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seine Briefe an seine Braut und Gattin, oder an seinen Vater und seine Schwester, gibt es nicht, und die ihn mit unversöhnlichem Hasse schmähen, können diese Briefe nicht gelesen haben; sie müßten sonst vor dem Menschen entwaffnen, wenn sie auch den Politiker nach wie vor bekämpfen mögen. „Ich habe dich geheiratet," schreibt er einmal seiner Gattin, um dich in Gott und nach dem Bedürfnis meines Herzens zu lieben und um in der fremden Welt eine Stelle für mein Herz zu haben, die alle ihre dürren Winde nicht erkälten und an der ich die Wärme des heimatlichen Kaminfeuers finde, an das ich mich dränge, wenn es draußen stürmt und friert.“ *) Wie oft verstehen sich der Vater und der herangereifte Sohn nicht mehr; aber ein schöneres Verhältnis als zwischen Bismarck und seinem Sohn Herbert kennt die Geschichte nicht. Der Sohn ging ganz auf im Dienst des Vaters, der auch der Dienst fürs Vaterland war, und er dachte sich ein Dasein ohne den Vater als einen Zustand, wie ihn die nordischen Sagen ausmalen, wenn der Wolf Fenris einst die Sonne verschlungen hat;“ **) der Vater aber mahnt den Sohn: „Schone dich um meinetwillen; verdirbst du dich, so triffst du nicht dich allein." Echt deutscher Art aber entspricht es, daß Bismarc auch gegen Tiere sein Gemüt offenbarte; wie oft gedenkt er in den Briefen in herzlichem Ton seiner Stute Röschen, seiner Ulmer Doggen Sultan (Sultl) und Tiras; als die erste am 26. Oktober 1877 an einem Herzschlag verendete, sah ihn Tiedemann den sterben= den Hund in seinem Schoße haltend, die Tränen verbergend; er konnte nicht schlafen, weil er den Hund kurz vor dem Tode noch wegen Entlaufens gezüchtigt hatte; „er hat einen Freund verloren," sagte der geheime Rat Holstein, „und er fühlt sich vereinsamt.“ Auch die Natur umfaßte er, der den Landedelmann nie abstreifte und nie abstreifen wollte, dem immer das horazische beatus ille auf den Lippen schwebt und im Herzen liegt, mit seinem innigen Gemüt. „Ich kann nicht leugnen," sagt er im dritten Band der „Gedanken und Erinnerungen“ (S. 117), „daß mein Vertrauen in den Charak= ter meines Nachfolgers einen Stoß erlitten hat, seit ich erfahren habe, daß er die uralten Bäume vor der Gartentüre seiner, früher meiner, Wohnung hat abhauen lassen, welche ... eine unerseßbare Zierde... bildeten, um un poco più di luce (ein wenig mehr Licht) *) Aus Frankfurt 14. Mai 1851.

**) Nach einem Brief, deffen Benüßung für Auflage 1 und 2 ich Herberts Schwager, dem fgl. preußischen Gesandten in Stuttgart, Grafen v. BlessenCronstern, verdankte. Jm Wortlaut ist der Brief nun veröffentlicht von Wolfgang Windelband, Deutsche Revue 46 (1921) II 206-207.

