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Erste Abtheilung.

Die Organe des diplomatischen Verkehres1.

Geschichte und natürliches Princip.

199. Schon die alte Welt hatte ihre diplomatischen Verbindungen, jedoch keine dauernden, sondern vorübergehende. Die Völker verhandelten mit einander durch abgesandte Staatsmänner und Redekundige (7εσßεis, legati, oratores) über die sich gerade darbietenden Interessen; die Diplomatie war eine offene Kunst; nur die Päpste unterhielten schon früh am Constantinopolitanischen Hofe und in den Fränkischen Reichen bleibende Apocrisiarier und Responsales'.

1 Die gebrauchteren unter den zahllosen Schriften über diesen Gegenstand find im Allgemeinen: Alberici Gentilis, de legationib. libr. III. Lond. 1583. 1585. Hannov. 1594 (ober 1596), 1607, 1612. Abr. de Wicquefort, l'Ambassadeur et ses fonctions, à la Haye 1680. 81. II, und öfter, ein Buch an sich von sehr geringem Werthe, abstrahirt von seinem compilatorischen Inhalte; Les droits des Ambassadeurs et des autres Ministres publics les plus éminents par J. Gottl. Uhlich, à Leipz. 1731. Leyser, med. spec. 671. Joh. Freih. v. Pacassi, Einl. in die sämmtl. Gesandtschaftsrechte. Wien 1777. Franz Xav. v. Moshamm, Europ. Gesandtschaftsrecht. Landsh. 1806. Merlin, Répert. univ. de la Jurispr. m. „Ministre public." Ueber bies Battel IV, Cap. 5. J. J. Moser, Versuch Th. 3 und Beiträge zu dem neuesten Europäischen Völkerrecht Th. 3. Klüber, Völkerrecht § 166. Schmel. zing, Völkerrecht II, S. 90 f. Charles Bar. de Martens, Manuel diplomatique. Leipz. et Paris 1822. Deffelben Guide diplomatique. Paris et Leipzig 1832, auch par M. de Hofmann. Bruxell. 1838, jett 4 ème éd. 1851 par l'Auteur et de Wegmann. Traité complet de diplomatie par un ancien Ministre. Paris 1833. 3 Vols. (darüber foreign Quarterly Review, 1834, Febr.). Das Europäische Gesandtschaftsr. von A. Mirus. 2 Abschn. Leipz. 1847. E. C. Grenville Murray, Droits et devoirs des envoyés diplomatiques. Lond. 1853. L. Alt, Hdb. des Gesandtschaftsrechts. Berlin 1870. Bollständige Nachweisungen der gesammten älteren Literatur s. in Struv., Biblioth. iur. nat. et gent. in C. H. v. Römers Handb. für Ge fandte I. Leipz. 1791. v. Ompteda II, 534 f. v. Kamptz, N. Lit. § 200.

2 Eine Darstellung der alten Gesandtschaftsrechte s. in Weiske, Considérations sur les Ambassadeurs des Romains, comparés avec les modernes. Zwickau 1834.

Bgl. Juftinians Nov. 123, c. 25.

Seit dem funfzehnten Jahrhundert entwickelte sich indeß auch an anderen Höfen gleichzeitig mit der neueren Geheimpolitik (S. 12) und mit den stehenden Heeren das System stehender Gesandtschaften zum Zweck wechselseitiger Beaufsichtigung, wie zur dauernden Erhaltung eines guten Vernehmens, endlich zur sofortigen Beförderung specieller internationaler Interessen1. So haben sich bei den Höfen diplomatische Corps' gebildet, und man würde sich vom Europäischen Staatensysteme ausschließen, wollte man eine derartige Verbindung mit den übrigen dazu gehörigen Staaten völlig aufheben oder zurückweisen.

Actives und paffives Recht zu diplomatischen Missionen.

200. Das Recht, Abgeordnete in Staatsangelegenheiten zu schicken, hat unbestreitbar jeder wirkliche Souverän3; gewiß kann auch nur von diesem ein charakterisirter Gesandter mit amtlicher Bedeutsamkeit bestellt werden. Kein Unterthan, auch von noch so großem Einflusse und mit noch so vielen Privilegien begabt, hat ein solches Recht. Dagegen kann dasselbe nicht verweigert werden. einem Lehnssouverän,

einem unter fremdem Schuße stehenden Souverän,

einem Halbsouverän, soweit ihm nicht jede auswärtige Wirksamkeit oder Vertretung versagt ist,

endlich

1 Ward, Enquiry II, 483.

Diese Bezeichnung soll zuerst in Wien 1754 aufgekommen sein, durch eine Dame. Brief des Preußischen Gesandten v. Fürst an Friedrich II. Behse, Geschichte des Desterreichischen Hofes. VIII, S. 113.

