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Courtoisie.

196. Alle Souveräne und demnächst auch die Mitglieder der souveränen Familien haben ein Recht auf eine bestimmte Courtoisie, d. h. auf Ertheilung gewisser Titulaturen im gegenseitigen mündlichen oder schriftlichen Verkehre. Hierzu dienen die bereits § 53, IV und § 55 angezeigten Prädicate, welchen bei Anreden kein anderes geringeres substituirt werden darf. Außerdem ist hergebracht, daß gekrönte Häupter sich unter einander den Bruder- und Schwestertitel geben und ihn auch noch allen denen, welche Königlicher Ehren genießen, ertheilen. Dasselbe ist mit den Gemahlinnen der Fall'. Nur zwischen dem Papste und den katholischen Fürsten besteht ein anderer Stil; er empfängt von ihnen (auch wohl aus Condescendenz von protestantischen Mächten) das Prädicat: Eure Heiligkeit, und ertheilt den katholischen Fürsten das Prädicat: geliebte Söhne. Ferner werden gekrönte Häupter, und nur sie, durch Sire angeredet2, Alles Uebrige in der gegenseitigen Courtoisie beruhet auf freundschaftlichem und verwandtschaftlichem Gebrauch, oder gehört hauptsächlich nur dem Canzleistil an, in welcher Hinsicht es weiterhin (Abschnitt II' dieses Buches) seine Stelle finden wird.

See-Ceremonial3.

197. Ein eigenthümliches See-Ceremonial wird beobachtet: wenn Schiffe unterhalb der Kanonen eines fremden Staats

1 S. desselben Opusc. academ. p. 413.

1 Ueber den Gebrauch dieses Wortes vgl. Lünig, Theatr. ceremoniale p. 20. 88.

3 S. hierüber Bynkershoek, Quaest. iur. publ. II, 21. de Real V, p. 993. 3. J. Moser, vermischte Abhandlungen aus dem Völkerrecht II, Nr. 6. Desselben Versuch II, 481. Beiträge II, 441. Fr. Carl v. Moser, kleine Schriften IX, 287, X, 218. XII, 1 ff. Bouchaud, Théorie des traités de commerce p. 41. v. Cancrin, Abhandl. I, § 80. Pestel, Selecta cap. juris gent. marit. § 7. Encyclopéd. méthodique. Marine, Tom. II, m. honneurs. Tom. III, m. saluer. Klüber, Völkerrecht § 117 ff. v. Martens, Europ. Völkerrecht § 154 ff. Vorzüglich Ortolan I, 349. Riquelme p. 254. Phillimore II, 39. Halleck V, 16. De Cussy, Droit maritime I, 2, 61 s. Calvo § 147 f.

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gebietes vorbeisegeln oder in einen Hafen desselben einlaufen wollen;

sodann

wenn sie sich in fremdem Seegebiete befinden bei besonderen Gelegenheiten, auch wohl

bei Begegnungen auf offener See.

Es bestehet in gewissen Ehrenbezeigungen, namentlich in dem sogenannten Schiffsgruße, worauf meistens eine Erwiederung erfolgt. Seine Arten find:

das Flaggenstreichen durch Anziehen und Neigen der Flagge, jezt nur noch gebräuchlich unter Kriegsschiffen, selten, wo nicht gar verboten, ein gänzliches Abnehmen der Flagge, welches Lettere das größeste Zeichen der Unterthänigkeit und Unterwerfung ist;

der Kanonengruß mit einer bestimmten, gewöhnlich ungleichen Anzahl von Kanonenschüssen, und zwar bei vorzüglicher Ehrenbezeigung mit scharfer Ladung;

das Flaggenaufstecken und Wehenlassen;

das Herablassen der Marssegel, besonders des großen, bis an den Fockmast, oder auch das Segelstreichen durch Herablassung der Flagge oder des Perroquetmastes oder des Wimpels auf einige Zeit;

der Gruß mit einer oder drei Kleingewehrsalven in Verbindung mit dem Kanonengruß;

das Beilegen und die Absendung eines oder einiger Offiziere an Bord des anderen Schiffes;

endlich

der Vivatruf (le salut de la voix) bis zu einer ungleichen Zahl wiederholt.

