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päischen Nationen nachweisen', so immanent auch an sich jedem geschlossenen Rechtssystem die Idee oder Nothwendigkeit einer Verjährung ist2. Die Dauer von Staatenrechten, welche nicht durch Zweck und Convention auf bestimmte Zeit beschränkt sind, ist daher an sich von dem Verlaufe gewisser Jahre nicht abhängig; sie bestehen so lange, als der Berechtigte sie nicht aufgegeben hat oder in die Unmöglichkeit gekommen ist, sie ferner geltend zu machen. Die Aufhebung kann erfolgen entweder im Wege des Vertrages oder durch einseitige Dereliction, wodurch dann von selbst ein entgegenstehender Besig jeder Anfechtung überhoben wird; eine Dereliction kann aber allerdings auch aus einem langen Zeitverlauf zu erschließen sein, wenn der vormals Berechtigte Gelegenheiten des Widerspruchs oder der Wiederausübung seines Rechtes hat vorübergehen lassen. Immer jedoch entscheidet hier nur die rechtliche Natur eines Verzichtes3.

Was den unvordenklichen Besißstand betrifft' (antiquitas, vetustas, cuius contraria memoria non existit), so kann darunter nur ein solcher gemeint sein, wo der Beweis, daß es jemals anders war, nicht geführt werden kann und demnach die Vermuthung entstehet, daß die Sache oder das Recht dem besitzenden Subject von Anfang an gehört habe. Der jetzige, aber schon uralte Besitzstand ist eine vollendete Thatsache, wogegen die Geschichte nichts vermag. Wie

1 Eine vielbehandelte Schulfrage, m. s. die Monographien bei von Ompteda § 213 und v. Kampß § 150 die aber dadurch nicht weiter gebracht ist. Die Praxis hat sich allezeit gegen das Aufdringen eines positiven Institutes der Art gesträubt. Zusammengesetzte Staaten- und Bundeskreise können dasselbe allerdings aufnehmen. So galt es ehemals unter den Mitgliedern des Deutschen Reiches. Unter den heutigen Souveränen Deutschlands ist es aber wegen der Verhältnisse, die sich nicht aus jener Zeit herschreiben, schwerlich noch anwendbar.

2 Richtig bemerkte Pinheiro Ferreira zu Martens Not. 31, daß man droit (eigentlich Rechtsnothwendigkeit) und loi de préscription unterscheiden müsse. 9 Uebereinstimmend H. Groot II, 4, 1 ff. und die meisten seiner Commentatoren. Auch Pufendorf IV, 12, 11. Vattel II, 11, § 149. Wheaton II, 4, § 4. Phillimore I, 323.

4 Hierüber noch immer sehr gut: Groot a. a. D. § 7 ff. Vattel II, 11, § 143. C. E. Waechter, de modis tollendi pacta inter gentes. Sttg. 1779. § 39 f. de Steck, Éclaircissements de divers sujets. Ingolst. 1785. Günther, Völkerrecht I, 116 f

viele Staatenrechte, Grenzen und Besitzungen würden nach bloß theoretischen Rechtsgründen, oder wenn man nach den Rechtstiteln früge, anzufechten sein, wenn nicht das vor der Geschichte geborgene Alter sie niederschlüge?

Außerdem muß freilich auch den Staaten gesagt sein: hundert Jahre Unrecht ist noch kein Tag Recht.

Befißstand, als subsidiarischer Regulator der Staatenverhältnisse.

13. So weit es an einem klar erweislichen Recht ermangelt, ist die Gestaltung des eigenen Rechtskreises allezeit noch der freien That, dem Willen des Einzelnen überlassen. Hierin liegt auch die Bedeutung des jeweiligen Besitzstandes, als eines wenigstens provisorischen Regulators der Staatenverhältnisse. Es ist nämlich jeder Besitz, den eine Person wissentlich ergreift oder ausübt, als freiheitliche That die Seßung und Erklärung eines subjectiven Rechtes, welches zwar keine entgegenstehenden objectiven Rechte zu beseitigen vermag, dennoch aber deren Uebung hindert und sich bis zu dem Austrag eines etwaigen Streites als Recht der freien Person geltend macht. Muß darum selbst das gesetzliche Recht im Innern der Staaten dem Besitz einen gewissen Schutz leihen, so versteht sich jene Geltung des Besitzes (des s. g. uti possidetis oder des status quo) um so viel mehr nach dem freien Recht der Nationen unter einander. Und selbst für Dritte außer den Betheiligten und deren Angehörigen ist wenigstens einstweilen der Besigstand eine Thatsache, welche das Recht selbst vertritt und die unter ihm entstandenen Rechtsverhältnisse sanctionirt, als wären sie von dem wirklich Berechtigten ausgegangen'; nur mag dem Willen und Rechtszustand des Lettern für die Zukunft kein Zwang oder Eintrag angethan werden, auch ist Niemand verbunden oder berechtigt, einem bereits überwiesenen unrechtmäßigen Besizer die Rechte eines provisorischen

1 Wir finden diese Lehre bei Groot I, 4, 20. II, 4. 8. § 3 und soust. Schmalz, Völkerr. 208. Klüber, dr. des gens. § 6. Wildman, Intern. L. I, p. 57. Dieses Princip befolgt auch die Römische Kirche. Man s. die päpstliche Erklärung d. non. Aug. 1831 im Anhange und schon Concil. Trid. sess. 25 cap. 9 de reform. „reges seu regna possidentes." S. auch unten § 49. Heffter, Völkerrecht. 6. Ausg.