3

S. vorzüglich Merlin a. a. D. sect. II, § 1. Schmelzing § 274.

4 Dahin gehören z. B. auch die einzelnen Schweizercantons, soweit ihre Berhältnisse nicht von der Centralgewalt der Eidgenossenschaft abhängig sind. S. Bundesverfassung der Schweiz vom 12. September 1848 Art. 8. 9. Vor mals gab es selbst Städte und Corporationen unter landesherrlicher Gewalt, welche dennoch in gewissen Angelegenheiten, z. B. in Kriegs- und Handelssachen, Gesandte schiden konnten. Vattel nannte in dieser Beziehung noch die Schweize rischen Städte Neufchatel und Bienne als des droit de bannière (ius armorum) genießend und daher zu gesandtschaftlichen Missionen berechtigt.

einem usurpatorischen Souverän, sofern man mit ihm Verbindungen eingehen will oder sich ihnen nicht entziehen kann, sowie andererseits einem verdrängten Souverän, dessen Wiederherstellung noch immer für möglich zu halten ist, soweit es nur das Verhältniß zu dem Usurpator gestattet. Landesbehörden eines Souveräns haben das Gesandtschaftsrecht nicht, es müßte ihnen denn, wie bei Vicekönigen und Gouverneurs zuweilen der Fall gewesen ist, dasselbe ausdrücklich übertragen worden sein.

Das Nämliche gilt im Ganzen auch von der Annahme fremder Gesandten, wenigstens von einer völlig unanfechtbaren Annahme und mit völkerrechtlicher Bedeutung; denn an und für sich würden natürlich selbst Privatpersonen einen von den vorgedachten Autoritäten an fie Abgeordneten empfangen können; insbesondere wäre kaum abzusehen, warum nicht einem Souverän erlaubt sein sollte, in einer rein persönlichen Angelegenheit, z. B. wegen einer Vermählung, einen Abgeordneten mit einem gesandtschaftlichen Titel selbst an ein, fremder Staatshoheit unterworfenes fürstliches Haus abzusenden. Niemals würden jedoch gesandtschaftliche Rechte und Privilegien ohne die Concession dieser Staatsgewalt in Ausübung zu bringen sein'.

Eine Pflicht zur Annahme fremder Agenten existirt an und für sich nicht, sondern es ist eine reine Interessenfrage, ob man sie empfangen wolle. Allein man würde wiederum die Rücksendung seiner eigenen Abgeordneten zu erwarten haben, auch wird die Humanität nicht erlauben, friedliche Mittheilungen auf diesem Wege ungehört zurückzuweisen. Gewiß kann sich jede Regierung die Zusendung einer ihr unangenehmen Person oder die Beauftragung ihrer

1

Ein merkwürdiges Actenstück über das Recht, Gesandte zu schicken, zu empfangen und zu behandeln sind die bei de Real t. V, p. 140 ff. und in Rousset, Cérém. diplom. t. I, p. 481 abgedruckten angeblichen Gesetze Kaiser Carls V. in Betreff der Gesandten. S. auch v. Martens, Erzählungen I, S. 371. So wenig bei ihrem Inhalte Bedenken Statt finden, so wenig scheint das Aufschreiben solcher Gesetze der Zeit Kaiser Carls V. zu entsprechen. Bis auf besseren Beweis halten wir sie für apokryphisch. Ein ähnliches Actenstück über die Immunitäten der Gesandten wird weiterhin zu erwähnen sein.

☛ Vattel IV, 65. 66. Merlin a. a. D. Sect. II, § 3. Leyser sp. 671, med. 25. 26.

eigenen Unterthanen verbitten1, sowie sie Abgeordnete zurückweisen darf, deren Vollmachten mit den Rechten und der Verfassung des eigenen Staates in Widerspruch stehen2.

Kategorien der diplomatischen Organe.

