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Hans Blum,
Bd. II.

Brief vom

Wählern seines Landes die Anerkennung der octroyierten Verfassung zu fordern und so den alten Konflikt zu erneuern. Einen mahnen den Brief des Prinzregenten, den ihm General von Willisen überbrachte, warf er unter allerlei groben Bemerkungen auf den Tisch. Ueber diesen Fall befragte der leitende Minister Herrn v. Bismarck. Bismarc erklärte:,,Der Umstand, daß der Kurfürst einen königlichen Brief auf den Tisch geworfen hat, ist ein wenig geschickter Casus belli; wollen Sie aber Krieg, so ernennen Sie mich zu Ihrem Unterstaatssekretär; dann mache ich mich anheischig, Ihnen binnen vier Wochen einen deutschen Bürgerkrieg bester Qualität zu liefern." Entsett fuhr Bernstorff zurück. Aber am 18. Mai schon wurde das preußische Ultimatum in Kassel überreicht: sofortige Entlassung der kurhessischen Minister oder Einrücken der Preußen. Da war auch sofort der Bundesbeschluß fertig, der die Verfassung von 1831 wieder herstellte. Die kurhessischen Minister traten zurück, und das vielgeprüfte Land hatte seinen Rechtsfrieden wieder. Noch am 17. Mai schrieb Bismarck an die Gattin:

Unsere Zukunft ist noch ebenso unklar wie in Petersburg; Berlin steht 17. 5. 1862. mehr im Vordergrund. Ich thue nichts dazu und nichts dagegen, trinke mir aber einen Rausch, wenn ich erst meine Beglaubigung für Paris in der Tasche habe.

Ob Bismarck sich diesen Rausch wirklich angetrunken hat, vers meldet die Geschichte nicht; Thatsache aber ist, daß er zum großen Erstaunen seiner Freunde nach Paris gesandt wurde, und daß König Wilhelm abermals die Entscheidung hinausschob bis zu schlimmeren Tagen. Der Aufenthalt in Paris trug von vornherein den Charakter des Interimistischen; was aber Roon erwartet und mit aller Sorglichkeit vorbereitet hatte, das geschah dennoch. Bismarck verließ Paris, um an die Spize des Kampfministeriums zu treten.

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3 war in der That nur ein Zwischenzustand, der jetzt eintreten

sollte; auf dem neuen Terrain, das sich ihm darbot, sollte Bismarck nicht warm werden, wenn auch sein Aufenthalt in Paris sicher dazu gedient hat, sein Urteil über Napoleon und seine Politik, über Frankreich und sein Volk, über die Zustände und Stimmungen der französischen Nation ganz wesentlich zu beeinflussen. Für das private Leben Bismarcks war natürlich dieser interimistische Zustand in jeder Beziehung unerquicklich, wieder war er nicht in der Lage, an der Seite seiner Familie die Fahrt zum neuen Heim anzutreten. Schon am 23. Mai schrieb Roon an seinen Freund Perthes:

Bismarck erhielt die Aufgabe zugetheilt, sich in Paris über die Ver: Denkwürdigt. hältnisse Frankreichs genau zu unterrichten und Napoleons Vertrauen so Roons II., weit als möglich zu gewinnen; wissen Sie aber auch, daß er schwerlich 23. 5. 1862. auf dem dortigen Posten lange bleiben wird?

Und der Gattin schrieb Bismarck selbst:

Brief vom

Aus den Zeitungen hast Du schon ersehen, daß ich nach Paris ernannt Brief vom bin; ich bin sehr froh darüber, aber der Schatten bleibt im Hintergrund. 23. 5. 1862. Ich war schon so gut wie eingefangen für das Ministerium; ich reise, so schnell ich los komme, morgen oder übermorgen nach Paris. Aber ich kann unsere,,unbestimmten" Sachen noch nicht dahin dirigieren, denn ich

muß gewärtigen, daß man mich in wenig Monaten oder Wochen wieder herbeiruft und hier behält. Ich komme vorher nicht zu Dir, weil ich erst in Paris Besitz ergreifen will, vielleicht entdecken sie einen andern Ministerpräsidenten, wenn ich ihnen erst aus den Augen bin.

Am 26. Mai wurde Bismarck in Abschiedsaudienz beim Könige auf Schloß Babelsberg empfangen. Welches Ansehens er sich schon damals in der europäischen Diplomatie erfreute, wie man ihn aber dennoch verkannte, beweist ein Ausspruch, den Graf Rechberg gegen den französischen Gesandten, Herzog von Gramont, that und den Thouvenel berichtet:

Le décret de Wenn Herr v. Bismarck eine vollkommene diplomatische Erziehung l'Empereur. gehabt hätte, so wäre er einer der ersten Staatsmänner Deutschlands, wenn nicht der erste; er ist mutig, fest, erregt, voll feurigen Eifers; aber unfähig eine vorgefäßte Idee, ein Vorurteil, eine Parteimeinung irgend welcher Erwägung (raison) einer höheren Ordnung zu opfern; er hat nicht den praktischen Sinn für Politik, er ist ein Parteimann in des Wortes verwegener Bedeutung, und da er Reiz und Einfluß in den Geschäften hat und außerdem uns feindlich gesinnt ist, so betrachten wir seine Ernennung zum Gesandten in Paris nicht ohne Mißvergnügen und Unruhe. Jedenfalls ist es kein Freund, den wir dort haben werden.

