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selbst ist wohl 50 Faden breit und so tief, dass er hier nur an zwei Stellen zu durchreiten ist und auch an diesen noch das Wasser bis zum halben Sattel reicht. Dabei hat der Fluss ein bedeutendes Gefälle und daher eine so starke Strömung, dass die Passage wirklich lebensgefährlich ist. Zwischen Korgas und Üsük traf ich mehrere Flüsschen, kann aber deren Namen nicht nennen, da der uns begleitende Solonische Wachtsoldat jede Auskunft verweigerte.

Die linken Nebenflüsse des Ili sind viel weniger zahlreich und viel unbedeutender als die so eben genannten rechten Nebenflüsse, weshalb auch das linke Ufer bedeutend weniger bevölkert ist als das rechte. Südlich von dem Chinesischen und Tatarischen Kuldscha wurden mir fünf Flüsschen in folgender Ordnung von Osten nach Westen genannt: Tarksyl, Koguschi, Jagustai, Kainak und Bugra. Welcher von ihnen der Hauptfluss ist, vermochte ich nicht zu erfahren. Ihr Wasser wird schon dicht beim Grenzgebirge auf den Äckern verbraucht. Dass keiner dieser Flüsse von Bedeutung ist, beweist, dass an keinem derselben mehr als 200 Ackerbauer-Familien leben. In viel grösserer Entfernung vom Ili, viel weiter nach Westen als die eben genannten Flüsse, wurden mir noch fernere vier Flüsse als Ackerplätze für Tataren-Ansiedelungen genannt: Chonokai, Dolaty, Galdschang und Dadamty. Diese Flüsse waren meinen Berichterstattern nur dem Namen nach bekannt.

Kanäle. Das Wasser der kleinen Nebenflüsse reichte aber nicht hin, um die nothwendigen Äcker zu bewässern, es wurden deshalb sowohl aus dem Kasch wie auch aus dem Ili selbst einige bedeutende Kanäle zu den trockenen Landstrichen geführt. Für das rechte Ili-Ufer, das höher ist als das linke, wurden die Kanäle aus dem Kasch geführt, für das linke Ufer konnte der Ili allein das nothwendige Wasser liefern.

Aus dem Kasch sind vier Kanäle nach Westen geleitet. Der bedeutendste derselben ist der Uluk östän (der Grosse Kanal). Er nimmt seinen Anfang etwa 25 Werst von der Mündung des Kasch und erstreckt sich auf eine Länge von etwa 60 bis 70 Werst. Seine Hauptrichtung ist südwestlich bis zum Fort Bajandai und dann westlich fast bis zum Chinesischen Kuldscha. Seine Hauptaufgabe besteht darin, die Äcker östlich vom Chinesischen Kuldscha zu befeuchten. Einige Werst südlicher führt aus dem Kasch ein kleiner Kanal Namens Kösün das Waser auf die Äcker der TatarenBeamten. Südlicher als diese sind zwei ziemlich bedeutende Kanäle für die Bewässerung der Äcker der Tataren angelegt: Baitukai und Ari östän (Hinterer Kanal), von denen der letztere fast dicht bis zum Tatarischen Kuldscha sich erstreckt.

Am linken Ufer befinden sich nur zwei sehr bedeutende

Kanäle (beide aus dem Ili). Der eine beginnt unterhalb der Kasch-Mündung und bewässert die Äcker der Schibä, die südlich von den beiden Kuldscha wohnen. Der zweite wird von den Tataren Tokus Tara östän (der Neun-ÄckerKanal) genannt und hat seinen Anfang oberhalb der KaschMündung. Er ist ein wahres Riesenwerk, denn in seinem oberen Laufe führt er wohl 20 Werst durch die felsigen Uferberge des Ili. Der Zeit nach ist er der zuletzt angelegte Kanal, er wurde im 14. Jahre der Regierung des Kaisers Tau Kuang (1834) gebaut.

