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Drittes Buch.

Die Formen des völkerrechtlichen Verkehres,

oder

Die Staatenpraris in auswärtigen Angelegenheiten sowohl im Kriege wie im Frieden.

Einleitung.

193. Annäherung und Verbindung der Völker unter einander ist, wie wir schon im Anfange zeigten, die Aufgabe des Völkerrechtes. Insofern nun der internationale Verkehr ein bloßer Privatverkehr von Staatsgenossen aus einem Lande in das andere für Privatzwecke ist, wird er durch die Gesetze sowohl des einheimischen Staates, wie des fremden Staates innerhalb eines jeglichen Gebietes geregelt; insofern er aber in freiem gemeinsamen Gebiet oder unter den Staatsgewalten und deren Repräsentanten Statt findet, treten sowohl im Frieden wie im Kriege besondere Formen in Anwendung, welche theils dem sog. Ceremonial-, theils dem diplomatischen Rechte angehören', von welchen beiden hier noch zu handeln ist.

Erster Abschnitt.

Allgemeine Ceremonialrechte im persönlichen Verkehre der Nationen und ihrer Souveräne.

194. Aus der Achtung, welche die Staaten einander schuldig find (§ 32), fließt zwar von selbst die Verbindlichkeit, sich bei per

1 In der französischen Staatssprache bilden die dafür angenommenen Formulare das sog. protocole diplomatique. Vgl. unten § 201.

sönlichen Begegnungen und Correspondenzen jeder nach allgemein sittlicher Gewöhnung kränkenden Form zu enthalten, nicht aber auch von selbst die Verbindlichkeit, eine bestimmte positive Form der Behandlung zu beobachten. Indessen hat die Sorge für die eigene Würde, verbunden mit der Ungleichheit, welche sich hinsichtlich des Ranges der einzelnen Staaten unter einander ergeben hat, sodann der Geist des abendländischen Ritterthumes und die Mode des Hoflebens zur Annahme gewisser Formen geführt und ein eigenes Staatenceremonial erzeugt', welches zwar im Allgemeinen nur in Aeußerlichkeiten besteht, dennoch aber, soweit es ein vollkommen be= gründetes und verbindliches ist, von der politischen Wissenschaft nicht ganz übersehen werden darf. Es kommt zur Anwendung

a. bei persönlicher Annäherung der Souveräne und souveränen Familienglieder unter sich, es sei durch persönliche Zusammenkunft oder Correspondenz;

b. im diplomatischen persönlichen oder schriftlichen Verkehre;

1 Schriften über diesen allerdings wenig juristischen Stoff enthaltenden Gegenstand s. in B. G. Struv., Biblioth. iur. Imp. 1727. III, 5. v. Ompteda § 207. 208 und bei v. Kamptz § 138. Die bedeutendsten, wenn auch in vielen Stücken nicht mehr brauchbaren davon sind:

Il Ceremoniale historico e politico di Gregorio Leti. 6 Vol. Amstel.
1685. 12.

Friedrich Wilhelm v. Winterfeld, Teutsche u. Ceremonial-Politika. 3 Theile.
Frankfurt und Leipzig 1700 und 1702. 8.

Gottfr. Stievens, Europäisches Hofceremonial. Leipzig 1714. 2. 1723.
Joh. Chr. Lünig, Theatrum ceremoniale historico-politicum. Leipz.
1716, 2. 1719. 20.

Julius Bernhard v. Rohr, Einleitung zur Ceremonialwissenschaft. Berlin

1730. 2. 1735.

Georg Chr. Gebauer, Programma de cerimoniar. natura atque jure.
Gött. 1737.

Cérémonial diplomatique des cours de l'Europe par Rousset. II.
Amsterd. et à la Haye 1739. fol.

Joh. J. Moser, Versuch des neuesten Europ. Völkerr. Th. II.

In allen diesen Schriften ist indessen Staats- und Hofceremonial nebst Staatsgalanterie unter einander vermischt, und, was wahrhaft Ceremonial recht sei, ungenügend nachgewiesen. Das Hof-Staats-Diplomatische und See-Ceremonial des französischen Kaiserreichs war zusammengestellt in einem eigenen Werk: Le cérémonial officiel. Paris II. édition 1868.

c. in der Correspondenz der Behörden verschiedener Staaten

unter einander;

d. im Schiffsverkehre.

Man kann demnach unterscheiden ein Land- und See-Ceremonial, oder noch genauer:

ein rein persönliches bei persönlicher Annäherung,

ein schriftliches, insbesondere Canzlei-Ceremonial,

endlich

ein Sce-Ceremonial.

Alles beruhet hierbei auf willkürlichen Gebräuchen. Ein Rechtsanspruch auf Befolgung derselben, mithin ein wahres, internationales Ceremonialrecht kann jedoch nur angenommen werden hinsichtlich derjenigen Gebräuche, welche entweder auf Verträgen beruhen, oder in einem so entschiedenen Herkommen, mit dessen Nichtbeobachtung sich nach allgemeiner Ueberzeugung die Annahme einer Kränkung verknüpft. Daneben und außer dem Bereiche des internationalen Rechtes steht

das besondere Hof - Ceremonial', welches jeder Souverän nach Belieben einrichten kann, soweit es das vorerwähnte Staaten-Ceremonial nicht verletzt;

sodann

die sogenannte Staatsgalanterie oder dasjenige, was die Regierungen und deren Vertreter unter einander zwanglos nur aus Freundschaft oder Höflichkeit und Ergebenheit gegen einander beobachten, wie z. B. die Notifikation freudiger oder trauriger Ereignisse, Beglückwünschungen, Beileidsbezeugungen, Begrüßung eines durch- oder vorüberreifenden Souveräns oder seiner Familienglieder, Traueranlegung, Ertheilung von Geschenken und Orden.

