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hier. Bei stärkster Hitze und schmalster Kost hatten wir heute fünf Meilen zurückgelegt. Die Bagage hatte nicht folgen können, wir hatten weder Fleisch noch Brot.

Der Tag von St. Privat, der glänzendste Stern in der 18. August. Ruhmeskrone des Regiments, er begann schon um 5 Uhr als ein heller heißer Sommertag; halb 6 brachen wir aus dem Biwak auf und marschirten in nördlicher Richtung auf Mars la Tour. Öftlich des Dorfes wurde Halt gemacht, und versammelte sich hier, durch eine Anhöhe nach Osten hin gedeckt die ganze Infanterie des Gardekorps in dichten Rendezvousstellungen. Wir fühlten die Nähe des Feindes, der noch unsichtbar für uns war. Die Adjutanten jagten querfeldein, um Meldungen zu machen und Befehle zu empfangen. Die Gewehre wurden geladen, die Fahnen entrollt. Pfarrer Heinen erteilte uns Katholiken nach kurzer Ansprache und Gebet die Generalabsolution, den Evangelischen gab der Divisionsprediger seinen geistlichen Zuspruch. Die Generale ritten von Truppe zu Truppe, durch kräftige Reden sie anfeuernd. Man suchte noch einmal seine Freunde bei den andern Kompanien auf, man drückte sich die Hände. Mein Nebenmann Kastert und ich versprachen uns gegenseitig, falls einem etwas zustoßen sollte, ihm beizustehen, Briefe, Wert: sachen 2c. den Angehörigen zu übermitteln. Es wurde uns be fohlen, das Verbandzeug statt im Brotbeutel in der rechten Hosentasche zu verwahren, weil es dort besser zur Hand; Messer, Portemonnais und dergleichen wurden aus den Taschen entfernt, da Kugeln solche Gegenstände leicht ins Fleisch treiben. Streng wurde uns untersagt, bei verwundeten Kameraden zurückzubleiben.

Die

Während einiger Ruhe verbreitete sich das Gerücht, der
Feind ziehe sich zurück und nehme die Schlacht nicht an.
Sonne stand schon hoch am Himmel und schickte ihre sengenden
Strahlen auf uns nieder. Der letzte Rest kalten Kaffees in der
Feldflasche wurde getrunken. Prinz Friedrich Karl ritt am
Regiment vorüber, einen „brillanten Tag" stellte er unserm
Grafen Waldersee in Aussicht. Soweit das Auge zu blicken
vermochte, war alles mit Truppen bedeckt, links von uns die
Avantgarde der Sachsen, rechts IX. und X. Korps, Infanterie,
Kavallerie, Artillerie, Munitionskolonnen, die Feldlazarette mit
ihren traurige Gedanken wachrufenden leichten Federwagen.

Rechts von uns heftiger Kanonendonner. Der Vormarsch wurde angetreten. Wir zogen durch Mars la Tour über das Schlachtfeld vom Dienstag, Bauern waren noch mit Begraben der Toten beschäftigt, Geschosse, Waffen und Uniformstücke bedeckten die Felder. Ungeheure Staubwolken, durch die vielen im Eilschritte vorrückenden Truppen hervorgerufen, bedeckten das Terrain. Unsre Flaschen waren meist geleert, furchtbar plagte der Durst.

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Die Stimmung unter den Leuten war eine gedrückte, aber mutige, viele dachten an Frau und Kinder, andre an Eltern und Geschwister, meine ganze Vergangenheit 30g an meinem Gedächtnis vorüber, ich dachte nach Hause, an Eltern und Geschwister, in Gedanken nahm ich Abschied von allem, was mir lieb und teuer war; ich dachte an meinen freiwilligen Eintritt in die Armee, daß, während ich hier dem Feinde, dem Tode entgegenmarschirte, die meisten meiner Altersgenossen daheim im trauten Familienkreise ruhig lebten, für dieselbe Sache lebten, für die zu sterben ich vielleicht bestimmt war, aber ich bereute keineswegs mein Cos, ich fühlte mich stolz und gehoben in dem Bewußtsein, für die heilige Sache der Vaterlandsverteidigung mein Leben einsetzen zu können, und war glücklich, endlich einmal an die Franzosen zu kommen. Ich empfahl mich dem Schutze des Allmächtigen.

