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Ein Moment

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zum Schweigen. Ein lautes Hurrah ertönte aus unsern hungrigen und durstigen Kehlen; im Nu war die feindliche Artillerie aus dem Centrum und der rechten Flanke verschwunden, während die Linke noch mauerfest stand. »Sieg oder Tod!« flüsterte das deutsche Herz. Zum Avanciren aufgeprogt und in hellem Galopp gings vor. Ein Moment und ein paar gute Worte waren genügend, die feindliche Batterie zum Verschwinden zu bewegen. Von hier aus machten wir erst unserer Infanterie Luft, waren aber selbst einen Augenblick dem Chassepotfeuer ausgesetzt. Der Ort war mit einer Mauer umzogen (er meint hier St. Privat) und nuglos waren unsere Kameraden hingeopfert. Doch kaum fingen wir an zu feuern, als uns das jubelnde Hurrah vom 2. und 4. Garderegiment den guten Erfolg verkündigte. Haufen auf Haufen stürzten die Franzosen, wie der Wind waren sie aus dem Orte, und mit Hurrah attakirte unsere Infanterie. Der Feind war geschlagen. Das ist nach acht Uhr gewesen; schon lange war es dunkel.

»Der Tag löscht aus, heiß brennt die Schlacht;

Schwarz brütet auf dem Heer die Nacht.

Lebt wohl, Jhr gefallenen Brüder!

In der andern Welt sehn wir uns wieder!«

Du schreibst, ich soll Dir Nichts verhehlen; demzufolge will ich Dir auch mittheilen, wie es mir gegangen. Ich war vom Feldwebel zur Nachhut abgetheilt hinter der Batterie. Ich hatte mich schon deshalb mit ihm gezankt und jezt wie es losging, kochte mir das Blut in den Adern. Kaum war die Batterie im Feuer, da rannte ich jubelnd zu meinem Geschüß, welches schon einen Mann verloren hatte, und übernahm Nr. 5. Noch nicht lange war ich da, als auch schon der Unteroffizier fiel und jezt übernahm ich Nr. 1. In dem heftigen Feuer hatte ich schon zum dritten Mal meine Schlagröhrentasche gefüllt, schon manche Granate abgeschickt, dann aber war auch meine Stunde da. Eben brachte ich eine Schlagröhre ins Zündloch und trat mit dem rechten Fuße zum Abfeuern zurück, als ich von der rechten Seite einen schauderhaften Erd- und Steinregen bekam. Dadurch ließ ich mich aber nicht stören, ruhig zog ich ab, aber mit dem Geschüß zugleich krachte auch die feindliche Granate, sie war zehn Schritte von mir eingeschlagen (daher auch der Steinregen), machte einen Sprung parallel mit der Lafette und krepirte zwischen mir und dem Nohr. Das Feuer der Sprengladung ergoß sich über mich und kopfüber stürzte ich nieder. Wie lange ich so gelegen, oder wie ich von da weg gekommen bin, weiß ich nicht; als ich zu mir kam, standen zwei Lazarethgehülfen bei mir, die hatten mich mit Wasser begossen. Ich riß das rechte Auge auf (das linke war voll Pulver) und glaubte vom Schlaf zu erwachen, aber der Donner und ein Blick auf meine Hände erinnerten mich

an Alles. Ich wurde fortgeführt ins Feldlazareth; meine Hände wurden verbunden, das Gesicht muß so abheilen und über mein linkes Ohr gab mir der Doktor wenig Trost. Nun sollte ich ins Lazareth, aber das wollte ich nicht. Ich hatte keine Ruhe; noch in der Nacht suchte ich die Batterie, aber erst am andern Vormittag bin ich zu derselben gekommen. Noch bin ich kampfunfähig, aber wenn meine Hände geheilt sind, dann werde ich mich rächen, oder wie Gott will!«

Das Todtenfeld vom 16. und 18. August.

Das Schlachtfeld vom 18. August steht rechtwinklig auf dem vom 16.;

östlich Rezonville haben sie ihren Berührungspunkt. Das Dreieck, das zwischen Gravelotte, Mars la Tour und St. Privat sich aufbaut, ist, wie das Schlachtfeld, so auch das Todtenfeld zweier Tage. Der größten eines.

