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Dem erwähnten radikalen Entschluß der Kammer folgte die Ernennung Bismarcks zum Staatsminister und Vorsigenden des Ministeriums. Niemand ahnte damals, sagt Sybel, daß mit diesem Tage in Wahrheit eine neue Aera für Preußen und Deutschland und damit für Europa beginne. Denn wie viele Menschen wußten etwas von Bismarcks innerer Entwickelung seit 1851! Alle Welt sah in ihm den kecksten Vorkämpfer der feudalen Partei, den frechsten Gegner alles liberalen Strebens, den Redner, der alle großen Städte vom Erdboden hatte vertilgen wollen, der den Liberalen den drohenden Zuruf entgegengeschleudert hatte, „das stolze Roß Borussia werde die parlamentarischen Sonntagsreiter in den Sand sehen“; sein Name steigerte die Aufregung der Gemüter in das Grenzenlose. Jezt sei der lezte Schleier zerrissen, dieser märkische Junker, der einst den ersten Schritten zur Verfassung widersprochen, der in Erfurt sich gegen die deutsche Einheit erhoben, der die ehrlose Olmüzer Politik verteidigt habe, um dann im Bundestag eine seiner Gesinnung entsprechende nahrhafte Unterkunft zu finden, dieser servile Aristokrat habe sich jetzt von Napoleon in den Künsten des Staatsstreiches unterrichten lassen und hoffe, mit Kartätschensalven die Jeßen der Verfassung in alle Winde zu jagen. Hier heiße es also, fest auf dem Boden des Gesezes zusammenzustehen, jcde unwürdige Schwäche abzuwerfen und an keiner Stelle das geringste Atom des beschworenen Verfassungsrechtes mit feiger Nachgiebigkeit zu opfern. Erich Marcks aber schließt den ersten Teil seines Lebensbildes Kaiser Wilhelms des Ersten mit den treffenden Worten:

„Es ist sicherlich wahr, daß das Band, das Bündnis zwischen König und Kanzler damals in der Glut heißer Seelennöte und höchster Gefahren geschweißt worden ist, daß Bismarck seinem Herrn als,,Retter in der Not" gekommen ist in einem Augenblick, da jener sich verloren glaubte. Die Entwickelung der eigentlich schicksalsvollen Jahre in Wilhelms Leben hat damit ihren Schluß erreicht. Der zweite seiner großen Genossen, der größte unter ihnen allen, hat sich zu ihm gesellt. Die eigentliche Krisis seines Lebens ist überwunden. Erst diese Stunde hat es entschieden, daß der schwere Kampf mit allen Feinden ausgefochten werden würde. Damit tritt König Wilhelm aus der Stelle des Handelnden um einen Schritt zurück. Die Last der Thaten muß er nun in die Hände des Anderen legen. Die Zeit der Größe bricht an, die ihm

in vollem Sinne zu eigen gehört, ist vorüber; sein Größtes hat er geleistet." Von jezt aber hält der König und sein Minister in Treuen zusammen bis zum gemeinsamen Siege. Die selbständige Macht der Krone und der Regierung wird gewahrt trotz aller Fährnisse, denn durch all die Jahre des Kampfes und des Leidens stand Bismarck mit zäher Energie in der Bresche.

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ie Zeit der wilden Stürme begann für Otto v. Bismarck in 9 jener Stunde, da er Abschied nahm vom Kaiser Napoleon in denselben Gemächern zu St. Cloud, in denen einst Karl der Zehnte die verhängnisvollen Juli-Ordonnanzen unterzeichnete. Der Abschieds. gruß des französischen Herrschers war die Mahnung, das Schicksal Polignacs nicht zu vergessen. Und als Herr Otto v. Bismarck in der preußischen Hauptstadt eintraf, von seinem Könige herbeigerufen in der äußersten Not, da empfing ihn die Frage: Wer in Himmels Namen ist dieser Bismarck, daß man ihn auf einen so hohen Posten stellen sollte?" und die Antwort der Kundigen lautete:,,Bismarck ist der Staatsstreich." Und in den Blättern hallte es zur Begrüßung wieder vom prahlenden Junker", vom ,,hohlen Großsprecher", vom ,,Napoleonverehrer" und Städtevertilger". Man scharrte die Reminiscenzen zusammen aus der Revolutionszeit, da der Deichhauptmann von Schönhausen zuerst auf der Tribüne erschien und unter dem Toben der Landboten eingetreten war für das preußische Stammesbewußtsein, und da in denselben Tagen, in denen die Revolution durch die Gassen tobte, der pommersche Junker aus

treuem Preußenherzen heraus seinem Könige Gut und Leben zur Verfügung stellte.

