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22. Septbr.

Ulanenpatrouillen hatten gemeldet, daß Le Bourget von den Franzosen besetzt sei. Leise ging von Mund zu Mund das Kommando: „Das Gewehr über, Marsch!" Der Morgen graute schon. Während wir mit dem Königin-Elisabeth-Regiment auf Le Bourget vorrückten, hatten andre Bataillone den Vormarsch auf Drancy angetreten. In Le Bourget angelangt, fanden wir die ersten Häuser leer. Schon wurde angenommen, daß das ganze Dorf vom Feinde verlassen sei, als plötzlich am entgegengesetztne Ende es lebendig wurde, starke Trupps Mobilgardisten stürzten aus den Häusern und aus dem Dorfe heraus den forts von St. Denis zu. Einige Mann wurden von unsern Ulanen noch ergriffen. Ohne Blutvergießen waren wir so in den Besitz des Dorfes gelangt, auch auf Drancy war der Handstreich gelun gen. Um dieselbe Zeit hatte die 1. Division Garges und Stains genommen und ebenso die Sachsen sich der in der Linie liegenden Ortschaften bemächtigt.

Der Ring um Paris war geschlossen. Den rechten Flügel unseres Korps hatte die 1. Division, dieselbe hatte fühlung mit dem IV. Korps, den linken Flügel hatten wir und Fühlung mit den Sachsen. Von jeglichem Verkehre mit der übrigen Welt war die stolze Stadt jetzt abgetrennt.

In den Straßen von Le Bourget kochten wir ab, während Paris uns seine ersten Grüße in Gestalt riesiger Granaten zusandte. Dann rückten wir, nachdem wir eine Kompanie als Besatzung im Dorfe zurückgelassen, nach Le Blanc Mesnil in Quartiere, wo in vier Gehöften unser ganzes (2.) Bataillon untergebracht wurde. Die meisten Brunnen waren durch hineingeworfene Schwefelhölzchen vergiftet. Le Blanc Mesnil ist ein Flecken von etwa 16 Häusern, darunter eine Kapelle, ein Schlößchen, zwei größere Gehöfte und eine Mehlmühle.

Infolge Divisionsbefehls rückte das 2. Bataillon gestern morgen 8 Uhr von Le Blanc Mesnil nach Mesnil Amelotte ab, wo dasselbe vor 11 Uhr eintraf. Das Bataillon stellte Arbeiter und Requisitionskommandos. Mit einem solchen ging ich ↑ Uhr nach Compiègne ab. In der Stadt trat uns der Pöbel bewaffnet entgegen, so daß wir, weil zu schwach, an die Ausführung der uns aufgegebenen Requisitionen zunächst nicht denken konnten und vorläufig uns des Schlosses bemächtigten, worin wir bis zum Eintreffen der die Wagen eskortirenden

Ulanen uns festsetzten, während eine aus Bürgern, Nationalgardisten und Franctireurs zusammengewürfelte Bande uns förmlich belagerte. Erst als wir Entsatz erhielten, konnten wir die Angreifer auseinander treiben, die durch den Park in den Wald flüchteten und von denen die meisten leider entkamen.

Unvergeßlich bleibt uns die Nacht in den weiten, zwar überaus prunkvollen, aber unheimlichen Räumen des Schlosses, in denen außer einigen alten, halbtauben kaiserlichen Lakaien, welche auf Strumpfsocken umherschlichen, kein lebendes Wesen sich regte. Es war uns, als wenn an den Wänden die mächtigen Bilder sich belebten und die besternten Großen und ausgeschnittenen Kleinen mit ihren Puderköpfchen herausträten aus den schweren Goldrahmen, uns Eindringlinge zu verjagen. Die goldenen Adler auf dem himmelblauen Grunde schienen zu fliegen, und wenn man geräuschlos über die schweren Teppiche schritt, die das Parkett verhüllten, so war es stets, als schleiche noch jemand hinter einem her. War das eine Pracht in diesen Räumen! Die hohen Marmorkamine mit ihren reizenden Nippsächelchen, deren Zweck uns unverständlich, die Prachtspiegel und kostbaren Gemälde, die herrliche Täfelung der Räume mit den Stuck- und Goldarbeiten, die prächtigen Möbel, seidenen Diwane und Sessel. Und erst gar die wunderbar schönen Gemächer der Kaiserin Eugenie! In einem derselben fiel ein eigentümliches Phantasiebild mir auf: das etwa dreijährige kaiserliche Kind kniet, andächtig die Hände gefaltet, nur mit Hemdchen bekleidet, am Boden, während das auf dem Schoße der heiligen Maria in den Wolken thronende Kind Jesu segnend die Hände über dasselbe hält. Und im selben Gemach einige übrigens recht hübsche Marmorbilder, Männlein und Weiblein, denen nichts fehlte als die Kleider. Kuriose Harmonie!

