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Die vorgeblichen Ursachen des Krieges.

Was war geschehen? Deutschland und Frankreich, eben noch im tiefsten Frieden und die Versicherungen freundschaftlichen Einvernehmens austauschend, sie hatten den Krieg. Nie hatte sich eine Fehde rascher und aus geringerem Anlaß entwickelt. Dieser Anlaß (wir werden später sehen, ob ein vorgeblicher oder wirklicher) war die spanische Throncandidatur eines hohenzollernschen Prinzen. Wir zeigen die sich überstürzende Entwicklung der Frage, ein weitres Eingehen uns vorbehaltend, zunächst durch einfache chronologische Zusammenstellung der Ereignisse der ersten Juli-Hälfte. Ein bloßer Tages- und Geschichtskalender.

Am 1. Juli äußerte sich der Unterstaatssecretair Herr v. Thile übereinstimmend mit den Ansichten, die Minister Ollivier am Tage zuvor im gesetzgebenden Körper ausgesprochen hatte, dahin, »daß in der politischen Welt beinah ausnahmslose tiefe Ruhe herrsche.« Der östreichische Geschäftsträger, in einer Depesche an seine Regierung, gab diese Worte des Unterstaatssecretairs wieder.

Am 2. Juli war man in Madrid einig, dem Prinzen Leopold von Hohenzollern (zweitem Sohne des Prinzen Anton) die spanische Krone anzubieten.

Am 3. Juli brachte die in Paris erscheinende Correspondance Havas die erste Mittheilung darüber.

Am 4. Juli war einem Communiqué des Constitutionel zu entnehmen, daß Prinz Leopold die ihm durch Marschall Prim angetragene Krone angenommen habe.

Am selben Tage erschien der französische Geschäftsträger Le Sourd (Graf Benedetti war schon abgereist) im auswärtigen Amte zu Berlin, um der peinlichen Empfindung Ausdruck zu geben, welche die Annahme der Throncandidatur Seitens des Erbprinzen Leopold in Paris hervorgebracht habe.

Am 5. Juli erklärte der Deputirte Cochery im gesetzgebenden Körper: »Wir wünschen die Regierung wegen der Candidatur eines Prinzen von Hohenzollern für den spanischen Thron zu interpelliren.«

Am 6. Juli beantwortete der Herzog v. Gramont diese Interpellation und hob am Schluß seiner Rede hervor: »Wir glauben nicht, daß die Achtung vor den Rechten eines Nachbarvolkes (Spanien) uns zu dulden verpflichtet, daß eine fremde Macht, indem sie einen ihrer Prinzen auf den Thron Carls V. sezt, dadurch zu ihrem Vortheil das gegenwärtige Gleichgewicht der Mächte Europa's derangiren und so die Interessen und die Ehre Frankreichs gefährden darf.« Diese Erklärung war von stürmischem Beifall begleitet worden.

Am 7. Juli erging Seitens des Herzogs v. Gramont folgendes Telegramm an den Grafen Benedetti in Wildbad: »Begeben Sie sich nach Ems. Ein Attaché, der morgen reist, wird Ihnen Instructionen überbringen und 11 Uhr Abends in Ems eintreffen. Lassen Sie den Stations - Vorstand wissen, wo Sie absteigen.«<

Am 8. Juli hieß es bereits im Moniteur, dem Organ des Ministers Ollivier: »Die Frage muß erweitert werden. Das Wenigste, was uns heute befriedigen kann, wäre die Freiheit der süddeutschen Staaten, die Räumung der Festung Mainz, das Aufgeben jedes militairischen Einflusses jenseit des Mains und die Regulirung des Artikels V. mit Dänemark. « Am 9. Juli hatte Graf Benedetti, der am Abend zuvor in Ems angekommen und in »Stadt Brüssel« abgestiegen war, seine erste Audienz beim König.

Wir lassen nun, durch die nächsten entscheidenden Tage hin, den Grafen selber sprechen. Sein eigner umfangreicher Rechenschaftsbericht, der unter dem Titel »Ma Mission en Prusse« erschienen ist, bietet uns, zur Darstellung dieses Abschnitts der Frage, das reichste und in den Augen der Gegner Preußens gewiß unanfechtbarste Material.

Die Darstellung der Ereignisse in Ems in Briefen und
Depeschen des Grafen Benedetti vom 9. bis 11. Juli.

