Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

Das Gerücht von der Kapitulation der französischen Armee schien denn doch auf Wahrheit zu basiren.

Zurück über Balan. Von dem Wagen war ja doch keine Spur zu finden und in diesem Wirrsal von Truppen eine Suche ganz zwecklos. Was brauchten wir übrigens auch noch den Speckwagen, wenn wir Napoleon gefangen hatten. Von den Höhen bei Wadelincourt blickten die bayrischen Geschütze herab, ihre Mündungen drohend gegen Sedan gerichtet. Auf den Höhen und in den Tiefen nach Moncelle hin Haufen von Toten, Blutlachen, Trümmer von Wagen, Lafetten, zerbrochene Gewehre, Signalinstrumente, Tornister und Käppis. An den Zäunen und Hecken hingen stückweise die Leichen, nicht selten traf man auf einzelne von den Granatstücken abgerissene Gliedmaßen, schreckliche Verstümmelungen boten sich hier dem Auge, sie rührten davon her, daß einige unsrer Batterien, welche sich verschossen hatten, Brandgranaten in die Feinde warfen. Bei Givonne hatte auf der Straße ein belgischer Turnverein ein Zeltlazarett etabliert, im Dorfe war jedes zweite Haus durch eine weiße Fahne mit rotem Kreuz als Lazarett kenntlich. — Auf diesem großen Totenfelde hatte der Sanitätsdienst eine immense Arbeit. Allenthalben waren die Krankenträger in emsigster Thätigkeit, seit beinahe 30 Stunden nun schon! Beim Regiment wieder angelangt, fanden wir den nach manchen Irrfahrten bei der Kompanie inzwischen bereits eingetroffe nen Wagen vor, und zwar, was die Hauptsache war reich lich beladen.

Um Mittag tönten plötzlich tausendstimmige Hurra- und Jubelrufe über das weite Schlachtfeld. Die Thatsache der Kapitulation Napoleons und seiner 80000 Mann starken Armee war bekannt gegeben worden. Kronprinz Albert von Sachsen teilte die freudige Kunde den ihm unterstellten Truppen selbst mit. Tausende von Helmen, Feldmützen, Bajonetten und Säbeln wurden zum Himmel erhoben, meilenweit tönte das Jubelgeschrei durch das Lager, unsre Regimentskapelle spielte „Heil dir im Siegerkranz“ und „Die Wacht am Rhein“. Den ganzen Nachmittag und bis spät in die Nacht währten die Hurrarufe und der freudige Jubel. Wir hatten Wein bekommen, auch Tabak war zur Verteilung gelangt, Brot und Fleisch hatten wir in Fülle. Diese Thatsachen wie der erreichte ungeheure Erfolg bei so geringem Verlust, wie unser Regiment ihn gestern hatte (36 Mann), versetzten uns in die froheste Stimmung.

4. Septbr

Nachmittags verließen wir mit klingendem Spiel unsern Lagerplatz und bezogen Biwak bei Daigny.

Die Dämmerung war bereits angebrochen, als uns hier Seine Majestät der König besuchte. Ein dumpfes Brausen, das mit jedem Augenblicke lauter und deutlicher wurde, kündete das Nahen des geliebten greisen Feldherrn an; von Biwak zu Biwak trugen sich die Hurrarufe, und dann kam an der Spitze einer Reitergruppe querfeldein König Wilhelm in scharfem Galopp dahergesprengt. Unbeschreiblich war der Jubel im Regiment, und des Königs Antlitz zeigte tiefe Rührung und Freude. Nach nur kurzem Aufenthalte ritt der König weiter und die glänzende Reitergruppe seines Generalstabes verschwand aus unsern Augen.

Eine feierliche, erhabene Stimmung herrschte am Abend an den Lagerfeuern, wo man sich über das märchenhaft klingende Ereignis der Gefangennahme Napoleons und seiner Armee unterhielt.

