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Drittes Buch

Bismarck als preußischer Ministerpräsident und Bundeskanzler

Erstes Kapitel.

Ministerpräsidium. Militärkonflikt. Konvention Alvensleben. Österreichischer Reformentwurf.

Das Abgeordnetenhaus

ie war es gekommen, daß die so lange verzögerte Ent= scheidung nun endlich herannahte? stellte sich mit Nachdruck auf den Standpunkt, daß Preußen ein Rechtsstaat und kein Militärstaat sei; es bestand also darauf, daß auch das Militärwesen streng unter die Vorschriften der Verfassung falle und kein Soldat in der Front stehen dürfe, für den das Geld nicht ordnungsgemäß bewilligt sei. Durch die Verfassung war das Recht des absoluten Königs, die Heeresstärke beliebig zu bestimmen, gefallen, und im Fall der äußersten Anspannung des Prinzips konnte das Parlament die Heergewalt des Königs völlig matt setzen. Eben daran, daß auch für das Heer die parlamentarische Genehmigung nötig sei, sollte sich nun erproben, ob das Parlament etwas bedeutete oder ob es nur ein Scheinwesen war. Am 11. September 1862 begann die entscheidende Beratung des Militäretats, der bisher immer wieder, aber immer nur vorläufig, bewilligt worden war. Die Fortschrittspartei, ein starkes Drittel des Hauses, neigte zur gänzlichen Ablehnung der Reorganisation und zur Rückkehr zu dem Zustand von 1860; nur unter einer Bedingung wollte sie die Reorganisation annehmen, wenn nämlich die zweijährige Dienstzeit wieder und zwar gesetzlich eingeführt werde. Dann werde es auch möglich sein, ohne Mehrkosten nicht bloß 63 000, sondern sogar 80 000 Rekruten jährlich einzustellen und so Preußens Wehrkraft um ein volles Viertel zu erhöhen. Es war umsonst, daß die Regierung durch äußerste Einschränkung die Kosten um vier Millionen Taler verringert hatte; das Parlament wollte nicht bloß Geldersparnis, sondern prinzipielle Nachgiebigkeit. Am 17. September erklärte sich Roon bereit, die Frage der zweijährigen Dienstzeit *) zu überlegen; es verdient bemerkt zu werden, daß er zu

*) Über das Nähere s. Adalbert Wahl, Beiträge zur Geschichte der Konfliktszeit, Tübingen 1914, S. 93 ff. Er geht der Sache erheblich mehr auf den Grund als Frizz Löwenthal in seiner übrigens sehr nüßlichen Schrift: der preußische Verfassungskonflikt 1862-66, München 1914, E. 104 ff.

diefem, wie er schreibt, „schwächlichen Versöhnungsversuch“ durch die Mehrheit des Ministeriums gedrängt wurde, namentlich durch Schleiniz (als Minister des königlichen Hauses), Bernstorff und v. der Heydt. Er selbst war dagegen, weil er an einem Auskommen mit diesem Abgeordnetenhaus doch verzweifelte und es also für unnüß hielt, ihm Zugeständnisse zu machen; vor dem offe= nen Konflikt mit dem Parlament aber, welcher Preußens Ansehen sehr schaden und seine Kräfte zerrütten mußte, schreckte er doch zurück. An sich war die zweijährige Dienstzeit auch nach Roons Ansicht zu ertragen, wenh man das Ausbildungspersonal verstärkte, wenn man namentlich tüchtige Kapitulanten" (welche gegen ge= wisse Vorteile als Unteroffiziere weiter dienten) zu finden vermochte; Bismarck selbst teilte diese Ansicht, welche ja auch 1893 im deutschen Reich obgefiegt hat. Aber der König und der Chef des Generalstabs, Moltke, waren der Meinung, daß ohne dreijährige Anwesenheit unter der Fahne tüchtige Soldaten, welche auch unter schwierigen Umständen Probe hielten, nicht zu gewinnen seien; der Versöhnungsversuch schlug also fehl, und nun ließ Roon am 18. September jene Depesche an Bismarck abgehen.

