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Des Königs Niedergang.

215 Könige selbst beruhen bleiben, denn er hat überlegene, ihn und die Geschäfte leitende Ratgeber zu keiner Zeit gehabt. Er behielt sich die Auswahl unter den Ratschlägen nicht nur jedes einzelnen Ministers, sondern auch unter den viel zahlreicheren vor, die ihm von mehr oder weniger geistreichen Adjutanten, Kabinettsräten, Gelehrten, unehrlichen Strebern, ehrlichen Phantasten und Höflingen vorgetragen wurden. Und diese Auswahl behielt er sich oft lange vor. Es ist oft weniger schädlich, etwas Unrichtiges, als nichts zu thun. Ich habe nie den Mut gehabt, die Gelegenheiten, die mir dieser persönlich so liebenswürdige Herr mehrmals, zuweilen scharf und beinahe zwingend, in den Jahren 1852 bis 1856 geboten hat, sein Minister zu werden, zu benußen oder ihre Verwirklichung zu fördern. Wie er mich betrachtete, hätte ich ihm gegenüber keine Autorität gehabt, und seine reiche Phantasie war flügellahm, sobald sie sich auf dem Gebiete praktischer Entschlüsse geltend machen sollte. Mir fehlte die schmiegsame Gefügigkeit zur Uebernahme und ministeriellen Vertretung von politischen Nichtungen, an die ich nicht glaubte, oder für deren Durchführung ich dem Könige den Entschluß und die Konsequenz nicht zutraute. Er unterhielt und förderte die Elemente des Zwiespalts zwischen seinen einzelnen Ministern; die Friktionen zwischen Manteuffel, Vodelschwingh und Heydt, die in triangularem Kampfe miteinander standen, waren dem Könige angenehm und ein politisches Hilfsmittel in kleinen Detail-Gefechten zwischen königlichem und ministeriellem Einfluß.

So trat Prinz Wilhelm, der sechzigjährige Mann, in den Kreis jener weiten und arbeitsreichen Thätigkeit, die nach drei Kriegen zur Einigung Deutschlands und zur Begründung des in Jahrhunderten vergebens ersehnten deutschen Reiches führen sollte. Das, was andere in der freudigen Kraft der Jugend vollbringen, war ihm vorbehalten für den Abend seines Lebens. Er selbst erwartete keine Zukunft mehr, als ihn das Schicksal von Coblenz nach Berlin berief, und doch eröffnete sich gerade jezt, wo er dem Ende entgegenzuschreiten glaubte, dem Sechzigjährigen seine eigentliche Wirkenszeit, eine weltweite Thätigkeit, die unvergeßlich bleibt in der Geschichte. Nicht leicht schritt er seine Bahnen dahin, er hat kämpfen und ringen müssen, er hat harte Enttäuschungen erlebt, er hat sich in heißem Kampfe verstrickt gesehen mit seinem eigenen Volk. Wo er Liebe säete, da hat er Haß geerntet; wo er Vertrauen darbrachte, trat ihm das Mißtrauen häßlich entgegen. Aber in Treuen ist er seinen Weg gezogen, die schlimmen Stunden der Entmutigung hat er siegreich überwunden, und als die Zeit kam, in der er in den Hintergrund treten mußte gegen einen Größeren, hat er doch die Würde besessen, um mit vornehmem Sinn willig die Verdienste des anderen neben sich zu ertragen; indem er zurücktrat, hat er sich selbst erhöht. Das

Bündnis, das er mit Bismarck schuf, hat er gehalten, bis sein treues Auge brach.

Jhm ist sein Weg nicht leicht geworden, ob auch ein Bismarck ihm zur Seite stand. Er hat gar Manches preisgeben müssen, daran sein altpreußisches Herz hing, er hat, der überzeugte Träger der Legitimität, Throne gestürzt, er hat noch in Versailles an dem Tage, da Alles jubelte, schwere Herzensnöte durchgekämpft immer war es Bismarck, der ihn hinausführte über sich selbst, der willig auch den königlichen Zorn ertrug und das Leid des Verkanntseins begrub unter der Siegesfreude des Errungenen.

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Prinz Wilhelm war anders geartet als sein königlicher Bruder.

Der Glanz der Persönlichkeit, der Schimmer der Genialität, der über dem Erstgeborenen der Königin Luise lag, war ihm fremd, aber auch jene Unruhe, jenes unsichere Wesen, jene Fahrigkeit und der Wankelmut, die in dem Wesen seines Bruders lagen; der in jo schlimmer Zeit der Mann des Schicksals für Deutschland war, Prinz Wilhelm von Preußen, war keine geniale und keine dämonische Natur, die durch ihre Geisteskraft das Jahrhundert überragt, die mit unwiderstehlicher Kraft und Leidenschaft ein Volk zu schwindelnder Höhe empor, aber auch in tiefe Abgründe hinabführen kann. Er war durchdrungen von der Notwendigkeit einer starken Monarchie, im Grunde des Herzens konservativ, und doch mußte er die deutsche Revolution vollziehen, denn es war eine Revolution, die vor Königgrät zur Entscheidung kam.