zu gewinnen. Ich würde Herrn v. Caprivi manche politische Meinungsverschiedenheit eher nachsehen als die ruchlose Zerstörung uralter Bäume." Die Gastlichkeit des Bismarckschen Hauses war unerschöpflich; wie viele, die bei ihm vorsprachen, sind zu Tisch da behalten worden, wobei er auf Gehrock oder Jackett nicht sah, und alle entzückte er durch die Zwanglosigkeit und den sprühenden Geist, den Wiz und Humor seiner Unterhaltung. Als wir 1890 in Kisfingen auf der oberen Saline bei ihm waren (s. S. 459), da ließ er ein Faß bayrisch Bier auflegen, ging wie ein Vater durch unsere Reihen, sprach mit jedem freundlich und gemütlich und stieß mit ihm an. Unter etlichen fünfzig Männern war eine einzige bildhübsche junge Frau aus Heilbronn mitgekommen und hielt sich ängstlich im Hintergrund; „nun haben Sie aber," sagte er scherzend, „leider das Käthchen von Heilbronn vergessen!“ „Nein,“ klang es von allen Seiten, „wir haben sie da,“ und es spaltete sich der Haufe: die junge Frau mußte, glühend rot vor Befangenheit, vortreten; aber mit einer Ritterlichkeit und Feinheit, die die Herzen fortriß, neigte sich der Fürst, mit seinen fünfundsiebzig Jahren noch elastisch wie ein Jüngling, vor ihr, die nun sich ein Herz faßte, und überreichte ihr die Marschall-Niel-Rose, die er im Knopfloch trug, ein frisches Geschenk von Verehrerinnen, denen er vor kurzem bei der Rückkehr aus dem Bad begegnet war; die Rose ist dann gepreßt unter Glas und Rahmen gekommen; als Familienheiligtum soll sie auch das künftige Geschlecht besitzen. Manchmal vergaß Bismarc wohl auch während der Tischunterhaltung wieder den Namen des Gastes und fragte dann, wenn dieser sich verabschiedet hatte: „Wer war der Kerl denn nun eigentlich?" Es klingt derb und birgt doch viel Gemüt in sich: wer an seinem Tische saß, war sein Gast, dem er sich widmete bis zum Schluß, auch ohne ihn näher zu kennen: nach der Art der homerischen Gastlichkeit, welche den Fremdling drei Tage lang bewirtet und dann erst nach seinem Namen fragt.

Bismarck hat, wie wir am Anfang unserer Darstellung sahen, eine regelmäßige Bildung genossen,*) und er hat in den einsamen Jahren, da er als Junggeselle auf Kniephof und Schönhausen lebte, durch fleißiges Lesen dichterischer und philosophischer Werke diese Bildung noch wesentlich bereichert und vertieft (S. 16); der Ge

*) Hans Pruz, Bismarcks Bildung, ihre Quellen und ihre Außerung, Berlin 1904. Meinhold, Bismarck und Goethe. Halle 1915. Kohut, Bismarc in seinen Beziehungen zur Literatur, Beilage zum literarischen Zentralblatt 1915, Nr. 7. Alfred Biese, Bismard in Leben und Dichtung, Berlin 1916.

schichte hat er schon auf dem Gymnasium sich eifrig befliffen. Die Fülle von Zitaten aus allen möglichen Büchern, die Hinweisungen auf packende Analogien aus den verschiedensten Gebieten zeigen, daß sein Wissen kein totes Kapital, sondern ihm allezeit gegenwärtig und zur Hand war, um passend angewandt und ausgemünzt zu werden. In den Jahren, da es in dem Menschen stürmt und drängt, zur Stepsis geneigt und des Betens entwöhnt, hat er sich mit etwa dreißig Jahren durch eine im Innersten organisch sich vollziehende und dann als reife Frucht plötzlich hervorbrechende Umwandlung zum lebendigen Christentum durchgerungen,*) das von da an sein unzerstörbarer Besitz, seines Herzens Trost und sein Teil und auch in politischen Kämpfen sein leßter und bester Rückhalt geworden ist. Nicht umsonst sezte er in sein Grafenwappen den Wahlspruch: in trinitate robur, im dreieinigen Gott wurzelt meine Kraft, und es war ihm selbstverständlich, daß die Religion nicht bloß theoretisch sei, sondern praktisch sich betätigen müsse auf dem Gebiet der Nächstenliebe." **) Ein starrer Dogmengläubiger und strenger Kirchenmann ist er nicht gewesen, und das Verhalten der orthodoxen Richtung in den 70er Jahren hat ihn notwendig auf das innerlich religiöse Erleben zurückgedrängt. Der Pietismus hat seine historische Bedeutung und sein besonderes Recht darin und daran, daß ihm Leben in Gott mehr bedeutet, als Lehren und Denken über Gott.. In diesem Sinn aber hat Bismard am 3. Juli 1851 seiner Frau schreiben können: „Ich begreife nicht, wie ein Mensch, der über sich nachdenkt und doch von Gott nichts weiß oder nichts wissen will, sein Leben vor Verachtung und Langeweile ertragen kann. Sollte ich jezt leben ohne Gott, ohne dich, ohne Kinder, ich wüßte doch in der Tat nicht, warum ich dies Leben nicht ablegen sollte wie ein schmutziges Hemde."

