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weigerung der Erfüllung sich nur auf einen vereinzelten Punkt oder Artikel des Vertrages bezichen. Denn die Grundlage jeder Vertragsverbindlichkeit ist vollkommene Willenseinheit über Alles, worüber man sich erklärt hat, deren Verletzung in Einem Stücke auch eine Verletzung der übrigen befürchten läßt und einen Zustand der Ungleichheit mit sich führt'.

Alle vorstehend bemerkten Einreden können übrigens beseitigt werden theils durch vorherigen Verzicht, theils durch ausdrückliche oder stillschweigende Bestätigung des an sich möglichen Vertrages, insbesondere durch Vollzichung desselben, nachdem das Hinderniß der Giltigkeit gehoben ist.

99.

Erlöschung der Vertragsverbindlichkeiten 2.

Vertragsverbindlichkeiten erlöschen von Rechtswegen durch die wirkliche Erfüllung, wenn sie nur auf gewisse, Einmal zu vollziehende, nicht fortdauernde Leistungen gehen3; durch Eintritt einer Resolutivbedingung und durch Ablauf der vorbestimmten Zeit;

1 Der obigen Ansicht sind nach Groot II, 15, 15 auch Mably, Dr. d. g. I, p. 164. Battel II, 200 f. Klüber § 165, Not. c., wo die wichtigsten Schriften angemerkt sind, sodann Schmelzing § 403. Wildman I, 174. Marteus wollte Principalartikel und Nebenartikel unterscheiden. Völkerr. § 59. Ein solcher Unterschied ist aber sehr schwierig und immer wieder von dem individuellen Ermessen abhängig. Dagegen wird die Verletzung eines Vertrages noch nicht zur Aufhebung aller übrigen Berträge mit demselben Contrahenten berech tigen. S. Battel a. a. D. Zuweilen ist in Verträgen ausdrücklich vorbehalten, daß bei dem Eintritte von Vertragsverletzungen zuerst gütliche Verständigung versucht werden soll. Osnabr.-Westphäl. Friede Art. 17, § 5. Frieden von Oliva Art. 35, § 2, und zwischen Dänemark und Genua von 1756. Wenck III, p. 103; zwischen Frankreich und Ecuador von 1843. N. R. R. V, 415. S. nun auch den Pariser Vertrag von 1856, Art. 8.

2 Schriften, außer den schon zu § 98 angeführten: Leonh. v. Dresch, über die Dauer der Völkerverträge. Landsh. 1808. E. W. v. Tröltsch, Vers. einer Entw. der Grundsäße, nach welchen die Fortdauer der Völkerverträge zu beurtheilen. Ebendas. 1809. Mably, Dr. publ. I, p. 165 s.

3 Nur wenn der Vertrag ein an sich nicht verpflichtender war und auch die Erfüllung in einem unfreien Zustande erfolgt ist, kann ein Rückforderungsrecht begründet sein. Vgl. Battel II, 192.

durch einseitige, gehörig bekannt gemachte Aufkündigung, wenn solche vorbehalten war;

durch einen gehörig erklärten Verzicht des allein Berechtigten '; durch wechselseitige Aufhebung eines Bilateralvertrages, welche selbst kein Dritter zu hindern vermag2;

durch gänzlichen Untergang des Gegenstandes, worüber contrahirt war, sofern dabei keinem Theile ein Verschulden zur Last fällt;

durch Erlöschen des berechtigten oder verpflichteten Subjectes,

ohne daß ein anderes von Rechtswegen oder nach Vertragsanalogie an dessen Stelle tritt.

Endlich entsteht, wenn auch keine völlige Aufhebung, doch Suspension aller Vertragsverbindlichkeiten durch den Eintritt eines allgemeinen, nicht bloß partiellen Kriegszustandes unter den Contrahenten, wofern nicht der Vertrag ausdrücklich auch für die Dauer des ersteren geschlossen ist; eine Consequenz, die sich aus der näheren Betrachtung der rechtlichen Bedeutung des Krieges im folgenden Buche rechtfertigen wird.