201. Organe für den heutigen Betrieb der auswärtigen Staatsinteressen sind, abgesehen von dem Antheil, welchen die Souveräne selbst daran nehmen können,

1. die Minister der auswärtigen Angelegenheiten,

II. die an fremde Staaten abgeordneten Staatsdiener und Bevollmächtigten.

In letterer Hinsicht unterscheidet die neuere Staatenpraxis folgende Kategorien, bald mit einer bleibenden allgemeinen Mission zur Unterhaltung einer dauernden Verbindung, bald nur zu bestimmten Einzelzwecken:

a. Gesandte mit einem öffentlich beglaubigten amtlichen Charakter zur unmittelbaren Verhandlung mit fremden Staatsgewalten; legati publice missi, Ministres publics;

b. Agenten, die zwar zu gleichem Zwecke, jedoch ohne derartig amtlichen Charakter und Titel abgeordnet werden;

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2

Beiträge III, 90. Bielfeld, Insti-
Klüber, Völkerrecht § 176. 187.

So ist kein Staat schuldig, päpstliche Legaten oder Nuncien mit den ihnen nach den Kirchengesetzen (Mirus § 94 ff.) von selbst zustehenden oder ausdrücklich ertheilten Vollmachten zuzulassen, deren Ausübung mit der Souveränetät oder kirchlichen Verfassung des betreffenden Staates collidiret. Es kann vielmehr hier, wie z. B. in Frankreich geschieht, die Auflegung einer bestimmten beschränkten Vollmacht verlangt werden. Merlin, Rép. univ. Ministre publ. sect. V, § 7.

3 Bemerkenswerth ist die Einrichtung des französischen Ministeriums der auswärtigen Angelegenheiten durch Ordonnanz vom 13. August 1844 (J. des Débats vom 20. Septbr.). Darin ein eignes Bureau de protocole, qui expédie les traités, les concessions, brevets, provisions, exequatur; qui instruit pour le ministre les questions relatives au cérémonial et au protocole, aux privilèges, immunités et franchises des ambassadeurs et ministres étrangers.

Heffter, Völkerrecht. 6. Ausg.

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c. Commissarien, welchen bloß bestimmte einzelne Geschäfte und ohne direkte Verhandlung mit den höchsten Organen der auswärtigen Staatsgewalt aufgetragen werden;

endlich

d. die Consuln für die Handelsintereffen (§ 244 ff.).

Alle diese können entweder auf bestimmte oder unbestimmte Zeit definitiv oder nur einstweilen (ad interim) angestellt werden.

Dazu kommen dann noch die erforderlichen Hilfspersonen, die Secretäre und sonstigen Büreauglieder, so wie die zur Correspondenz dienenden Couriere, Feldjäger und dergl.

Rechtsverhältnisse der diplomatischen Personen überhaupt.

202. Jede in den vorgedachten Kategorien begriffene diplomatische Person steht zuvörderst in einem staatsdienstlichen Verhältnisse 1 zu dem von ihr vertretenen Staate, mit den nach dem inneren Staatsrechte darauf haftenden Verpflichtungen, Rechten und Garantien; sodann in einem völkerrechtlichen Verhältnisse zu demjenigen Staate, mit welchem zu unterhandeln ist, oft auch zu dritten Staaten, mit welchen sie ihre Mission nothwendig oder zufällig in Berührung bringt; und nur diese völkerrechtlichen Beziehungen sind hier noch näher zu erörtern, zuerst im Allgemeinen, dann wegen jeder Kategorie noch insbesondere. Ein gemischtes Staats- und völkerrechtliches Verhältniß tritt ein, wenn der diplomatische Agent eines Staates bei einem Anderen Unterthan des Letzteren ist. Denn hier bedarf es unter allen Umständen erst der Zustimmung des Letteren, welche natürlich auch nur eine bedingte oder beschränkte sein kann. Unbedingt schließt sie eine Suspension des bisherigen Unterthansverhältnisses für die Dauer der Mission, wenigstens in allen denjenigen Beziehungen in sich, welche mit dem diplomatischen Charakter und Amt in Collision gerathen2.

Hierzu vgl. den Rechtsfall in der Zeitschrift für Staatswissenschaft. XI, 320.

2 Die Praxis mancher Höfe ist daher auch gegen ein solches gemischtes Verhältniß ihrer Unterthanen, z. B. die französische, obschon nicht ohne alle Ausnahme. Merlin a. a. D. S. 250. Erst seit Ludwig XVI. ist das Princip

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