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Eigenthümers ferner zuzugestehen. Anwendungen dieser Säge werden in der Folge sich ergeben.

Die Natur des Besizes für sich selbst ist übrigens im Völkerrecht wesentlich keine andere als im Privatrecht. Nur die näheren Bedingungen zum richterlichen Schuß des Besizes kommen dort nicht in Betracht. Es genügt die Thatsache des für sich Selbst-Besitzens, ausgenommen in Staatensystemen, wo es eine unblutige Dikäodosie der Genossen nach bestimmten Gesetzen giebt, wie im Deutschen Bunde nach vormaligen gemeinen Reichsrechten. Hier können auch die civilrechtlichen Besitzfehler, ein clam aut vi aut precario possidere, geltend gemacht werden. Nicht bloß Sachen, sondern auch Gerechtsame kann ein völkerrechtlicher Besitzstand als iuris quasi possessio ergreifen. Unwissend aber übt man keinen Besit1 und auch nicht weiter, als die thatsächliche Innchaltung reicht; es sind 3. B. in dem Besitz einer Sache nicht von selbst noch die in fremdem Besitz befindlichen Pertinenzien begriffen. Den Staat vertreten dabei die Organe der Staatsgewalt und deren Beauftragte.

1 S. schon Groot III, 21. 26.

Verhandlungen hierüber gab es auf dem Congreß zu Paßerowicz 1718.

Zinkeisen, Gesch. d. osm. R. V, S. 566.

Erftes Buch.

Das Völkerrecht oder die Grundrechte der Nationen in Friedenszeiten.

Erster Abschnitt.

Die Subjecte des Völkerrechtes und ihre internationalen Rechtsverhältnisse.

I. Keberhaupt.

14. Vermöge des Charakters und Begriffes des heutigen Völkerrechtes können nur Staaten und deren Souveräne als unmittelbare Rechtssubjecte, auf welche sich jenes beziehen läßt, angesehen werden. Mittelbar und objectiv sind es auch in einzelnen Beziehungen deren Unterthanen und Diener, unter diesen, als besonders privilegirt, die diplomatischen Vertreter. Vorausseßung zu dem vollen Mitgenuß des Europäischen Völkerrechtes ist dabei überall die Zugehörigkeit zu dem Europäischen Staatenkreise oder eine friedliche Stellung zu demselben, die eine gegenseitige Anwendung der Grundsäße des internationalen Rechtes bedingt und erwarten läßt.

Nur gewissermaßen steht jeder einzelne Mensch, er gehöre zu irgend einem Staate der Welt, oder er sei staatenlos, also der Mensch an und für sich, unter dem Völkerrecht (§ 1 und 58). Und so wenig wie der Einzelne ein selbständiges unmittelbares Subject nach internationalem Recht darstellt, so wenig ist dies auch der Fall mit Associationen, Corporationen, Communen, so lange sie keine wirkliche staatliche Existenz erlangt haben (§ 15), wie z. B. mit

Handelsgesellschaften oder Vereinen (Hansen), wenn gleich sie in älterer Zeit sich zuweilen zu politischer Macht aufgeschwungen und sogar einen Einfluß auf die Gestaltung des neueren Völkerrechtes, insonderheit des Seerechtes, ausgeübt haben'. Gegenwärtig können sie nur unter dem Schuße und der Vertretung eines Staates eine politische Thätigkeit entfalten, so wie als Private einzeln oder als Gesellschaft nach Maßgabe der Staatsgesetze Rechte erlangen und genießen.

II. Im Besonderen.

Die Staaten und ihre Nechte.

Natur, Bedeutung und Verschiedenheit der Staaten.

15. Staaten sind die vereinzelten stetigen Verbindungen von Menschen unter Einem Gesammtwillen für die sittlichen und äußeren Bedürfnisse der menschlichen Natur. Ihre gemeinsame Aufgabe ist die vernünftige Entfaltung des Menschen in seiner Freiheit. Denn der Staat an sich ist der Mensch der Gattung. Aber es giebt keinen Universalstaat. Gäbe es einen solchen, so müßten Alle dagegen kämpfen, um ihn wieder in die nationalen Stoffe aufzulösen, in den Bau von Einzelstaaten, in welchen sich die menschliche Kraft allein im gehörigen Maß und Gleichmaß entwickeln kann. Zur Existenz eines Einzelstaates gehört indeß:

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Die berühmteste Verbindung dieser Art war die Deutsche Hansa, seit 1315 so benannt, welche eine wirkliche politische Körperschaft ward. Die Werke von Sartorius und Lappenberg geben darüber Auskunft. S. auch Ward, Enqu. II, 276 s. Pardessus, Droit marit. t. II, 90. 453. III, 150. Pütter, Beitr. 137. Heinr. Handelmann, die letzten Zeiten hansischer Uebermacht in Scandinavien. Kiel 1853. Barthold, Gesch. der Deutschen Hansa. Leipz. 1854. 2 Thle. Dazu das neue Werk: die Receße und anderen Akten der Hansetage von 1250—1430. Bd. 1. Leipz. 1870. (Duncker u. Humblot). Die späteren Handelscompagnien unter Leitung und Vertretung ihrer Souveräne können damit nicht in Parallele gestellt werden, gehören aber ebensowenig zu den völkerrechtlichen Personen. Vgl. darüber Moser, Verh. VII, 313. Klüber, Dr. d. g. § 70 d. Martens, Einleit. § 130. Not. g. Ueberhaupt die Literatur bei v. Kampß, § 260 und Miltitz, Manuel des Consuls II, 660.

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