Vier lange Jahre hat der Konflikt gedauert, aber das nicht Geglaubte wurde Wahrheit, das Unerhörte Gewißheit: Die drei Männer, deren Namen späterhin noch durch manch anderes Band des Ruhmes für alle Zeiten verbunden werden sollten, Wilhelm, Bismarck und Roon, erfochten den glänzendsten Sieg gegen eine Welt von Feinden, von Uebelwollen und Mißverständnis, von Thorheit und Haß, von Doktrinarismus und Parteiwut. Wie es gckommen wäre, wenn diese drei nicht, Treue um Treue gewährend, fest zu einander standen wie einst im lezten Kampf die Nibelungen, wie Deutschlands Geschick sich gestaltet, wenn König Wilhelm, müde des Kampfes mit seinem Volke, nachgegeben und gar der Krone entsagt hätte, wenn Roon die Grundgedanken der Heeresreform preisgab und Otto v. Bismarck, den man mit Catilina und Strafford verglich, den man als doppelzüngigen, mit Napoleon verbündeten Verräter beschimpfte, den Posten verließ, wer vermag es zu künden? Wenn es aber wahr ist, daß ohne den Hammer kein Eisen geschmiedet, ohne Schwert kein Schlag geführt werden kann, dann ist es auch gewiß, daß ohne den eisernen Willen, den Bismarck in der Konfliktszeit bewies, nicht Deutschlands Einheit erfochten wurde. Hätten die Waldeck und Grabow, die Virchow und Hoverbeck gefiegt, hätten sie mit einer verhängnisvollen Schwächung des Heeres zugleich das Königtum unter das Joch des parlamentarischen Willens gebeugt, dann wäre niemals der Tag von Versailles heraufgezogen, und noch immer wäre mit gebrochenem Fittich der Kaiseradler an die Stange gekettet.

Nicht den Kampf allein um die Heeresmacht, sondern auch den Kampf um das Königtum und sein Recht galt es zu führen, als Wilhelm I. Otto v. Bismarck berief. Es galt, Deiche und Dämme zu schaffen, daß nicht die parlamentarische Welle hinüberflute und der Krone den Glanz raube. Das Stichwort, dem Bismarck in diesem Kampfe zu folgen gedachte, gab er bereits aus, als vor Beginn des Konfliktes zum erstenmale, wenn auch noch zu früh, daz Kommando,,An die Pferde" erscholl: „Ich bin meinem Fürsten treu bis in die Vendée, aber gegen alle anderen fühle ich in keinem Blutstropfen eine Spur von Verbindlichkeit, den Finger für sie aufzuheben." Alz Bismarck im Schloß Babelsberg erschien, hatte

Unfreundliche Aufnahme.

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König Wilhelm bereits seine Abdankung unterzeichnet, alles schien verloren, und doch war gerade in diesem Augenblick alles gewonnen; denn eine neue Armee zog heran, und diese Armee hießz Bismarck. Welcher Geist ihn beseelte, welche Gefahren ihm drohten, das zeigen deutlicher als alles zwei Worte, die er damals sprach: „Der Tod auf dem Schaffot ist unter Umständen ebenso ehrenvoll wie der auf dem Schlachtfelde“ und „Ich kann mir schlimmere Todesarten denken als die Hinrichtung". Und das erste Wort, das er zu den Landboten sprach, war das von Eisen und Blut". Er stand allein da und verlassen, in der ganzen Einsamkeit des Genies. Ursache und Verlauf des Konfliktes ist heute noch bekannt; nur wenige Daten mögen die Erinnerung festigen. Am 22. Juli 1858 hatte Roon seine Bemerkungen und Entwürfe zur vaterländischen Heeresverfassung“ an den Prinzregenten nach Baden-Baden gesandt; einleitend hatte er geschrieben: „Die hier zu lösende Aufgabe beschränkt sich auf die praktische Frage: durch welche Mittel Preußen seine welthistorische Aufgabe zu behaupten, seine politische Mission zu erfüllen vermag?" Und die Antwort forderte die Herstellung und Erhaltung eines schlagfertigen Heeres. Die preußische Armee wird auch in Zukunft das preußische Volk in Waffen sein. . . . Es gilt, die Geschicke des Vaterlandes gegen die Wechselfälle der Zukunft sicherzustellen." Der Landtag opponierte den Vorschlägen Roons, die liberalen Minister neigten zu schwächlichen Kompromissen; die Abgeordneten waren bereit, einen einmaligen Kredit zur Bestreitung der Kosten der Heeres-Reorganisation zu bewilligen, aber sie wollten nichts davon wissen, daß die neuen Truppen einen ständigen, unanfechtbaren Posten im Kriegsbudget cinnehmen sollten. Der eigentliche Konflikt entbrannte jedoch erst am 5. März 1862, als Roon erklärte, daß die Regierung nicht von der dreijährigen Dienstzeit lassen könne und der Kammer das Recht bestritt, die Mittel für die neueingerichteten Regimenter stets von neuem zu bewilligen oder nach Willkür abzulehnen. Hier sahen die Volksvertreter ihr vornehmstes Recht, das Budgetrecht, in schwerer Gefahr, und schier unlösbar begannen sich die Fäden ineinander zu schlingen. Am 22. und 29. August ver, sagte, wie wir oben erwähnten, der Landtag jeden Mann und jeden Groschen, alle Kosten der Heeresreform und des neuen Flottengründungsplanes, mit 273 gegen 68 Stimmen wurden die gesamten Heeresforderungen aus dem Budget für 1862 herausgestrichen und

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