Bei strömendem Regen hatte das Regiment zur Räumung des Schlachtfeldes gestern tüchtig mit eingreifen müssen. Noch immer bewegten sich unsre Lazarettwagen und französische mit Maultieren bespannte Ambulancen in emfiger Thätigkeit auf dem weiten Felde. Ganze Regimenter gefangener Franzosen waren schon in frühster Morgenstunde auf dem Marsche in die ihnen angewiesenen Biwaks bei uns vorbeigebracht. Zwischen Preußen, Bayern, Sachsen und Württembergern sah man auf den Lagerplätzen Franzosen, Offiziere zu Pferde und zu Fuß. Die Gefangenen trugen große Niedergeschlagenheit und Entmutigung zur Schau. Viele hatten eine recht soldatische, wür dige Haltung, aber neben ihnen sah man viele, die in ihrer Trunkenheit und angesichts ihrer traurigen Rolle sich noch cynisch frech benahmen. Alle erzählten Jammergeschichten von ihren ausgestandenen Strapazen und Entbehrungen. Daß wir das: selbe wenn nicht noch mehr ausgehalten, daran dachten sie nicht. Gestern morgen war uns gesagt, wir marschirten jetzt nach Paris. Mancher im Regimente hatte vorgestern geglaubt, jetzt, wo Napoleon und seine Armee gefangen sei, ginge es wieder der Heimat zu. Die Losung: „Paris" begeisterte jetzt selbst unsere älteren, meist verheirateten Reservisten derart, daß sie gern die Gedanken an Heimat, Weib und Kind zurückdrängten und freudig vorwärts nach neuen Siegen und Ehren

ausschauten. Unter einem fröhlichen Marsche und muntere Lieder singend, verließen wir 11 Uhr das Biwak und bezogen halb 5 Uhr Quartiere in Messincourt.

Heute hatten wir Ruhetag. Gottschalk und ich haben Besuche bei andern Koblenzern und auf dem Rückwege von Escombres, wo unsere Füsiliere lagen, Jagd auf wilde Gänse gemacht, bei welcher Gelegenheit wir in den Weidenböschungen eines Bachlaufes einige dort versteckte versprengte Turkos fingen. Eine Gans wäre uns lieber gewesen. Die ausgehungerten schwarzen Kerle verstanden weder Deutsch noch Französisch und waren absolut nicht zur Annahme von Brot und einem Schluck Kognak zu bewegen gewesen. Wir waren bis dicht an die belgische Grenze gekommen, eine Patrouille belgischer Lanciers hatten wir deutlich erkennen können.

Dom Füsilierbataillon fehlten gestern beim Abmarsch einige 6. Septbr. Mann, jedenfalls waren sie beim beabsichtigten oder unbeabsich tigten Überschreiten der Grenze von den Belgiern entwaffnet und drüben internirt worden. Unser gestriger Marsch hatte

Das

uns durch einen nicht enden wollenden Wald geführt.
Wetter war abscheulich, die Wege fast ungangbar. Auch heute
Regen von früh bis spät, bis auf die Haut durchnäßt, bezogen
wir in Omont Kantonnements.

Nachdem wir am 8. in Neufville les Vasigny in Quartier 13. Septbr. gelegen, waren wir am 9. nach Givron marschirt, dort am 10. früh 5 Uhr ausgerückt und hatten nach fünfstündigem Marsche in Lappion Quartier bezogen. Vorgestern lagen wir in Bicore in der Nähe der Festung Laon. Gestern kamen wir nach dem Städtchen Arcy-en-Multien. Hier wurden an uns Zigarren und Tabak verteilt. Heute stieß auf dem Rendezvousplatze das Ersatzbataillon zu uns, die Mannschaften wurden sofort in die Kompanien verteilt. Seit heute scheint endlich die Sonne einmal wieder und auch das Wetter scheint sich bessern zu wollen.

Wir marschiren jetzt in dem mit Wein gesegneten Landstrich der Champagne. Wohl hat Kronprinz Albert, der Kom mandeur der Maasarmee, in einer in allen Ortschaften angeschlagenen Kundgebung den Bewohnern aufgegeben, was sie den Soldaten zu leisten und zu liefern hätten, aber die Häuser

15. Septbr.

19. Septbr.

der wohlhabenderen Klasse sind meist verlassen und stehen geschlossen, die ärmeren Leute sind nicht in der Lage, den Anforderungen nachkommen zu können, wir müssen uns daher mit Durchsuchen der Keller und Vorratskammern, so gut es eben geht, selbst helfen. Glücklicherweise ist diese Selbsthilfe meist recht erfolgreich.

Wir kamen heute nach Neully St. Front, einem anscheinend recht gewerbreichen Städtchen. Jetzt bildete unser Militär die einzige Staffage in den Straßen. Von den nicht geflüchteten Bewohnern trieben sich die Männer in den beiden geöffneten Kaffeehäusern umher, politisirten hinter ihrem Glase Absinth und prophezeiten uns unsre Vernichtung vor Paris. Wir ließen die Schwätzer gewähren und den Rotwein uns wohl munden.