Vor St. Marcel formirten wir uns zum Gefechte im Vorrücken, das 1. Bataillon auf dem rechten, das Füsilierbataillon auf dem linken Flügel. Wir nahmen links des Bois de la Cusse vor Verneville auf einer Höhenkuppe Aufstellung; jetzt sahen wir das ganze Schlachtterrain. Prinz Friedrich Karl, welcher mit seinem Stabe an uns vorbeiritt, rief uns zu, daß wir uns heute als brave Grenadiere schlagen und uns der hohen Ehre, die Königin als Chef zu besitzen, würdig zeigen sollten. Unter den Augen Sr. Majestät würden wir kämpfen, war uns gesagt. Um einigermaßen dem brennenden Durste zu begegnen, nahmen wir Blätter, Gras und dergleichen in den Mund. Furchtbar brüllten die Geschütze, rasselten die Mitrailleusen und krachten die Salven, dazwischen das Geheul plaßender Granaten, schmetternde Hornsignale, das lustig klingende Spiel der zum Angriff vorgehenden Regimenter, alles dies überstimmte das Geächze und die Todesseufzer der Gefallenen.

Seit 3 Uhr beschoß unsre nordöstlich von Habonville aufgefahrene Korps artillerie die festen Positionen von St. Privat

la Montagne und St. Marie aur Chênes. St. Privat liegt sehr hoch in völlig baumloser Gegend und von ihm fällt das Terrain glacisartig gegen St. Ail ab. Das Dorf ist massiv gebaut, die Gärten und teilweise die Feldstücke mit steinernen Mauern umgeben. Die von Natur starke Stellung von St. Privat, für welche die Dörfer St. Marie, St. Ail und Habonville nur die vorgeschobene Verteidigung bildeten, war durch Schützengräben, Feldschanzen und Einschnitte bedeutend verstärkt.

Die französische Artillerie sowie die in Deckungen befind liche starke Infanterie hielt bis zum Thalrande das Terrain unter einem fürchterlichen Feuer. Zur Deckung der Artillerie war gegen 3 Uhr unser 1. Bataillon nach St. Ail geschickt, St. Marie aur Chenes war um dieselbe Zeit vom GardeFüsilierregiment, dem Garde-Jägerbataillon und der Avantgarde der Sachsen dem Feinde entrissen worden. An der Spitze seiner Gardefüsiliere fand Oberst von Erckert hierbei den Heldentod. Jett traf der Befehl zum Vorrücken auch für uns ein, es war etwas vor 4 Uhr. Seit mehreren Stunden hörten und sahen wir rasendes Feuer, jetzt schlugen auch Granaten bei uns ein, eine der ersten traf den Medizinkarren. Wir gingen links, nördlich an St. Ail vorbei, nahmen unser 1. Bataillon wieder an uns heran und schritten unverzüglich zum Angriff auf die Höhen südlich von St. Privat la Montagne. Vorwärts ging es mit unglaublicher Ruhe. Wir mußten im stärksten Granatfeuer mehrere von starken Planken und dicken Drähten gebildete Wiesenzäune, welche jedem Kolbenstoße widerstanden, übersteigen. Wir hatten Bataillonskolonne formirt, ich befand mich auf dem linken Flügel des vierten Zuges, neben der Fahne. Die Regimentsmusik hinter uns spielte den Avancirmarsch, die kriegerischen Klänge hoben den Mut; Granaten, welche über unsre Köpfe dahinflogen, wurden mit Hurra begrüßt. Immer mehr kamen ihrer, einzelne schlugen ein, der Kugelregen ward immer stärker, Grenadier Hardt von der 6. Kompanie ward eins der ersten Opfer hier. Das Getöse des Feuers übertönte jedes Kommandowort.

Während der Tod in unsern Reihen zu rasen begann, sahen wir nichts vom Feinde; nur in weiter Ferne die langen dünnen grauen Linien der Verschanzungen teilweise von dickem Pulverdampfe verhüllt und in der Nähe hinter Hecken, Gräben und Zäunen dann und wann einen Kopf. Unsre Munition noch sparend, drangen wehrlos wir so vorwärts. Die Verluste wurden

immer bedeutender, eine breite Straße von Toten und Verwundeten ließen wir hinter uns zurück. Da kam der Befehl zum Ausschwärmen. Er kam zur Zeit, wohl wenige von uns wären noch davongekommen, wenn wir noch lange in geschlossener Truppe geblieben wären. Wir machten ungefähr 100 Schritte im Laufschritt, warfen dann auf das Kommando „Nieder“ uns zu Boden und gaben Schnellfeuer. Während wir lagen oder knieten, blieb unser ebenso tapferer wie guter Leutnant Graf zu Nsenburg in ganzer Länge aufrecht stehen, so thaten sie es ja alle, unsre braven Offiziere; eben wollte uns unser Führer sein: „Aufstehen, vorwärts, marsch, marsch!“ zurufen, als ihm die Worte auf den Lippen erstarben, lautlos fiel er rückwärts, eine Kugel hatte ihn in den Unterleib ge. troffen. Wir liefen immer je 100 Schritte voran, warfen uns dann am Boden nieder, gaben Schnellfeuer und wiederholten das Manöver dann wieder von neuem. Unserm Bataillonskommandeur Major von Behr war das Pferd während eines solchen Avancirens unter dem Leibe erschossen, er führte uns zu Fuß. Immer größer wurden unsre Verluste, der Feind übergoß förmlich das ganze Terrain mit Bleigeschossen.

