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Erstes Kapitel.

Die erste Jugend.

18 Napoleons Gestirn zur Rüste ging, erhob sich am Firmament hellleuchtend der Stern Otto von Bismarcks. Noch waren die Freiheitskriege nicht beendet, aber doch war die Gewißheit bereits geschaffen, daß das Unwetter, das ein Vierteljahrhundert lang über der Welt gelagert hatte, sich zerstreuen und niemals wiederkehren sollte. Der Knabe, der am 1. April 1815 zu Schönhausen in der Altmark geboren wurde, sollte berufen sein, dereinst die Rache zu nehmen an dem dritten Napoleon für das, was der erste Napoleon an Deutschland gesündigt hat.

Am 11. April erschien in der Spenerschen Zeitung zu Berlin folgende Anzeige:

,,Die gestern erfolgte glückliche Entbindung meiner Frau von einem gesunden Sohn verfehle ich nicht, allen Verwandten und Freunden unter Verbittung des Glückwunsches bekannt zu machen. Schönhausen, den 2. April 1815. Ferd. v. Bismarck.“

Es war ein schlichter, mit Glücksgütern nicht besonders reich gesegneter Landwirt, der diese Anzeige erlassen hatte. Er hatte einst bei dem Leibkarabinier-Regiment gestanden und schon im Jahre 1796 seinen Abschied genommen. Seine Gattin, die Mutter Otto v. Bizmarcks, war Luise Wilhelmine Mencken, die Tochter des Kabinetts

Ged. u. Er. I.

rats Mencken. Von seinen Eltern erzählt Bismarck in seinen „Gedanken und Erinnerungen“:

Mein Vater war vom aristokratischen Vorurteile frei, und sein innercs Gleichheitsgefühl war, wenn überhaupt, nur durch die Offizierseindrücke seiner Jugend, keineswegs aber durch Ueberschätzung des Geburtsstandes modifiziert. Meine Mutter war die Tochter des in damaligen Hofkreisen. für liberal geltenden Kabinettsrats Friedrich des Großen, Friedrich Wilhelm II. und III. aus der Leipziger Professorenfamilie Mencken, welche in ihren letzten, mir vorhergehenden Generationen nach Preußen in den auswärtigen und den Hofdienst geraten war. Der Freiherr von Stein hat meinen Großvater Mencken als einen ehrlichen, stark liberalen Beamten bezeichnet. Unter diesen Umständen waren die Auffassungen, die ich mit der Muttermilch einsog, eher liberal als reaktionär, und meine Mutter würde, wenn sie meine ministerielle Thätigkeit erlebt hätte, mit der Richtung derselben kaum einverstanden gewesen sein, wenn sie auch an den äußern Erfolgen meiner amtlichen Laufbahn große Freude empfunden haben würde. Sie war in bureaukratischen und Hofkreisen groß geworden; Friedrich Wilhelm IV. sprach von ihr als „Minchen“ im Andenken an Kinderspiele.

Am 15. Mai fand die Taufe statt. Nur das erste Jahr seiner Kindheit verlebte Bismarck in Schönhausen. Schon im Jahre 1816 siedelten die Eltern nach Kniephof in Pommern über; durch Erbschaft und Vergleich waren sie in den Besiz der Rittergüter Kniephof, Jarchelin und Külz gekommen. In Knicphof wuchs der kleine Bismarck unter den Augen seiner Eltern auf, in einer Umgebung, die eine Reihe landwirtschaftlicher Reize bot. Das Herrenhaus selbst war einfach und unansehnlich, doch war der schöne Garten und der Karpfenteich des Gutes weithin berühmt. In dieser Umgebung blieb der Knabe bis zum 6. Lebensjahre, und eine Reihe von niedlichen Zügen ist uns aus dieser kurzen Periode erhalten. Einige dieser Züge mögen an dieser Stelle Plaz finden:

Aus seiner frühesten Kindheit erzählt eine zur Familie gehörige Dame: Otto saß am Nebentisch und wartete mit vorgebundener Serviette auf das Essen das ihm von Kindheit an vortrefflich schmeckte — den Rücken gegen die Tafel gekehrt, an welcher die Eltern mit den Gästen Platz genommen hatten. Der glückliche Vater betrachtete den Sohn mit den zärtlichsten Blicken und rief dann der Gemahlin entzückt zu: „Minchen, sich doch den Jungen, wie er da sizt und mit den Beenekens baumelt!" Und so baumette denn der kleine Otto ganz vergnügt mit den Beenekens“ weiter zur Freude seines Vaters. Einst fragte ihn die Mutter beim Gutenachtsagen:,,Hast Du Dein Süppchen schon gegessen?" Er lief davon. und kam nach einer Weile zurück mit einem fröhlichen „Ja!“ Er hatte es nämlich vergessen und sich erst bei Lotte Schmeling erkundigt. Nach Kinderart hatte Otte die Leidenschaft, alles, was ihm eßbar dünkte, zu kosten. Die Mutter nahm ihn dann scharf ins Verhör. „Otto, was hast

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Du gegessen? Du riechst nach Medizin!" rief die Mutter einst. Das Kind besann sich eine Weile, dann sagte es ruhig: In des Vaters Stube stand am Fenster eine Flasche, die nahm ich an den Mund, ich habe aber nicht davon getrunken, weil sie zu sehr stankte." Er blieb ruhig, nett und freundlich, und obwohl ihn das ganze Haus verzog, wurde er nicht unartig. Der Vater war das Herz, die Mutter der Verstand des Hauses.