Doch hinaus aus diesen Räumen, in denen trotz allem Glanz und aller Pracht es uns fröstelte, hinaus wieder in den Regen und in die Granaten! Um 5% Uhr marschirten wir von Compiègne ab und trafen nachmittags in Mesnil Amelotte wieder ein. Unsern Schützenzug fanden wir hier mit Haferdreschen thätig.

Die in Le Bourget stehende Kompanie vom Königin-Elisabeth- 23. Septbr. Regiment wurde während der Nacht unaufhörlich vom Feinde belästigt. Zwei Kompanien französischer Infanterie griffen heute unsere Posten plötzlich an und wandten sich, nachdem sie diese

30. Septbr.

7. Oftbr.

12. Oftbr.

zurückgedrängt, gegen Drancy, das sie in Brand zu stecken versuchten. Nach einigem Schießgefecht traten sie ihren Rückzug wieder an. Fort Aubervilliers warf schon seit frühem Morgen ab und zu Granaten zu uns herüber.

Mit dem Hauptmann v. Seydligt wurde heute der ebenfalls erkrankte Reserveleutnant Henrich, ein Koblenzer, nach Mitry ins Lazarett gebracht. Er sollte seine Vaterstadt nicht mehr wiedersehen, denn bald darauf verstarb er daselbst.

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Gestern morgen 8 Uhr von Le Mesnil Amelotte abmarschirt, waren wir 12 Uhr nach Le Blanc Mesnil wieder gekommen. Heute ist der Geburtstag unsres Chefs, Ihrer Majestät der Königin. Wir hatten Gottesdienst. Manches heiße Gebet ist für die hohe Frau, unser königliches Haus und einen baldigen glücklichen Ausgang des Krieges da zum Himmel ge= sandt worden.

In den letzten Tagen hatte sich der Feind verhältnismäßig ruhig gehalten. Die Nächte sind schon recht kühl, doch die Tage warm und schön. Die 11. Kompanie brachte in einer der letzten Nächte einen von den Franzosen bei der Räumung von Le Bourget auf dem einige hundert Schritt vom Dorfe entfernten Bahnhof stehen gelassenen Eisenbahnzug auf dem Geleise fort.

Am 1. dieses Monats ererzirten wir angesichts der feindlichen Forts ohne Lederzeug im Bataillon. Am 2. zogen wir auf Vorposten, 12 Unteroffiziere, 4 Spielleute und 130 Mann. Die 7. Kompanie löste am 3. uns ab. Dorgestern hielt Pfarrer Heinen vormittags 8 Uhr für die Katholiken Gottesdienst ab. Gestern hatte das Füsilierbataillon Vorstellung vor Generalmajor v. Berger. Das 2. Bataillon, welches gestern die Verteidigungsaufstellung übte, hatte heute Bataillonsvor stellung. Granaten sausten während des Parademarsches über die Köpfe hin.

Die letzten Tage sind zur Verstärkung unserer Verteidigungsstellung kräftig benutzt worden. Den jenseitigen Ausgang von Le Bourget haben wir stark verbarrikadirt, die Mauern der Gehöfte mit Schießscharten durchbrochen, Dugny ist ebenfalls befestigt worden, Schützengräben ziehen sich von Le Blanc Mesnil bis zur Straße von Le Bourget, auch Pont Jblon ist durch

Aufwerfen von Verschanzungen befestigt, unsre Pioniere sind damit beschäftigt, aus Balken und Brettern Holzbaracken daselbst zu errichten. Bei Sevran haben die Pioniere den Ourcqkanal abgedämmt und die auf diese Weise gewonnenen Wassermassen in den durch Dammaufschüttung gestauten Molerettebach ge= leitet, so daß dieser über die Ufer getreten und das Terrain um Le Bourget überschwemmt. Allenthalben entstehen Erdbefestigungen. Nun mögen die Franzosen Ausfälle machen, jetzt sitzen wir mal hinter Deckungen und können von da sie zusammenschießen. - Außer all diesen Arbeiten wurden wir aber auch zu andern herangezogen, wie Dreschen, Fruchtmahlen und Kartoffelausgraben, welch letztere wir als Wintervorräte in Gruben schütteten und mit Stroh gegen Frost deckten.