[ocr errors]

Gestern lagen wir in Juilly bei der alten Arrondissementshauptstadt Meaux. In Juilly fanden wir auffallenderweise viele Einwohner, die der deutschen Sprache mächtig waren. Bei Meaur hatten die Franzosen die Brücke über die Marne gesprengt. Ganz vandalisch waren sie hier mit ihrem Lande umgegangen, die Brücken zerstört, die schönen gepflasterten Chausseen und Wege aufgerissen, die Bäume längs denselben gefällt und gehäuft quer über die Straßen gelegt. Als ob dies Hindernisse für unser Vorwärts" hätten sein können! Heute früh 7 Uhr ging es weiter. Es war ein prächtiger Herbstmorgen. Alle Dörfer, die wir gestern und heute passirten, waren wie ausgestorben, nur hier und da war ein alter Mann oder ein altes Weib sichtbar. An den Straßenecken der verlassenen Nester fanden wir überall Proklamationen der République française angeschlagen, worin die Bewohner zur Flucht, zur Entfernung aller Lebensmittel, Verwüstung der Felder 2c. aufgefordert wurden. Überall auf den Feldern fanden wir die hohen Getreideschober in Brand gesteckt, zum Teil noch lodernd, zum Teil zusammengesunken qualmend vor. Die Villen und Schlösser, die Meierhöfe, die Wirtshäuser an den Straßen alles lag öde und verlassen. Gegen 11 Uhr vormittags langten wir vor dem Dorfe Aulnay an. Schon bei dem Dorfe Thieur waren die Gepäckwagen des Regiments zurückgelassen, nur die Medizinkarren und Patronenwagen folgten. Von allen Seiten marschirten nun die Truppen heran, Infanterieregimenter und

Kavallerie, Batterie hinter Batterie. Le Blanc Mesnil und Dugny wurden von Patrouillen abgestreift und vom Feinde verlassen gefunden. Gegen Le Bourget und Drancy wurden Vorposten ausgestellt. Aus der Ferne tönte anhaltendes Hurrarufen. Se. Majestät der König kam, das Terrain und die einzunehmenden Stellungen zu rekognoszieren, mit dem König die Generale v. Moltke, v. Roon, Graf v. Bismarck und andre Generale und hohe Offiziere. Als Bedeckung begleiteten den Generalstab zwei Züge vom Regiment der Garde du Korps. Freundlich grüßte unser greiser Kriegsherr, der wettergebräunt und frisch aussah, seine Garden und das freundliche Leuchten des Auges des geliebten hohen Führers leuchtete beglückend in unsern Herzen wider. Wir setzten die Gewehre zusammen und legten das Gepäck ab.

Vor uns, im Scheine der untergehenden Sonne, lag anscheinend friedlich und still das ersehnte Ziel des Feldzuges, Paris. 3war verbarg uns der Montmartre mit seinen Befestigungen den größten Teil der Stadt, aber aus dem verschwommenen Häusermeer hervorragend, konnte man deutlich das gigantische Pantheon, den Arc de Triomphe, die Notre-Dame, die Vendomesäule und das Hotel der Invaliden erkennen. Das stolze, eigenartige Gefühl, welches wir bei diesem überwältigenden Anblick empfanden, ist unbeschreiblich. Rechts vor uns lag die Stadt St. Denis mit ihrem Dome, der die französischen Königsgräber birgt, vor derselben die Forts de l'Est, double Couronne und la Briche, vor uns die Vorstadt Aubervilliers mit dem fort gleichen Namens, links Pantin, Belleville und Villette. Im Vorterrain die Dörfer Villepinte, Sevran, Bondy, Drancy, Le Bourget, Le Blanc Mesnil, Dugny, Bonneuil, Garges und Stains.

Nach 4 Uhr rückten wir ab. Das Regiment bezog Alarmquartiere in Aulnay. Hier fanden wir große Weinvorräte. Verpflegung erhielten wir heute keine, erst spät nachts traf die Bagage ein.

Früh halb 4 Uhr brach das Regiment in aller Stille auf. 20. Septbr. Der Feind sollte überrumpelt werden. Um ja kein Geräusch zu verursachen, war die gepflasterte Straße zum Teil mit Stroh belegt worden. Es war ein trüber, nebeliger Morgen. In die uns bestimmte Stellung gerückt, machten wir dort kurzen Halt, bis die Adjutanten den Befehl zum Vormarsch brachten. Einige

« ZurückWeiter »