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89 Departements möglich war, die sogenannten » Mobilen « einzuberufen. Diese 29 Departements waren:

Seine, Seine und Oise, Oise, Seine und Marne, Aube, Yonne, Loiret, Eure und Loire, Seine - Inférieure, Eure, Calvados, Arne, Nord, Pas-de-Calais, Somme, Marne, Aisne, Ardennen, Mosel, Meuse, Meurthe, Vogesen, Nieder-Rhein, Ober-Rhein, Doubs, Jura, Cote d'or, Haute-Marne und Haute-Saone. Also die Mitte und der Nordosten. In den übrigen 60 Departements waren nicht einmal die Stämme gebildet und so sahen sich die Neserven von Zweidrittheilen des Landes vorläufig außer Stande, unter die Fahne zu treten und Linien-Truppen (wo solche noch zurückgeblieben waren) frei zu machen.

All das waren offenbar Mängel, vielleicht große Mängel, und das "nous sommes archiprêts « Leboeuf's, das wir bereits Seite 72 citirt haben, erwies sich jedenfalls als eine Tirade; nichtsdestoweniger möchten wir auf all diese Blunder und Unzulänglichkeiten, weil sie zuletzt doch nur Kleinkram betrafen und die Armee weder am 6. (Wörth) noch am 16. und 18. daran hinderten, eminent ihre Schuldigkeit zu thun, wir möchten auf alle diese Unzulänglichkeiten doch nur ein verhältnißmäßig geringes Gewicht legen und die Ursachen der später erfolgenden Niederlagen, wie wir schon andeuteten, nicht in diesen vielen Detail - Mängeln, sondern in dem einen großen Generalfehler suchen, daß Leboeuf unsre Kräfte unterschäßt und in eben dieser Unterschätzung geglaubt hatte, mit 300,000 Mann einen Krieg führen zu können, zu dem er mindestens 500,000 gebraucht hätte, um wenigstens Chancen des Erfolges zu haben.

Dieser Rechenfehler war der große Fehler überhaupt. Alles andre verschwindet daneben; und so theuer das Empire, ja schließlich ganz Frankreich diesen Fehler hat bezahlen müssen, so erheischt doch die Billigkeit das Zugeständniß, daß der begangene Irrthum in Wahrheit kleiner war, als er uns jezt erscheint. Der Kaiser und sein Marschall bauten ihren Kriegsplan, beziehungsweise ihre Zuversicht, auf politischen Voraussetzungen auf, die nicht zutrafen, die aber in sich nicht thöricht und nicht einmal unwahrscheinlich waren.

Die Haltung Baierns (weshalb denn auch nach dieser Seite hin unsre Anerkennung nicht rückhaltlos genug sein kann) störte den Calcul. Erklärte man sich in Süddeutschland neutral — worauf gerechnet war so würde manche Anklage, die jezt gegen das kaiserliche Frankreich und sein Heer laut geworden ist, nie laut geworden sein.

Man kann füglich die Bemerkung wagen: die militairischen Rüstungen Frankreichs wurden unausreichend befunden, weil seine diplomatische Ausrüstung unausreichend gewesen war. Der Kaiser und die Armee mußten für Irrthümer büßen, die, zum Theil, außerhalb des Heeres und seiner Verwaltung lagen.

Deutsche Rüstungen und Sorglichkeiten.

An demselben Tage, an dem Minister Nouher vor dem Kaiser mit der Mahnung erschienen war, »zur Befreiung der germanischen Stämme das Schwert zu ziehn«, an demselben Tage (genauer in der Nacht vom 15. zum 16.) war in Deutschland die Mobilmachungs-Ordre ergangen, deren erster und vorläufig alleiniger Zweck es war, dieser » Befreiung« mit allen Mitteln entgegenzutreten. Im Fluge trug der telegraphische Draht die Befehle durch das ganze deutsche Land, ja über die Grenzen des Landes hinaus, Alles, mit nicht nennenswerthen Ausnahmen (wie wir einen Fall auf Seite 70 erwähnt), eilte wieder den Fahnen zu, aufs Neue das Dichterwort zur Wahrheit machend:

Und wieder wogt

Das Leben sich auf seine Höhen; schwellend,
Durch alle Adern schlagend, treiben wieder

Die warmen Pulse ihre Maienblüthen,

Und wieder blühen all die feltnen Blumen
Der unbewußten, selbst sich opfernden
Begeisterung.