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Jeder an sich erloschene Vertrag kann übrigens durch eine ausdrückliche oder stillschweigende Erneuerung wieder ins Leben gerufen werden; nur die Erneuerung selbst aber wird hier das Gesetz für die Zukunft und ist daher an die Voraussetzungen und Bedingungen giltiger Verträge allenthalben gebunden. Eine stillschweigende Erneuerung muß demnach auch vollkommen erkennbare und unzweideutige Merkmale für sich haben, woraus die Absicht der Parteien hervorgeht, den früheren Vertrag überhaupt und in allen seinen Bestimmungen fortleben zu lassen. Sonst wird eine fortgesetzte Leistung

1

Nicht jeder Vertragschließende hat auch das Recht, die Verbindlichkeit wieder zu erlassen. Richtig bemerkt von v. Neumann § 395.

2 Battel II, 205.

3 Hier greift der Unterschied von Real- und Personalverträgen ein. S. auch oben § 24. 25. 53.

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Vorläufig ist hier auf die bei Klüber § 165, Not. a. gegen Ende angezeigten Schriften zu verweisen. S. auch Wheaton, Intern. L. III, 2 § 8 (10.) Wildman I, 176 und dann unten § 122. 181.

5

G. F. v. Martens, über die Erneuerung der Verträge in den Friedensschlüssen der Europäischen Mächte. Gött. 1797.

und Annahme dessen, was aus dem früheren Vertrage gefordert werden konnte, nur wie ein einzelnes für sich bestehendes Factum zu betrachten sein.

Zweite Abtheilung.

Berbindlichkeiten ohne Vertrag.

A. Aus erlaubten Thatsachen.

100. Ohne Vertrag, aber nach Art der Vertragsverbindlichfeiten (quasi ex contractu) entstehen' in ähnlicher Weise wie nach Civilrecht, so auch nach öffentlichem Rechte vertragsartige Wirkungen aus folgenden erlaubten Handlungen und Verhältnissen:

1. Mit nur einseitiger Verpflichtung zur Erstattung:

aus der freiwilligen Annahme einer Zahlung oder Leistung zu einem bestimmten rechtlichen Zwecke, dessen Existenz jedoch entweder eine irrthümliche auf Seiten des Leistenden war, oder dessen Erreichung demnächst unterblieben ist, überhaupt in den Fällen der civilrechtlichen Condictio sine causa und deren Unterarten2;

II. Mit gegenseitiger Verpflichtung zur Rechenschaft und Schadloshaltung:

1

In vielen völkerrechtlichen Systemen wird ein gänzliches Schweigen hierüber beobachtet. Einige ältere Schriftsteller und Lehrer des Naturrechtes wollten auch dergleichen Verbindlichkeiten geradezu leugnen. Was indessen alle civilisirten Völker unter Privatpersonen als ein sich von selbst verstehendes Recht angenommen haben, kann unmöglich unter den Staatsgewalten selbst eine Chimäre sein. Siehe übrigens auch v. Neumann, Jus Princ. priv. de pact. et contract. § 824 f. Nur wenn und soweit die Civilgesetze der Particularstaaten in einzelnen Punkten auseinander gehen, kann eine Contestation Statt finden; nicht über die Principien. Wahr ist, daß in der Völkerpraxis höchst selten Fälle der Anwendung vorkommen.

2 Eine Entwickelung der Grundsätze des Römischen Rechtes, woran sich die der neueren Staatenpraxis anknüpfen läßt, s. in v. Savigny, System § 218 f.

aus jeder nüßlichen Geschäftsführung für einen Anderen, wel-
cher derselben nicht bestimmt widersprochen hat';

aus der Uebernahme und Führung einer Vormundschaft für
einen Anderen, dergleichen auch unter völlig unabhängigen
Personen vorkommen kann2, z. B. wenn einem Souverän
oder einer republikanischen Staatsgewalt eine Regierungs-
vormundschaft über einen minderjährigen oder regierungs-
unfähig gewordenen Souverän übertragen worden wäre;
aus einer zufällig entstandenen Gemeinschaft (communio rei
vel iuris), z. B. wenn mehreren Staaten oder Souverä-
nen eine Erbschaft zugefallen ist, oder sie eine Sache ge-
meinschaftlich erworben haben, ohne daß das Privatrecht
eines Staates darauf anwendbar ist. Hier werden die
Grundsätze, welche wir schon oben bei dem Gesellschaftsver-
trage als leitend erkannten, ihre Anwendung finden müssen,
nämlich gleiches Recht und gleiche Last, oder nach den vor-
herbestimmten Verhältnissen; ungehinderter Genuß der Sache
für jeden Theilhaber, sobald er dem Anderen nicht schadet;
keine einseitige Disposition über das Ganze, wenn der An-
dere widerspricht, wohl aber über den eigenen Rechtsantheil.
Eine Auflösung der Gemeinschaft wird nur im Wege des
Vertrages, eines Compromisses, oder durch Zufall erfolgen
können.

