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drohen könne, wohl aber den durch die Berliner Stipulationen geschaffenen europäischen Frieden zu konsolidieren geeignet sei. Dann folgte der Kern des Ganzen: wenn wider Verhoffen und gegen den aufrichtigen Wunsch der beiden hohen Kontrahenten eines der beiden Reiche von Rußland angegriffen würde, so find die Kontrahenten verpflichtet, einander mit der gesamten Kriegsmacht beizustehen und den Frieden nur gemeinsam zu schließen. Wird eine der zwei Mächte von anderer Seite angegriffen, so werden die Verbündeten gegen einander eine wohlwollende neutrale Haltung beobachten; falls aber Rußland dabei den Angreifer unterstüßt, so tritt die Pflicht gegen= seitigen Beistandes auch für diesen Fall ein. Der Vertrag sollte ge= heim gehalten werden, um jede Mißdeutung auszuschließen. Hiemit war Kaiser Wilhelm I. aber nicht einverstanden, weil er es für unritterlich ansah, Rußland über die Gefahr eines Angriffs auf Öfterreich im Dunkeln zu lassen, und so mußte Bismarck zugestehen, daß der Kaiser durch einen Brief vom 4. November dem Zaren von dem Vertrag Mitteilung machte und die unbedingte Friedfertigkeit seiner Politik nachdrücklich betonte. Das Bündnis vom 7. Oktober machte auch in St. Petersburg den gewünschten ernüchternden Eindruck; der Zar antwortete seinem Oheim in ruhigem und befriedigendem Ton und fandte noch im November seinen Sohn und Thronfolger, den Großfürsten Alexander, nach Berlin, um auch persönlich beruhigende Versicherungen über seine friedfertigen Absichten abzugeben. In Süddeutschland, wo man von alters her eine gemütliche Zuneigung zu den Stammesgenossen in Österreich bewahrt hatte, welche seit der gewaltsamen Trennung des Jahres 1866 noch durch Beimischung einer gewissen Wehmut gesteigert worden war, empfand man das Bündnis als eine Art Heilung des vor dreizehn Jahren erfolgten Riffes. Auch im Norden, namentlich, aber nicht allein, in den katholischen Landesteilen, hegte man diese Gefühle, und es war ein wundervoller Ausdruck für eine große geschicht= liche Tatsache, wenn die erste Thronrede des dritten Kaisers vom 25. Juni 1888 des Bündnisses mit den Worten gedachte: „Es sei ein Vermächtnis der deutschen Geschichte." Wenn in Rußland fich Bitterkeit darüber regte, daß Deutschland ihm den Angriff auf Österreich, dessen Erfolg überdies sehr fraglich gewesen wäre, aufs äußerste erschwerte, so konnte Bismarck nicht ohne guten Grund darauf hinweisen, daß durch das Bündnis bloß der Zustand hergestellt war, welcher jahrhundertelang zwischen Deutschland und Österreich bestanden hatte und 1866 nur vorübergehend durch den notwendigen Austrag der deutschen Frage unterbrochen worden

war. Nach Vollendung dieses Austrages gab es keine Interessengegensätze zwischen Österreich und Deutschland mehr, wohl aber starke Antriebe, sich zusammenzuschließen, da beide Reiche vermöge ihrer Lage in der Mitte Europas ihre Grenzen gegen mehr Nachbarn zu schützen hatten als die andern Großmächte. Das Bündnis hat sich fest gefügt erzeigt, ist erneuert worden und lange ein Bollwerk des europäischen Friedens gewesen; seine Stärke erprobte sich in der Orientkrifis des Frühjahrs 1909, und es ist von Deutschland auch gehalten worden, als seine Voraussetzungen bereits brüchig ge= worden waren, im Weltkrieg von 1914.

Mit der Sicherheit, welche aus dem deutsch-österreichischen Bündnis für uns erwuchs, war Bismarck noch nicht zufrieden. Er suchte Frankreich dadurch von dem Gedanken des Rachekriegs abzulenken, daß er ihm in allen Fragen, welche nicht Elsaß-Lothringen betrafen, entgegenkam (S. 381). Wir wissen, daß selbst Gambetta 1877-1878 für eine Politik des Zusammengehens mit Deutschland fich erwärmte (S. 347), und als das Ministerium Ferry 1881 sich entschloß, sich für die Gewalttaten der Grenzstämme in Tunis Genugtuung zu schaffen, und in Berlin anfragte, wie sich Deutschland dazu stellen werde, antwortete Bismarck am 2. Mai, daß er selbst gegen eine Eroberung von Tunis nichts einzuwenden habe; *) außerhalb Europas, bedeutete er dem Botschafter St. Vallier, macht, was ihr wollt; in Europa aber laßt uns in Ruhe! Es war dieselbe Politik, vermöge deren er einst im Dezember 1862 Österreich geraten hatte, seinen Schwerpunkt nach Ofen zu verlegen, das heißt seine Aufgaben im Osten zu suchen, nicht im Westen; ebenso wies er jezt Frankreich auf die überseeische Ausdehnung seiner Macht, um in Europa vor ihm Ruhe zu haben. Das Ministerium Ferry, das auf diese Gedanken einging, fonnte sich freilich nicht halten, und die Politik, welche hypnotisiert auf das Loch in den Vogesen starrte," gewann wieder die Oberhand. Aber eben die Beseßung von Tunis durch die Franzosen, welche daraus einen in allem wesentlichen von ihnen abhängigen Schußstaat machten, trieb Italien auf die Seite Deutschlands. Mit Knirschen sah man in Rom, daß die bisher beliebte „Politik der freien Hand“ das Königreich vereinzelt und