In Betreff der Anwendung solcher Ceremonien können, abgesehen von einzelnen meist widersprochenen Forderungen gewiffer Nationen und von den darüber bestehenden Verträgen, nur folgende Grundsäge als völkerrechtliche gemeine Regeln angesehen werden:

1

Als die höchste Zahl nimmt man meist 21 Schüsse an. Doch bleibt die Observ anz der einzelnen Staaten nicht schlechterdings dabei stehen.

1. Jeder Staat fann in seinem eigenen Seegebiete die Art des Schiffsgrußes bestimmen' und ihn zuerst fordern, nur nicht in einer für andere Nationen kränkenden Weise, wie z. B. das gänzliche Abnehmen der Flagge sein würde. Hierbei ist dann meistens üblich, daß auch fremde Kriegsschiffe beim Vorbeisegeln vor einer Festung oder beim Einsegeln in einen Hafen, oder endlich bei dem Vorüberfahren an Kriegsschiffen im auswärtigen Seegebiete sowohl durch Kanonenschüsse wie durch Flaggenstreichen grüßen, worauf ihnen durch Kanonenschüsse in gleicher Zahl gedankt wird3. Kauffahrteischiffe müssen auch wohl das Marssegel herablassen.

II. Auf offener See kann an und für sich keine Nation die Begrüßung von einer anderen Nation fordern. Dagegen auf sogenannten Eigenthumsmeeren hat der herrschende Staat Anspruch auf den ersten Gruß. Wird das Eigenthumsrecht von einer Nation nicht bestritten, so wird sie sich auch in Letzteres fügen müssen, nicht aber eine andere".

III. Nur als übliche Höflichkeit, jedoch nicht als Recht und Verbindlichkeit, ist Folgendes anzusehen:

1 Die Seegesetze der einzelnen größeren Seeftaaten enthalten derartige Bestimmungen. Vgl. wegen Großbritannien Laws of the admirality T. II, p. 303, Phillimore II, § 36. 37; wegen Frankreich Ordonnance vom 31. Oct. 1827 und vom 1. Juli 1831 (de Martens et Murhard, Nouv. rec. X, 380. 381) Cérémonial officiel, p. 162, 55; wegen Spanien Abreu, Collection Phil. IV, P. VII, p. 642. Carol. II. P. I, p. 549. Calvo § 164. Wegen Nordamerika Halleck V, 27.

Ortolan I, 370.

• Encyclopédie: Marine Tom. II, p. 389. 3 Mosers kleine Schriften Th. IX, S. 297. v. Martens, Völkerrecht 155. Schiffe höheren Ranges erwidern zuweilen mit einer geringeren Zahl Schüffe. Ortolan p. 371.

4 v. Martens § 155. Dennoch verlangen noch in neuerer Zeit Admiralschiffe einen Ersten Gruß. Ortolan p. 371. Und nach Twiss I, 268 sollen Kriegsschiffe auf offener See überhaupt aus Sicherheitsgründen wenigstens die Aufhissung der Flagge von anderen Schiffen verlangen dürfen. Dies ist jedoch tein ceremonialrechtlicher Punkt.

