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gesetzgebenden Gewalt des fremden Staates unabhängig war. Civilansprüche sind durch das Völkerrecht selbst geschützt.

Bweite Abtheilung.

Die diplomatische Kunst'.

Ihr Wesen.

227. Auch die Diplomatie oder die staatsmännische Thätigkeit in auswärtigen Angelegenheiten ist eine Kunst, ein sich bewußtes Können. Aber um dieses wahrhaft zu sein, darf sie weder eines vernünftigen Grundes entbehren, noch auch vernunftwidrige Zwecke verfolgen. Ihr Grund ist nun kein anderer, als das Recht der vertretenen Staaten, ihr Zweck nur das Wohl und rechtliche Interesse derselben. Niemals also müßte die Diplomatie, ohne zu entarten, ein Werkzeug jener Politik sein, die sich alles Selbst-Zuträgliche erlaubt hält, oder einer unbegrenzten Herrsch- und Eroberungssucht dient, oder eine gänzliche Abschließung gegen andere Staaten bezielt; sie darf sich ebenso wenig selbst als Zweck sezen, geschäftig sein ohne Princip, oder spielen mit der Verwirrung, um daraus Gewinn zu ziehen; sie darf sich endlich nicht als die Schöpferin des Schicksales der Nationen betrachten, sondern nur als eine Dienerin der Weltgeschicke. Sie muß wissen, daß die Geschicke der Völker einer höheren Ordnung unterworfen sind; daß jedem Staate sein eigenthümliches Leben in der Kette der Dinge angewiesen ist; daß es zwar durch gewaltige Anspannung der Kräfte möglich ist, von dem geschichtlich vorgezeichneten Wege abzuweichen und die Bedeutung eines Staates

1 Die bereits zu § 199 angegebenen Schriften berühren diesen Gegenstand ebenfalls, obwohl meist nur in seiner Aeußerlichkeit. S. indessen noch: 3. M. Frh. v. Liechtenstern, die Diplomatie als Wissenschaft. Altenburg 1820. Kölle, Betrachtungen über Diplomatie. Stuttgart und Tübingen 1838.

423 über sein Gleichmaß mit anderen zu erheben; daß indessen jede übermäßige Anstrengung ihr baldiges natürliches Ziel findet, in Erschlaffung übergeht, und dann auch der über Gebühr erhobene Staat unrühmlich in seine vorige Lage, ja oft tiefer herabstürzen kann, als er bei natürlicher Benutzung seiner Kräfte fortdauernd behauptet haben würde. Darin eben besteht nun das ächte diplomatische Wissen als Voraussetzung diplomatischer Thätigkeit, nämlich in einer gründlichen Auffassung der Geschichte und gegebenen Verhältnisse, nicht etwa, um bloß Beispiele daraus für das eigene Handeln oder eine Prognose zu erhalten, sondern um das Wirkliche und Nothwendige in den gegebenen Verhältnissen selbst zu erkennen; Aufgabe der Kunst ist es hiernächst, darauf das fernere Verhalten für das Recht und das Wohl des Staates zu bauen, auf sittlichem Wege das Schlechte und Schädliche zu bekämpfen, bis zum letzten Augenblicke endlich die Ehre des Staates aufrecht zu erhalten'. Falsch aber ist es, wenn die Diplomatie sich bloß zur Dienerin einer einseitigen Ansicht, einer Kastenrichtung hingiebt; wenn das System, welches sie vertheidigen und durchführen will, nicht aus der Nothwendigkeit hervorgeht, nicht in der Geschichte und der Bewegung des Weltgeistes begründet ist; denn alsdann hat sie das Schicksal, und gewiß nicht unverdienter Weise, daß sie ihre Zwecke nicht nur nicht erreicht, sondern eher zu einem entgegengesetzten Ziele durch ihre einseitigen Bestrebungen hinwirkt.