Keiner blieb aus; von jenseit des Oceans, sobald die Kunde ihr Ohr erreichte, kehrten Hunderte in die Heimath zurück; aus Paris selbst aber, wenn die Zeitungen jener Tage uns richtige Angaben bringen, zogen 20,000 Deutsche aus, um sich bei der Fahne zu stellen. Mit dem Rufe »es lebe Preußen« zogen sie über die Boulevards, den Bahnhöfen zu. Viele Comtoire und Werkstätten, die ihr Personal einbüßten, mußten geschlossen werden. Es war ein Pflichteifer, der, weil begeisterungsgetragen, weit über den Eifer von 1866 hinauswuchs; es ging diesmal kein Bruch durch die Nation, vielmehr hieß es wie in den Jahren der Befreiungskriege:

In seine Himmel hell

Rankt wieder auf und grünt voll Waldesduft
Die heil'ge Hermanns - Eiche eines Deutschlands,
Und wieder weihen gläubig ihrem Schatten

Sie Alle Gut und Blut, ihr leztes, bestes;
Lehrstand und Nährstand wird wieder Wehrstand;
Waffen;

Ein Mann das Volk und eine Burg das Land.

Aller Begeisterung wohnt eine Neigung inne, den Gang geordneten Herkommens zu durchbrechen, Unruhe, Hast, Ueberstürzung an die Stelle des Maßes und der Ueberlegung treten zu lassen. Das Charakteristische unserer deutschen Nüstungen war die vielleicht nie zuvor erlebte Verschmelzung von Enthusiasmus und Ordnung. Alles ging wie ein Uhrwerk. Kein Fragen, keine Unsicherheit, kein Stocken. Es war dies nur möglich, weil man, bei aller momentanen Ueberraschung und dem entsprechenden momentanen Unvorbereitetsein, doch in Wahrheit vorbereitet war. Alles was jezt kam, hatte man seit 66 kommen sehn. Dieser Krieg mußte kommen, er war nur eine Frage der Zeit; Alles war im Voraus erwogen, überdacht. Das riesige Werk einer Mobilmachung von 500,000 Mann, das fast noch riesigere ihrer Beförderung bis an die Westgrenze des Reichs, wickelte sich beinah lautlos ab. Der Stockungen, der Anhäufungen von Truppenmassen waren so wenige, daß das Ausbleiben der militairischen Bilder und Scenen, des bunten Durcheinanders von Uniformen, der Fuhrwerke und Waffenparks, an die von Alters her das Auge bei Mobilmachungen gewöhnt war, das Urtheil verwirrte und in bangen Gemüthern die Frage aufkommen ließ: wird denn überhaupt gerüstet? Der Feind steht an der Grenze und wir sehen kaum, daß man Miene macht, ihm zu begegnen. Diese Fragen und Bedenken wurden so laut, daß man sich veranlaßt sah, am fünften Tage nach der Mobilisirungs-Ordre, das irre werdende Publicum aufzuklären.

»Das vermißte bunte Durcheinander«, so hieß es in einem solchen Communiqué, werden wir diesmal gar nicht haben. Schon bei der Ertheilung der Gestellungs- und Einberufungs-Ordres ist diesmal für jeden einzelnen Mann der Ort, das Regiment, zu dem er zu stoßen, ja die Nummer, unter welcher er sich einzureihen hat, ganz genau angegeben und beides in Einklang gebracht mit der demnächstigen Bewegung des betreffenden Truppenkörpers, dessen Mannschaften immer erst am Depotplate eingekleidet und bewaffnet werden, so daß ein Zuviel oder Zuwenig, ein nachträgliches Abgeben von Mannschaften eines Truppentheils an den andern so gut wie nirgend stattfinden wird. Am schlagendsten zeigt sich die Sicherheit und Genauigkeit der betreffenden Dispositionen in den bis auf's kleinste detaillirten Fahrplänen, welche den Bahnverwaltungen für den Truppen

transport zugehen. Die Züge sind nicht nur nach Richtung, Stunde und ungefährer Größe, wie früher, bezeichnet, sondern es wird fast auf den Kopf genau die Zahl der Mitfahrenden und jeder Punkt darin angegeben, wo ein Wagen eingehängt wird, um zustoßende Mannschaften des im Transport begriffenen Truppentheiles aufzunehmen, oder wo ein Wagen auszuhängen ist, um in gleicher Richtung beförderte Angehörige eines andern Truppentheiles an diesen abzugeben.«

War die Ruhe und Sicherheit, mit der sich die Nüstungen ins Werk sezten, schon innerhalb Preußens erstaunlich, so mußte es ein gesteigertes Erstaunen wecken, daß auch Süddeutschland, in das die norddeutsche Heeresorganisation eben erst eingeführt worden war, in nichts hinter Preußen und Norddeutschland zurückblieb und gleichzeitig im Verein mit dem norddeutschen Bundesheere zur Vertheidigung des Vaterlandes ausziehen konnte. Wie sich Frankreich in Bezug auf die politische Haltung Süddeutschlands getäuscht hatte, so auch in Bezug auf seine militairische Schlagfertigkeit. Nirgends ein Versäumniß, nirgends ein Stocken. So kam es, daß von Tag zu Tag während der lezten Juliwoche mehr und mehr die Besorgniß schwand, Frankreich werde seinen ersten Vorsprung, den es unverkennbar in der Rüstungsfrage hatte, zu erheblichem Nachtheile für uns ausbeuten. Dagegen wuchs die Zuversicht, daß es unsrer Kriegführung vergönnt sein werde, den deutschen Boden von unmittelbaren Lasten und Bedrängnissen des Krieges entweder ganz frei zu halten, oder doch baldigst wieder zu befreien. Ein Wort, das General v. Moltke geäußert haben sollte, steigerte die gute Zuversicht: er sei genau über den Fortschritt der französischen Rüstungen informirt und eine Ueberrumpelung stehe nicht zu befürchten.