Bismard besaß den Sinn für die schöne Form; auf seinem Gut in Varzin legte er schöne Durchblicke an und sagte wohl, man müsse alles ästhetisch treiben, auch die Landwirtschaft; über seiner eigenen Erscheinung lag neben aller Wucht auch Anmut, die, wer sie geschaut hat, nicht vergessen kann. Die Musik war ihm eine Seelentrösterin wie einst dem König Saul; er hat keine gemacht, aber er

*) Otto Baumgarten, Bismarcks Stellung zur Religion und Kirche, Hefte zur christlichen Welt Nr. 44, Tübingen 1900: eine ganz vortreffliche Schrift, welche Bismarcks ganzes Wesen zur Darstellung bringt. Max Lenz, fleine historische Schriften, München 1911. Ludwig, Bismarcks Glaubensleben, Berlin 1919.

**) Rede im Reichstag vom 9. Januar 1882 (vgl. auch oben S. 357).

fühlte ihren Zauber, „die Tiefe Beethovens, wie die Schlichtheit des Volkslieds." Wie vertraut er von seinen jungen Jahren an mit der schönen Literatur war, wissen wir (S. 16); es ist bezeichnend, daß ihm Schillers stürmische Art mehr zusagte, als die klare Gelassenheit Goethes, dessen Faust ersten Teil er natürlich schäßte. Die deutsche Sprache *) handhabte er schriftlich wie einer ihrer größten Meister; er gehörte ohne Frage zu den Klassikern des deutschen Stils; wie gemeißelt stehen seine Säße da, scharf und schön, verständlich und tief, kein Wort zu viel und keins zu wenig, alle unmittelbar nach dem Ziel gerichtet, das dem Schreiber vorschwebt, längere Gedankenreihen wohl in einem schlagenden Wort zusammenfassend,**) oft mit glücklichen Bildern und Gleichnissen den Gedanken dem Leser vor die Seele hinstellend.***) Auch in der Poesie †) hat er sich wohl ge= legentlich mit scherzhaften, launigen Versen versucht, so an Marie v. Blankenburg, die gemeint hatte, es fehle ihm an Poesie: „Damit Sie nun doch klar ersehen, Wie sehr Sie mich da mißverstehn, So schreib ich Ihnen, Frau Marie, In Versen gleich des Morgens früh.“ Seinem Freund Hans v. Kleist-Rezow sandte er 1849 eine große weite Kaffeetasse: „Schein ich dir zu groß und weit Für ein so kleines Landrätlein, So dent: es ist die höchste Zeit, Dir eine Gattin anzufrein.“†) Als Redner im Parlament††) hatte er Eigen.

*) Arthur v. Brauer, Bismards Schreibweise, in: Erinnerungen an Bismard, Stuttgart 1915, S. 223-238.

**) „Wir werden unserseits den Namen des Junkertums noch zu Ehren und Ansehen bringen!" 8. April 1851. „Ich bin stolz darauf, eine preuBische Sprache zu reden, und Sie werden dieselbe noch oft von mir hören!“ 28. Januar 1863. „Nach Canossa gehen wir nicht!" 14. Mai 1872. „Wir Deutsche fürchten Gott, aber sonst nichts in der Welt!" 6. Febr. 1888. ***) Im Lande gibt es eine Menge catilinarischer Existenzen, die ein großes Interesse an Umwälzungen haben, 30. September 1862. Der Fortschritt, die Vorfrucht der Sozialdemokratie, 9. September 1878, 24. Januar 1887 und 23. März 1887. Tuchrock und Rock von Tuch, 1879, oben S. 352. Die Gewissen sind von verschiedener Qualität, 4. März 1881.