Brief vom

In dem Abschiedsbrief an die Gattin nennt Bismarck seine Reise nur einen Fluchtversuch, den er antrete, um nur einstweilen. aus dem Gasthofswarteleben loszukommen“.

Am 1. Juni bereits wurde er vom Kaiser empfangen.

Er empfing mich freundlich, sieht wohl aus, ist etwas stärker gez 1. 6. 1862. worden, aber keineswegs dick und gealtert, wie man zu karrikieren pflegt. Die Kaiserin ist noch immer eine der schönsten Frauen, die ich kenne, troß Petersburg; sie hat sich eher embelliert seit 5 Jahren. Das Ganze war amtlich und feierlich, Abholung im Hofwagen mit Ceremonienmeister, und nächstens werde ich wohl eine Privataudienz haben.

Brief vom

Auch an Roon berichtet er über diese Audienz, der der erwartete Privatempfang acht Tage später folgte:

Ich bin glücklich angekommen, wohne hier wie eine Ratte in der leeren 2. 6. 1862. Scheune und bin von kühlem Regenwetter eingesperrt. Gestern hatte ich feierliche Audienz, mit Auffahrt in kaiserlichen Wagen, Ceremonie, aufmarschierten Würdenträgern. Sonst kurz und erbaulich, ohne Politik, die auf un de ces jours und Privataudienz verschoben wurde. Die Kaiserin sieht sehr gut aus, wie immer. Gestern Abend kam der Feldjäger, brachte mir aber nichts aus Berlin, als einige lederne Dinger von Depeschen über Dänemark. Ich hatte mich auf einen Brief von Ihnen gespitzt. Aus einem Schreiben, welches Bernstorff an Neuß gerichtet hat, ersehe ich, daß der Schreiber auf meinen dauernden Aufenthalt hier und den Seinigen in Berlin mit Bestimmtheit rechnet, und daß der König irrt, wenn er annimmt,

Audienzen.

263 daß jener je eher, je lieber nach London zurück verlange. Ich begreife ihn nicht, warum er nicht ganz ehrlich sagt, ich wünsche zu bleiben oder ich wünsche zu gehen, keins von beiden ist ja eine Schande. Beide Posten gleichzeitig zu behalten, ist schon weniger vorwurfsfrei. Sobald ich etwas zu berichten, d. h. den Kaiser unter vier Augen gesprochen habe, werde ich dem Könige eigenhändig schreiben. Ich schmeichle mir noch immer mit der Hoffnung, daß ich Seiner Majestät weniger unentbehrlich erscheinen werde, wenn ich ihm eine Zeitlang aus den Augen bin, und daß sich noch ein bisher verkannter Staatsmann findet, der mir den Nang abläuft, damit ich hier noch etwas reifer werde. Ich warte in Ruhe ab, ob und was über mich verfügt wird. Geschieht in einigen Wochen nichts, so werde ich um Urlaub bitten, um meine Frau zu holen, muß dann aber doch Sicherheit haben, wie lange ich hier bleibe. Auf achttägige Kündigung kann ich mich hier dauernd nicht einrichten.

Der Gedanke, mir ein Ministerium ohne Portefeuille zu geben, wird hoffentlich allerhöchsten Ortes nicht Raum gewinnen; bei der letzten Audienz war davon nicht die Rede; die Stellung ist nicht praktisch; nichts zu sagen und alles zu tragen haben, in alles unberufen hineinstänkern und von jedem abgebissen, wo man wirklich mitreden will. Mir geht Portefeuille über Präsidium; letzteres ist doch nur eine Reservestellung; auch würde ich nicht gern einen Kollegen haben, der halb in Londen wehnt. Will er nicht ganz dahin ziehen, so gönne ich ihm von Herzen zu bleiben, wo er ist, und halte es nicht freundschaftlich, ihn zu drängen.

Herzliche Grüße an die Ihrigen. Ihr treuer Freund und bereitwilliger, aber nicht mutwilliger Kampfgenesse, wenn's sein muß; im Winter noch lieber, als bei die Hite!

"

9. 6. 1862.

Unseren freundschaftlichen Nachbar hier habe ich ruhig und behäbig Brief vom gefunden, sehr wohlwollend für uns und sehr geneigt, die Schwierigkeiten der deutschen Frage" zu besprechen; er kann seine Sympathien keiner der bestehenden Dynastien versagen, aber er hofft, daß Preußen die große ihm gestellte Aufgabe mit Erfolg lösen werde, die deutsche nämlich, dann werde die Regierung auch im Innern Vertrauen gewinnen. Lauter schöne Worte.

