Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

geordneten Bachem und des Rechnungsrats Jungheim (vom Büro des Reichstags) am 4. August niederlegten, und welche die Aufschrift trug: „Dem ersten Kanzler des deutschen Reiches der deutsche Reichstag." Die beiden genannten Abgeordneten gehörten der Fraktion des Zentrums an; vor der Majestät des Todes verstummte der Parteigeist und trat die Geschichte in ihr Recht.

Wenige Monate nach Bismarcks Tod erschienen 1898 die beiden ersten Bände seiner „Gedanken und Erinnerungen" kein abgerundetes Werk, da nach des getreuen Lothar Buchers Tod (12. Oktober 1892) die Arbeit an ihnen ins Stocken geriet, in manchen Teilen fast nur eine Sammlung von Materialien, an die der Meißel des Künstlers nicht mehr gelegt wurde, in andern aber zu wundervoller, schlechthin klassischer historisch-politischer Darstellung ausgereift. Es ist ein einzigartiges Gegenstück zu Goethes Selbst= biographie „Dichtung und Wahrheit"; spricht hier unser größter Dichter von seinem Werden im Rahmen seiner Zeit, so spricht dort unser größter Staatsmann von seinem Ringen mit Personen, Völkern und Verhältnissen um die Gründung des deutschen Staates; hier ein neuer Taffo, dort ein neuer Antonio, aber beide trau= licher als ihre literarischen Gegenbilder, weil in ihnen die Art, die Seele, die Kraft und das Schicksal ihres Volkes, unseres Volks, leben. Bismarcks Sprache weist in ihrer plastischen Kraft und Schönheit auf Goethes Vorgang und Vorbild hin; ihm selbst vielleicht unbewußt, ist er doch durch seine Verbindungsfäden mit dem dichterischen Genius verknüpft. Das Werk, dessen Titel seine zwei Bestandteile vortrefflich wiedergibt, wurde von der Nation mit Ehrfurcht und Dankbarkeit als das Vermächtnis ihres größten Staatsmannes aufgenommen und wird dies bleiben: eine unvergleichliche Quelle der Belehrung über ihn und über die Kämpfe, die er durchgefochten hat.*) Der dritte Band erschien bald in Übersegungen, in Deutschland aber, da Kaiser Wilhelm II. 1918-1921 wegen vier darin enthaltener Briefe von seiner Hand die Herausgabe rechtlich mit Erfolg anfocht, erst im Oktober 1921, nachdem der Cotta'sche Verlag eine namhafte Summe zu wohltätigen Zwecken an= geboten und der Kaiser daraufhin seine Einsprüche zurückgezogen hatte.

*) über sie vgl. u. a. Erich Mards, Fürst Bismards Gedanken und Erinnerungen, Versuch einer kritischen Würdigung, Berlin 1899. Bei ihm findet man auch Hinweise auf andere kritische Betrachtungen, von Schmoller, Meinede (hist. Zeitschrift Bd. 82) und Bamberger. Ferner Mag Lenz, zur Kritik der Gedanken und Erinnerungen, Berlin 1899. Eine allgemeine Würdigung hat Erich Mards in seinem Otto v. Bismard S. 242-245 gegeben.

[ocr errors]

Zusammenfassung. Bismarck als Mensch. Seine Stellung in unserer Geschichte.

Versuchen wir zum Schluß, ein Bild von dem ganzen Wesen

Bismards zu entwerfen und uns zu vergegenwärtigen, was er für unser Bolt bedeutete.