Ems, den 9. Juli 1870. Herr Herzog! Der telegraphischen Weisung gehorsamend, die Ew. Excellenz vorgestern Nacht an mich richteten, habe ich mich beeilt, nach Ems aufzubrechen, wo ich gestern Abend angekommen bin. Meine erste Sorge hierselbst war, eine Audienz beim Könige nachzusuchen, die mir mit dem Bemerken bewilligt wurde, daß Se. Majestät mich heut Nachmittag 3 Uhr empfangen würde. Einige Minuten später empfing ich den Besuch des Herrn v. Werther. Der preußische Botschafter in Paris, der sich seit dem 6. hier befindet, war ersichtlich abgeschickt worden, um mich über

die Mission, die ich in Ems zu erfüllen haben würde, auszuforschen. Es war mir nicht schwer, dies wahrzunehmen und ich erachtete es als angemessen, ihn dies erkennen zu lassen. Ich ging dabei davon aus, daß ich mich ihm gegenüber mit mehr Präcision, als es dem Könige gegenüber gerathen sein würde, ausdrücken könnte und daß ich auf diese Weise Se. Majestät über die Mittheilungen unserer kaiserlichen Regierung vollständig vorbereitet finden würde. Ich drückte mich im Uebrigen mit aller nöthigen Vorsicht aus und vermied es, die geringste Susceptibilität zu erwecken.

Zur festgesezten Stunde begab ich mich zu Sr. Majestät. Ich sezte ihm die Sachlage, die durch die Candidatur des Prinzen Hohenzollern geschaffen wurde, auseinander. Die Agitation, welche dieselbe in Spanien hervorrufen, und die Unordnungen, zu welchen sie den Vorwand leihen würde. Ich verbarg ihm nicht die Bewegung, welche sie in Frankreich hervorgerufen habe und gab ihm die Versicherung, daß die Regierung des Kaisers nur den einen Wunsch habe, dieser ein Ziel zu sehen. Ich hob hervor, daß man sich auch in andern Ländern auf's Lebhafteste beunruhigt zeige und daß die öffentliche Meinung (ganz besonders in England deuteten alle Preßorgane darauf hin) einstimmig darin wäre, ein Arrangement zu beklagen, welches eben so traurig für die Ruhe Spaniens, wie für die Aufrechthaltung der guten Beziehung erscheine, welche in diesem Augenblicke die Großmächte vereinigten. Der König, so fügte ich hinzu, könne alle diese Calamitäten be schwören und auf der Halbinsel den Ausbruch eines Bürgerkrieges verhindern, für den ein Mitglied seines Hauses verantwortlich sein würde. Der Prinz von Hohenzollern könne die spanische Krone nicht annehmen, ohne dazu von Sr. Majestät autorisirt zu sein; der König möge ihn von einem solchen Unternehmen zurückhalten und die Unruhe, die sich der Geister bereits bemächtigt habe, werde im selben Augenblicke aufhören. Dann an die Weisheit und das Herz des Königs appellirend, beschwor ich Se. Majestät, Europa diesen Beweis seiner hochherzigen Gesinnungen zu geben. Die Regierung des Kaisers, sagte ich, würde darin eine Garantie für die Befestigung ihrer guten Beziehungen zu dem Gouvernement Sr. Majestät erblicken und sich höchlichst zu einer Entschlußfassung beglückwünschen, die man mit ebensoviel Dankbarkeit wie Genugthuung empfangen werde.

Der König antwortete mir, daß man den Charakter seiner Intervention in dieser Angelegenheit nicht mißverstehen dürfe; die Unterhandlungen über diesen Gegenstand hätten lediglich zwischen dem spanischen Gouvernement und dem Prinzen von Hohenzollern stattgefunden; die preußische Regierung sei denselben nicht nur fern geblieben, sondern habe dieselben nicht einmal gekannt; er (der König) habe es vermieden, sich mit der Frage einzulassen; er habe es verweigert, einen Abgesandten des spanischen Cabinets, Ueberbringer

eines Briefes des Generals Prim, zu empfangen, habe indessen seinem ersten Minister, dem Grafen Bismarck, von diesen Zwischenfällen Kunde gegeben. Er habe nur eingewilligt, sich über diese Frage zu verbreiten, als Prinz Leopold, nachdem er sich entschieden hatte, den ihm gemachten Propositionen zu willfahren, seine Zustimmung zu dieser Angelegenheit gefordert habe, und von diesem Augenblick an (der erst nach Ankunft des Königs in Ems eintrat) habe sich Se. Majestät darauf beschränkt, ihm zu erklären, daß er glaube, seinen Absichten kein Hinderniß in den Weg stellen zu sollen. Nur als Chef der Familie, und keineswegs in seiner souverainen Eigenschaft als König von Preußen, sei er von dem Entschlusse des Prinzen unterrichtet worden; weder habe er ein Minister - Conseil zusammenberufen, noch befragt, und das preußische Gouvernement hätte niemals über eine Angelegenheit interpellirt werden sollen, die es nicht kenne und mit der es nicht mehr gemein habe, als irgend ein andres europäisches Cabinet.

