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fahrungen auf europäische Verhältnisse. Zu verlangen war von ihm die Einsicht, daß mit dem »in die Maas werfen« des I. baierischen Corps ein Entkommen auf Montmedy auch noch nicht annähernd gesichert war, zu verlangen war die Einsicht, daß hinter und neben den Baiern andere und immer wieder andere standen, die, in Front und Flanke zufassend, von seinen Durchbruchskolonnen nicht viel übrig gelassen haben würden. Aber von diesen Erwägungen scheint ihm bis zu dem Momente, wo er die Dinge leibhaftig sah, auch nicht eine gekommen zu sein. Er tappte hinein, guten Glaubens, daß er ein Auserwählter sei und mußte sich 12 Stunden später davon überzeugen, daß er nur auserwählt worden sei, eine ungeheure Niederlage zu unterzeichnen. Mit gutem Willen und Feuereifer werden keine modernen Schlachten gewonnen. Sein Fehler war gewesen, daß er geglaubt hatte, mit Gaben zweiten Ranges da auskommen zu können, wo Gaben ersten Ranges nöthig waren. Er war energisch und decidirt; zwei militairische Tugenden, wie nicht bestritten werden soll. Aber ununterstüßt durch entsprechende Erkenntniß, können sie verhängnißvoll werden. An Warnungen hatte es nicht gefehlt. Um 9 Uhr ritt Ducrot an ihn heran: »Ich komme nicht, General, um Ihnen das Commando zu bestreiten; .. aber lassen Sie mich Ihnen bemerklich machen, daß ich mich seit fast anderthalb Monaten den Preußen gegenüber befinde, daß ich ihre Operationsart besser kenne, daß ich die Situation und das Terrain studirt habe und daß es mir nach Allem unzweifelhaft ist, daß der Feind Miene macht, uns einzuschließen.« So Ducrot. Jeder empfand ein Gleiches, nur Wimpffen nicht. So brach es denn herein.

Tapfer, patriotisch und ehrenhaft, und im Unglück sogar würdevoll und edel geartet, ist General Wimpffen nicht frei zu sprechen von dem Vorwurf, dies Unglück selbst zu größerem Theil herbeigeführt zu haben. Ein überraschender Mangel an Einsicht und ein eigensinniges Verharren im Irrthum, die beide seine Haltung am Tage von Sedan charakterisiren, haben die Katastrophe verschuldet oder doch wenigstens erst perfekt gemacht.

Der Kaiser und Graf Bismarck.

Der König auf der Höhe von Donchery.

Der Kaiser und der König.

2. September 6 Uhr früh bis 22 Uhr Nachmittags.

Die Ereignisse des 2. (dem »französischen Kriegsrath« noch um eine Stunde vorauf; S. 572) begannen mit einer Begegnung zwischen dem Kaiser und Grafen Bismarck. Dies war bald nach 6 Uhr früh.

Begegnung zwischen dem Kaiser Napoleon und dem Grafen

Bismarck.

Ueber diese Begegnung hat Graf Bismarck selbst am eingehendsten und anschaulichsten berichtet. Wir folgen in Nachstehendem seinem dem Könige darüber erstatteten Bericht und kehren damit nach längerem vorzugsweisen Verweilen auf französischer Seite wieder auf die deutsche Seite zurück. Freilich war Alles, was vom 2. ab geschah, ein persönliches Berühren zwischen hüben und drüben.

»Donchery, den 2. September 1870. Nachdem ich mich gestern Abend auf Ew. Königlichen Majestät Befehl hierher begeben hatte, um an den Verhandlungen über die Capitulation Theil zu nehmen, wurde leztere bis etwa 1 Uhr Nachts durch die Bewilligung einer Bedenkzeit unterbrochen, welche General Wimpffen erbeten, nachdem General v. Moltke bestimmt erklärt hatte, daß keine andere Bedingung als die Waffenstreckung bewilligt werden und das Bombardement um 9 Uhr Morgens wieder beginnen würde, wenn bis dahin die Capitulation nicht abgeschlossen wäre. Heute früh gegen 6 Uhr wurde mir der General Reille angemeldet, welcher mir mittheilte, daß der Kaiser mich zu sehen wünsche und sich bereits auf dem Wege von Sedan hierher befinde. Der General kehrte sofort zurück, um Sr. Majestät zu melden, daß ich ihm folgte, und ich befand mich kurz darauf, etwa auf

