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existire; zwar er selbst hat ihn weder gesehen, noch gelesen, giebt aber vor, zuverlässige Gewährsmänner zu kennen, deren Namen nichts zur Sache thäten und welche ihm Details aus demselben mitgetheilt hätten. Welche Mesquinerieen! Ob der Brief existirt, bleibt mindestens zweifelhaft, und wenn er existirt, was wäre an Beweismaterial damit gewonnen! Der König, nach längerem Zögern, hatte schließlich die Throncandidatur des Erbprinzen Leopold gut geheißen, diese Thatsache ist nie bestritten worden; welch neue Schuld, welch neuer erschwerender Umstand kann noch aus dem Saße seines ersten Ministers hergeleitet werden, »daß diese Candidatur eine ausgezeichnete Sache sei?!«

Das Buch des Herzogs v. Gramont mag Bagatellen berichtigt und häusliche Streitpunkte (namentlich zwischen dem Herzog und dem Grafen Benedetti) aufgeklärt oder zu allgemeiner Kenntniß gebracht haben, an dem Verdict der europäischen Jury hat es nichts zu ändern vermocht. »Refuges of lies - so schreibt Thomas Carlyle im Hinblick auf Frankreich were long ago discovered to lead down only to the Gates of Death Eternal.<< Wenn der Herzog v. Gramont aber sein Buch in gutem Glauben schrieb, wenn es nicht »Refuges of lies« waren, zu denen er griff, so war er vorurtheil - geblendet und beschwor einen Zusammenstoß dadurch herauf, daß er mit Fanatismus an den Krieg glaubte, ihn beständig als drohendes Gespenst vor Augen sah.

Ueber dies Beneficium hinaus, das ohnehin eine allergünstigste Voraussetzung hat, ist dem Herzoge und seinem Buche nichts Weitres zu bewilligen.

Bis zur Kriegserklärung.

Die Vorgänge in Paris.

Am 15. früh war Benedetti in Paris eingetroffen; die Nachricht

davon hatte sich schnell in allen Theilen der Stadt verbreitet und schon im Laufe des Nachmittags, mit jeder Stunde sich steigernd, begannen die Demonstrationen. Mit verschwindenden Ausnahmen (einige Jünger der Interna tionale und der europäischen Friedensliga trugen rothe Laternen und wagten den lebensgefährlichen Nuf » Vive la Prusse«) war Paris einem chauvinistischen Rausch hingegeben. Zahllose Banden, von denen manche über tausend Köpfe stark waren, oft von Soldaten geführt und mit der dreifarbigen Fahne vorauf, durchzogen unter dem beständigen Rufen: »Es lebe der Krieg! Nieder mit Bismarck!« die Straßen; andere Tausende, die ihnen begegneten, schlossen sich an, klatschten Beifall oder stimmten in die Marseillaise mit ein. Die Polizei ließ Alles gewähren. Vor den Kasernen wurde fraternisirt; vor dem Ostbahnhofe lagerte, bis über Mitternacht hinaus, ein Haufe von Neugierigen, welche die ersten Regimenter abziehen sehn wollten; dann wurden Fackeln herbeigeholt, Andere zündeten Straßenbesen an, und diese schwingend und in die Bäume schleudernd (so daß einige Boulevard - Platanen an zu brennen fingen) kehrten die Trunkenen mit dem Morgengrauen heim.

Ein Bild kaum geringerer Aufregung hatte im Lauf des Tages die Sigung des geseßgebenden Körpers gezeigt. Minister Ollivier's Erklärung, die eine offene Ankündigung war, daß der Krieg da sei, war von der imperialistischen Majorität mit großem Beifall aufgenommen worden, aber es hatte doch nicht an Stimmen gefehlt, die selbst an dieser Stelle und in solchem Augenblicke noch den Muth gehabt hatten, die Unklugheit dieses Krieges zu betonen und das Recht zu diesem Kriege zu bestreiten. Es war der Ruhmestag des Herrn Thiers.

Wir geben die zweite Hälfte der Sitzung nachdem dieselbe, bald

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nach Abgabe der Ollivier'schen Erklärung, auf eine Stunde unterbrochen worden unter Einführung der Personen in direkter Rede wieder. Nur so kommt die dramatische Lebendigkeit der Scene zur Erscheinung.

