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daß die Sachsen eingetroffen und links von uns zum Angriff schritten. Es war 7 Uhr. Die wenigen Offiziere, die noch waren, sammelten unsre Häuflein. Mit Hurra gingen wir zum Angriff über. Neben uns mit fliegenden Fahnen und schlagenden Tambours das Kaiser-Franz-Regiment. Die Abteilung, wel cher ich mich angeschlossen, führte Hauptmann von Trotha, eine Kugel hatte ihn schwer am rechten Arme getroffen, die Kleider mit Blut bedeckt, den Revolver in der Linken, so stürmte er an unsrer Spitze mit vor. Leute aller Kompanien waren durcheinander, wir waren von unsrer Kompanie etwa 10 Mann. Das ganze Korps avancierte, die Sachsen! endlose Hurras brausten den Franzosen entgegen. Wir schossen nicht, das Gewehr in der rechten Hand oder auf der Schulter, ging es im Sturmlauf mit Hurra gegen den Feind, alle von dem einzigen Wunsche beseelt, endlich den Tod ihrer Brüder rächen zu können. Wir trieben die Franzosen aus ihren Verschanzungen, mit der blanken Waffe räumten wir unter ihnen auf, die meisten schlugen sich mit außerordentlicher Zähigkeit, tapfer und mannhaft, viele warfen ihre Gewehre weg und baten um Pardon, wir gaben ihn nicht, wir rächten unsre Toten. Im Granat und Kugelregen überstiegen wir die von Gewehrläufen starrenden Mauern, mit denen das Dorf umgeben, Haus um Haus mußte erkämpft werden, die fast von allen Seiten umringten Franzosen fuhren fort sich mit verzweifelter Entschlossenheit zu schlagen. Furchtbar war das Gemeßel in den Straßen des brennenden Dorfes, ein Handgemenge, wie es blutiger und schrecklicher nicht zu denken, ein Kampf Mann an Mann, eine Blutarbeit mit blanker Waffe. Aus vielen der verbarrikadirten Häuser trieb erst die Feuersbrunst die Feinde, viele wurden gefangen, die meisten im wilden Kampfesrausche niedergemacht. Die Dunkelheit der Nacht

erst setzte dem Kampfe ein Ziel.

Der Sieg war unser, durch die dichten Wälder von Saulnay, begünstigt durch die Dunkelheit und das Terrain, zog der Feind sich nach Metz zurück. Links von der Chaussee vor dem Dorfe sammelten sich die Reste des Regiments. Dieses Wiedersehen der übrig gebliebenen Kameraden, man fiel sich in die Arme, man küßte sich, Thränen der Rührung stürzten die Wangen herab. Trotz aller Siegesfreude war die Stimmung eine tiefernste. Die Nacht war erhellt durch die brennenden Dörfer, markerschütternd war das Hilfeschreien der Tausende von Verwundeten.

Hatte kaum einer während der 13 Stunden, welche wir unter Hunger und Durst auf dem Marsche und im feuer gewesen, an die Befriedigung physischer Bedürfnisse gedacht, so traten diese jetzt mit schonungsloser Forderung auf. Und doch, was für Aussichten auf einem meilenweiten Schlachtfelde, wo alles verwüstet! Unfrer zwei waren so glücklich, von Fähnrich von Gerstein ein Stückchen Speck zu erhalten. Im Dorfe hatte Hauptmann von Trotha einen nicht verschütteten Brunnen aufgefunden, hier nahmen wir Wasser und erquickten unsre danach lechzenden verwundeten Kameraden. Zeltleinen oder Decken, von französischen Tornistern entnommen, breiteten wir dann zwischen Toten und Verwundeten auf den blutgetränkten Boden aus, und in die Mäntel gehüllt, legten wir uns nieder, um vom heißen Kampfe auszuruhen.

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Einen Anblick grenzenlosen Elends und Jammers bot der 19. August. dämmernde Tag auf dem weiten Schlachtfelde; und dabei das Gefühl, nicht helfen zu können, wo tausendfache Hilfe not that. Die Krankenträger waren seit gestern abend in emsigster Arbeit, selbst französische Ambulancen fuhren unablässig ab und zu auf dem Schlachtfelde umher, aber was waren sie gegen die Tausende von Hilfsbedürftigen? Ein wirres Träumen nur waren die paar Nachtstunden für uns gewesen. Früh raffte jeder sich wieder auf. Mich weckte der unermüdliche Klingenberg, der für die Kompanie ein Rind und für sich und Kameraden eine Flasche Kognak irgendwo aufgethan hatte. Zwei Brüder dienten zusammen in unsrer Kompanie, wir nannten sie nach ihrer Körperlänge nur den großen und den kleinen Keith. Mit dem kleinen Keith ging ich, ihm die Stelle zu zeigen, wo neben mir sein älterer Bruder gefallen; stumm stand er bei der Leiche, schloß ihr die Augen, drückte noch einmal dem entschlafenen Bruder die Hand und krampfhaft weinend schritt er mit mir fort. Allenthalben lagen die entseelten Kameraden, die der Tod gestern DON uns abtrennte. Überall zwischen Franzosen unsre blauen Achselklappen. Offiziere und Mannschaften, treu vereint im Code, wie sie es im Leben und im Kampfe waren. Feldwebel Krückmann von der 8. Kompanie, der in den kritischen Stunden gestern, wo wir kein Terrain gewannen und im offenen Feld im mörderischsten Feuer lagen, mit dem Notizbuch in der Hand ruhig wie auf dem Ererzirplatz in den Reihen seiner Kompanie umhergangen war, die Gefallenen notirend, ihn fand ich schon.