Mit sechs Jahren wurde Otto v. Bismarck in die Plamannsche Erziehungsanstalt zu Berlin gebracht, wo sich sein älterer Bruder Bernhard bereits befand. Die Eltern mochten glauben, daß die geistige und körperliche Gewandtheit durch Verkehr mit Altersgenossen mehr gefördert werde, daß sie unter Fremden weniger verzogen. werden würden als daheim, wo namentlich der Vater sich nur ungemein schwer für eine gewisse Strenge entschloß. Bismarck hat später nur mit geringer Freude an den Aufenthalt in jener Anstalt gedacht, die, nach Jahnschen Grundsägen geleitet, die individuelle Eigenart der Zöglinge so wenig in Rücksicht zog, daß er sie später oft geradezu als Zuchthaus schilderte und noch im Jahre 1872 in herbem Tone bemerkte:

Meine Geschlechtsfolge besteht aus der Abwechselung einer geprügelten mit einer prügelnden Generation. Die Geprügelten, zu denen gehöre ich es waren die Gelehrten, die Büchersammler; sie vermehrten die Hausbibliothek. Da sie hart erzogen wurden, machten sie es an ihren Kindern durch Liberalität wieder gut. Unsere Kinder natürlich sehen aber wieder ein, daß man sie hätte straffer zügeln müssen, und prügeln unsere Enkel!

Immerhin erkannte er doch noch in seinen, Erinnerungen“ an, daß er aus dieser Schule deutsch-nationale Eindrücke mitgebracht habe. In der Anstalt bestand das Prinzip, die Jugend vor allen Dingen abzuhärten, sie nach Art der Spartaner auszubilden. Noch nach langen Jahren klagte Bismarck:

Immer habe es im Institut nur Milch und Brot zum Frühstück, Brot mit Salz zum zweiten Frühstück und zur Vesper gegeben und mittags immer,,elastisches Fleisch, nicht gerade hart, aber der Zahn konnte damit nicht fertig werden." Und Mohrrüben ,,roh aß ich sie recht gern, aber gekocht und harte Kartoffeln darin, viereckige Stücke!"

Bismarck traf um Ostern 1822 in der Anstalt ein. Einer seiner Mitschüler, der sich damals in der Knabenschar befand, welche den neuen Zögling begrüßte, hat später über diese Szene erzählt:

Wir befanden uns auf dem Mittelflur, als die nach der Straße führende Hausthür sich aufthat und der Kutscher des Herrn von Bismarck in dem damals üblichen weiten Mantel mit lang herabhängendem Rund

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fragen eintrat, Otto, gleichfalls in einen solchen Mantel gehüllt, auf dem Arme tragend. Er war schon damals ein hochaufgeschossener Knabe und ragte weit über das Haupt des Kutschers hinaus. Wir eilten auf Otto zu, aber er verzog keine Miene und sah nur mit imponierendem Ernst von oben herab auf uns nieder. -,,Wie kommt es nur" - diese Frage knüpft der Erzähler an jene Mittheilung ,,daß dieses Vild mir nach mehr als fünfzig Jahren klar im Gedächtnis geblieben ist, dieses Bild eines Knaben, von dem ich sonst aus jener Zeit nichts, durchaus garnichts weiß? War das eine Ahnung davon, daß er einst so hoch über uns gestellt sein werde?"

Das Leben in der Anstalt hat in allgemeinen Zügen Ernst Krigar, ein Mitschüler Ottos, in seinem Schriftchen geschildert: „Kleine Mitteilungen aus der Jugendzeit des Fürsten Bismarck":

