauern. Alles drängte durch die durchbrochenen Lücken hindurch gegen den Feind, den geliebten Obersten zu rächen. Noch atmete, lebte der Oberst. Ein Gruß an seine Frau und sein Kind waren seine letzten Worte. Die Kugel, die ihn getroffen, hatte seine Taschenuhr zertrümmert und deren Räderwerk mit in die Wunde getrieben.

Vielfach findet sich die Annahme verbreitet, Graf v. Waldersee sei durch eine weiße Parlamentärflagge angelockt und dann vom Feinde durch Schüsse meuchlings ermordet worden. Diese in vielen Büchern enthaltene Angabe ist falsch. Im offenen Kampfe, an der Spitze seiner Soldaten, starb Graf v. Waldersee den ehrlichen Soldatentod, er fiel als Held und nicht als Opfer hinterlistigen Mordes.

Ein schreckliches Handgemenge hatte unterdessen mit dem verzweifelt sich wehrenden Feinde in den Häusern sich entsponnen. In der Kirche verteidigten acht französische Offiziere und einige 30 Voltigeurs der ehemaligen kaiserlichen Garde sich auf das hartnäckigste. Grenadiere mußten die hohen Kirchenfenster erklettern, um von dort aus den im Innern befindlichen Feind zu beschießen, andre erbrachen währenddem das Thor. Ein entsetzliches Gemeßel mit den kurzen Säbelklingen, dem Kolben und der blutigen Faust begann im Innern der Kirche. Hier gab es keinen Pardon mehr.

Mittlerweile war es 1 Uhr geworden. Schon Stunden vorher waren einzelne Trupps der Besatzung von Le Bourget auf der einzigen ihnen noch offenen Straße nach St. Denis geflüchtet. Da ertönte auch aus den letzten Häusern, wo noch gekämpft wurde, das Hornsignal, durch welches die Franzosen sich gewöhnlich zur Übergabe bereit erklärt hatten; an Stangen steckten sie weiße Tücher aus. Um 2 Uhr war der Sieg entschieden, Le Bourget wieder unser — aber um welchen Preis!

Mit stummem Schmerz stand trauernd das Regiment an der Leiche seines Kommandeurs, der ihm auf dem Wege der Ehre und des Ruhmes so mannhaft und kühn vorangeschritten war, Graf Keller, der ebenfalls erst vor wenigen Tagen von schwerer Verwundung geheilt beim Regimente wieder eingetroffen war; er war mit seinem heldenmütigen Oberst gestorben.

Außer Hauptmann v. Trotha waren Leutnant v. Amon und die erst kurz beförderten Leutnants v. Hilgers und v. Suter tot, Leutnant Cleve schwer verwundet, auch der kleine Fähnrich

« ZurückWeiter »