Bismard war von hohem Wuchs, gewaltiger, aber ebenmäßiger Gestalt, breiten Schultern, hoher Stirn, mächtiger Schädelbildung, dichten Brauen, frühzeitig kahl, weshalb ihn das Wizzblatt „Kladderadatsch“ immer mit drei Härchen abbildete, tiefen, blauen, wunderbar anziehenden, in der Leidenschaft auch „unheimlich blißenden“ Augen.*) Seine Stimme war nicht sehr biegsam und metallisch, ihre Lage durchschnittlich etwas zu hoch; gleichwohl konnte sie, wenn Anlaß war, ergreifend und seelenvoll klingen, und sie reichte für die Aufgaben eines Redners im Parlament hin. Seine Gesundheit war von Hause aus sehr gut, und wie der Riese der Sage Antaios, von Herakles niedergeworfen, durch die Berührung seiner Mutter der Erde immer wieder neue Kraft erlangte, so stellte Bismarck, ein Sproß des platten Landes, bis ins hohe Alter durch häufigen und langen Landaufenthalt die im öffentlichen Dienst zerriebenen Kräfte immer wieder her. Denn das ist gewiß, daß er dem Vaterland wie seine Ruhe und Bequemlichkeit, so auch seine Gesundheit geopfert hat; wir hörten, wie er dies gelegentlich selbst in ergreifenden Tönen beklagte (S. 326. 328. 363), und er hatte ein gutes Recht zu sagen: patriae inserviendo consumor. Von den schwereren Krankheitsfällen haben wir oben (S. 70. 216. 465) gesprochen; geringere Anfälle wiederholten sich oft, und in den höheren Jahren litt er sehr an übermäßigem Fettansaß, an häufiger Venenentzündung und an Schmerzen des Gesichtsnervensystems, an Schlaflosigkeit. Gegen diese oft quàlvollen Leiden, um deren willen der amerikanische Bot. schafter White 1880 glaubte, er könne nicht mehr lange leben,**) fand er seit 1883 einen tüchtigen, bei einer Erkrankung des Sohnes Wilhelm v. Bismard erprobten Arzt an Dr. Schweninger (geb. 1850

*) Gustav v. Diest, Aus dem Leben eines Glücklichen, S. 432. **) White, aus meinem diplomatischen Leben (Leipzig 1906) . 137. Dort steht überhaupt eine interessante Schilderung Bismarcs, „der nach meinem Eindruck [noch] um ein Bedeutendes [geistig] größer ist, als ich erwartet hatte.“

"

zu Freystadt in der Oberpfalz), der ihm mit Festigkeit seine Diät, namentlich Maßhalten im Genuß bayrischen Biers und Vermeiden schwer verdaulicher Speisen, vorschrieb und schädliche Einflüsse abzuschneiden wußte. Meine andern Ärzte," hat Bismarck wohl scherzend gesagt, „habe ich behandelt; er behandelt mich." *) Im Jahr 1883 hatten alle ärztlichen Größen Berlins bei Bismarď auf Leberkrebs geschlossen und ihm „kaum noch ein Jahr“ zu leben ge= geben; Schweninger hat dieses kostbare Leben unserem Volk noch fünfzehn Jahre erhalten. Um ihn an Berlin zu fesseln, wurde er 1884, nicht ohne daß das mannigfachen Widerstand gefunden hätte, durch den Kultusminister v. Goßler zum Professor der Hautkunde an der Berliner Universität ernannt, mit der ausdrücklichen Begründung, daß dies wegen der Gesundheit eines für Deutschland unerseßlichen Mannes geschehe.

In geistiger Hinsicht **) waren bei Bismard alle menschlichen Grundfähigkeiten bis zur höchsten Vollendung entwickelt; er war ein Genie ersten Ranges, dämonisch, d. h. nur von sich selbst bestimmt, wie jedes Genie.***) Er besaß eine außerordentliche Schärfe des Verstandes, vermöge deren er die Dinge genau so zu sehen vermochte, wie sie waren, und vor aller Phantasterei bewahrt blieb. Woran andere sich stundenlang abarbeiteten, das erledigte er mit dem Blick des Genius in Minuten †). Sein Wille war eisern und ließ nicht ab, bis er durchgedrungen war; „ich habe,“ schreibt Abeken am 16. Juli 1866, „kaum je einen Menschen gekannt, der

*) S. Schweningers „Blätter aus meiner Erinnerung“ in dem öfters erwähnten Werk Arthurs v. Brauer: Erinnerungen an Bismard, 1915. **) Hierüber vgl. Christoph von Tiedemann, sechs Jahre Chef der Reichskanzlei (Leipzig 1909) S. 462-487. Emil Ludwig, Bismarc, erweiterte Ausgabe, Stuttgart 1921.