†) Er ist selbst zum Gegenstand der poetischen Darstellung geworden. Ohne hierauf irgendwie erschöpfend eingehen zu wollen, sei genannt die ganz verunglückte epische Erzählung „Bismarc“ von Gustav Frenssen, Berlin 1914; dann die Romane von E. Kißling-Valentin, Bismarck und die Frauen, Leipzig 1917, und Karl Hans Strobl, Bismarck, Leipzig 1921, der den Stoff zu patriotischer Erhebung zu gestalten sucht.

††) S. Münchener Neueste Nachrichten 18. März 1915.

†††) Eduard Engel, Fürst Bismarck im Parlament, „Neue freie Presse" 1. April 1910. Engel war früher Vorstand des stenographischen Bureaus im

tümlichkeiten, welche die Wirkung seiner Reden hätten stören können; er sprach holperig und wechselte oft ohne eigentlichen Grund den Ton, manchmal so leise selbst bei den packendsten Stellen, daß ihn nicht einmal die in seiner nächsten Nähe befindlichen Stenographen verstanden; an Brüchen im Saßgefüge (Anakoluthen) war seine Rede reich, weil die Gedanken stürmisch dem Wort voraneilten. Troßdem war er nach dem Urteil Engels, der ihn und andere so oft gehört hat, der bedeutendste Redner, den das deutsche Parlament seit seinem Bestehen zu hören bekommen hat; selbst seine Gegner standen unter dem Bann seines lebendigen Wortes; fie empörten sich über vieles von dem, was er sagte, und doch wollten sie um nichts in der Welt gerade jeßt nicht im Saale fißen. Bismard hat sehr oft den Saal verlassen, sobald Eugen Richter zu reden begann; Richter hat ihm nie Gleiches mit Gleichem vergolten." Alles an diesem Mann war einzigartig und gigantisch; man spürte ihm den Genius an und beugte sich bewundernd oder knirschend vor ihm. Die Art, wie er das rechte Wort mühsam zu suchen schien, wie es „qualvoll geboren wurde,“ „wie die Gesichtsmuskeln dabei zuckten, Arme und Hände mitschafften, ein Keuchen und Stöhnen sich ihm entrang," hatte etwas, was den Hörer gefangen nahm; und dann kam das Ergebnis dieses Geburtsprozesses, Säße von wunderbarer Schönheit, Klarheit und Kraft, riesige Blöcke, in die parlamentarischen Kieselsteinchen hineingeschleudert, Worte, die fortleben werden von Geschlecht zu Geschlecht. So mühselig das Ringen, so herrlich war die Frucht. „Er ist ein großer Redner," schrieb der Franzose J. J. Weiß 1909 in der Nouvelle revue, „ein scharfer Philosoph und tiefer Moralist. Mit seiner trockenen und zerschmetternden Wortkürze würde er Cicero umgeworfen und Demosthenes zu Fall gebracht haben. Er würde Mephisto Troß geboten haben, dessen Art er nach Geist und Charakter hatte." Einer seiner verbissensten Gegner, aber selbst ein Mann von Geschmack und großem Redetalent, der Führer der württembergischen Demokratie von 1864-1889, Karl Mayer, von 1881 bis 1887 Abgeordneter des zwölften württembergischen Wahlkreises (Gerabronn-Mergentheim), hat mir einmal bewundernd bezeugt, daß Bismarck ein „brillanter Causeur“ gewesen sei, dem man mit innigem Vergnügen lauschte; so erinnerte sich Mayer besonders, daß Bismarck, von der unterwühlenden Tätigkeit der Linken spre= chend, diese mit einem Schieferdecker verglich, der vom Dach fiel

Reichstag und hatte Bismarcs Reden zu kontrollieren, ist also sehr unterrichtet. Vgl. auch White a. a. D. S. 135. ·

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