Die Völkerstämme. Nachdem ich so in kurzen Zügen ein Bild des Chinesischen Theils des Ili-Thales zu entwerfen versucht habe, will ich mich jetzt zu den Völkerstämmen wenden, die dasselbe bewohnen. Schon vorher habe ich erwähnt, dass die Bewohner dieses kleinen Gebiets aus den verschiedenartigsten Elementen zusammengesetzt sind. Der Abstammung und der Sprache nach verschieden, durch Religion, Sitte und Verwaltung streng von einander getrennt, haben diese Stämme über ein Jahrhundert in buntem Gewirre zusammen gelebt, ohne sich zu vermischen oder auch nur im Geringsten einander näher zu treten, als sie es bei ihrer Ansiedelung waren. Jeder Stamm steht dem anderen feindlich gegenüber, aber in diesem gegenseitigen Hasse sind sie gerade die Stütze der Mandschu, die sie selbst nicht weniger hassen als ihre mitbeherrschten Stammfeinde. Aber wehe den Mandschu, wenn der Hass gegen sie ein Mal stärker wird als der Hass der Stämme unter einander! Wenn sich nur zwei von ihnen verbinden, so ist die Macht der Mandschu hier im Westen für immer vernichtet.

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Die Kalmücken. Die ältesten Bewohner des Ili-Thales sind die West-Mongolen oder Kalmücken. Als der Kaiser Kien-Lung die Macht der Kalmücken gebrochen, waren dieselben zum grössten Theil nach Westen und Nordwesten ausgewandert. Erst 20 Jahre später kehrten sie zum Theil in ihre früheren Wohnsitze zurück, da aber während dieser Zeit die Kolonisation des Ili-Thales schon ins Werk gesetzt war, so konnten sie ihre Wohnsitze nur in den Grenzgebirgen aufschlagen. Hier finden wir sie auch noch heute, in einem Halbkreise umschliessen sie das ganze Thal. Nach den Angaben meiner Berichterstatter beträgt die Gesammtzahl der Abgaben zahlenden Kalmücken, die hier in den Grenzgebirgen wohnen, etwa 18- bis 20.000 Mann. Sie zerfallen in 40 Sumul, je zu 4- bis 500 Mann. Diese 40 Sumul sind ungefähr folgendermaassen vertheilt:

1. in den südlichen Grenzgebirgen:

a. Durgau Sumul (6 Sumul) am oberen Tekes, b. Arban Sumul (10 Sumul) am unteren Tekes,

c. Dörbün Sumul (4 Sumul) südlich und östlich vom Kanal Tokus Tara; 2. in den nördlichen Grenzgebirgen:

Chorun Sumul (20 Sumul) vom Üsük bis zum Kasch.

Ausser diesen 40 Sumul leben ungefähr noch eben so viele Kalmücken weiter gegen Osten und Nordosten, sie wurden mir mit dem Gesammtnamen Tschakor bezeichnet. In ihrer Lebensweise unterscheiden sich die Kalmücken wenig von den Kirgisen. Sie sind Nomaden, ihre Hauptbeschäftigung ist die Viehzucht, sie leben in Filzjurten und wechseln ihre Wohnsitze nach der Jahreszeit, d. h. den Sommer bringen sie auf den Kämmen der Gebirge zu und im Winter ziehen sie wieder allmählich zu den Thälern hinab. Ihr Reichthum an Vieh soll dem der Kirgisen gleich kommen, nur halten sie mehr Pferde. Der Ackerbau wird bei ihnen in weit geringerem Maasse betrieben als bei diesen, mit Ausnahme von wenigen hundert Kalmücken, die sich am Flusse Nilka mit den Tatarischen Ackerbauern vermischt haben und wie diese ausschliesslich vom Ackerbau leben.

Alle Kalmücken sind Buddhisten. Ihr oberster Priester im Ili-Thale ist ein Chamba Lama, der vom vierten bis neunten Monate seinen Sitz im Tempel am Tekes hat. Ein zweiter Buddha-Tempel der Kalmücken steht am rechten Ufer des Ili zwischen dem Tatarischen und Chinesischen Kuldscha. Hier lebt der Chamba Lama im Winter, vom neunten bis vierten Monate. Zugleich mit dem Chamba Lama ziehen etwa 300 Kalmücken im Winter zu den Ufern des Ili. Der grösste Theil derselben sind Priester, die ja bei allen Buddhisten so äusserst zahlreich vertreten sind, und dann junge Leute, die hier den Unterricht im Lesen und Schreiben erhalten. Wie man mir allgemein versichert, soll die Kenntniss der Schrift bei den Kalmücken sehr verbreitet sein.

