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Maßregeln vor oder bei Anfang des Krieges.

121. Maßregeln, welche der Eröffnung eines vollständigen Kriegszustandes, d. h. eines solchen Zustandes, wo die Integrität und Selbständigkeit eines Staates mit Waffengewalt bedroht wird, noch vorangehen können, ohne selbst schon einen Kriegsanfang_nothwendig darzustellen, sind ein Embargo und die Verhängung einer Blocade (§ 112). Beide bestehen vorerst nur in einer Beschlagnahme, welche aber, wofern die Maßregel selbst durch schon zuvor existirende Gründe gerechtfertigt war, nach wirklich eröffnetem Kriege in eine Aneignung der in Beschlag genommenen und ihr nach Kriegsrecht unterworfenen Sachen verwandelt werden kann1.

Fernere Maßregeln sind:

die Erlassung von Manifesten, worin die Ursachen des Krieges öffentlich dargelegt werden; nebenbei auch wohl die Verbreitung besonderer Rechtsausführungen, zur Beglaubigung der wesentlichen Thatsachen und Grundsätze. Die Würde der Staaten gebietet hierbei gemessene Haltung, insbesondere eine zurückhaltende Schonung der Persönlichkeit des Feindes; die Thatsachen allein müssen sprechen.

Sodann:

die Erlassung von Abberufungspatenten an die im feindlichen Lande befindlichen Unterthanen2;

die Erlassung von Martialgesetzen, Untersagung eines jeden oder doch bestimmten Verkehres mit dem Feinde;

eine Benachrichtigung der neutralen Mächte von dem bevorstehenden oder schon eingetretenen Kriegszustande; endlich auch wohl

1 In dieser Weise wurden auch bei der Blocade von Vera-Cruz 1838 die von dem Französischen Geschwader weggenommenen navires Mexicains zuerst als séquestrés pendant le cours du blocus und dann als capturés à la suite de la déclaration de guerre betrachtet. Man stellte aber nachher in der Convention vom 9. März 1839 die Frage zum schiedsrichterlichen Ausspruch: s'ils devaient être considérés comme légalement acquis aux capteurs. de Martens, Nouv. Rec. XVI, 610. Vgl. übrigens Wildman II, 9.

2 Darüber vgl. v. Kamptz, Lit. § 277.

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Austreibung der feindlichen Unterthanen aus dem diesseitigen Gebiete zur Vermeidung der etwanigen Nachtheile, welche aus dem ungestörten Verweilen feindlicher Staatsangehörigen entspringen könnten1.

Alle diese Maßregeln sind jedoch dem politischen Ermessen der einzelnen kriegführenden Theile ganz allein überlassen.

Unmittelbare rechtliche Wirkungen der Kriegseröffnung.

122. Die nächste Wirkung einer Kriegseröffnung ist die thatsächliche Suspension des bisherigen friedlichen Verhältnisses und Verkehres unter den kriegführenden Mächten; denn es fehlt nun an der Möglichkeit einer Dikäodosie, auch nimmt der Krieg alle Mittel und Kraftanstrengungen für sich in Anspruch. Dagegen ist kaum zu behaupten, wenigstens nicht nach den Principien des neueren Kriegsrechtes und in einem socialen Staatenkreise, daß der Krieg jedes rechtliche Band unter den streitenden Parteien von Rechtswegen auflöse und ein solches erst durch den Frieden von Neuem entstehen lasse, weil der Krieg Alles, sogar die Existenz jedes darin begriffenen Staates auf das Spiel sete2. Die bloße Möglichkeit eines Unterganges steht noch nicht dem wirklichen Untergange selbst gleich.

Eine fortdauernde Giltigkeit haben zunächst diejenigen Verpflichtungen, welche ausdrücklich auf den Fall eines Krieges übernommen oder ausgedehnt sind, so lange kein Theil sich einer Verlegung

1 Dergleichen Xenelasien haben in älterer und neuerer Zeit Statt gefuuden. So noch im Jahre 1755 in Frankreich gegen die Engländer mit Trompeten und Pauken (J. J. Moser, Vers. IX, 45.) Dabei muß eine billige Frist gestattet werden. Vattel III, 63. Natürlich kann man auch einen unschädlichen ferneren Aufenthalt den unverdächtigen Personen gestatten. Ueber das franzöfifche Verfahren im J. 1870 f. Rev. de Dr. intern. II, 671 f.