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wieder bei derselben Beschäftigung. An der Kirchhofsmauer beim Dorfe traf ich Sergeant Tillenburg und Völker von den Füsilieren. Völker, mein Kamerad seit jenen Tagen, wo wir begannen zusammen das ABC auf der Schulbank zu studieren, stürzte bewegt mir in die Arme, zwei abgeschwächte Schüsse hatten ihm Koppelschloß und Säbelgriff zerschlagen, seinen Körper, der leider später tückischer Krankheit zum Opfer fallen sollte, hatten die Kugeln verschont. Auch Gottschalk und Lüttschwager fand ich wieder, beide unversehrt. Eben stürzten Gebälkteile des Kirchturms. Der Kirchhof, der sich um die Kirche rundum 30g, der Toten Ruheplaß, war von Granaten durchwühlt, die Leichensteine zerschossen und abgebrochen, die Kreuze verkohlt, die zehnfache Zahl der unter den zertretenen, aufgewühlten Hügeln ruhenden Toten lag in grausem Gemisch mit weit geöffneten Augen über den Gräbern umher. In den Gassen des Dorfes Qualm und Brandgeruch, noch loderten aus den Häusern oder deren Trümmern die Flammen. Hier hatten die Bewohner in stillem Frieden gelebt, bis der Krieg sie hinausgetrieben, und Trümmerstätten werden sie wiederfinden, auf denen sie am Bettelstabe um ihren verlorenen Wohlstand weinen. Gegen 10 Uhr trat das Regiment zum Zwecke der Ermittelung der Verluste an. Arme todwunde Pferde hinkten dem Schalle der Hörner zu, welche zum Sammeln riefen, durch wohlgezielte Kugelschüsse erlösten wir die Tiere. Ein wehmütiges Gefühl beschlich jeden, zu sehen, wie gelichtet die Reihen unsres herrlichen Regiments waren. Innerhalb der Kompanien fand Namensaufruf statt. Diele, nur zu viele Kameraden fehlten, tot oder verwundet. Von Offizieren waren gefallen Major Prinz Salm, den einst auf den Schlachtfeldern Italiens, Nordamerikas und Merikos die Kugeln verschont, um hier für eine heiligere Sache sein Leben zu verbluten, ebenso sein Neffe, der 16jährige Leutnant Prinz Florentin Salm, ferner waren tot Premierleutnant v. Luttiß, die Leutnants v. Kropf, v. Müller, Graf Nsenburg, Helf; unser Oberst, war verwundet. Schwer verwundet waren Hauptmann v. Haugwiß, die Premierleutnants v. Frobel, v. Welzien, welch letzteren ich kurz vor seiner Verwundung schon gestern das Glück hatte, aus einem Haufen Fran30sen heraushauen zu helfen, die Leutnants von Pommer-Esche, v. Moz, v. Nostitz, v. Usedom, Rieß v. Scheuernschloß, Napromsky, v. Schmidt. Zehn andre Offiziere waren mehr oder minder leicht verwundet. Schwer war noch Vizefeldwebel

Als bei Ausbruch

Wegeler von der 1. Kompanie verwundet. des Krieges der Ruf zum Rhein wie Donnerhall über Deutschland brauste, den die Wogen auch über die Meere trugen, da war er aus England, wo zur Zeit er weilte, freiwillig unter die Fahnen geeilt, denen er schon 1866 auf ihrem Siegeszuge durch Böhmen gefolgt war. Wie im bürgerlichen Leben ein tüchtiger Kaufmann, so war Wegeler ein tapferer Soldat gewesen. Nach Koblenz evakuirt und ins Vaterhaus gebracht, konnte er trotz sorgsamster Pflege Heilung nicht mehr finden, in den ersten Tagen des September hauchte er dort seine Heldenseele aus.

