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Jugendjahre. 1815-1839.

ie Familie Bismarck hat ihren Namen wohl von dem Städtchen Bismarck in der Altmark, das westlich von Stendal liegt und heute etwa 2500 Einwohner zählt. Es scheinen Angehörige dieses Städtchens nach Stendal eingewandert und dort nach ihrer Herkunft benannt worden zu sein. Sie fanden Aufnahme in das städtische Patriziat, und im Jahr 1270 wird ein Herbord v. Bismarck als Aldermann der (patrizischen) Kaufmanns- und Tuchhändlergilde zu Stendal genannt; doch läßt sich nicht sagen, ob die Bismarck zu den ritterbürtigen oder zu den rein bürgerlichen Ele= menten des Stendaler Patriziats gehörten. Im Jahr 1345 wurden die Patrizier von den Zünften überwältigt, die Stadtverwaltung den Zünften in die Hand gegeben und die Patrizier, unter ihnen Klaus von Bismarc, verjagt. Noch im gleichen Jahr 1345 erlangte Klaus als Ersatz des Verlorenen von dem Wittelsbacher Markgrafen Ludwig, dem Sohn Kaiser Ludwigs des Bayern, der damals die Mark Brandenburg beherrschte, das feste Schloß Burgstall als Lehen, und damit ist die Familie in den Kreis des rittermäßigen altmärkischen Adels aufgenommen.*) Im Jahr 1562 mußte sie Burgstall mit seinen wildreichen Wäldern in der Lezlinger Heide an das hohen= zollerische Kurhaus abtreten und erhielt dafür die Orte Schönhausen und Fischbeck rechts der Elbe, und Schönhausen ward nun ihr Hauptsiz, den später zwei Linien unter sich teilten (die eine die für uns in Betracht kommende, die andere die später zu Grafen gewordenen Bismarck-Bohlen). Anfangs troßige Landjunker, welche gelegentlich von den Landesherren mit Waffengewalt zum Gehorsam gezwungen werden mußten, schlossen sie sich seit der Zeit des großen Kurfürsten, welcher seinen Staat fest in die Hand nahm, an das hohenzollerische Haus an, im übrigen echte Söhne der märtischen Erde, mit ihrer Scholle verwachsen, patriarchalische Gutsherren mit dem Recht, über ihre Bauern Polizei zu üben und ihnen Recht zu sprechen, nicht ohne Beziehung zu der gelehrten Bildung ihrer Zeit, wie denn die Universitäten Jena, Marburg und Orleans

*) Karl Knetsch hat in der Zeitschrift Hessenland 27 (1913) 274 f. Bismards Abstammung von Philipp dem Großmütigen (1504-1567) nachgewiesen. Wilhelms IV. natürlicher Sohn Philipp Wilhelm r. Cornberg ist der Urgroßvater der 1694 mit August v. Bismarck vermählten Dorothea Sophie v. Katte, der Ururgroßmutter Ottos v. Bismarck.

