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Em 8.

Der 1. Juli 1870 sah Europa in tiefem Frieden. Die Empfindung jedes

Einzelnen hatte am Tage zuvor noch eine offizielle Bestätigung empfangen. » zu keiner Zeit — so etwa lauteten die Worte, mit denen der französische Minister Ollivier vor den geseßgebenden Körper getreten war-war die Ruhe mehr gesichert, als eben jezt; wohin man auch blicken mag, nirgends ist eine Frage zu entdecken, die Gefahr in sich bergen könnte.« So der Minister. Mit besondrer Genugthuung war dieses offizielle Siegel, das der Großsiegelbewahrer auf den Frieden und damit zugleich auf die Hoffnung jedes Einzelnen drückte, entgegen genommen worden und die vornehme Welt Europa's, die distinguirten Träger der Gesellschaft« eilten in vollkommener Beruhigung ihren bevorzugten Rendez-vous - Plägen, den deutschen Bädern zu.

In Wiesbaden, in Homburg, in Baden-Baden entfaltete sich bereits der volle Glanz der Toiletten, die Musik klang durch die Alleen, der Sprachenwirrwarr stand wie nur je in Blüthe, dennoch schien es, als ob die große Trias der rheinischen Bäder sich diesmal vor einem vierten verneigen sollte: Ems.

König Wilhelm war am 20. Juni daselbst eingetroffen. Unter einem Regen von Blumen und Bouquets hatte er die Fahrt vom Bahnhofe bis zum Kurhause gemacht, die große Königsflagge war aufgezogen worden, bengalische Flammen hatten am Abend die Verge beleuchtet und seit jener festlichen Begrüßung war kein Tag vergangen, wo nicht deutsche und fremde Fürstlichkeiten ihren Weg nach Ems gerichtet hätten. Mit ihnen viel Andre noch. Wer nie an Kränchen und Kesselbrunnen geglaubt hatte, glaubte jezt an den Fürstenbrunnen « und seine Wunder innerhalb der Sphäre der Stockungen. In den Vier Thürmen, im Darmstädter Hof, im Prinzen von Wales waren die lezten Zimmer längst vergeben, aber derselbe Zudrang von Fremden, der die Wohnungen immer knapper werden ließ, steigerte doch auch den

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Em 3.

Der 1. Juli 1870 fah Europa in tiefem Frieden. Die Empfindung jedes Einzelnen hatte am Tage zuvor noch eine offizielle Bestätigung empfangen. » zu keiner Zeit so etwa lauteten die Worte, mit denen der französische Minister Ollivier vor den geseßgebenden Körper getreten war — war die Nuhe mehr gesichert, als eben jezt; wohin man auch blicken mag, nirgends ist eine Frage zu entdecken, die Gefahr in sich bergen könnte.« So der Minister. Mit besondrer Genugthuung war dieses offizielle Siegel, das der Großsiegelbewahrer auf den Frieden und damit zugleich auf die Hoffnung jedes Einzelnen drückte, entgegen genommen worden und die vornehme Welt Europa's, die distinguirten Träger der »Gesellschaft« eilten in vollkommener Beruhigung ihren bevorzugten Rendez-vous - Plägen, den deutschen Bädern zu.

In Wiesbaden, in Homburg, in Baden-Baden entfaltete sich bereits der volle Glanz der Toiletten, die Musik klang durch die Alleen, der Sprachenwirrwarr stand wie nur je in Blüthe, dennoch schien es, als ob die große Trias der rheinischen Bäder sich diesmal vor einem vierten verneigen. sollte: Ems.

König Wilhelm war am 20. Juni daselbst eingetroffen. Unter einem Regen von Blumen und Bouquets hatte er die Fahrt vom Bahnhofe bis zum Kurhause gemacht, die große Königsflagge war aufgezogen worden, bengalische Flammen hatten am Abend die Berge beleuchtet und seit jener festlichen Begrüßung war kein Tag vergangen, wo nicht deutsche und fremde Fürstlichkeiten ihren Weg nach Ems gerichtet hätten. Mit ihnen viel Andre noch. Wer nie an Kränchen und Kesselbrunnen geglaubt hatte, glaubte jezt an den »Fürstenbrunnen « und seine Wunder innerhalb der Sphäre der Stockungen. In den Vier Thürmen, im Darmstädter Hof, im Prinzen von Wales waren die lezten Zimmer längst vergeben, aber derselbe Zudrang von Fremden, der die Wohnungen immer knapper werden ließ, steigerte doch auch den

Reiz dieses Badelebens. Man wandelte unter Berühmtheiten und historischen Namen. Eine schottische Dame, drei und fünfzigste Ueberseherin des Faust, folgte dem Prinzen G. auf Schritt und Tritt, ein Petersburger Bankier sette es durch, dem Herzoge v. U. in einem cercle intime vorgestellt zu werden, und eine romantische Berlinerin (blondlockig, die Engländerin spielend) hing sich an die Spuren der Prinzessin Salm-Salm, zugleich von dem Hochgefühle durchglüht »ich hätte ihn gerettet«. Ueber Alle aber kam auf Augenblicke eine Ruhe im Gemüth, wenn die hohe Gestalt König Wilhelms, hinausragend über das Kleine und Krankhafte, grüßend an ihnen vorüberschritt.