Minister Ollivier: Ich ergreife in dieser wichtigen Angelegenheit noch einmal das Wort. Die Regierung will vor Allem die ganze Wahrheit sagen. Eigentliche Depeschen haben wir nicht, sondern nur diplomatische Berichte, die zu veröffentlichen nicht der Brauch ist. Aber der Grund des Bruches sollte doch genügend dargelegt sein. Es kann vorkommen, daß ein König sich weigert, einen Botschafter zu empfangen; aber etwas Anderes ist es, wenn die Weigerung eine absichtliche, wenn sie den fremden Cabinetten durch Telegramme und dem Lande durch Extrablätter notifizirt wird.*) Dieses Verfahren war um so bedeutsamer, als der Adjutant, welcher unserm Botschafter eröffnete, daß er nicht empfangen werden könne, es an keiner Höflichkeitsform fehlen ließ, so zwar, daß unser Botschafter selbst von der beleidigenden Absicht keine Ahnung hatte.

am

*) Es beziehen sich diese Worte Ollivier's auf folgendes Communiqué, das 13. Juli an alle deutschen und fremdländischen Zeitungen telegraphirt innerhalb weniger Stunden in ganz Europa gelesen und als Beweis eines vollzogenen und irreparablen Bruches angesehen wurde. Das Telegramm lautete :

>>13. Juli Nachmittags. Nachdem die Nachrichten von der Entsagung des Erbprinzen von Hohenzollern der kaiserlich französischen Regierung von der königlich spanischen amtlich mitgetheilt worden sind, hat der französische Botschafter in Ems an Se. Majestät den König noch die Forderung gestellt, ihn zu autorisiren, daß er nach Paris telegraphire, daß Se. Majestät sich für alle Zukunft verpflichte, niemals wieder seine Zustimmung zu geben, wenn die Hohenzollern auf ihre Candidatur wieder zurückkommen sollten. Se. Majestät der König hat es darauf abgelehnt, den französischen Botschafter nochmals zu empfangen und dem französischen Botschafter durch den Adjutanten vom Dienst sagen lassen, daß Se. Majestät der König dem Botschafter nichts weiter mitzutheilen habe.<<

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So das Telegramm, von dem Minister Ollivier irrthümlich hervorhob, es sei den » fremden Cabinetten notificirt« worden. Das war nicht geschehen. Eine Circular- Depesche des Grafen Bismarck vom 18. Juli machte deshalb auf diesen Irrthum aufmerksam und hob hervor, daß jenes Telegramm einfach ein Zeitungs-Telegramm gewesen sei, »das den deutschen Regierungen und einigen unserer Vertreter bei außerdeutschen Regierungen, nach dem Wortlaute der Zeitungen, mitgetheilt worden sei.« Die Anklage Ollivier's wurde dadurch widerlegt. Im Uebrigen darf gern zugegeben werden, daß Graf Bismarck, als er obiges Telegramm das man ihm persönlich zuschreibt nach aus Ems eingetroffenen Mittheilungen redigirte, die Absicht hatte, den Bruch zu fixiren, ein abermaliges Friedens-Flickwerk unmöglich zu machen. Wenigstens würde das Gegentheil ihn uns minder groß erscheinen lassen. Er wußte ganz genau, daß Frankreich den Krieg entweder wollte oder ihn wollen mußte, was für uns dasselbe bedeutete. Die Unvermeidlichkeit des Krieges war also gewiß, und dieser Gewißheit gegenüber konnte es sich für uns nicht darum handeln, eine mit Einbuße an Ehre und Ansehen zu erkaufende Frist zu gewinnen, sondern kam vielmehr Alles darauf an, einen günstigsten Moment zu erfassen. Ein solcher war für uns am 12. und 13. Juli gegeben. Momentan unvorbereitet, wurde doch diese äußerliche Ungunst durch die moralische Gunst der Situation mehr als aufgewogen und deshalb griff Graf Bismarck zu. Sein Telegramm schuf nicht den Krieg, sondern zwängte ihn nur in die richtige Stunde.

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