Ist demnach überhaupt Wahrheit der Grund und das Ziel der diplomatischen Kunst, so dürfen auch ihre Mittel nur der Wahrheit entsprechen: sie darf keine Kunst des Truges sein. Darin hat sie, wie in manchen anderen Stücken, Achnlichkeit und Berührungen mit der Redekunst. Auch die Redekunst findet ihr eigentliches Feld in der Wahrheit, ihr künstlerischer Zweck kann nur sein, von nicht gekannten oder noch unklaren Wahrheiten zu überzeugen; sie entartet, wenn sie sich zu unmoralischen oder widerrechtlichen Zwecken gebrauchen läßt.

1 Sehr gute Bemerkungen in diesem Sinne s. schon bei Mably, Principes des négociations chap. 2, womit auch noch Macchiavelli, del Principe chap. 25 verglichen werden kann.

Entstehung und Ausbildung der diplomatischen Kunst.

228. Vermöge der eben angedeuteten Verwandtschaft zwischen Rede und politischer Kunst sehen wir im Alterthume auch die Führung der Staatenverhandlungen meistens in den Händen oder in dem Munde bedeutender Redner. Redner und Staatsmann und Gesandter waren daher meist Eine Persönlichkeit; als besonderer Gegenstand der politischen Wissenschaft tritt die Diplomatie noch nicht hervor, so ausgezeichnete Diplomaten sich auch schon im Alterthume nachweisen lassen.

Im Mittelalter war, wie so vieles Andere, die Diplomatie theils in den Händen der unterrichteten Geistlichkeit, theils besorgten sie die Männer vom Degen; kurz, einfach, kunstlos. Mit der Unterdrückung der Volksfreiheiten und Corporationen, mit dem Uebergange des Lehnstaates zum absoluten Regierungsstaate wuchs auch eine der bereits oben (S. 12) geschilderten Politik mit gleicher Färbung dienende Diplomatie auf. Es war im Allgemeinen eine Lügendiplomatie, wie man selbst kein Bedenken hatte, einzugestehen; die Kunst der Verstellung im positiven Gewande der Lüge. Qui nescit dissimulare nescit regnare, und: Lügen mit Lügen gelten, war der Wahlspruch. Kein Mittel galt dabei für unerlaubt, am wenigsten Bestechung. Ludwig XI. von Frankreich und Ferdinand der Katholische waren die Hauptrepräsentanten dieser Richtung '.

Die größere Verfeinerung der Sitte und bessere Erziehung, auch der Einfluß der Wissenschaft in ihrer lebendigen Verbreitung mit dem Ausgange des 15. Jahrhunderts, brachte wenigstens einen Schein von gutem Glauben und Recht in die Diplomatic, wenngleich das Geheimniß, List und künstliche Vorwände ihre Hauptwerkzeuge blieben. So zur Zeit Carls V. und Philipps II2. Weiterhin umringte sie sich mit einem Nimbus von Galanterie, feinem Weltton und Aeußerlichkeiten aller Art; sie ward das Spiel der Höfe und Hofintriguen; den Gipfelpunkt bildet das Zeitalter Ludwigs XIV. Der Hof von Versailles war gleichsam der Parnaß

1 Man s. Flassan, Histoire de la dipl. fr. I, 235. 246. 247. 306. Mably a. a. D. chap. IV, p. 37. Flassan p. 372.

der Diplomatie, welchem man mit wenigen Ausnahmen während des ganzen vorigen Jahrhunderts huldigte. Bei aller Täuschung und geschmeidigen Verhandlungsweise war es aber doch immer ein Schein des Rechtes, den man allen Ansprüchen und Forderungen anzukleben suchte. Welche Mühe gab sich nicht die französische Diplomatie, um mit Rechtsgründen darzuthun, daß das Testament Carls II. von Spanien dem früher abgeschlossenen Theilungsvertrage vorgehen müsse1; welch ein Hohn des Rechtes waren die französischen Reunionskammern, und wie schwach die ersten und legten Präterte der Theilung Polens?