Ein Mal im Jahre kommt auch der oberste MandschuBeamte der Provinz, der Dsau dsün, zum Gebete nach dem Buddha-Tempel am Ili. Da er hier im Namen des Kaisers erscheint, ist sein Einzug mit vielen Ceremonien und Feierlichkeiten verknüpft. Überhaupt herrscht während der Wintermonate im Kalmückischen Buddha-Tempel hier am Ili ein buntes Treiben, denn zu den frommen Kalmückischen Ansiedlern und Wallfahrern gesellen sich noch viele hundert Chinesische Handelsleute, die rund um den Tempel ihre Läden aufschlagen, so dass sich der ganze Platz in eine kleine Stadt verwandelt. Vor dem Tempel, der aus drei Gebäuden besteht, befindet sich ein Vorhof, in dem täglich zwei Mal eine grosse Speisung Statt findet. Zu jeder Mahlzeit sollen 5 Ochsen und 10 Schafe geschlachtet

werden.

Die innere Verwaltung der Kalmücken liegt in den Händen ihrer Stammfürsten (Jaisang) und Kalmückischer Unterbeamten, die von den Mandschu die verschiedenen Rangzeichen als Zeichen ihrer Würde erhalten. Die höchsten Stammfürsten erhalten sogar den rothen Knopf. Diesen Kalmückischen hohen Würdenträgern steht aber ein MandschuAmbal zur Seite, der einerseits die innere Verwaltung

der Kalmücken mit der Regierung in Kuldscha vermittelt, andererseits hat er die Aufgabe, die Kalmücken - Beamten genau zu beobachten, um jeder Lostrennung oder Widersetzlichkeit von ihrer Seite vorzubeugen. Zu letzterem Zwecke steht ihm ein kleines Kommando Mandschu-Soldaten zur Seite, die unter den Kalmücken zerstreut leben. Die Kalmücken-Beamten haben einerseits Streitigkeiten zwischen ihren eigenen Unterthanen zu schlichten und auf die Ruhe und Ordnung derselben zu sehen, andererseits haben sie dafür zu sorgen, dass alle Abgaben und gesetzlichen Dienstleistungen der Chinesischen Regierung pünktlich erfüllt werden.

Diese Abgaben und Dienstleistungen der Kalmücken bestehen ungefähr in Folgendem: Ihre eigentlichen Abgaben bestehen in einer jährlichen Lieferung von Vieh an die Ackerbauer und Militär-Kolonisten des Ili-Thales. Als jährliche Summe sind 2000 Stück Rindvieh und 500 Stück Pferde festgesetzt. Die von ihnen geforderten Dienstleistungen sind: 1. das in den Bergwerken gewonnene Kupfer und Blei aus dem Gebirge nach Kuldscha zu schaffen; 2. für die Besetzung der Grenzpikete die nöthige Anzahl Soldaten zu stellen. Im Fall eines Krieges müssen sie 3. von jedem Sumul eine Anzahl (ich hörte 100 Mann) Soldaten zur aktiven Armee stellen und 4. einen Theil des Provianttransportes zum Kriegsschauplatz übernehmen.

Von den Soldaten im Kriege wie auch beim Piketdienst soll der Mann monatlich Chinesische Unze Silber (etwa 1 Thaler) Löhnung erhalten, die Regierung hat aber schon längst aufgehört, diese Gelder auszuzahlen. Auf den Piketen werden die Soldaten jeden Monat gewechselt.

Die Tataren. Schon zur Zeit der Kalmücken-Chane wurden Tatarische Kriegsgefangene aus Kaschgar im IliThale angesiedelt. Als die Chinesen nun das Ili - Thal eroberten, folgten sie dem Beispiele der Kalmücken und gründeten hierselbst Ansiedelungen von Tataren des Sechsstädte-Gebiets. Im Ganzen wurden von den Städten Kaschgar, Jarkänd, Chotan, Aksu, Turfan und Usch 6000 TatarenFamilien zum Ili übergesiedelt. Jetzt ist die Zahl derselben `auf 8000 Familien angewachsen. Die Übersiedelung dieser Tataren hatte einen doppelten Grund. Erstens wollte man die gefährlichsten Individuen aus jenen Tatarischen Provinzen entfernen und dadurch ihre Macht brechen, andererseits sollten die neuen Ansiedler den Feldbau im Ili-Thale einrichten und als jährliche Abgabe die für die Armee nothwendigen Getreide - Vorräthe, die nur mit grossen Unkosten hierher geschafft wurden, liefern. Jeder dieser Ackerbauer - Familien wurde ein Stück Land von 12 Desjätinen angewiesen und diesem hatte sie jährlich