Unter den Toten waren ferner die Feldwebel Gebauer, Abel und Wolf. Der bei der 6. Kompanie mit dem Feldwebeldienst betraute Sergeant Gaßen aus Koblenz war am Kopfe verwundet. Unteroffizier Goergens, mein Korporalschaftsführer, war durch zwei Schüsse getötet. Weiter waren von unsrer Kompanie gefallen die Unteroffiziere Büske, Wichenthal und Dodler, der Gefreite Grundmann, die Grenadiere Haardt, Keith, Dilthey, Birkelbach, Geuecke und andre. Von Koblenzern waren ferner tot der kleine brave Marity von den Füsilieren, die Grenadiere Emonds und Stuhlmann, Erben von der 7. Kompanie war am Kopfe blessiert, doch war dank seines harten Schädels die Wunde nicht bedenklich. Fast der dritte Teil des Regiments, etwa 900 Mann, waren tot oder verwundet.

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Sehr brav haben sich Pfarrer Heinen und die beiden barmherzigen Brüder benommen, die mit Hintansetzung des eignen Lebens auch im stärksten Kugelregen nur für die Erleichterung des Loses unsrer armen Verwundeten bedacht waren. An einem von der großen Straße sich abzweigenden Wege hielt die feldpost. Sie war von Hunderten von Soldaten umlagert. Jeder wollte mindestens eine Karte schreiben, daß er im Feuer gestanden und noch am Leben und gesund sei. War das eine gegenseitige Äußerung der Gefühle, eine Stimmung unter den Kameraden! Und wie sah man aus: die Helme zerschlagen, die Gesichter pulvergeschwärzt und noch dick vom Staube bedeckt, die Augen gerötet, die Uniformen zerrissen und bestäubt. Es blieb nun noch die traurige Pflicht, die ge bliebenen Brüder zur Erde zu bestatten. Von 2 Uhr nachmittags an bis spät in die Nacht währte die traurige Arbeit. Die Regimentsmusiken spielten den alten schönen Choral: „Jesus meine Zuversicht". Klagend zogen die feierlichen Töne über

20. August.

das weite Feld. In weitem Kreise um die zu Begrabenden standen Offiziere und Mannschaften durcheinander. Welch ernster, trauriger Anblick, die liebgewordenen Kameraden, welche gestern noch mit uns lebten, kämpften, heute in die von uns gegrabenen Gruben mit Kleidern und allem einzuscharren.

Stille, bittere Thränen rollten langsam die Wangen herab. Verstohlen schlich einer nach dem andern aus dem Kreise, sich ausweinen zu können. Nein! Niemand, der ruhig zu Hause sigt und der den großen Kampf, den wir jett kämpfen, nur aus Berichten von blutigen Schlachten, von teuer erkauften Siegen kennt, kann sich einen Begriff von der furchtbaren Geißel des Krieges machen: Hab' und Gut, Leib und Blut, alles muß vor ihr vergehen! - Die über das Totenfeld klingende feierliche Musik ward gegen 9 Uhr abends durch muntere Marschmusik unterbrochen. Mit klingendem Spiel zogen unsre Kampfgenossen von gestern, die wackeren sächsischen Regimenter, an unserm Biwaklager vorbei. Mit eigenartigen Gedanken, bewegten Herzens kroch heute, als die Nacht herab sich senkte, ein jeder in sein erbeutetes Franzosenzelt.

Heute morgen wurden wir umformirt, aus je zwei Kompanien ward eine gebildet, Major v. Behr wurde führer des Regiments. Wir erhielten heute auch frische Munition. Gegen 10 Uhr marschirten wir unter den Klängen des Preußenliedes vom Schlachtfelde ab. Vorher hatte der kommandierende General einen die ruhmreichen Thaten des Korps zusammenfassenden Tagesbefehl erlassen. Der Befehl lautete:

Soldaten des Gardekorps! In blutiger Schlacht hat Gott uns den Sieg verliehen, einen Sieg, dessen Größe erst heute ganz zu übersehen ist! Dem Gardekorps war es vergönnt, zur Erreichung dieses Sieges in hervorragender Weise beitragen zu können. Alle Waffen haben in Mut und Ausdauer gewetteifert. Die Artillerie hat durch ihr vereinigtes Wirken an den entscheidenden Punkten und durch ihr ruhiges sicheres Schießen, selbst da, wo sie sich im feindlichen Infanteriefeuer befand, den Angriff der Infanterie erfolgreich vorbereitet und unterstützt. Der Sturm auf die von steinernen Mauern umschlossenen Dörfer St. Marie aux Chênes und St. Privat la Montagne ist dem kolossalen feindlichen Gewehrfeuer gegenüber von der Infanterie in einer Weise ausgeführt worden, die über alles Lob erhaben ist.

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