***) Das hat Karl Scheffler, Bismarck, eine Studie, Berlin 1919, vom Standpunkt des Ästheten aus bestritten; Bismarck habe keine Ideen gehabt, teine Tradition hinterlassen, ein künstliches Gebilde geschaffen. Jedes Wort der Erwiderung ist uns dadurch erspart, daß wir heute fühlen, daß alles, was uns noch vor dem Versinken rettet, Bismard'sches Erbe ist. Ähnlich wie Scheffler äußert sich Ehrlich, Bismard und der Weltkrieg, Zürich 1920. Eine Gegenschrift gegen Scheffler verfaßte Kämpfer: war Bismarc ein Genie? Halle 1920. Unter dem wohl einseitigen Gesichtspunkt des Einfluffes der Nervosität auf Leben und Schaffen hat der München-Gladbacher Sanitätsrat Dr. med. A. Müller in seinem Buch „Bismarck, Nietzsche, Scheffel, Mörike, vier Krankheitsgeschichten", Bonn 1921, Bismard zu be trachten unternommen.

†) Ebenda S. 469–71. Vgl. oben S. 378.

so viel Elastizität des Gedankens mit so viel eiserner Kraft des Willens vereinigte." Er hat den Militärkonflikt unter den schwierigsten Verhältnissen ausgefochten; er hat eine widerstrebende Reichstagsmehrheit zur Unterstüßung der Kolonialpolitik erzogen und andere Mehrheiten mit wuchtigem Taßenschlag zertrümmert, wenn sie ihm auf die Bahn nicht folgen wollten, auf der allein nach feiner Überzeugung das Wohl des Vaterlandes zu finden war. In der auswärtigen Politik hat er ebenso mit zäher Festigkeit seine Ziele verfolgt und erreicht. Diese Willenskraft übte er auch über sich selbst aus; so heiß sein Blut war, er verstand sich zu zügeln und zu warten, bis die Dinge reif waren (vgl. S. 193. 234); er gehörte nicht zu denen, welche nach Goethes Ausdruck vom April schon Rosen erwarten, und so wuchtig und rücksichtslos er überall für die deutsche Einheit eintrat, da wo dies nötig war, so hat er doch den Bogen nicht überspannt und durch kluge und großherzige Anerken= nung des föderativen Hangs der Deutschen die Stämme und die Dynastien dauernd für den Zusammenschluß gewonnen. Wunderbar ist vor allem seine Mäßigung im Sieg (S. 187. 193); den Neid der Götter hat er nie herausgefordert und die Hybris, der übermut, war seiner großen Seele fremd. Daß zu einer erfolgreichen Politik vor allem Ehrlichkeit, Offenheit und Versöhnlichkeit gehören, hat er nicht bloß selbst ausgesprochen (Gedanken und Erinnerungen 2,267), sondern er hat auch trotz aller Leidenschaft seiner Seele zulegt immer darnach gehandelt.*) Bismards Wille war auf das Sittliche gerichtet. Als im Jahr 1865 seine Vermittlung gegen die religiöse Bedrückung in den russischen Ostseeprovinzen angerufen wurde, wo evangelischen Eltern ihre Kinder genommen wurden, um fie mit Gewalt im orthodoxen Glauben zu erziehen, da ließ er sich nicht vergebens bitten, so sehr er sonst alle Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten vermied, und sagte zu dem russischen Gesandten Dubril, die Sache sei so, daß sie alle anständigen Herzen in Wallung versetze. Als der Gesandte bemerkte, die Aufrufung der Öffentlichkeit könne die Dinge nur verschlimmern, antwortete ihm Bismarck, er könne die Angelegenheit nicht ad Calendas Graecas vertagen lassen; er sei in solchen Dingen Fatalist und sage: fais ce que tu dois, advienne que pourra. Ein prachtvoller Grundsatz, durch den Bismarck die gewünschte Abhilfe durch Gortschatoff erreicht hat.**) Bismards Gemüt war start