Auch Prinz Wilhelm war nach der Tradition seiner Jugend zu einer warmen Freundschaft mit Desterreich geneigt, aber das Selbstbewußtsein, das Friedrich Wilhelm IV. fehlte und das er in hohem Maße besaß, trieb ihn zu den unverbrüchlichen Forderungen, daß Preußen und Desterreich im Bunde gleichberechtigt, daß die

Lebensbedingungen seines Vaterlandes vollauf anerkannt würden. Die Mängel der Bundesverfassung erkannte er mit klarem Blick, und wenn er auch Reformvorschläge sympathisch begrüßte, so zweifelte er doch an ihrem Erfolg. Schon im Jahre 1849 schreibt er an einen Freund:,,Wer Deutschland regieren will, muß es sich erobern; daß Preußen bestimmt ist, an die Spize von Deutschland zu kommen, liegt in unserer ganzen Geschichte." Die Heißsporne, die ihren Mittelpunkt in der Gothaer Bewegung fanden, mochten seine Ruhe für Zaghaftigkeit, sein ernstes Prüfen als Unentschlossenheit auslegen: der Erfolg hat gezeigt, daß der Weg, den er sorgsam auswählte und Schritt für Schritt prüfte, der richtige war. Zwanzig Jahre später konnte sein erster Berater von ihm sagen, damals habe es keinen bescheideneren, großmütigeren und humaneren Menschen gegeben als den Kaiser:,,Er unterscheidet sich ganz und gar von den in so hoher Stellung geborenen Menschen oder doch von den meisten derselben. Sie legen wenig Gewicht auf die Empfindungen und Wünsche anderer; sie meinen, Menschen ihrer Abstammung sei vieles erlaubt, ihre ganze Erziehung scheint dahin zu zielen, in ihnen die menschliche Stimme zu ersticken; der Kaiser hält sich nicht für einen solchen Olympier; im Gegenteil, er ist in jeder Beziehung Mensch und unterzicht sich jeder menschlichen Pflicht. Er hat nie in seinem Leben jemand unrecht gethan, nie das Gefühl eines anderen verlegt, nie sich einer Härte schuldig gemacht. Er ist einer jener Menschen, deren gütiges Naturell die Herzen gewinnt, der sich fort und fort mit dem Wohl seiner Umgebung und seiner Unterthanen beschäftigt, geschmückt mit allen hohen Eigenschaften eines Fürsten, mit allen Tugenden eines Menschen. Es ist unmöglich, sich einen schöneren und wohlthuenderen Typus eines Edelmannes zu denken. Schon seine Mutter hatte von dem Knaben geurteilt: er sei einfach, bieder und verständig“.

Nicht in allen Fragen des politischen Lebens stimmte Prinz Wilhelm, als er zur Regentschaft berufen wurde, mit Otto v. Bismarck überein. Ihre Stellung zur Revolution war sicherlich die gleiche, aber in der deutschen Frage gingen sie verschiedene Wege. Wir haben bereits gezeigt, wie der englische Einfluß und die Umgebung in Koblenz auf den Prinzen gewirkt hat, wie gewisse liberalisierende Ideen auch bei ihm Eingang fanden, daß er Sympathien besaß für das Verfassungswerk der Paulskirche und für die

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Erfurter Union, wie er mit Entrüstung die Kunde vernahm von dem Abschluß des Olmüßer Vertrages. Aber die Meinungsverschiedenheiten haben nie dazu geführt, das persönliche Verhältnis der beiden Männer zu stören, und auch dann, wenn sie weit auseinandergingen, hat Bismarck über seinen prinzlichen Freund stets das günstigste Urteil gefällt; besaß doch Prinz Wilhelm durchaus nicht jenes aggressive Wesen, das sein reizbarer Bruder so häufig zur Schau trug und das ihn oft grundlos von den getreuesten Dienern entfremdete. Friedrich Wilhelm war nicht dankbar; bei seinem Bruder war diese schönste aller menschlichen Tugenden zur höchsten Entwickelung gelangt. Prinz Wilhelm wußte es aus den zahlreichen Begegnungen mit Otto v. Bismarck, die in Koblenz, Frankfurt wie in Baden stattgefunden und die eine gewisse Intimität zwischen den beiden Männern entwickelt hatten, daß auch der junge Diplomat längst die Anschauungen preisgegeben hatte, die sich in den Bestrebungen der Kreuzzeitungspartei verkörperten. Prinz Wilhelm. war nicht der Alte geblieben und auch Bismarck nicht, denn beide hatten einen offenen Blick für die Bedingungen des realen Lebens; sie nahmen auch das Unwillkommene hin, wenn es einmal geschehen war, und hingen nicht mit sentimentaler Trauer den Gedanken nach, wie es hätte anders werden können. So hatte auch der Prinz, so sehr er gegen die Politik von Olmüz gekämpft hatte, und so cifrig er während des Krimkrieges für die Westmächte eingetreten war, doch das Geschehene anerkannt. Bitter genug waren ja für ihn die Tage der Verbannung in Koblenz geworden, zumal ihm die Ungnade seines Bruders einen Teil der ihm lieb gewordenen militärischen Aemter entzog. Die Versöhnung zwischen den königlichen Brüdern war sicherlich auch ein Erfolg der vermittelnden Thätigkeit Bismarcks, der namentlich durch seine Briefe an Gerlach einen Einfluß auf die Umgebung des Königs und somit auch auf diesen selbst ausgeübt hat. Als die giftigen Preßtreibereien der Herren Quehl und Genossen sich gegen den Prinzen richteten und bis an das Ohr des Monarchen drangen, schrieb Bismarck: „Der Prinz hat zuviel soldatische Subordination und Ehre in sich, um ein Jnstrument dieser Leute in diesen Plänen zu werden". Mit voller Hochachtung spricht Bismarck auch sonst von dem Bruder des Königs, hatte er ja selbst unter dem Treiben der Kamarilla zu leiden. Am 19. Dezember schreibt er an Gerlach, anknüpfend an seinen Besuch in Sansjouci:

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