Glückliche, stille, in ihren Bildern beständig wechselnde Tage. Am Vormittage Revuen und Inspectionen auf Uebungsmärschen befindlicher Regimenter: Augusta - Grenadiere, 29er, Braune Husaren; am Nachmittage Ouvertüren und Symphonieen concertirender Kapellen, am Abend eine TheaterVorstellung » für die Abgebrannten in Pera« (Fräulein Hedwig Raabe als Gast) und dann zum Schluß ein Feuerwerk: Raketen und Tableaux, ein preußischer Adler in Brillantfeuer und die ganze Herrlichkeit wiedergespiegelt im stillen Wasser der Lahn.

Nichts fröhlicher, nichts friedlicher als die Mittsommerzeit der 70 er Saison im schönen Ems. Das Leben ein Jdyll!

So kam der 7. Juli. Das Auf- und Abwogen der Gäste schien dasselbe, wie in den Tagen zuvor; dieselben heitren Farben, dasselbe Lachen, nur am Ausgang einer der Alleen, wo die Haute Finance und die Fürstlichkeiten sich allmorgendlich zu begrüßen und eine Parole zuzurufen pflegten, ging ein Zeitungsblatt von Hand zu Hand, ein langes Pariser Telegramm. Der Herzog von Gramont hatte am Tage vorher im Corps Legislatif gesprochen. Einer der Eingeweihtesten (Baissier) fügte hinzu:

»Baron Werther ist gestern angekommen; er speiste bei Sr. Majestät.« Nun?

»Nun, es giebt ein Gewitter.«<

Bah, Phrasen, ich kenne die Franzosen. Sie sind dazu da, die Welt in Athem zu erhalten.

»Und uns die Brunnenkuren zu verderben. Ich reise.«

Ich bleibe.

So gingen die Ansichten auseinander; die Optimisten behielten inzwischen vorläufig die Oberhand. Der Mensch lebt vom Leichtsinn. Ein Glück. Der 8. verging ruhig. Am 9. früh hieß es: »Benedetti ist aus Wildbad angekommen.« Der Schwarzseher, der das Gewitter angekündigt hatte, schien schließlich doch Recht behalten zu sollen.

Von jenem Morgen an gab es in Ems nur ein Gespräch noch.
Ein kleiner Ort, auch wenn er die discreteste Gesellschaft, die geschulteste

Diplomatie umschließt, bleibt ein kleiner Ort, in dem die Wände Ohren haben. Geheimnisse hat nur die Einsamkeit und die große Stadt. Im »Hôtel Brüssel«, wenigstens in den Zimmern, in denen die französische Botschaft ihr Unterkommen gefunden hatte, gab es keine Tag- und Nachtruhe mehr. Secretaire und Attachés flogen hin und her, Chiffre- Depeschen kamen und gingen, Audienzen wurden nachgesucht und ertheilt. Jeder wußte davon. An jedem neuen Morgen, wenn die Kur nach wie vor die Promenaden füllte, hing aller Auge doppelt gespannt an der Erscheinung des Königs. Nichts war wahrnehmbar. Ruhig wie immer, lächelnd, schritt er zwischen den Gästen hin.

Auch noch am 13. früh.

Der französische Botschafter, an eben diesem Morgen, schien eine Frage zu stellen; der König beantwortete sie freundlich, grüßte und schritt weiter. Noch schien das Einvernehmen ungestört. Aber sieben Stunden später, auf der Nachmittags-Promenade, war das Bild verändert. Erkennbar lag ein Schleier über der Heiterkeit der Scene.

» Wissen Sie schon, Benedetti hat eine zweite Audienz nachgesucht, sie ist ihm verweigert worden.«

Gott sei Dank.

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»Der König hat ihm mittheilen lassen, er habe ihm nichts weiter zu sagen.«

Der nächste Tag (14.) sah nur noch die Hälfte der Brunnengäste auf der Promenade versammelt. Benedetti eilte nach Paris, um in Person seinem Kaiser zu berichten.

Am 15. früh kehrte König Wilhelm in seine Hauptstadt zurück.

Was war geschehen?

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