in ihren Matrikeln Herren von Bismarck verzeichnet haben. Indem wir von all den Gestalten des Geschlechts, welche historisch nachweisbar sind, hier nicht weiter berichten, gehen wir sofort zu August Friedrich über, der als Oberst Friedrichs des Großen 1742 bei Czaslau tödlich verwundet ward, und zu seinem zweiten Sohn Karl Alexander (1727-97), der bei Prag und Kolin, bei Leuthen und Hochkirch als Rittmeister socht: ein hochgebildeter, von der Gefühlsweichheit des Zeitalters ergriffener Landedelmann, „der sich Neuigkeiten der Dichtung und der Musik auf sein Gut senden ließ," ein braver Vater, der in seinen Söhnen sich vier Freunde und der Welt vier ehrliche Leute erzogen zu haben" sich freute. Von diesen Söhnen war Ferdinand am 13. November 1771 geboren; wie die Brüder trat er ins Heer und machte 1787 den Feldzug gegen die holländischen Patrioten, 1792-94 den gegen die Franzosen mit; aber mit 23 Jahren nahm er 1794 seinen Abschied und trat in die Bewirtschaftung des Guts Schönhausen ein. Zu Luise, der wunderschönen Gattin seines (1821 gestorbenen) älteren Bruders Ernst, einem geborenen Frl. v. Miltiß, hat er nach dem Bericht Hedwigs v. Bismarck *) eine leidenschaftliche Neigung gefaßt, von der man nicht weiß, ob sie erwidert wurde; aber das häusliche Leben des Bruders erlitt doch so schwere Störungen, daß dieser an Scheidung dachte, was nur durch den frühen Tod der Frau verhindert worden ist. Im Sommer 1806, kurz vor dem Zusammenbruch des preußischen Staats im Kampf gegen Napoleon, heiratete Ferdinand die 17 Jahre alte Wilhelmine Mencken, die Tochter des 1801 an Schwindsucht in einem Alter von erst 49 Jahren verstorbenen trefflichen Kabinettschefs Friedrich Wilhelms III., Anastasius Ludwig Mencken.**) Aus dieser Ehe eines Landjunkers mit einer Angehörigen einer hohen Beamtenfamilie, die der Universität seit anderthalb Jahrhunderten tüchtige Gelehrte, Historiker und Juristen, geliefert hatte, ward am 1. April 1815 Otto Eduard Leopold v. Bismarck zu Schönhausen geboren, als viertes Kind;

*) Erinnerungen aus dem Leben einer Neunzigjährigen, von Hedwig von Bismarck, Halle 1910, S. 28. Ihr Vater Friedrich war ein Vetter Ferdinands und besaß einen Teil Schönhausens mit Fischbeck. Der Sohn Ernsts und Luisens heiratete die letzte vom Geschlecht der Bohlen und ward der Stifter der Linie der Grafen Bismarck-Bohlen.

**) Bent hat ihn zwar einen ehrlichen, beim König hoch angesehenen Phantasten genannt (Deutsche Rundschau 176, 203); dieses Urteil ist aber ungerecht. Menden war ein Beamter von warmem Pflichtgefühl, ehrlich und gerade.

am Leben war aber nur noch der im Juni 1810 geborene ältere Bruder Bernhard.

Otto war ein Jahr alt, als sein Vater 1816 nach dem pommerschen Gut Kniephof bei Naugard übersiedelte, das an die Schönhauser Herren zurückgefallen war, und Schönhausen einem Verwalter übergab. Auf Kniephof oder in Schönhausen, wo die Eltern öfters einkehrten, verbrachte der Knabe Otto die ersten Jahre seines Lebens in der freien frischen Luft des Landes und übte sich im Turnen, das damals immer mehr auftam, Klettern und Schlittenfahren. In Schönhausen war sein um fünf Monate jüngeres Bäschen Hedwig seine Spielgefährtin; „er teilte ihr alle Kinderkrankheiten, Masern, Keuchhusten, freundlichst durch Ansteckung mit,“ und „was sie nicht allein an Torheiten wußte, lernte sie von ihm.“ Bei Familienfesten faßen sie im großen Saal miteinander am Kazentisch; sie entsetzte fich, daß er Kartoffeln lieber mit der Schale als ohne diese aß. Im Winter nahmen ihn die Eltern mit in die Hauptstadt, wo sie am Opernplatz wohnten; daß 1817 das Schauspielhaus verbrannte, war feine früheste Erinnerung. Schon im Januar 1822 kam Otto mit seinen Schönhauser Vettern für die Dauer nach Berlin, als Zögling der Plamannschen Lehranstalt, ehe er noch sieben Jahre alt war. Schuld an diesem frühen Herausreißen der jungen Pflanze aus dem Mutterboden trug eben die Mutter Wilhelmine, welche im Gegensatz zu ihrem schlichten, gutherzigen, auf das Wirkliche ge= richteten, eines Anflugs von Zynismus nicht entbehrenden, der literarischen Bildung nicht aufgeschlossenen Gatten, „einem Landjunker des guten, aber nicht des größeren Stils," *) ganz die Überlieferungen ihres Hauses verkörperte; fie legte allen Wert auf die höhere geistige Bildung, „die allein das Göttliche in unserer Natur offenbaren und uns auch allein dermaleinst wahrhaft zu Gott führen kann,“ und sie hatte auch den Ehrgeiz, ihre Söhne nicht als Landwirte oder Offiziere a. D. absterben zu lassen, sondern sie in der Beamtenlaufbahn zu hohen Würden aufsteigen zu sehen. Sie war früh kränklich, machte alljährlich ihre Badereise, und zwar immer im Juli, wo die auswärts die Schulen besuchenden Kinder hätten über die Ferien nach dem heimatlichen Kniephof kommen können; ihr zweiter Sohn hat das als Mangel an Liebe empfunden, und diejenige Mutterliebe, welche das Wohl der Kinder über das eigene Behagen seßt, scheint sie allerdings nicht gehabt zu haben. „Meine Mutter war eine schöne Frau, die äußere Pracht liebte,