halbem Wege zwischen hier und Sedan, in der Nähe von Frénois, dem Kaiser gegenüber. Se. Majestät befand sich in einem offenen Wagen mit drei höheren Offizieren und eben so vielen zu Pferde daneben. Persönlich bekannt waren mir von letteren die Generale Castelnau, Reille, Moskowa, der am Fuße verwundet schien, und Vaubert. Am Wagen angekommen, stieg ich vom Pferde, trat an der Seite des Kaisers an den Schlag und fragte nach den Befehlen Sr. Majestät. Der Kaiser drückte zunächst den Wunsch aus, Ew. Königliche Majestät zu sehen, anscheinend in der Meinung, daß Allerhöchst dieselben sich ebenfalls in Donchery befänden. Nachdem ich erwidert, daß Ew. Majestät Hauptquartier augenblicklich drei Meilen entfernt, in Vendresse, sei, fragte der Kaiser, ob Ew. Majestät einen Ort bestimmt hätten, wohin er sich zunächst begeben solle und eventuell, welches meine Meinung darüber sei. Ich entgegnete ihm, daß ich in vollständiger Dunkelheit hierher gekommen und die Gegend mir deshalb unbekannt sei, und stellte ihm das in Donchery von mir bewohnte Haus zur Verfügung, welches ich sofort räumen würde. Der Kaiser nahm dies an und fuhr im Schritt gegen Donchery, hielt aber einige hundert Schritt von der in die Stadt führende Maasbrücke vor einem einsam gelegenen Arbeiterhause an und fragte mich, ob er nicht dort absteigen könne. Ich ließ das Haus durch den Legationsrath Grafen Bismarck - Bohlen, der mir inzwischen gefolgt war, besichtigen; nachdem gemeldet, daß seine innere Beschaffenheit sehr dürftig und eng, das Haus aber von Verwundeten frei sei, stieg der Kaiser ab und forderte mich auf, ihm in das Innere zu folgen. Hier hatte ich in einem sehr kleinen, einen Tisch und zwei Stühle enthaltenden Zimmer eine Unterredung von etwa einer Stunde mit dem Kaiser. Se. Majestät betonte vorzugsweise den Wunsch, günstigere Capitulations - Bedingungen für die Armee zu er halten. Ich lehnte von Hause aus ab, hierüber mit Sr. Majestät zu unterhandeln, indem diese rein militairische Frage zwischen dem General v. Moltke und dem General v. Wimpffen zu erledigen sei. Dagegen fragte ich den Kaiser, ob Se. Majestät zu Friedensverhandlungen geneigt sei. Der Kaiser erwiderte, daß er jezt als Gefangener nicht in der Lage sei, und auf mein weiteres Befragen, durch wen seiner Ansicht nach die Staatsgewalt Frankreichs gegenwärtig vertreten werde, verwies mich Se. Majestät auf das in Paris bestehende Gouvernement. Nach Aufklärung dieses aus dem gestrigen Schreiben des Kaisers an Ew. Majestät nicht mit Sicherheit zu beurtheilenden Punktes erkannte ich und verschwieg dies auch dem Kaiser nicht, daß die Situation noch heute wie gestern kein anderes praktisches Moment als das militairische darbiete, und betonte die daraus für uns hervorgehende Nothwendigkeit, durch die Capitulation Sedans vor allen Dingen ein mate

rielles Pfand für die Befestigung der gewonnenen militairischen Resultate in die Hand zu bekommen. Ich hatte schon gestern Abend mit dem General v. Moltke nach allen Seiten hin die Frage erwogen: ob es möglich sein würde, ohne Schädigung der deutschen Interessen, dem militairischen Ehrgefühl einer Armee, die sich gut geschlagen hatte, günstigere Bedingungen als die festgestellten anzubieten. Nach pflichtmäßiger Erwägung mußten wir Beide in der Verneinung dieser Frage beharren. Wenn daher der General v. Moltke, der inzwischen aus der Stadt hinzugekommen war, sich zu Ew. Majestät begab, um Allerhöchstdenenselben die Wünsche des Kaisers vorzulegen, so geschah dies, wie Ew. Majestät bekannt, nicht in der Absicht, dieselben zu befürworten.

Der Kaiser begab sich demnächst ins Freie und lud mich ein, mich vor der Thür des Hauses neben ihn zu sehen. Se. Majestät stellte mir die Frage, ob es nicht thunlich sei, die französische Armee über die belgische Grenze gehen zu lassen, damit sie dort entwaffnet und internirt werde. Ich hatte auch diese Eventualität bereits am Abend zuvor mit General v. Moltke besprochen und ging, unter Anführung der oben bereits angedeuteten Motive, auch auf die Besprechung dieser Modalität nicht ein. In Berührung der politischen Situation nahm ich meinerseits keine Initiative, der Kaiser nur in soweit, daß er das Unglück des Krieges beklagte, und erklärte, daß er selbst den Krieg nicht gewollt habe, durch den Druck der öffentlichen Meinung Frankreichs aber dazu genöthigt worden sei.