*) Rambaud, Jules Ferry, Paris 1903, S. 292. Schon auf dem Berliner Kongreß hatte sich Bismard in diesem Sinn geäußert, Hanotaur 4,387 ff. In seinem Buch le Tonkin, Paris 1890, hat Ferry selbst bezeugt, „daß Deutschland nirgends, weder in den chinesischen Meeren, noch auf Formosa oder Madagaskar irgendwie das Vorgehen Frankreichs gehemmt, durchkreuzt oder geniert habe".

es Frankreich ermöglicht hatte, ihm die alte provincia Africa der Römer, ein herrliches Land, wo 20 000 Italiener als Kaufleute, Handwerker und Arbeiter angesiedelt waren, vor der Nase wegzuschnappen. Das Ministerium Mancini trat an Deutschland mit dem Wunsch eines Bündnisses heran, und so kam, da Deutschland ja schon mit Österreich zusammenstand, a m 20. Mai 1882 der Dreibund auf fünf Jahre zustande, durch den sich alle drei mitteleuropäischen Mächte verpflichteten: 1. wechselseitig Friede und Freundschaft miteinander zu halten und sich an keinem Bündnis, das gegen eine der drei Mächte gerichtet wäre, zu be= teiligen; 2. im Fall des Angriffs zweier oder mehrerer Mächte auf eine der drei den Bündnisfall als gegeben zu erachten; 3. im Fall des Angriffs einer einzigen Macht mindestens wohlwollende Neutralität zu beobachten; 4. im Fall eintretender Gefahr „in möglicher Zeit" sich über die militärischen Maßregeln zum Zweck des Zusam= menwirkens zu verständigen; 5. den Vertrag geheim zu halten; 6. verhießen Deutschland und Österreich, im Fall Italien ohne Herausforderung seinerseits von Frankreich angegriffen werde, es mit allen ihren Kräften zu unterstüßen; 7. übernahm Italien im Fall eines nicht herausgeforderten Angriffs Frankreichs auf Deutschland dieselbe Verpflichtung. Am 30. Oktober 1883 trat Rumänien in ein Bündnis mit Österreich und Deutschland, und am 15. Mai 1888 schloß sich Italien auch diesem Bündnis an. 1887 vereinbarten England, Italien und Österreich am 12. Februar, bzw. 24. März, daß sie den bestehenden Zustand im Mittelmeer, in der Adria, im ägäischen und im schwarzen Meer so sehr als möglich aufrecht halten wollten, und am 20. Februar 1887 wurde der Dreibund, zu dem nun England offenbar in einem gewissen Verhältnis stand, nach langen und schweren Verhandlungen auf Verlangen Italiens in der Weise erneuert, daß durch angehängte Sonderverträge 1. Österreich und Italien sich verpflichteten, im Fall der Zustand auf dem Balkan, in der Adria und im ägäischen Meer unhaltbar werde, sich über eine gegenseitige Entschädigung rechtzeitig zu verständigen, und 2. Deutschland Italien auch seine kriegerische Unterstützung zuficherte, falls Frankreich sein Protektorat oder seine Souveränetät über Tripolis oder Marokko auszudehnen suche und Italien, um seine Stellung im Mittelmeere zu behaupten, Frankreich in Nordafrika oder Europa betriege. Diese großen Zugeständnisse machten Italien seine Verbündeten, um es nicht Frankreich oder Rußland in die Arme zu treiben. Der bedeutendste italienische Politiker, Francesco Crispi, besuchte Bismarck zu Anfang Oktober 1887 in

Friedrichsruh, blieb drei Tage und vereinbarte mit ihm eine Er= weiterung des Februarabkommens (f. S. 399). Im September 1888 hat Crispi seinen Besuch bei Bismarck erneuert, und dieser persönliche Meinungsaustausch der leitenden Staatsmänner kam der Klärung der Lage und des deutsch-italienischen Verhältnisses zu statten.