*) Erich Mards, Bismard, Stuttgart 1909, 1, 44.

von hellem, lebhaftem Verstande, aber wenig von dem, was der Berliner Gemüt nennt. Sie wollte, daß ich viel lernen und viel werden sollte, und es schien mir oft, daß sie hart, kalt gegen mich sei." *) Eine Fischnatur nannte sie ihr Schwager Ernst wegen ihrer Kühle; aber indem Bismarck den oben angeführten Worten hinzufügt: „was eine Mutter dem Kind wert ist, lernt man erst, wenn es zu spät ist; die mittelmäßigste Mutterliebe, mit allen Beimischungen mütterlicher Selbstsucht, ist doch ein Riese gegen alle kindliche Liebe,“ scheint er doch das: „es schien mir oft“ als irrtümlich anzuerkennen.

Die Plamannsche Anstalt war 1805 von einem Theologen, nach dem sie genannt wurde, gegründet worden, und hatte aus den Familien hoher Beamten und von Adeligen großen Zuzug. Sie war auf die Grundsätze Rousseaus und Pestalozzis aufgebaut, welche statt toten Gedächtniskrams nach Anschaulichkeit und darauf beruhender klarer Erfassung des Wissensstoffs strebten. Jeder Knabe, der der Anstalt anvertraut wurde, hatte ein Stückchen Gartenland an= zubauen und zu pflegen; Turnen, Schwimmen, Spielen und Fechten wurden eifrig betrieben. In der Erinnerung Bismarcks war die Anstalt eine Stätte künstlichen Spartanertums- man weckte die Knaben morgens wohl mit Rippenstößen auf**) —, dürftiger Nahrung, turnerhaft übertriebenen Teutschtums, feindseliger Gesinnung gegen den Adel; doch ist es fraglich, ob dieses Urteil nicht von späterer Verstimmung eingegeben ist und der Knabe Bismarck, obgleich ihm schon die Hühner in Plamanns Hof Heimweh nach Kniephof erweckten, sich doch im ganzen mit der Biegsamkeit der Jugend dort den Verhältnissen angepaßt und sich leidlich wohl gefühlt hat. Nach sechs Jahren bezog er 1827 das Gymnasium, 1827-30 zusammen mit seinem späteren Schwager Oskar v. Arnim als Schüler der Tertia und Obersekunda des Friedrich Wilhelmsgymnasiums in der Friedrichstraße. Noch als Achtzigjähriger hat er sich daran erinnert, wie wir beide den ersten Tropfen Bier zusammen aus der Flasche tranfen; es war auf der Treppe neben der Obertertia". 1830-1832 besuchte Bismarck als Primaner das Gymnasium zum grauen Kloster in der Klosterstraße, das unter dem fenntnisreichen, hochgebildeten und energischen Direktor Köpke stand. Bismarcks Zeugnisse waren befriedigend, aber nicht hervorragend; unter

*) Fürst Bismarcks Briefe an seine Braut und Gattin, Stuttgart 1900, S. 43.

**) Freiherr Lucius v. Ballhausen, Bismarckerinnerungen, Stuttgart 1920, G. 85.

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