Bismarcks Briefe aus der Pariser Zeit sind natürlich angefüllt mit vollberechtigten Klagen über den Schwebezustand, zu dem man ihn verurteilt hatte. Dieser Zustand mußte ihm um so unbehaglicher sein, je inniger er an einem ruhigen und geordneten Familienleben hing.

Ein gewisser Humor spricht dennoch gerade aus den Briefen jener Zeit; so schreibt er an die Gattin:

1. 6. 1862.

Ich sehne mich nach Geschäften, denn ich weiß nicht, was ich anfangen Brief vom soll. Heut habe ich allein diniert, die jungen Herren waren aus; den ganzen Abend Regen und allein zu Hause. Zu wem sollte ich gehen? Mitten im großen Paris bin ich einsamer wie Du in Reinfeld und size hier wie eine Natte im wüsten Hause. Ich esse einstweilen im Café. Wie lange es dauert, weiß Gott. In 8 bis 10 Tagen erhalte ich wahrscheinlich eine telegraphische Citation nach Berlin, und dann ist „Spiel und Tanz vorbei“.

Brief vom

Wenn meine Gegner wüßten, welche Wohlthat sie mir persönlich durch ihren Sieg erweisen würden, und wie aufrichtig ich ihn ihnen wünsche! Im nächsten Sommer wohnen wir dann vermutlich in Schönhausen. Hurero! Ich gehe nun in mein großes Himmelbett, so lang wie breit, als einziges lebendes Wesen im ganzen Stockwerk, ich glaube, auch im Parterre wohnt niemand . .

Und bald darauf schreibt er an das liebe Schwesterherz“:

Mein Barometerstand ist noch immer auf veränderlich, wie seit Jahr 16. 6. 1862. und Tag, und wird auch wohl noch lange so bleiben, mag ich hier oder in Berlin wohnen. Ruhe ist im Grabe, hoffe ich wenigstens. Ende Juni warte ich in Ruhe ab; weiß ich dann noch nicht, was aus mir wird, so werde ich eindringlich um Gewißheit bitten, damit ich mich hier einrichten kann. Habe ich Aussicht, bis zum Januar hier zu bleiben, so denke ich Johanna im September zu holen, obschon ein Etablissement auf 4 Monat in eigner Häuslichkeit immer sehr provisorisch ist und unbehaglich. Man schlägt bei Aus- und Einpacken ein kleines Vermögen an Glas und Porzellan entzwei. Für jetzt fehlt mir außer Frau und Kind hier vorzugsweise die Fuchsstute. Ich habe einige Mietgäule versucht, lieber aber reite ich nie wieder. Das Haus liegt sehr schön, ist aber dunkel, feucht und kalt. Die Sonnenseite mit Treppen und nonvaleurs verbraucht, alles liegt nach Norden, riecht dumpfig und kloakig. Kein einziges Möbel auf, kein Winkel, in dem man gern sizen möchte; 3/4 vom Hause ist als „gute Stube“ verschlossen, überzogen, und ohne große Umwälzung der Einrichtung für den täglichen Gebrauch nicht vorhanden. Ich bin etwas in Sorge, wenn wir hier bleiben, daß es Johanna wenig gefallen wird. Der Franzose hat einen Fonds von Formalismus in sich, an den wir uns schwer gewöhnen. Die Furcht, irgend eine Blöße zu geben, das Bedürfnis, stets außen und innen sonntäglich angethan zu erscheinen, la manie de poser, macht den Umgang ungemütlich. Man wird niemals näher bekannt, und wenn man es sucht, so glauben die Leute, man will sie anpumpen oder heiraten oder den ehelichen Frieden stören. Es steckt unglaublich viel Chinesentum, viel Pariser Provinzialismus in den Leuten; der Russe, Deutsche, Engländer hat in seinen civilisierten Spizen einen vornehmen universellen Zuschnitt, weil er die „Form" zu lüften und abzuwerfen versteht. Aus demselben Grunde hat er aber auch in seinen unteren und mittleren Schichten viel mehr Roheit und Geschmacklosigkeit, auf erstes Anfühlen wenigstens. Sie sagen hier: grattez le Russe et le barbare paraîtra. Wenn man aber vom Franzosen die Rinde durchzukraßen versucht, so bekommt man gar nichts raus. In einigen Tagen soll ich nach Fontainebleau: die Kaiserin ist etwas stärker geworden, dadurch hübscher wie je, und immer sehr liebenswürdig und lustig. Nachher gehe ich auf einige Tage nach London. Eine Anzahl angenehmer Russinnen, die ich hier hatte, ist meist verschwunden; heut auch die Benckendorff und die schöne Obolenski; nun weiß ich bald nicht mehr, wo ich müßige Stunden verschwatzen soll.

Auch an seinen vorgesezten Minister sandte Bismarck eine kurze Darstellung der vertraulichen Beratungen, die er mit Napoleon gepflogen hatte:

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