Ich erlaubte mir zu erwiedern, daß der exacte Sinn einer solchen Unterscheidung seitens der öffentlichen Meinung nicht begriffen werden. würde, daß diese in dem Prinzen von Hohenzollern einfach ein Mitglied der in Preußen herrschenden Familie sehe, der, indem er die spanische Krone annehme, innerhalb derselben Familie zwei Throne vereinige, und daß man vergeblich bemüht sein werde, die Möglichkeit eines daraus entspringenden Mißbrauches weg zu demonstriren; daß das nationale Gefühl in Frankreich wenigstens einstimmig in dieser Ueberzeugung sei, und daß der König erwägen möge, wie es dem Gouvernement des Kaisers unmöglich sein werde, sich indifferent dagegen zu verhalten, ja daß dasselbe vielmehr gezwungen wie auch gewillt sei, dies nationale Gefühl ernsthaft in Rechnung zu ziehen.

Se. Majestät darauf zu andern Dingen übergehend, kehrte nach einiger Zeit auf den in gewissem Sinne negativen Punkt zurück, daß er den Prinzen Leopold keineswegs ermuthigt habe, die Eröffnungen des spanischen Cabinets anzunehmen, daß er sich einfach darauf beschränkt habe, sie nicht zu untersagen, und daß er von dieser Position, wie er sie von Anfang an eingenommen habe, nicht zurückzutreten gedenke; daß es vielmehr an uns sein werde, unsere Anstrengungen in Madrid geltend zu machen und dahin zu wirken, daß die Regierung des Regenten ihr Projekt fallen lasse.

Ich nahm mir die Freiheit, dem Könige vorzustellen, daß, wenn wir uns nach Madrid wendeten, die Verlegenheiten des spanischen Gouvernements nur gesteigert werden würden; daß wir lediglich einen glänzenden Beweis der Aufrichtigkeit unserer Gesinnungen und zu gleicher Zeit ein huldigendes Vertrauen (hommage) in die des Königs gäben, wenn wir ihn aufforderten, seine Autorität in einer Frage geltend zu machen, die uns so nahe berühre und die er ausüben könne ohne irgend eine Schädigung (préjudice) Preußens.

Ich citirte ihm alle Präcedenzfälle, welche uns die zeitgenössische Geschichte bietet, gleichzeitig die Bemerkung daran knüpfend, daß in allen diesen Fällen die Fürsten wie die Regierungen ein lediglich dynastisches Interesse der allgemeinen Ruhe geopfert hätten, und daß Europa sicher erwarte, diese Beispiele unter den gegenwärtigen Umständen nicht ohne Einfluß auf Se. Majestät zu sehen; daß für das preußische Gouvernement wie für Deutschland keine Interessen auf dem Spiele ständen, während es sich für Frankreich um eine Frage ersten Ranges handele; daß die öffentliche Meinung, die sich mit äußerster Lebhaftigkeit manifestirt habe, in dieser Angelegenheit nicht verachtet werden dürfe; daß Herr v. Werther Se. Majestät über diesen Zustand der Geister sicherlich informirt haben werde, und daß Se. Majestät ohne Zweifel alles dies erwägen werde.

Ohne die Richtigkeit dieser Bemerkungen zu bestreiten, vielmehr sich der Erklärung zuwendend, welche Ew. Excellenz am 6. vor dem geseßgebenden Körper abgegeben haben, drückte der König seine Ansicht dahin aus, daß die Ehre Frankreichs durch den Entschluß des Prinzen von Hohenzollern in keiner Weise berührt werde; er wiederholte, daß diesem Entschluß Unterhandlungen vorausgegangen seien, welche das Cabinet von Madrid frei eröffnet, und an denen kein Gouvernement einen besonderen Theil genommen habe, daß es sich deshalb hier weder um einen Meinungsverschiedenheits- noch um einen Conflicts Gegenstand handeln könne und daß er nicht zugeben wolle, daß ein Krieg aus einem Zwischenfalle hervorgehen könne, an dem keine Macht Theil genommen habe. Ich schloß mich Sr. Majestät dahin an, um gegen eine solche Eventualität zu protestiren und fügte hinzu, daß meine Gegenwart in Ems am besten die friedfertigen und versöhnlichen Intentionen der Negierung des Kaisers bezeuge.

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Im Verlauf der Audienz mehrfach darauf zurückkommend, daß er, der König, seine Autorität nicht gebrauchen könne, um den Prinzen zur Zurücknahme seines Worts, das er gegeben, zu bestimmen, versicherte mir Se. Majestät, daß er dem Prinzen wie vor so auch nach der Annahme die vollste Freiheit zu lassen gedenke, daß er sich im Uebrigen mit dem Prinzen Anton, der sich in Sigmaringen befinde, in Verbindung gesezt und ihn in Betreff seiner wie der Intentionen seines Sohnes, des Prinzen Leopold, angesichts der in Frankreich hervorgerufenen Bewegung interpellirt habe; daß es ihm wichtig sei, vor Fortführung unserer Verhandlungen über diesen Gegenstand aufgeklärt zu sein, und daß er mich die Entschlüsse, die etwa gefaßt werden möchten, wissen lassen würde.

Dies sind im Wesentlichen die Auseinanderseßungen, die mir der König gegeben hat.

Die Frage entsteht, welche Absichten hat Se. Majestät, und was

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