Es hat ausgedehntere Schlachtfelder gegeben und auf dem »>Plateau von Wachau« ist mehr begraben worden, als auf dem »Plateau von Amanvillers«; aber die Gräber auf den Feldern um Leipzig her blieben kaum einen Winter lang bemerkbar, der Pflüger und der Säemann gingen schon im nächsten Frühjahr wieder drüber hin und nur an sehr vereinzelten Punkten erhob sich ein Erinnerungsmal. Anders auf den Feldern bei Meß. Die Pietät der Kameraden, die Liebe der Angehörigen haben das Dreieck Gravelotte, Mars la Tour, St. Privat zu einem Friedhof umgeschaffen. Hundertfach ragen die Monumente empor¡ fast kein Truppentheil (sei es im Corps- oder im Regimentsverbande), der nicht seinen Gefallenen einen Stein errichtet hätte. Wer jegt an einem hellen Sommertage die Gravelotter Schlucht von Osten her passirt und bei St. Hubert und Moscou die Plateauhöhe ersteigt, der sieht, soweit sein Auge reicht, die Fruchtfelder von Obelisken und Marmorkreuzen überschimmert. Wie die Kriege vergangener Zeiten keinen täglichen Verkehr mit der Heimath kannten, so auch nicht die Umgestaltung eines Schlachtfeldes in eine denkmalüberragte Begräbnißstätte.*)

*) Die Kriegführung ist eine andere geworden; unausgesezt sind die Bestrebungen, die Schrecknisse des Kampfes auf diesen selbst zu beschränken. Nur in einem Punkte scheinen alle diese Bestrebungen auch diesmal wieder gescheitert zu sein: ein Schuß des Schlachtfeldes war nicht herzustellen. Räuberisches Gesindel trieb, wie 1866, wieder sein furchtbares Handwerk. Die »Hyänen des Schlachtfeldes « waren wieder da.

Einem im Feldlazareth zu Saaralben aufgenommenen Kriegsgerichts- Protokoll entnahmen, unmittelbar nach den Ereignissen, rheinische Blätter das Folgende: »Rittmeister Freiherr v. Fürstenberg, vom 11. Husaren-Regiment, lag in der Nacht vom 18. auf den

Noch in

Aber diese Umgestaltung bedurfte zwischenliegender Jahre. diesem Augenblick (Herbst 1872) ist das lezte Denkmal nicht errichtet, und an jenem 19. früh, der dem lange vergeblichen Ansturm gegen die Höhe von St. Privat folgte, war das Schlachtfeld ein Schlachtfeld wie andere mehr: man grub Gräber, schlug aus zwei Brettern ein Kreuz zusammen und seßte es zu Häupten der Todten. Die Sonne des 19. war früh heraufgestiegen; ehe sie im Mittag stand, war die Arbeit gethan. Nur an der langen Linie hin, wo die Batterieen des IX. Corps und der Garde, einige davon ihrer ganzen Bespannung beraubt, den Kampf fortgesezt hatten, spottete der aufgehäufte Tod dem Bestattungseifer der Lebenden.

Ein Gang an der Gräberlisière zwischen St. Hubert und St. Privat hin ist erschütternd und wird es bleiben, so lange die Kreuze stehen und die Namen, die an den 16. und 18. August anknüpfen, im Herzen des deutschen Volkes lebendig sind; aber erschütternder als solch ein Gang zwischen den Gräbern hin ist doch ein Blick auf die Zeitungsspalten jener Tage, auf jene langen Columnen, in denen verzeichnet steht, welchen Einsatz von Glück und Leben die siegreichen Kämpfe vor Meg von uns forderten. Insonderheit die Kreuzzeitung von damals, sie liest sich wie ein Moniteur des Todes. Der kommende Geschichtsschreiber dieser Entscheidungstage, wenn er den Geist kennen lernen will, der damals im preußischen Volke lebendig war, er wird ihn nirgends lebendiger, großartiger und ergreifender ausgesprochen finden, als in den Inseratenspalten jener Zeitung.

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19. verwundet auf dem Schlachtfelde von Gorze. Als er nach einer Ohnmacht gegen Morgengrauen zur Besinnung kam, sah er, wie Gestalten geschäftig umherhuschten; als eine derselben näher kam, erkannte er deutlich das Kreuz der Johanniter auf dem linken Arm. Er wollte den Einen um Hülfe anrufen, aber die Stimme versagte ihm bei dem Anblick, der sich ihm darbot. Der Mann mit dem Johanniterkreuz winkte die drei andern Gestalten zu einer Gruppe Verwundeter und Tödter heran. »Ich erkannte deutlich so lautete die Aussage des Rittmeisters einen Mann im Feldpriester - Ornat und zwei Johanniter. Als die Männer bei der Gruppe angekommen, begannen sie mit Messer und Scheere die Uniform auf der Brust jedes Einzelnen zu öffnen; wenn sich auf der Brust nichts fand, schritten sie dazu, die Taschen und Hände zu durchsuchen; jeder Ring an der Hand eines Todten oder Verwundeten wurde mit dem Finger abgeschnitten. Die Pretiosen steckte der Priester zu sich. Da näherten sich die Hyänen der Stelle wo ich lag; mühsam versuchte ich mich aufzurichten, als mich auch schon der Eine bemerkte und auf mich zusprang. Ich rief aus Leibes. kräften; zwei liefen vorwärts, um als Wache zu stehen. Glücklicher Weise fühlte ich, daß mein sechsläufiger Revolver neben mir lag; ich drückte los, der Feldpriester fiel verwundet nieder, die Anderen entflohen, wurden jedoch von der herbeikommenden Feldwache noch eingeholt.« Die Untersuchung ergab, daß die verkleideten Strolche Feldhyänen waren, und zwar ein Gastwirth aus Düren, sehr wohlhabend, und zwei Belgier, die in Stollberg im Bleibergwerk angestellt sind. Man fand bei denselben an achtzig mehr oder minder werthvolle Ringe, an dreihundert Uhren, Geldtaschen, Börsen, Epaulettes.«< So die Mittheilungen, denen nicht widersprochen worden ist. Ich gebe sie, wie ich sie finde.