32 Cho (Chinesische Centner) Getreide, und zwar je 8 Cho Weizen, Gerste, Roggen und Hirse, zu liefern.

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Bei einer Zahl von 6000 Familien lieferten also die Tatarischen Ackerbauer jährlich 192.000 Cho Getreide, vom Jahre 1834 an, wo eine Zählung 8000 Familien ergab, aber 256.000 Cho. Trotz dieser verhältnissmässig schweren Abgabe war, wie man mir versicherte, das Loos der Tatarischen Ackerbauer bis zum Ausbruche des Kaschgarischen Aufstandes im Jahre 1826 ein ganz erträgliches gewesen. Sie waren im Stande, ihre Abgaben pünktlich zu zahlen, und es war ihnen möglich, einen ziemlich bedeutenden Viehstand zu halten. Besonders rühmend erwähnte man mir die Milde und Behülflichkeit der Chinesen in den ersten Jahrzehnten des Bestehens der Kolonie. Dieselben hätten sowohl durch Geldunterstützung wie auch durch freundliches Erlassen der Abgaben sie zu fördern gesucht. Doch mit dem Kaschgarischen Aufstande brach das Unglück über das Ili-Thal und besonders über die Tatarischen Ackerbauer herein.

Während dieser Kriegsjahre mussten die Ili - Tataren nicht nur doppelte Proviantlieferungen machen, sondern auch den Proviant mit ihrem eigenen Zugviche bis zum Kriegsschauplatze führen. Im zweiten Jahre des Krieges erreichte die Noth und Plage der Tataren die höchste Spitze. Der Winter war anhaltend und ungewöhnlich streng und Hunderte von Tataren sollen auf dem Wege nach Kaschgar erfroren sein, das Zugvieh fiel zu Tausenden, und was an Vieh nicht auf dem Wege umgekommen war, nahmen die nothleidenden Truppen in Beschlag. Selbst die nicht Chinesischen Unterthanen in der Stadt Kuldscha mussten 500 Pferde zum Transport der Vorräthe stellen und bekamen nicht eins derselben wieder zu Gesicht. So ging es mehrere Jahre hindurch. Nachdem es endlich den Chinesen gelungen,

Herren des Aufstandes zu werden, und die Ruhe der Provinz wieder hergestellt war, trat bei der Regierung eine schreckliche Finanznoth ein, da man, ohne weitere Zuschüsse aus China zu beziehen, ein doppelt starkes Heer unterhalten musste. So ermittelte denn einer der Dsau dsüne, dass die Zahl der Tataren-Familien im Ili-Thal auf 8000 gestiegen sei, und liess im Jahre 1834 den Kanal Tokus Tara östän anlegen, um den überzähligen 2000 Familien das Land daselbst anzuweisen. Da dieser Kanal durch die südlich vom Ili gelegenen Felspartien geführt werden musste, so dauerte die Arbeit volle zwei Jahre und die Tataren mussten dazu 3000 Arbeiter unentgeltlich stellen. Da sich ferner bei der Ackervertheilung von Tokus Tara zeigte, dass das Land nur für 1500 Familien hinreiche, und man schon nach Peking über den Zuwachs von 2000 Ackerbauern berichtet hatte, so mussten die Tatarischen Beamten ihre Äcker am Burbogasun hergeben und die Tataren neue Kanäle am Burbogasun und Biläkäi ganz auf eigene Rechnung herstellen. Im Sommer des Jahres 1836 zeigte sich leider, dass der Tokus Tara-Kanal nicht tief genug gegraben war und deshalb viel zu wenig Wasser auf die Äcker führte. Die Folge davon war, dass alle Äcker der 1500 neu angesiedelten Familien verdorrten und diese Unglücklichen weder Abgaben zahlen noch sich selbst ernähren konnten. Dieses Elend dauerte drei volle Jahre. Während dieser ganzen Zeit mussten die übrigen 6000 Familien sie mit den nöthigsten Nahrungsmitteln versorgen und ausserdem 3000 Rubel zum Umbau des Kanals hergeben. Erst im Jahre 1839 vermochten die Tokus TaraBauern selbst ihre Abgaben zu zahlen.