Die Verhandlungen in der Kammer nahmen einen solchen Verlauf, daß der König zweifellos bald vor die Wahl gestellt wurde, entweder die Reorganisation zurückzuziehen oder sie ohne parlamentarische Bewilligung aufrecht zu halten; das zweite aber war offener Rechtsbruch, was auch Roon selbst nicht bestritten hat. Die Mehrheit der Minister war gegen einen solchen Konflikt; Bernstorff und v. der Heydt erklärten, daß sie, wenn nicht ein Einvernehmen mit der Kammer durch Annahme der zweijährigen Dienstzeit erzielt werde, ihre Entlassung erbitten müßten; wahrscheinlich war es, daß auch andere Minister dasselbe tun würden. Der König war aufs tiefste bekümmert; er faßte jezt den Entschluß ins Auge abzudanken und legte seinem Sohn Friedrich Wilhelm, den er am 18. September aus dem thüringischen Luftschloß Herzog Ernsts, Reinhardsbrunn, herbeigerufen hatte, die Abdankungsurkunde — noch ohne seine Unterschrift - - vor. Der Kronprinz weigerte sich aber, das Schriftstück auch nur zu lesen; er wollte die Krone unter diesen Umständen nicht annehmen, da er erstens selbst für die dreijährige Dienstpflicht war, zweitens seine Regierung nicht mit einem Rückzug vor dem Parlamentvollends in einer so hochwichtigen Sache beginnen wollte, drittens die Gegensätze durch den von der Kammer ertrozten Verzicht des Königs nur noch verschärft worden wären und die Konservativen in diesem Kampfe notgedrungen den Vater gegen

den zu liberalen Ansichten sehr hinneigenden, Preußens Wehrkraft vernachlässigenden Sohn ausgespielt hätten. Viertens widersprach es des Kronprinzen kindlichem Gefühl, des Vaters Bedrängnis ge= wissermaßen zur Gewinnung der Krone auszunußen, für welche der Vater an sich Kraft und Fähigkeit noch übergenug besaß. Eine Unterredung des Kronprinzen mit Bismarc am 20. September, über die nichts weiter bekannt ist, als daß Bismarck um seine Ansicht gefragt wurde, verlief ohne Ergebnis. So mußte Wilhelm I. auf dem Posten bleiben, um was ihn auch das Staatsministerium eindringlich bat, und nun weigerte er sich nicht länger, Roons und Manteuffels erneuten Vorstellungen nachzugeben und den Mann herbeizurufen, vor dessen gigantischer Größe und Unwiderstehlichkeit er (nach einer Mitteilung des geheimen Rats Samwer) auch jezt noch einen innerlichen Widerwillen" hatte, der aber der einzige Ferge war, der jetzt das Schiff durch die Klippen bringen konnte.*)

Es war am Morgen des 22. September 1862, daß Bismarc in weltgeschichtlicher Stunde im königlichen Arbeitszimmer des Schlof= ses Babelsberg bei Potsdam vor seinen König trat und auf dessen Erklärung, daß er abdanken wolle, weil er weder gegen seine Überzeugung regieren könne, noch auch Minister finde, die ihm gegen die Mehrheit der Kammer beistehen, antwortete: er sei, wie Seiner Majestät bekannt sei, seit Mai bereit, in das Ministerium einzutreten; er sei gewiß, daß Roon neben ihm im Amte bleiben werde und daß es gelingen werde, das Kabinett zu vervollständigen, falls andere Mitglieder sich durch seinen Eintritt zum Rücktritt bewogen finden sollten. Der König fragte, ob Bismarc auch bereit sei, als Minister für die Heeresreorganisation selbst gegen die Mehrheit des Landtags und deren Beschlüsse einzustehen. Bismard antwortete mit Ja, was sich nach seiner Zusage, überhaupt unter den jeßigen Umständen einzutreten, von selbst verstand, und damit war der Grund, den der König für seine Abdankung namhaft gemacht hatte, das Fehlen von Ministern, hinfällig: jetzt konnte er hoffen, daß er, mit Bismarcks Hilfe, nach seinem Gewissen regieren könne. Er schloß

*) Promnitz, Bismarcks Eintritt ins Ministerium, Berlin 1908, S. 240, meint, daß der König bei Bismards Berufung nicht beabsichtigt habe, mit Bismard wo irgend möglich über seinen Eintritt ins Ministerium einig zu werden und ihn zu ernennen. Das widerspricht der Situation. Vermittlungsversuche des Kronprinzen zwischen König und Abgeordnetenhaus (Promnik S. 202) kann ich aus Albrecht v. Stoschs Denkwürdigkeiten S. 52 nicht herauslesen; der Brief vom 28. September 1862 ist offenbar falsch datiert (8. September?) und ist recht dunkel.

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