Einer solchen » Ueberrumpelung « für alle Fälle vorzubeugen, hätte für uns durchaus im Bereich des Möglichen gelegen; wir wären zweifellos im Stande gewesen, ganze Armee - Corps aus dem Centrum der Monarchie: die Garden, das III., IV. und X. Corps in vier, fünf Tagen an die Grenze zu werfen, so daß wir schon vom 20., also ohngefähr vom Momente der Kriegserklärung ab, befähigt gewesen sein würden, einen raschen Stoß des Gegners mit wenigstens 7 Corps auf Friedensfußstärke, also mit etwa 140,000 Mann zu pariren. Man leistete aber, eben weil man diesseits wußte, daß es mit der Archiprêtschaft des Gegners doch seine erheblichen Bedenken habe, auf eine solche Ueberstürzungsmaßregel Verzicht und sezte fich lieber der Möglichkeit aus, das linke Rheinufer auf Tage in Feindeshand zu sehn, als daß man den Entschluß faßte, mit dem eignen Gefühl der Unvorbereitetheit für den großen Kampf, in diesen einzutreten. Kleine Rücksichten mußten den großen, das Wünschenswerthe dem Nothwendigen, die Interessen

des Einzelnen dem Ganzen weichen. Der »Staatsanzeiger«, nachdem die erste Gefahr vorüber war, schrieb im Rückblick auf die Situation sehr richtig: » Immobile Truppen an die Grenze zu werfen, darauf glaubten wir verzichten zu müssen. Denn Hals über Kopf aus ihren Friedensverhältnissen herausgerissene Truppentheile waren wohl in der Lage, augenblickliche Erfolge zu erringen, aber nicht organisirt, um die Wechselfälle eines großen und gewichtigen Krieges durchzuführen. Was dabei augenblicklich errungen worden wäre, hätte sich für die Zukunft bitter rächen müssen. Man zog es daher vor, die Streitkräfte in ordnungsmäßiger Weise zum Kriege vorzubereiten.«<

Zu dieser »ordnungsmäßigen Vorbereitung zum Kriege« gehörte über das unmittelbar Militairische hinaus viel Andres noch, ohne das ein Riesenkampf, wie der bevorstehende, nicht wohl durchgeführt werden konnte. Die Organisation, indem sie einem bestimmten Maß gegebener Verhältnisse entspricht, repräsentirt einen Stamm, ohne den Alles in Wirrsal und Zerfahrenheit übergehen würde; von dem Augenblick an aber, wo das Maß jener Verhältnisse überschritten wird, geht es nicht ohne die freie Mitbetheiligung des Volks. Hierher gehören: die Krankenpflege, die Unterstügungs- Genossenschaften, die ganze Liebesthätigkeit daheim. Alles in den voraufgehenden Kriegen bewährt, trat wieder ins Leben. Die Königin, die Kronprinzessin erließen ihre Aufrufe an alle Frauen Deutschlands, Prinz Karl, in seiner Eigenschaft als Herrenmeister der Johanniter, forderte zu neuer Bethätigung des Ordens, zunächst zu Beiträgen und Sammlungen von Geld und Lazarethbedürfnissen auf, Fürst Pleß trat wieder als königlicher Commissar und Militair- Inspecteur an die Spitze der freiwilligen Krankenpflege und veröffentlichte seine Anordnungen in Betreff der Armee-, der Etappen und der Provinzial- Delegationen. Diese Aufrufe und Erlasse fanden allerorten eine gute Stätte. Eh der Juli zu Ende war, waren wir auch auf diesem Felde gerüstet.

Gleichzeitig erfolgte die Erneuerung des »Eisernen Kreuzes«. Die Stiftungs-Urkunde hatte 1813 festgestellt, daß diese Auszeichnung, nach jenem Befreiungskampfe, nicht wieder verliehen werden solle; die Lage von heut und damals bot aber so viel Verwandtes, derselbe Feind, derselbe Uebermuth, daß König Wilhelm sich veranlaßt sah, über jene Feststellung hinwegsehend, folgenden Erlaß an das Staatsministerium zu richten.

» Angesichts der ernsten Lage des Vaterlandes und in dankbarer Erinnerung an die Heldenthaten unserer Vorfahren in den großen Jahren der Befreiungskriege, will Ich das von Meinem in Gott ruhenden Vater ge stiftete Ordenszeichen des Eisernen Kreuzes in seiner ganzen Bedeutung wieder aufleben lassen. Das Eiserne Kreuz soll, ohne Unterschied des Nanges oder

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