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Schon im Jahre 1836 waren am Chonokai unter den Tatarischen Ackerbauern Unruhen ausgebrochen. Ein Perser Namens Schangmosi hatte sich hier als Chodscha ausgegeben und versprochen, das Volk von der drückenden Herrschaft der Chinesen zu befreien. Die Noth, die man während der letzten 10 Jahre erduldet, machte die Leute zum Aufstande bereit und alle Ansiedler schlossen sich dem falschen Chodscha an. Diejenigen, die sich weigerten, den Chodscha anzuerkennen, wurden auf seinen Befehl niedergemacht. Die Chinesen hatten aber Nachricht erhalten, ehe der Aufstand auch bei den übrigen Ansiedelungen ausgebrochen war, und so war es ihnen ein Leichtes, die noch unbedeutende Revolte zu unterdrücken. Der Perser wie auch die Führer des Aufstandes wurden nach Kuldscha geschleppt. Daselbst wurde der Perser unter scheusslichen Qualen hingerichtet und mit ihm 16 andere Tataren enthauptet und ihre Köpfe auf den Hauptwegen der Tatarischen Ansiedelungen als Warnung aufgesteckt. Wohl 100 Personen wurden nach China verbannt und viele Tataren-Ansiedelungen von den Soldaten geplündert. Bei den späteren Unruhen in

Kaschgar (1840 und 1844) mussten die Tatarischen Ackerbauer abermals unter dem Proviant-Transporte leiden.

Alle diese Schicksale haben zwar den Wohlstand der Tatarischen Ackerbauer vernichtet, aber durch Fleiss und die Vortrefflichkeit des Bodens hätten sie sich dennoch wieder erholen können, wenn nicht der Argwohn der Chinesischen Herrscher ihnen einen Krebsschaden durch ihre eigenen Tatarischen Beamten eingeimpft hätte, der entweder das Volk gänzlich zu Grunde richtet oder zugleich mit der Chinesischen Herrschaft vertilgt wird. Diese Beamten, die wie ein Netz die ganze Tatarische Bevölkerung umstricken, sind die blinden Werkzeuge der Mandschu; Selbstsucht und Eigennutz haben sie von ihrem eigenen Volke entfremdet und sie zu Sklaven der fremden Race gemacht, unter deren Schutz sie jeden Frevel ungestraft ausführen können. Die Mandschu ihrerseits haben durch diesen Beamtendruck den Hass des Volkes von sich auf die Beamten selbst gewälzt.

Die Tatarische Bureaukratie hat ihren Gipfelpunkt in dem im Tatarischen Kuldscha residirenden Hekim und seinem Gehülfen, dem Schaga. Beide tragen als Rangabzeichen den blauen durchsichtigen Mützenknopf, der Hekim kann aber als Auszeichnung (wie auch wirklich der gegenwärtige Hekim) den rothen Knopf erhalten. Diese beiden Beamten haben die Verwaltung der ganzen Tataren-Bevölkerung, sowohl der Ackerbauer wie auch der Stadtbewohner, in Händen, sie haben nur dem Chinesischen Gouverneur Rechenschaft abzulegen und dieser lässt durch sie wiederum seine Befehle an die Tataren ergehen. Ausser der Polizeiund Verwaltungsgewalt sind sie sogar höchste richterliche Instanz, wenn der Rechtsstreit oder Kriminalfall nur Tataren betrifft.

Der Verwaltung nach zerfallen die Tatarischen Ackerbauer in acht Kreise, von denen sechs unter einem Schang Bäk und seinem Gehülfen Mirap stehen. Zwei Kreise stehen unter einem Räsnitschi und einem Mirap. Diese ersten sechs Kreise sind:

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Herrn) steht. Die Ming Bäk tragen den kupfernen Mützenknopf. Über je 100 Ackerbauer-Familien steht ein Jüs Bäk (Hundert-Herr) und ein Ellig Beschi (Funfzig-Kopf). Die ältesten zwölf Jüs Bäk haben ebenfalls kupferne Mützenknöpfe. Über je 10 Familien endlich steht als Aufseher ein Ou Beschi (Zehn-Kopf). Die ganze Bureaukratie besteht also aus: 1 Hekim, 1 Schaga, 2 Räsnitschi, 6 Schang Bäk, 8 Mirap, 16 Ming Bäk, 80 Jüs Bäk, 80 Ellig Beschi, 800 Ou Beschi zusammen 994 Bamten.