So gewöhnlich dergleichen sein mag und so oft aus der Unterlassung in dem einen oder anderen Falle eine Mißstimmung hervorgehen wird, so wenig kann daraus ohne Hinzutritt sonstiger Umstände und Verhältnisse eine Beleidigung hergeleitet werden; vielmehr wer

1 Ueber dieses vgl. das schon oben S. 109, Note 6 angeführte Hofrecht von Friedrich Carl v. Moser. Daneben f. 3. 3. Moser, Versuche Th. I, c. 6, S. 331.

den Vernachlässigungen der Höflichkeit nur zu einem gleichen Verfahren veranlassen, niemals aber eine Forderung auf Genugthuung begründen, wie sie bei der Verlegung eines wirklichen Ceremonialrechtes zulässig ist.

Zunächst soll hier nun dasjenige, was außerhalb des schriftlichen und diplomatischen Verkehres im Allgemeinen hergebracht ist, dargestellt werden, während das auf jenen Verkehr speciell bezügliche Ceremoniell in den nachfolgenden Abschnitten seine Stelle finden mag.

Recht auf einen bestimmten Ehrenplag.

195. So oft als Häupter und Repräsentanten verschiedener Staaten mit einander in persönliche Berührung kommen, wird eine Bestimmung wegen der einzunchmenden Pläge, insbesondere wegen des sogenannten Ehrenplages, nothwendig. Zwar sollte an und für sich jeder Platz nur durch die Person seine Bedeutung erhalten, nicht aber die Person durch die Stelle, welche sie einnimmt; dennoch aber hat die Mode gewissen Plägen eine Erstigkeit, anderen eine mindere Bedeutung beigelegt, und da einmal das Herkommen gewisse Rangverschiedenheiten der Staaten eingeführt hat, so kann gewiß auch der im Range höher Stehende einen höher geachteten Platz ver den Anderen für sich verlangen; Personen aber, die in einem gleichen Verhältnisse zu einander stehen, können mindestens fordern, bei der Einnahme der Pläße nicht auf eine Weise behandelt zu werden, welche als Zurückschung oder als Anerkennung des höheren Ranges eines Anderen ausgelegt werden könnte.

Der Ehrenplatz nun, welcher dem im Range Höheren gebührt, ist verschieden im Sitzen, im Nebeneinanderstehen, im Auf- oder Herabsteigen, bei Processionen in einer Linie oder bei einem Auftreten neben einander in gerader Linie (in latere)1.

1 Das Nähere kann man hierüber aus Lünig oder Moser's Hofrecht und in ber Kürze aus Klüber, Völkerrecht § 101-103 entnehmen und darnach auch aus de Martens, Manuel diplomatique § 39, sowie aus bessen Guide diplomatique. Wegen Frankreich: Cérémonial officiel (1868) p. 188.

Kommt es auf Vollziehung gemeinschaftlicher Urkunden an, so wird im Eingange und Contexte der entschieden Höhere im Range vor dem Nachfolgenden genannt. Die Unterschrift aber geschieht ge= wöhnlich in zwei Columnen, von denen die heraldisch rechte zu oberst dem Ersten im Range, die linke zu oberst dem Nächstfolgenden ge= bührt, worauf dann die übrigen Unterschriften in derselben Weise von der rechten zur linken Columne hinübergehen.

Stehen die betheiligten Staaten in gleichem Range oder in Streit darüber, so müssen gewisse Auswege benutzt werden, insbe= sondere:

eine conventionelle Aufhebung aller Förmlichkeit; eine gegenseitige Abwechselung (Alternat)'; der Gebrauch des Looses; ein freiwilliges Nachgeben unter Vorbehalt oder gegen Revers, oder endlich eine gegenseitige Erklärung der Unverfänglichkeit. — Außerdem wirh bei Besuchen das Gastrecht auf eine für den Gast so viel als möglich zuvorkommende Weise ausgeübt; der Wirth giebt dem Gaste, selbst wenn er nur seines Gleichen ist, den Vortritt und die main d'honneur2.

Bei gemeinsamen Urkunden unter Gleichen wird häufig alternirt3, d. h. jeder Theil setzt im Eingange und Contexte seines Exemplares seine eigenen Titel und Bezeichnungen den fremden voran und hat die erste Unterschrift; ohne Alternat, oder wo es nicht ausreicht, muß einer der zuvor erwähnten sonstigen Auswege beliebt werden. Jeder Theil unterschreibt auch wohl nur Ein Exemplar in der ihm günstigsten Canzleiform für den anderen Theil*.

2

1 Vgl. Klüber § 104. Phillimore II, 49. Halleck V, 14.

Nur Ludwig XVIII. that es nicht, als er die alliirten Souveräne bei sich bewirthete. Chateaubriand, Congrès de Verone II, p. 345 (éd. de Leipz.).

3

Darauf geht das Wiener Protokoll vom 19. März 1815 Art. VII (f. die Anlagen). Beabsichtigte genauere Regulirungen dieses Gegenstandes Seitens der größeren Mächte sind gescheitert an der Indifferenz Großbritanniens und an der Julius-Revolution. Einzelne Höfe wollten hierbei noch die Großherzoglichen von dem Alternat ausschließen.

4 Moser, Vers. VIII, 276. 277.

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