*) Das bezeugt sein Leben; es bezeugen es aber auch seine Mitarbeiter, so v. Brauer, „Deutsche Revue" 30 (1905), IV 257–274.

**) S. Bismarckjahrbuch I (1894) 56-66.

und tief; er liebte mit voller Kraft der Seele, und er konnte auch bitter hassen; man hat ihn daher manchmal wohl auch der Ungerechtigkeit und Schroffheit geziehen, und seine über das Maß angespannten Nerven haben ihn manchmal im Stich gelassen, so daß er sehr reizbar und auch argwöhnisch werden konnte. Selbst sein getreuer Tiedemann fand, daß er nie einem Gegner volle Ge= rechtigkeit widerfahren ließ (a. a. D. S. 478); in seiner Leidenschaft und Kampfluft erinnerte er Tiedemann an Luther. Aber wer, wenn er Bismarck Unbill angetan hatte, um Vergebung bat, der fand nicht taube Ohren: wie einmal, als der alte Wrangel ihn fragte: „Mein Sohn, kannst du nicht vergessen?“ er zuerst ergrimmt antwortete: „Nein"; als der Alte aber nach einer kurzen Pause fragte: „Mein Sohn, kannst du nicht verzeihen?" da sagte er: „Von ganzem Herzen,“ und sie blieben seitdem gute Freunde.*) Manchmal brannte im Parlament sein Zorn heiß auf, und er konnte mit blizenden Augen vor die Gegner hintreten und sie bedrohen (S. 340); weit häufiger staunt man doch über die Haltung und Vornehmheit, mit welcher er auch den giftigsten Angriffen gegenüber bewährte: die Wohlerzogenheit nicht zu verlegen war ihm zur andern Natur geworden. Seine Mitarbeiter klagten wohl, daß er übermenschliche Ansprüche an ihre Kraft stelle; aber er hielt sie auch in hohen Ehren und sprach ihnen herzlich zu,**) und Arthur v. Brauer, der sechs Jahre unter ihm gearbeitet hat, bezeugte mir, daß er nie anders als mit der größten Liebenswürdigkeit und Feinheit behandelt worden sei; wer andere Erfahrungen gemacht habe, müsse die Schuld bei sich selbst suchen. Es kam vor, daß ein Geheimrat Bismarck auf dessen eigenstem Gebiet zu schulmeistern suchte: „viermal habe ich es mir gefallen lassen," sagte Bismarck zu Brauer; heute aber habe ich ihm die Meinung gesagt." Das tiefe Gemüt des Gewaltigen offenbarte sich am schönsten in der Familie und im häuslichen Leben (S. 19. 380). Wie Luther, der Riese, uns auf diesem Boden so traulich und heimlich wird, daß wir ihn da erst recht verstehen und in unsere Seele aufnehmen, so auch Bismarck. Etwas Innigeres, Natürlicheres, Erquicklicheres und Reineres als

*) H. v. Sybel, die Begründung des Deutschen Reiches 3, 254. Der Anlaß war, daß Bismarck, um die Wünsche Österreichs zu erfüllen und einen Konflikt zu verhüten, am 15. Februar 1864 die königliche Weisung an Wrangel erwirkte, daß dieser bis auf weiteren Befehl nicht in Jütland eindringen solle, und Wrangel darauf dem König telegraphierte, diese Diplo maten, welche die schönsten Operationen störten, verdienten den Galgen. **) S. Jungnidel, Staatsminister Albert v. Maybach, S. 118.

« ZurückWeiter »