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Mit Ausnahme der Ou Beschi müssen alle Beamten vom Mandschu-Gouverneur bestätigt werden. Die Ou Beschi ernennt der Hekim selbst und wechselt sie nach Belieben. Alle diese Beamten leben auf Kosten der Ackerbauer, da die Regierung schon seit vielen Jahren aufgehört hat, die Besoldungen zu zahlen. Ausser der Besoldung müssen die Ackerbauer ihren Beamten noch die nöthige Dienerschaft stellen. Auch viele Mandschu-Beamte erhalten Dienerschaft und Arbeiter durch Vermittelung des Hekim von den Ackerbauern. Auf diese Weise kosten die Beamten den Ackerbauern fast noch mehr als ihre Abgaben an die Krone.

Unter allen Völkern des Ili, sagte einer meiner Berichterstatter, hat kein Volk so schwere Abgaben und so bittere Tage zu dulden als wir Ackerbauer. Wenn wir uns bei unseren Beamten beklagen, wird uns keine Hülfe. Wer es auch sei, ein Mandschu-Beamter oder ein Tatar, jeder nimmt das, was ihm gut dünkt. In den letzten Jahren ist uns nicht einmal mehr das Vieh von den Kalmücken geliefert worden, das haben unsere Beamten mit den Mandschuren verzehrt. Aber die Strafe wird die Beamten schon erreichen, denn es steht geschrieben:

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Stadt Kuldscha ist viel älter als die Chinesische Herrschaft 1). Die Bevölkerung besteht zum grössten Theil aus den alten Tatarischen Insassen des Ili-Thales (früher war das Ili-Thal nur von Tataren bewohnt und es wurde hierselbst der Dschagataische Dialekt gesprochen, ş. Baber Nameh, S. 2), ausserdem aus Verbannten aus dem Sechsstädte-Gebiet und aus Kaufleuten aus Kaschgar, Kokand, Taschkend und Buchara, die seit vielen Jahren hierselbst

1) Klaproth hält Ili balik und Almaligh der Dschagataischen Schriftsteller wohl mit Recht für identisch mit dem Tatarischen Kuldscha. Siehe,,Beleuchtung der Widerlegung der Forschungen von J. J. Schmidt", Paris 1824, S. 81.

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Handel treiben und jetzt als naturalisirte Unterthanen betrachtet werden. Die Einwohnerzahl vermag ich nicht genau anzugeben, sie soll sich aber auf wenigstens 30.000 Köpfe belaufen. Die Stadt Kuldscha liegt nicht weit von der Mündung des Pilitschi in den Ili. Die eigentliche Stadt ist in einem Rechtecke gebaut und mit einer Lehmmauer eingefasst. Durch diese führen vier Thore, die in der Mitte der vier Seiten liegen. Die Strassen sind gerade und durchschneiden sich meist rechtwinklig.

Zwar liegt die Verwaltung der Stadt ebenfalls in den Händen des Hekim und Schaga, aber dennoch ist sie von der der Ackerbauer getrennt, unter eigenen Beamten, eigenen Institutionen und Abgaben. Unter den Beamten der Stadt wurden mir der Kazy und Ischkol (Gerichtsbeamte), der Paschtap (Gefängnissdirektor) und der Sädäri und Ming Begi (Kommandant und Polizeimeister) genannt. Die Abgaben der Bewohner Kuldscha's sind theils Grundsteuern, theils Gewerbesteuern, wie sie die Bewohner der Chinesischen Städte zahlen. Zur Strafe kann der Hekim mit Bewilligung des Mandschu-Gouverneurs Tatarische Städter zu den Ackerbauern überführen.

Bei den Bewohnern von Kuldscha herrscht durchaus nicht die Noth und Armuth wie bei den Ackerbauern. Die auf Einem Punkte zusammengedrängte Volksmasse, unter der schon eine gewisse Bildung herrschte und deren Vertreter Kapitalisten, Handelsleute und Geistliche waren, Leute, deren Stimmen schon mehr ins Gewicht fielen, vermochte sich der Bureaukratie schroff gegenüber zu stellen und jede unbillige Forderung zurückzuweisen, so dass sie selbst unter den jetzigen Verhältnissen noch eine ziemlich autonome Stellung einnimmt.