B. Aus unerlaubten Handlungen3.

101. Kennt auch das Völkerrecht keine Verbrechen in dem Sinne des inneren Staatsrechtes, d. h. mit der Bedeutung rechts

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Nicht aus jeder s. g. nützlichen Verwendung, die den Anderen bereichert und das Vermögen des Verwendenden vermindert hat, wie zuweilen nach L. 206 D. de R. J. Jure naturali aequum est, neminem cum alterius detrimento locupletiorem fieri, angenommen ist, z. B. von Toullier um Code civ. L. III, tit. 4. Chap. 1. § 20. 112.

2 Die gegenseitigen Rechte und Verbindlichkeiten werden sich hier allerdings nach dem Staatsrechte desjenigen Staates, auf welchen die Regierungsvormundschaft geht, bestimmen.

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In den meisten Systemen des Völkerrechtes ist dieser wichtige Gegenstand übergangen und nur beiläufig gewürdigt. Groot nimmt hier einen ganz

widriger Handlungen oder Unterlassungen, wofür man von einer gewissen Autorität zur Rechenschaft und Strafe gezogen werden kann: so giebt es doch auch nach Völkerrecht unerlaubte Handlungen, wenn eine unter seinem Schuße stehende Persönlichkeit an dieser oder an den damit zusammenhängenden wesentlichen Rechten, welche überall dieselbe Bedeutung haben, namentlich an Freiheit, Ehre und Eigenthum gekränkt wird, ohne daß dem Verlegenden selbst ein Rechtsgrund hierzu zur Seite steht. Jede solche Verletzung verpflichtet den rechtswidrig Handelnden zu einer Genugthuung des Gekränkten; denn überall, wo durch Willkür eine Ungleichheit hervorgebracht ist, muß es auch eine Wiederausgleichung geben; dies ist das Gesetz der Gerechtigkeit.

Die Genugthuung besteht in der Zufriedenstellung des Verleßten; zunächst also in der Erstattung des zugefügten materiellen, d. i. äußerlich erkennbaren und schäzbaren Vermögens - Schadens oder angerichteten Nachtheiles', ferner aber auch des intellectuellen Schadens, welcher der Würde des Gekränkten in seinem eigenen und Anderer Bewußtsein zugefügt wird. Die Verminderung dieses Rechtsbestandes ist wenigstens immer durch entsprechende Handlungen oder Leistungen des Beleidigers wieder auszugleichen und das Interesse, welches der Beleidigte an der Integrität seines Rechtsstandes hat, zu gewähren2; sonst ist dieser befugt, die Genugthuung zu erzwingen oder selbst zu nehmen, und zwar in einer der zugefügten Kränkung analogen, sittlich unverwerflichen Weise'. Mit Aus

allgemeinen Standpunkt II, 20. 21. Eben so Pufendorf III, 1. Specialschriften find von Io. Petr. de Ludewig, de iur. gent. laesionibus. Hal. 1741. (Obss. sel. Halens. VIII, obs. 6. 7.) de Neumann i. W., de delictis et poenis principum. Frcf. a. M. 1753 (beinahe unbrauchbar, weil sich diese Schrift hauptsächlich nur auf den vormaligen Deutschen Reichsstaat bezieht). Dazu Wildman I, 199. u. Phillimore III, 47 f.

1 Was für ein Sachwerth, ob der Einkaufspreis oder der Verkaufspreis als Interesse zu gewähren sei, untersucht Phillimore I, 65 ff. Dies ist jedoch kein principieller Punkt. Wesentlich ist der Begriff des Interesses, welchen die Römische Rechtswissenschaft genügend festgestellt hat.

2 Hierzu dienen beruhigende Erklärungen, Nechtsanerkennungen und Garantien für die Zukunft. Beispiele s. im folgenden Paragraphen.

Eine rein äußerliche Wiedervergeltung der Beleidigung mit einer gleichen darf zwar als äußerste Grenze der Gerechtigkeit angesehen werden, aber

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