Noch über 1000 Schritte ging es bei immer stärkerem feindlichen Feuer vorwärts, als ein konzentrischer Angriff aller zwölf Kompanien auf die Bergkuppe vor St. Privat befohlen wurde. Im nächsten Augenblick warfen wir uns mit schlagen. den Trommeln und lautem Hurra im Sturmschritt auf die Berghöhe. Atemlos kamen wir oben an. Hier jahen wir die Rothosen deutlich vor uns, wir feuerten liegend und kniend auf die zum Teil zurückgehende, zum Teil Widerstand bietende feind liche Infanterie. Das Geknatter und Gezisch des Kleingewehrfeuers erreichte einen unerhörten Grad, wir schossen blind in den Pulverdampf hinein, mein guter Kamerad Kastert war nicht mehr bei uns, eine Kugel hatte bei dem Ansturm auf die Höhe ihm den Arm zerschmettert. Die Unteroffiziere Büske, Wichenthal und Dodler, Gefreiter Grundmann, die Grenadiere Birkelbach, Geuecke, Keith waren von der 6. Kompanie beim Angriff auf die Höhe gefallen, der den Feldwebeldienst versehende Sergeant Gassen war am Kopfe verwundet worden. Ganze Reihen leicht Verwundeter suchten blutend und stöhnend sich aus dem Bereich des feindlichen Feuers zu schleppen.

Die Intensität des Kampfes war eine furchtbare, von Sekunde zu Sekunde wurden unsre Reihen lichter, die meisten

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Offiziere waren tot oder verwundet. An ein weiteres Vorwärtsgehen war nicht mehr zu denken; der Feind brach jetzt in Massen aus dem Dorfe hervor und beschoß uns mörderisch. Wir mußten abwarten, bis die Sachsen zu unsrer Verstärkung heran seien. So blieben wir beinahe 12 Stunde im offenen Blach. felde stehen, knieen, liegen, die geringsten Deckungen suchend, die der Acker darbot, etwa 400 Schritte von St. Privat entfernt. Ein Kavallerieangriff, welchen der Feind auf uns machen wollte, ward durch das Vorgehen unsrer Gardehusaren und des 2. GardeUlanenregiments vereitelt. Die französische Artillerie schwieg, nur das Chassepotfeuer rollte in ununterbrochenem Geprassel über die nackte weite Fläche hin. Die meisten von uns hatten ihre Munition verschossen, man leerte die Patronentaschen der Gefallenen.

Ich gab das Feuern auf und zog mich mit andern an eine seitwärts gegen das Dorf laufende Hecke, welche einen Feldweg einsäumte, zurück, hier standen prächtige Beeren, an welchen wir uns labten, ob sie giftig waren, kümmerte uns nicht, gleichgültig gegen den Tod, denn mit dem Leben hatten wir alle abgeschlossen. Hinter den Hecken lagen haufenweis die gefallenen Franzosen, meist mit Schüssen in den Kopf. Hier war es, wo zu gleicher Zeit, daß mir eine durch die Hecken abgeschwächte Kugel in den gerollten Mantel schlug, eine andre mir die rechte Wade streifte. Dielen Kameraden wurde ihr Codesmahl, welches sie an den Beerensträuchern hielten, jählings durch eine Kugel abgebrochen. Immer stärker brachen die Franzosen in dichte Schützenschwärme aufgelöst, Reihe auf Reihe hintereinander, mit lautem Rufen und unter beständigem Schießen aus dem Dorfe und den Verschanzungen hervor, uns mit völliger Vernichtung bedrohend und schrittweise zurückdrängend. Fechtend zog unser Häuflein sich langsam zurück, eine fürchterliche Angst bemächtigte sich meiner. Doch aller Mund entrang sich der Ruf: „Lieber hier sterben als zurückweichen!" Wir standen und viele starben.

Inzwischen war die Dämmerung angebrochen, die ganze Gegend war in dichten Pulverdampf gehüllt und die Sonne schien wie ein Feuerball durch die dichte Dampfwolke. St. Privat brannte, ebenso der Weiler St. Jerusalem. Unfre Artillerie war hinter uns aufgefahren und warf Granaten in den Feind. Da kam unser Regiments adjutant, Leutnant von Stedmann, der Bravsten einer, und brachte mit strahlender Miene die Nachricht,

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