Troß des Bündnisses mit Österreich und Italien war aber Bismard keineswegs gemeint, „den Draht nach St. Petersburg abreißen zu lassen," weil (bei der leidenschaftlichen Gegnerschaft der Tschechen gegen das deutsche Bündnis und der Möglichkeit ihrer Unterstüßung durch die Klerikalen) in Österreich auch einmal ein anderer Wind aufspringen konnte, und weil Bismarc Rußland nicht dahin drängen wollte, daß es, wie das einst Katharina II. mit Joseph II. getan hatte, sich auf Unkosten Deutschlands mit Österreich verständige. Es gelang ihm in der Tat, mit Hilfe des russischen Ministers des Auswärtigen, des Herrn v. Giers, selbst den gegen die Deutschen von vielen Seiten eingenommenen Zaren Alexander III., der am 13. März 1881 auf seinen elendiglich von den Terroristen (oder den Reaktionären?) ermordeten Vater gefolgt war, zur Erneuerung des „Dreikaiserverhältnisses" zu bewegen. Am 18. Juni 1881 verabredeten sich Deutschland, Österreich und Rußland auf drei Jahre, daß sie im Falle eines Angriffs einer vierten Macht auf eines der drei Reiche wohlwollende Neutralität beobachten und ihre Intereffen auf dem Balkan gegenseitig achten wollten. Österreich sollte zu der ihm gelegen erscheinenden Zeit Bosnien und die Herzegowina sich einverleiben dürfen; die Bestimmungen über den Sandschak Nowibazar sollten bestehen bleiben, ebenso die über die Schließung des Bospo= rus und der Dardanellen. Bulgarien (das Rußland damals ganz als sein Anhängsel betrachtete) sollte sich eventuell Ostrumelien angliedern dürfen; nicht aber Makedonien.*) Am 27. März **) 1884 wurde in Berlin der Vertrag auf drei Jahre erneuert. Diese Ver= träge waren ein Meisterstück, sagt selbst ein französischer Historifer,***); sie schüßten Deutschland gegen die schwerste Gefahr: das Zustandekommen eines französisch-russisch-italienischen Bündnisses. (Vgl. unten S. 395.) Die Fortdauer der freundschaftlichen Beziehun gen zwischen den drei Kaisermächten befundeten auch äußere Vor gänge, die Beachtung fanden. Am 18. Mai 1884 war Prinz Wil

*) Pribram, Die politischen Geheimverträge Österreich-Ungarns, Wien 1920, I 11-16.

**) Ebenda I 35-36.

***) Matter, Bismarck et son Temps 3, 517.

helm bei der Großzjährigkeitserklärung des Thronfolgers Nikolaus in St. Petersburg und „sprach mit Erfolg für die Einigung der drei Höfe".*) Am 15. September 1884 bekräftigten die drei Kaiser auf einer Zusammenkunft in der Stadt Skierniewice in RussischPolen (zwischen Warschau und Lodz) ihre Beziehungen; das Vordringen des Radikalismus in England, wo Gladstone und Chamberlain 1884 eine neue Demokratisierung des Wahlrechts durchseßten, ward als ein Anzeichen dafür aufgefaßt, daß der monarchische Gedanke dort am Ende dem republikanischen weichen müsse, und um so nötiger schien der Zusammenschluß der östlichen Monarchien. Die Stimmung des Zaren war so, daß „nichts Schriftliches ausgemacht wurde; es war auch nicht nötig".**) „Die bismardische Politik," sagt der Franzose Mévil, „war auf ihrem Höhepunkt; sie beherrschte Europa unbedingt."

Viertes Kapitel.

Die lehte Zeit Kaiser Wilhelms I. Bismarck und Kaiser Friedrich.

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egen das Ende des Jahres 1886 trat wieder eine scharfe Spannung in der europäischen Lage ein. In Frankreich geriet die republikanische Staatsform durch die schmußige Habgier und die unduldsame Herrschsucht vieler republikanischer Führer in solchen Mißkredit, daß die monarchistische Opposition 110 WahlPreise eroberte und von 90 auf 200 Mann anwuchs, und der Kriegsminister General Boulanger suchte diese Stimmung für sich auszunußen, indem er sich als den Mann hinstellte, der den Augias= stall der Republik auszufegen die Kraft habe und auch die verlorenen Provinzen Elsaß und Lothringen wieder herbeibringen könne. Er ließ an der Ostgrenze eine große Anzahl Baracken errichten, um sie mit Truppen zu belegen, und kaufte in Deutschland selbst große Mengen von Sprengstoffen zur Herstellung von Bomben und Granaten an. Gleichzeitig spizten sich auf der Balkanhalbinsel dadurch, daß der 1879 eingesetzte Fürst Alexander 1. von Bulgarien,

*) Hohenlohe, Denkwürdigkeiten 2, 352. **) Ebenda.

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