J. E. Krigar, Des Morgens wurden wir durch das Läuten einer kleinen Glocke Kl. Mirteilg. Punkt 6 Uhr geweckt. Unser Frühstück bestand in Milch und etwas Brot. Um 7 Uhr begannen die Lehrstunden, jedoch fand zuvor eine kurze religiöse Erbauung statt. Es wurde ein Choral gesungen; der Direktor Plamann hielt einen kurzen Vortrag; darauf begann der Unterricht. Um 10 Uhr konnten wir uns eine halbe Stunde im Garten beim zweiten Frühstück erholen, welches aus Brot und Salz bestand; im Sommer erhielten wir noch etwas Obst dazu. Mittags 12 Uhr wurde zu Tisch geläutet. Alles strömte nach dem großen Saal, wo Frau Direktor Plamann und eine Nichte derselben jedem Lehrer und jedem Schüler selbst die Portionen auftrugen. Das Essen war überaus einfach, aber kräftig und gut zubereitet. Wer noch Verlangen nach einer zweiten Portion hatte, mußte mit seinem Teller selbst zur Frau Plamann gehen und darum bitten. Wer seine Portion nicht aufessen konnte oder wollte, mußte nach Tische im Garten. auf der Terrasse mit seinem Teller so lange stehen, bis der Nest vollständig verzehrt war. Täglich hatten wir das Schauspiel, daß drei bis vier Schüler dort aufgestellt wurden. Von 2 Uhr nachmittags dauerten die Lehrstunden wieder bis 4 Uhr. Jezt war Vesper; es gab wieder Brot und Salz; bis 7 Uhr wurde dann weiter unterrichtet. Von dieser Zeit an wurden die aufgegebenen Arbeiten oder Spiele im Freien vorgenommen. Das Abendessen bestand in der Regel aus Warmbier oder belegten Butterbroten. Die Unterrichtszeit würde uns oft sehr lang geworden sein, wenn sie nicht wenigstens durch zwei Stunden Turnen gekürzt worden wäre. Diese Stunden waren stets die größte Erholung für uns, und ganz besenders fesselte uns der Fechtunterricht bei dem Lehrer Ernst Eiselen.

Noch eine Szene aus jenen Tagen der ersten Kindheit, die sein Genosse Ernst Krigar erzählt, möge hier Play finden:

Zu Weihnachten hatte einer unserer Mitschüler von seinen Eltern Beckers Erzählungen aus der alten Welt“ zum Geschenk erhalten; das Buch wurde von uns fleißig gelesen, daß das eine Eremplar lange nicht ausreichte, unsere Wißbegierde zu stillen. Bald hatte sich denn auch eine größere Zahl von Schülern dies Buch von ihren Eltern schenken lassen. Jeht wurde der Trejanische Krieg vorgenommen. Der erste, welcher diesen

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ganzen Teil des Buches auswendig konnte, war Otto v. Bismarck. Am Ende des Gartens der Anstalt, jest nach der Königgräßer Straße zu, stand ein schön gewachsener Lindenbaum. Es war dies der einzige Baum im Garten der Anstalt, zu dem hinaufzuklettern wir die Erlaubnis hatten. Dies war in den Freistunden unser liebster Aufenthalt. - „Nach der Linde!" hieß es, wenn irgend etwas Wichtiges mitzuteilen oder zu beraten. war. Sie bildete den Mittelpunkt des Gartens für uns. Otto v. Bismarck übernahm in der Regel das Vorlesen des Trojanischen Krieges und wählte sich dazu häufig seinen Lieblingssiß auf der Linde. Wir Zuhörer, soweit wir Platz hatten, bestiegen ebenfalls den Baum, die übrigen lagerten sich unter demselben. Mit welcher Aufmerksamkeit folgten wir dem Vorleser, mit welcher Begeisterung wurden die Heldenthaten der Griechen vor Troja aufgenommen! Es dauerte nicht lange, so hatte jeder von uns den Namen eines dieser Helden. Bismard konnte kein anderer als der Telamonier Ajar sein.

In der That war der junge Otto ein rechter Sohn der märkischen Erde. Frisch, lebendig, leicht empfänglich für alle Eindrücke, ein aufopfernder Kamerad, tapfer und resolut, stellte er sich gern auf die Seite der Schwachen und unternahm manch hißige Fehde mit den Stärkeren.

Sechs Jahre hat der Aufenthalt in der Plamannschen Anstalt gedauert. Jezt ist das Haus verschwunden, in dem sie sich befand, ein neuer Prachtbau erhebt sich in der östlichen Häuserflucht der Königgrägerstraße 88, und nur eine Tafel kündet noch: „Hier stand die Bismarcklinde im Garten der Plamannschen Erziehungsanstalt, deren Zögling der Fürst war 1822-27."

In jene Zeit muß eine Ferienreise gefallen sein, die mit ihm die Eltern nach Thüringen unternahmen. Denn in einer Rede am 31. Juli 1892 sagte Bismarck:

31. 7 1892

In Thüringen habe ich als Kind zuerst — das nordische Flachland Rede vom in Brandenburg und Pommern sieht ja ganz anders aus Felsen, Berge und Burgen mit ihren geschichtlichen Erinnerungen kennen gelernt. Die ersten Eindrücke der Kindheit haben um den Begriff Thüringen in meinen. Empfindungen einen Nimbus der Romantik gewebt, der getragen wurde. namentlich durch die Erinnerungen an die Wartburg, an ihre Vorzeit, an Luther, an die Reformation.

Im Herbst 1827 zogen die Eltern für einen großen Teil des Jahres nach Berlin und nahmen ihn auch in ihre in der Behrerstraße 39 gelegene Wohnung mit. Zu gleicher Zeit verließ er die bisher in Berlin besuchte Schule, um in die Untertertia des Friedrich Wilhelm - Gymnasiums einzutreten. Hier gewann vor allem der spätere Direktor des grauen Klosters Professor Dr. Bonnell Einfluß

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