2 So z. B. Schmalz, Völkerr. S. 69. S. dagegen Wheaton III, 2, 7-9 und zum Theil auch Mably, Droit publ. I, 169. Erörterungen der Frage bei Frdr. Chph. Wächter, de modis tollendi pacta inter gentes. Sttgrd. 1780. § 53 f. Leopold, de effectu novi belli quoad vim obligandi pristinar. pacification. Hlmst. 1792. 3. 3. Moser, verm. Abh. I. Klüber § 165. Massé § 144.

schuldig macht und den anderen dadurch zur Aufhebung der Verbindlichkeit oder wenigstens zur Suspension derselben als Repressalie berechtigt1; denn bis dahin besteht präsumtiv eine Einheit des Willens, die Grundlage der Vertragsverbindlichkeiten. Eben so sind auch diejenigen Rechtsverhältnisse als rechtskräftig anzusehen, welche durch frühere schon in Vollzug gesetzte Verträge in das Leben getreten, folglich schon vollendete rechtliche Thatsachen sind, vorausgesezt, daß nicht im künftigen Friedensschlusse eine ausdrückliche Aenderung damit vorgenommen wird2.

Ferner treten selbst die allgemeinen friedensrechtlichen Verhältnisse der Staaten während des Krieges nur insoweit außer Kraft, als es Absicht und Nothwendigkeit der Kriegführung erfordert. Das Recht auf Achtung kann selbst dem Feinde nicht abgesprochen werden und wird im neueren Kriegsgebrauche, besonders unter den Souveränen nicht bei Seite gesetzt. Treue und Glauben darf man auch unter den Waffen fordern.

Vertragsverbindlichkeiten, deren Erfüllung noch nicht bewirkt ist, werden theils schon durch den Krieg, wenigstens für die Dauer desselben unmöglich gemacht, wenn ihre Voraussetzung ein Friedenszustand ist; theils können sie überhaupt nicht als fortwirkend gelten, weil ihr Giltigkeitsgrund, nämlich eine dauernde Willenseinheit und die Möglichkeit einer Verständigung nach gleichem freien Rechte durch den Krieg unterbrochen ist, außerdem auch der Völkergebrauch zur Erfüllung früherer Verträge dem Feinde gegenüber nicht verbindet, vielmehr sie als aufgehoben oder suspendirt betrachtet. Ob und welche davon mit dem künftigen Frieden wieder aufleben, wird sich im vierten Abschnitte dieses Buches herausstellen. Ist die Erfüllung eines streitlosen Vertrages bereits vor oder während des Krieges fällig geworden, so kann sich der glückliche Feind freilich das Object oder Aequivalent davon mit eigener Willkür anzueignen suchen.

1

Dahin gehört namentlich die Stipulation der sechs Monate zu Gunsten" der Unterthanen, ihre Personen und Güter im Falle eines Krieges in Sicherheit zu bringen. Mably a. a. D. v. Steck, Essais sur div. sujets. 1785. p. 5. Ein anderes Beispiel bei Wheaton § 8, 3. S. auch Klüber § 152. Martens § 263. Vattel III, 175. Oke Manning p. 125. Phillimore III, 117. 2 3. B. geschehene Ceffionen von Ländern, Grenzbestimmungen, Eigen

thumstitel für Unterthanen u. dergl.

Allein diese Willkür ist noch keine rechtliche Thatsache; erst durch den Frieden erlangt sie diesen Charakter.

Allgemeine Menschen- und Privatrechte werden an sich durch den Krieg nicht aufgehoben'; sie unterliegen nur den Zufälligkeiten der Kriegsgeißel, welche ohne Wahl trifft. Allerdings aber müssen sich die Unterthanen der kriegführenden Mächte denjenigen Beschränkungen2 unterwerfen, welche eine jede derselben dem Verkehre mit dem Feinde oder mit Neutralen zu setzen für gut findet. So weit dies nicht ausdrücklich geschieht, darf in den Privatrechten der Einzelnen, ja selbst in der Rechtsverfolgung derselben in Feindesland nach neuerem Kriegsrecht keine Veränderung vermuthet werden.

Einfluß des Krieges auf den Handelsverkehr feindlicher Personen.