Die Geschichte der letzten Jahrzehnte bietet mehrfache Beispiele der Widersetzlichkeit gegen ungerechte Forderungen der Beamten. So z. B. lieferten die Bewohner Kuldscha's im ersten Kaschgarischen Kriege 500 Pferde; als man zum zweiten Mal eine gleiche Anzahl forderte, weigerte man sich, diese zu stellen. Nach Beendigung des Krieges wurden deshalb mehrere Kokandische Kaufleute ausgewiesen, den Chinesischen Unterthanen konnte man Nichts anhaben. Eben so weigerten sie sich im Jahre 1862, 5000 Rubel zu einer Expedition nach dem Issikul zu liefern, während die. Ackerbauer 8000 Rubel auszahlten.

Obgleich nun die Stadt durch Abstammung der Einwohner, durch eigene Verwaltung und Institutionen sich scharf von den Landbewohnern abgrenzt, so ist sie dennoch der eigentliche Kern und Mittelpunkt der ganzen TatarenBevölkerung des Ili-Thales. Schon der Verkehr macht Kuldscha zu diesem Mittelpunkt. Alle Handelsartikel, die vom Tatarischen Hoch- Asien (Buchara, Kokand, AltySchähär) nach dem Ili geführt werden, werden von Kuldscha

aus über das Ili-Thal verbreitet. Hier ist der Getreidemarkt, wo der Ackerbauer seine Produkte absetzt, von hier holt er alle seine Bedürfnisse. Hier sind ja die Handwerke zu einer gewissen Blüthe gediehen, und zwar die Handwerke in den Händen von Tataren, und lieber macht der Ackerbauer einen weiten Weg, um seine Bedürfnisse bei einem Glaubensgenossen einzukaufen. Das festeste Band aber, das Kuldscha mit den Landbewohnern verbindet und das diese Stadt so eigentlich zum Mittelpunkte der Tataren macht, ist die gemeinsame Religion, der Islam. Ganz von selbst verständlich ist es, dass bei einem muhammedanischen Volke, das sich unter der Herrschaft verachteter Heiden, wie die Chinesen, befindet, sich gerade die Religion besonders schroff gestalten musste. Die strengste Rechtgläubigkeit und das eiserne Festhalten an den Religionsvorschriften sind die einzigen Mittel, die den schädlichen Einfluss der herrschenden Race abwenden können. Und was kann einem Muhammedaner verabscheuungswürdiger erscheinen als der rohe Bilderdienst, die Anbetung der Buddha-Götzen und der Genuss des Schweinefleisches, das die Hauptnahrung der Chinesen ausmacht?

Neben der von der Regierung eingesetzten Verwaltung durch Staatsbeamte hat sich unter so bewandten Umständen noch eine nationale Verwaltung, eine weit verzweigte muhammedanische Hierarchie, durch das religiöse Bewusstsein des Volkes entwickelt, die das nationale Prinzip schützt und den Einfluss der Umwohner abzuhalten sucht. Und der Knotenpunkt dieser Hierarchie liegt in der Stadt Kuldscha.

In jeder noch so kleinen Ansiedelung der Tarantschi befinden sich zwei geistliche Führer, ein Priester (Imam) und ein Lehrer (Mulla), auch ist überall eine Moschee und ein Schulhaus errichtet. Der Priester hat aufs Strengste die Gemeindemitglieder zur Erfüllung der religiösen Vorschriften anzuhalten. Vernachlässigungen oder Verletzungen derselben berichtet er an das Oberpriester-Kollegium (Achunlar), das durch den Hekim die Bestrafung der betreffenden Person veranlasst. Der Lehrer hat im Sommer wenig zu thun, denn der Unterricht findet nur im Winter Statt, dann aber auch täglich und fast den ganzen Tag hindurch, natürlich machen die Freitage und Festtage eine Ausnahme. Zwar steht es Jedem frei, seine Kinder unterrichten lassen, und mancher Vater schickt seine Kinder nicht zur Schule, da der Lehrer für jedes Kind eine kleine Bezahlung erhält, aber dennoch sucht der Priester theils durch Überredung, theils durch Gewalt es dahin zu bringen, dass wenigstens Ein Kind jeder Familie am Unterrichte Theil nimmt. In diesen Schulen wird meist nur das Lesen gelehrt, und zwar das Lesen religiöser Schriften. Merkwürdiger Weise beginnt man mit dem Lesen der Gebete und des Koran in Arabischer Sprache, so dass die Kinder natürlich erst nach

zu

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