Aber auch die Franzosen waren inzwischen nicht faul gewesen, zwischen Fort Aubervilliers und Drancy bezw. Le Bourget haben sie ein halbes Dutzend parallel laufende Schützengräben ausgeworfen, Erdschanzen und andre Befestigungen errichtet.

Am 8. mittags waren wir zum erstenmal alarmirt worden. Eine Eskadron Chasseurs d'Afrique und zwei Kompanien Mobilgardisten waren plötzlich aus dem Parke von Drancy herausgebrochen und unter Schnellfeuer auf unsre Vorposten eingedrungen. Vier Mann von der 12. Kompanie waren bei dieser Gelegenheit in Gefangenschaft gefallen.

Wir gaben gestern die Feldwachen. Ein von den Fran- 12. Oktbr. zosen gemachter Angriff wurde bald zurückgewiesen. Aus den Schüßengräben, in welche sie sich geworfen, hatten sie ein verschwenderisches Schnellfeuer auf uns abgegeben. Der von Le Bourget bis zum Gehölz von Sevran sich hinziehende Eisenbahndamm bot unserer ausgeschwärmten Feldwache gute Deckung, die Kugeln pfiffen über uns weg. Dieser Tage sahen wir zum zweitenmal einen Luftballon lange über Drancy schweben, wahrscheinlich sucht man auf diese Weise unsere Stellungen einzusehen. Schon seit Tagen kamen die Pariser, Männer und Weiber, oft gut gekleidet, zum Kartoffelausgraben in die Vorpostenkette. Gestern zählten sie nach Hunderten. Da sie trotz energischer Abweisung sich nicht verjagen lassen, haben wir Befehl, die Menge, wenn kein andres Mittel hilft, durch hochgehaltenes Gewehrfeuer zu verscheuchen.

18. Oftbr.

Koblenz hat seine im Felde stehenden Grenadiere nicht vergessen. Gestern trafen die Herren Karl Landau und Dr. Lossen vom Koblenzer Kriegerhilfsverein in Bonneuil beim Regimente ein, welche von Ihrer Majestät der Königin und der Stadt gespendete Liebesgaben und Hunderte von Paketen und Briefen von Angehörigen überbrachten.

Nachdem die Herren Koblenz am 5. verlassen, waren sie nach mancherlei Mühseligkeiten erst am 14. in Nanteuil angelangt, von wo ab der Eisenbahnverkehr wegen Zerstörung des Tunnels ein Ende hatte und von wo sie deshalb den in drei Eisenbahnwaggons verladenen Transport auf Fuhrparkwagen, welche seitens des Etappenkommandos zur Verfügung gestellt waren, umladen und hierher hatten transportiren müssen. Major v. Behr, der mit dem Offizierkorps die Herren auf das liebenswürdigste empfing, gab ihnen sofort Gelegenheit, die aus Tabak, Zigarren, Schokoladen, Chees, „geistreichen" Getränken, wollenen Strümpfen und Unterkleidern bestehenden Gaben selbst zu verteilen. Die Freude, die das Erscheinen der Koblenzer Herren und die von ihnen überbrachten reichen Gaben im Regimente wachriefen, mag ihnen Lohn gewesen sein für so manche ausgestandene Entbehrungen, Strapazen und Gefahren.

22. Oftbr.

Vorgestern abend, eine Stunde vor Ablösung der Posten, blitzten zwischen dem Donner der Geschütze der forts Gewehrschüsse auf der Linie von Drancy bis Le Bourget auf. Letteren Ort hatte eine Kompanie Gardeschützen besetzt, während eine Kompanie unseres Füsilierbataillons auf Vorposten hinter dem Bahndamm Paris-Soissons stand. Befehligender Offizier der Feldwache war Leutnant v. Stolzenberg. Die der Feldwache attachirten Ulanen brachten dem Regiment die Meldung von dem Ausbruch größerer feindlicher Truppenmassen, worauf unser Bataillon in Bonneuil alarmirt wurde und ausrückte. Unsere Füsiliere, unterstützt von einer Batterie Artillerie, waren jedoch mit dem Feinde schon fertig geworden. Während des anfäng lichen Zurückweichens der Feldwache, die von der eben zur Ab: lösung anrückenden 11. Kompanie aufgenommen wurde, hatten die Franzosen die beiden Bahnhäuschen mit Dynamit in die Luft gesprengt und damit den jedenfallsigen Zweck des Ausfalls erreicht.

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