Durch Erkundigungen in der Stadt und insbesondere durch Recognoscirungen der Offiziere vom Generalstabe, war inzwischen, etwa zwischen 9 und 10 Uhr, festgestellt worden, daß das Schloß Bellevue bei Frénois zur Aufnahme des Kaisers geeignet und auch noch nicht mit Verwundeten belegt sei. Ich meldete dies Sr. Majestät in der Form, daß ich Frénois als den Ort bezeichnete, den ich Ew. Majestät zur Zusammenkunft in Vorschlag bringen würde, und deshalb dem Kaiser anheimstellte, ob Se. Majestät sich gleich dahin begeben wolle, da der Aufenthalt innerhalb des kleinen Arbeiterhauses unbequem sei und der Kaiser vielleicht einiger Ruhe bedürfen würde. Se. Majestät ging hierauf bereitwillig ein, und geleitete ich den Kaiser, dem eine Ehren - Escorte von Ew. Majestät Leib - Cürassier - Regiment voranritt, nach dem Schlosse Bellevue, wo inzwischen das weitere Gefolge und die Equipagen des Kaisers, deren Ankunft aus der Stadt bis dahin für unsicher gehalten zu werden schien, von Sedan eingetroffen waren. Ebenfo der General Wimpffen, mit welchem, in Erwartung der Rückkehr des Generals v. Moltke, die Besprechung der gestern abgebrochenen CapitulationsVerhandlungen durch den General v. Podbielski, im Beisein des Oberstlieutenants v. Verdy und des Stabschefs des Generals v. Wimpffen, welche

beiden Offiziere das Protokoll führten, wieder aufgenommen wurde. Ich habe nur an der Einleitung derselben durch die Darlegung der politischen und rechtlichen Situation nach Maßgabe der mir vom Kaiser selbst gewordenen Aufschlüsse Theil genommen, indem ich unmittelbar darauf durch den Rittmeister Grafen v. Nostig im Auftrage des Generals v. Moltke die Meldung erhielt, daß Ew. Majestät den Kaiser erst nach Abschluß der Capitulation der Armee sehen wollten - eine Meldung, nach welcher gegnerischerseits die Hoffnung, andere Bedingungen als die abgeschlossenen zu erhalten, aufgegeben wurde. Ich ritt darauf, in der Absicht, Ew. Majestät die Lage der Dinge zu melden, Allerhöchstdenenselben nach Chéhery entgegen, traf unterwegs den General v. Moltke mit dem von Ew. Majestät genehmigten Texte der Capitulation, welcher, nachdem wir mit ihm in Frénois eingetroffen, nunmehr ohne Widerspruch angenommen und unterzeichnet wurde. Das Verhalten des Generals v. Wimpffen war, eben so wie das der übrigen französischen Generale in der Nacht vorher, ein sehr würdiges und konnte dieser tapfere Offizier sich nicht enthalten, mir gegenüber seinem tiefen Schmerze darüber Ausdruck zu geben, daß gerade er berufen sein müsse, achtundvierzig Stunden nach seiner Ankunft aus Afrika und einen halben Tag nach seiner Uebernahme des Commandos seinen Namen unter eine für die französischen Waffen so verhängnißvolle Capitulation zu sehen; indessen der Mangel an Lebensmitteln und Munition und die absolute Unmöglichkeit jeder weiteren Vertheidigung lege ihm als General die Pflicht auf, seine persönlichen Gefühle schweigen zu lassen, da weiteres Blutvergießen in der Situation nichts mehr ändern könne. Die Bewilligung der Entlassung der Offiziere auf ihr Ehrenwort wurde mit lebhaftem Danke entgegengenommen, als ein Ausdruck der Intentionen Ew. Majestät, den Gefühlen einer Truppe, welche sich tapfer geschlagen hatte, nicht über die Linie hinaus zu nahe zu treten, welche durch das Gebot unserer politisch- militairischen Interessen mit Nothwendigkeit gezogen war. Diesem Gefühle hat der General v. Wimpffen auch nachträglich in einem Schreiben Ausdruck gegeben, in welchem er dem General v. Moltke seinen Dank für die rücksichtsvollen Formen ausdrückt, in denen die Verhandlungen von Seiten desselben geführt worden sind. Graf Bismarck.

Der König auf der Höhe von Donchery.

Den vorstehenden Bericht des Grafen Bismarck glaubten wir als ein Ganzes geben zu müssen. Da er sich nicht auf eine Darstellung seiner

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