Den Reigen eröffnen die Anzeigen der einzelnen Truppentheile, meist soldatisch ruhig gehalten. »Wir sind da, um zu sterben; « so steht es zwischen den Zeilen. Viele Regimenter hatten ihren Oberst verloren. »Er wankte nicht auf seinem Posten, bis auch ihm nach fünfstündigen, heldenmüthigem Kampfe der ehrenvollste Tod zu Theil wurde. Er war uns werth durch seine Treue und die edle Einfachheit seines Wesens. « Oder: »Dem ganzen Regiment ein unerreichtes Vorbild in allen militairischen Tugenden, allen Untergebenen ein wohlwollender Vorgesezter, seinen Offizieren ein stets theilnehmender, liebevoller Kamerad, im Gefecht ein leuchtendes Beispiel persönlicher Bravour, so wird sein Andenken fortleben in unser aller Herzen.«

Daran schließen sich (eine zweite Gruppe bildend) die meist mit wenig Worten eingeleiteten Angaben der gehabten Gesammtverluste. In einer der Nummern beispielsweise, begegnen wir dem Verzeichniß der gefallenen Offiziere vom 1., 2. und 3. Garde-Regiment, von den Garde-Schüßen und Garde-Füsilieren, - vierzig Namen hintereinander fort. Dann folgen Franz, Alexander, Elisabeth.*) Regiment Augusta schreibt: » Auf blutgetränktem Ehrenfelde bei St. Privat entriß uns der Schlachtentod sechs unserer hoch. verehrten und braven Kameraden, als sie an der Spize ihrer Truppe dem

*) Viele von Denen, die in den gemeinschaftlichen Offiziersgräbern lagen, wurden später herausgenommen und in die Heimath zurückgebracht. Manches ist dagegen zu sagen. Namentlich dann, wenn die Ruhe anderer Todten um Eines willen gestört werden muß. Dazu kommt, daß beständig Irrthümer mit drunterlaufen. So wurde die Leiche des ReserveOffiziers Herrmann Leidig, der bei der Mobilmachung dem Kaiser- Alexander - Regiment zugetheilt und beim Sturme gegen Amanvillers tödtlich getroffen worden war, ausgegraben um daheim auf dem Berliner Matthäi-Kirchhof beigeseßt zu werden. Der Sarg kam. Den Vater indeß wollte das Gefühl nicht verlassen: »Dies ist er nicht« und so ließ er die metallne Kiste öffnen. Seine Ahnung hatte nicht getrogen; es war ein Fremder. Neue Schritte geschahen; endlich fand man ihn. Er war der einzige Offizier des Regiments gewesen, der (weil von der Reserve herübergenommen) statt des Namenszuges »Kaiser Alexander« die Nummer 35 auf dem Achselbande getragen hatte. Dies gab den Ausschlag. Aber ein volles Jahr war vergangen, ehe es sich nunmehr ermöglichte, ihn in heimathlicher Erde zu bestatten. (Hinsichtlich des jungen Offiziers selbst mögen noch einige Notizen hier Play finden, die, nach mehr als einer Seite hin, nicht ohne Interesse sind. Herrmann Leidig war ein Berliner Schlossermeister, wohlhabend, passionirter Soldat. Alle drei Feldzüge hatte er mit gemacht: 1864 im 35. Regiment, 1866 bei der Main- Armee unter Vogel v. Falckenstein, 1870 bei den Alexander - Grenadieren. Tapferkeit, Diensttreue und ritterliche Gesinnung zeich. neten ihn aus. Wohl paßte auf ihn das Wort: »Die Berliner sind nicht immer gut; wenn sie gut sind, sind sie vorzüglich.« Bei Düppel, nachdem die Schanzen genommen waren, hatte er die schwerverwundeten feindlichen Majore v. Rosen und v. Schau aus dem Bereiche des stärksten Feuers getragen. Die Familien Beider gaben später ihrem Danke den herzlichsten Ausdruck. Vor Amanvillers erlag er selbst. Das Regiment ehrte sein Andenken. Sein bürger. liches Metier, sein »Handwerk«, hatte ihm, inmitten des Offiziercorps der Garde, nirgends im Wege gestanden. Die Garde ganz im Gegensaß zu allgemeiner Annahme ist nichts weniger als exclusiv. Sie sieht auf den Mann, wenigstens in allen Momenten, wo es gilt.«

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