Nur hin und wieder taucht in dieser Periode der französischen Hofdiplomatie ein redlicherer Charakter auf, ein Bestreben um die Sache selbst, um Wahrheit und Evidenz, z. B. an dem Westfälischen Friedenscongresse, wenn auch in der pedantischen Gestalt von Doctoren der Rechte; sodann in der britischen Diplomatic, welcher man, wenigstens seitdem Großbritannien seine freie und unabhängige Stellung eingenommen hat, nicht den Vorwurf machen kann, daß sie durch Täuschungen ihre Ziele zu erlangen gesucht habe. Eher könnte man ihr Rücksichtslosigkeit und Derbheit bei vielen Gelegenheiten vorwerfen. Mit dem ganzen Ungestüme des Republikanismus, oft sogar formlos, trat die französische Diplomatie in der Revolutionsperiode auf. Sie hatte keine andere Basis als die der Macht und Convenienz. Kein Rechtsverhältniß galt mehr dagegen. Dieser Geist der Diplomatie behauptete sich auch unter Napoleon I.; nur die Form wurde wieder monarchisch, der Ton aber schneidend und tödtend. Als ihr Mittelpunkt beseitigt war, hatte die Diplo= matie der Höfe vornehmlich nur die Herstellung eines politischen Gleichgewichtes zur Aufgabe. Die Rückkehr zur Basis war ihr verschlossen; sie mußte über Seelen und Länder wie mit dem Tranchirmesser verfügen; dann aber hatte sie ihre zum Theil nur willfürliche Gestaltung in eine mysteriöse Rechtsmetaphysik zu hüllen, worin Legitimität der Hauptbegriff war, dessen offener Erklärung manches Hinderniß entgegen stand.

Ihre neuere Aufgabe schien vorzüglich Friede, Handel und Industrialismus zu sein, allgemeine Behaglichkeit und Wohlhäbigkeit!

1 Lamberty, Hist. du siècle I, p. 221. 243.

Diplomatische Charaktere '.

229. Große diplomatische Charaktere sind zu allen Zeiten eine Seltenheit gewesen; manche sind wohl selbst der Geschichte unbekannt geblieben; diejenigen vorzüglich, welche nur in untergeordneter Stellung arbeiteten, dennoch aber die Hauptfactoren unter fremdem glänzenderen Namen waren. Oft verschweigt die Geschichte die diplomatischen Thaten der Staatsmänner; denn nicht immer ist es erlaubt gewesen, in die Werkstätte zu schauen und den Schleier zu lüften.

Wir haben hier nicht den Raum, noch weniger den Beruf, eine Geschichte der Diplomatie in den Lebensbildern ihrer Organe zu schreiben, am wenigsten aus der Gegenwart, deren Geschichte noch nicht beendigt ist. Welche große Reihe würden nicht schon diejenigen bilden, deren sich die Römische Kirche zu allen Zeiten bedienen konnte! Beschränken wir uns nun darauf, aus der Geschichte der weltlichen Staaten die hervorragendsten Talente kürzlich zu bezeichnen, so treten uns theils große Souveräne selbst, theils Minister der auswärtigen Angelegenheiten und Unterhändler entgegen. Unter den Ersteren schon im Alterthum ein Philipp von Macedonien als Meister der Diplomatie, wenn Klugheit und List mit künstlichen Mystificationen auf diesen Titel einen Anspruch geben. In der neueren Zeit ein Carl V., Heinrich IV., Elisabeth von England, König Wilhelm III. - unstreitig der größeste Politiker des 17. Jahrhunderts. Weiterhin Ludwig XIV. und selbst noch sein Nachfolger Ludwig XV., der mit Liebhaberei der Diplomatie sich ergab; Carl Emanuel, Herzog von Savoyen, mit seinem Système bascule; Catharina von Rußland, Friedrich II. von Preußen und Kaiser Joseph II., welche beide sich gern über die diplomatischen Contours hinausseßend, wo möglich durch die That ein Gewicht in die Wage der Völkerschicksale zu Legen suchten.

Indeß bei großen Monarchen tritt jede partielle Thätigkeit unter den übrigen Seiten ihres Handelns in den Hintergrund; ausschließliche Charaktere bieten nur die dienenden Diplomaten. Ihre Leistun

1 Einzelnes hierzu liefert Wicquefort II, ch. 17. Desgl. Vergé, Diplomates et Publicistes. Par. 1856.

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