• Borzüglich der Britische Anspruch auf die Narrow Sees hat von jeher Anlaß zu Streitigkeiten und selbst zu Gewaltmaßregeln gegeben. Zugestanden warb der Anspruch von den Vereinigten Niederlanden 1667, 1674 und 1783. Vgl. Nau, Völkerseerecht § 139. Ortolan p. 351. Jetzt ist er wohl aufgegeben. Tellegen p. 43. Halleck V, 18.

a. Begegnet ein Kriegsschiff einem fremden Kriegsgeschwader, so grüßt jenes zuerst mit Kanonenschüssen. Ebenso hält man es bei Vereinigung einzelner Schiffe mit einem fremden Geschwader.

zuerst.

b. Eine Hülfsflotte grüßt das Geschwader der Hauptmacht

C. Bei Begegnungen einzelner Schiffe grüßt das dem Range nach geringere das höhere zuerst; bei Ranggleichheit das unter dem Winde befindliche. Admiralschiffe erhalten vor Allen den ersten Gruß.

d. Caper grüßen stets die Kriegsschiffe zuerst, ohne selbst Gegengruß zu empfangen.

e. Kauffahrer grüßen fremde Kriegsschiffe zuerst mit Segel und Flaggengruß, auch wohl mit Kanonen, wenn sie dergleichen führen; doch wird Eines oder das Andere erlassen, wenn das Schiff im vollen Laufe ist1.

Die Höflichkeit bringt ferner noch mit sich, daß Festungen und Häfen, wenn sich ihnen fremde Regenten oder Stellvertreter derselben nähern oder vorüberfahren, selbige zuerst mit Kanonen begrüßen.

Zu wünschen wäre, daß man sich endlich, mindestens auf offener See, wegen Unterlassung jedes Schiffsgrußes unter den Nationen vereinigte. Unbefugt und unverantwortlich ist es, wegen der Unterlassung eines solchen Grußes, sogar wo er gefordert werden könnte, in Gewaltthätigkeiten überzugehen, anstatt sich mit bloßen Zurückweisungen zu begnügen, oder auf friedlichem Wege zuerst bei der Regierung des zuwiderhandelnden Theiles auf Genugthuung anzutragen.

1 Moser, Versuch II, 482. Nau § 142.

• Dergleichen Vereinigungen bestehen bereits unter einzelnen Nationen. Moser, kleine Schriften XII, 22. Klüber, Völkerr. § 121. Nau § 143. Ortolan p. 366 s.

3 Beispiele solcher Gewaltthaten s. in Mosers Beiträgen II, 445.

Zweiter Abschnitt.

Der diplomatische Verkehr der Staaten.

198. Die auswärtigen Interessen der Einzelstaaten können ihrer Natur nach allein von den Souveränen und den ihnen oder auch ihren Nationen selbst verfassungsmäßig verantwortlichen Organen ihres Willens wahrgenommen und besorgt werden. Seit langer Zeit hat die Politik der Staaten diesem Gegenstande ihres Wirkens die größeste Aufmerksamkeit und Sorgfalt gewidmet; denn die Schicksale der Völker erhalten dadurch wenigstens ihre förmliche Gestaltung, wenn sie auch nicht allein dadurch geändert und gemacht werden können. Alles, was sich darauf beziehet oder damit wesentlich beschäftiget ist, bezeichnet die neuere Europäische Sprache durch „diplomatisch“, hindeutend damit theils auf die urkundlichen Grundlagen der Staatsinteressen, theils auf die zu ihrer Sicherstellung dienende und nicht wohl zu entbehrende urkundliche Form der Verhandlungen und Resultate; bisweilen freilich in einer etwas auffälligen Ausdehnung auf fremdartige Dinge. Der Nimbus, womit sich vormals die Diplomatie umhüllte, hat manchen publicistischen Schriftsteller angeregt, vornehmlich ihre Aeußerlichkeiten mit einer gewissen Coquetterie und Devotion zu behandeln und auszuschmücken. Wir wollen im Folgenden hauptsächlich nur die leitenden Grundsäße aufsuchen und zuerst von den besonderen diplomatischen Organen, sodann von der diplomatischen Kunst, endlich von den Formen ihres Wir-. kens einfach nach unserer Weise handeln. Die Diplomatie geht selbst nicht mehr so gespreizt und blasirt einher, wie vormals. Sie ist einfacher und, wenn auch nicht öffentlich geworden, wie sie es in der alten Welt war, wenigstens erkennbarer und zugänglicher.

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