123. Muß man es gleich als Recht jedes Erdenbürgers betrachten, die Verbindungswege der Völker zum Verkehre mit denselben, folglich auch zum Handel zu benutzen, und müßte dieses Recht an und für sich wie jedes andere Privatrecht selbst unter den Waffen fortbestehen: so darf es doch nicht in Widerspruch mit den Interessen der Staaten geübt werden, unter deren Schuße es steht; der Handel kann sich leicht mit seinem gewaltigen Nerv zu einer unabhängigen, die Staaten selbst bedrohenden Macht erheben, wie die Geschichte bereits an dem Beispiele der Hanse gezeigt hat; er würde in seiner Freiheit zuletzt der Beherrscher der Staaten werden, dessen speculative Einseitigkeit viele edleren Elemente erdrücken könnte; zuverlässig aber würde er schon bei einzelnen Kriegen eine große Abhängigkeit der kriegführenden Mächte von sich herbeiführen, eine ge= wisse Zweideutigkeit in das streng geschiedene Verhältniß derselben

1 Vgl. Fr. Esaias Pufendorf Iur. univ. IV, obs. 206, 2.

2 Die meisten Beschränkungen treffen den Handel. Vgl. darüber den nächstfolgenden Paragraphen.

3 Zachariä 40 B. vom Staat XXVIII, 7, 2 (IV. Bd. S. 103). Was Politik und die Praxis der Einzelstaaten mit sich bringt, darüber vgl. Wurm in der Zeitschr. für Staatswissensch. VII, 350 f. und Massé a. a. D.

4 Schriften über diesen so wichtigen Punkt, freilich zumeist mit Ausdehnung auf die erst später zur Sprache zu bringenden Verhältnisse des neutralen Handels, s. bei v. Kampß § 257.

Hineinlegen und die Durchführung der Kriegsunternehmungen vielfach durchkreuzen, ja dem Feinde selbst oft zu Gunsten dienen, wenn man sogar unter den streitenden Nationen einen unbeschränkten Handelsverkehr zu gestatten hätte. Denn der Handel hat keinen Feind außer demjenigen, welcher ihn stört, und sein natürliches Princip ist Eigennuh ohne Vaterland; auch sein großartiges Verdienst um die Civilisation ordnet sich dieser Triebfeder unter. Es liegt daher in der Natur der Sache, daß ein völlig freier, unüberwachter Handelsverkehr zwischen den Unterthanen der streitenden Theile nicht zugelassen werden kann, vielmehr jeder kriegführende Staat zur Beschränkung derselben Maßregeln zu ergreifen befugt ist. Er darf also nicht allein seinen eigenen Unterthanen mit Androhung von Strafen und Confiscationen die gänzliche Unterlassung oder gewisse Beschränkungen vorschreiben, sondern er kann auch thatsächlich jeden feindlichen Unterthan von solchem Verkehre zurückweisen und Reactionen dagegen gebrauchen, wovon das Nähere in Betreff des Seehandels bei der Seebeute vorkommen wird; er kann feindlichen Handelsforderungen die Klagbarkeit versagen, z. B. den Versicherungen feindlicher Güter2, so wie er andererseits durch Ertheilung specieller Licenzen einen bestimmten Verkehr erlauben mag, wodurch aber natürlich dem feind-. lichen Theile keine Verbindlichkeit zur Beachtung der Licenz auferlegt wird. Keineswegs läßt sich übrigens behaupten, daß eine absolute Handels- und Handelsgeschäftssperre unter feindlichen Staaten die Selbstfolge der Kriegseröffnung sei, wenn sie gleich das Gefeß einzelner Staaten ist. Es bedarf vielmehr deutlicher Erklärungen jeder Staatsgewalt über diesen Gegenstand, wenigstens eines ausdrücklichen allgemeinen Handelsverbotes, indem die Handelsfreiheit der Einzel

1 Dies geschah sonst regelmäßig. Vgl. Pufendorf 1. c. obs. 207. Aber es hat auch Beispiele des Gegentheils gegeben. So decretirten die Generalstaaten 1675 in dem Kriege gegen Schweden freien Handel unter den Kriegführenden. Die Britische Praxis f. bei Phillimore III, 105.

2 de Steck, Essais sur div.

Praxis: Wurm a. a. D. VII, 340 ff.

sujets p. 14 s. Wegen der neuesten Phillimore 1. c. 108.

3 Ueber diese und ihre stricte Bedeutung s. Jacobsen, Seerecht S. 423. f. 719-731. Wheaton, Intern. L. IV, 1 § 22. Oke Manning p. 123. Wildman II, 245. Halleck XXVIII. Calvo § 771 ff.

4 Vgl. Nau, Völkerseerecht § 263.

Anderer Meinung war Bynkers

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