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Die Maßregeln gegen Diesterweg.

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Männer, welche gar keine Schuld traf, wie z. B. Scholz, für schuldig befunden, dagegen den Direktor Gerlach und seinen Vorgänger und diejenigen, welche der Anstalt solche Leiter gegeben, ganz außer Betracht gelassen hatte *).

Einen wo möglich noch ungünstigeren Eindruck als die Auflösung des Breslauer Seminars machte die Dienstentlassung Fr. Adolf Wilh. Diesterweg's, des Direktors des Seminars für Stadtschulen in Berlin. In seinen früheren Stellungen, namentlich als Direktor des Seminars in Mörs, viel belobt, fast gefeiert, war er 1832 nach Berlin berufen worden. In der That hatte Diesterweg in beiden Stellungen Ausgezeichnetes geleistet und sich um die Verbreitung und praktische Verwerthung der Ideen Pestalozzi's, namentlich durch die von ihm auf die verschiedenen Lehrfächer angewandte entwickelnde Methode, große Verdienste erworben. Er hatte anerkannt tüchtige Lehrer gebildet, und die Zöglinge der von ihm geleiteten Anstalten hingen mit Liebe und Verehrung an dem „Meister“ im Unterrichten. Freilich darf auch nicht übersehen werden, daß er sehr oft das Feld der Polemik beschritt und hier nicht mit der nöthigen Ruhe und Mäßigung, sondern mit leidenschaftlichem Eifer auftrat, was ihn in ärgerliche Streitigkeiten und Händel verwickelte. Diese schriftstellerische Thätigkeit, seine Erziehungs- und didaktischen Grundsäge, sein religiöser Standpunkt, überhaupt die ganze Art und Weise seines Wesens, seine Entschiedenheit, die oft in Rücksichtslosig= feit ausartete: dies Alles mußte ihn in Gegensatz zu dem Systeme des Ministers Eichhorn und seiner Räthe bringen. Dazu kam noch ein arger Konflikt mit dem bekannten Schulrath Otto Schulz, der, auf Betrieb Diesterweg's, aufgehört hatte, sein Vorgesezter zu sein, es aber im Jahre 1845 wie

*) S. Scholz: "Zur Geschichte des aufgelösten Breslauer evang. Schullehrerseminars."

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Die Maßregeln gegen Diesterweg.

der wurde. Es folgte nun eine außerordentliche Revision des Seminars*). Dieselbe konstatirte zwar einzelne Mängel, aber eine Handhabe zur Absehung Diesterweg's bot sie nicht. Dieser erklärte indessen zu Protokoll, „daß, wenn seine Art, die Anstalt zu leiten, den Behörden, wie er vermuthen müsse, zum Anstoß gereiche, er bereit sei, die Leitung derselben abzugeben und sich mit der Funktion eines bloßen Lehrers an derselben zu begnügen."

Sechs Monate vergingen, ohne daß etwas geschah. Da wurde Diesterweg von dem Oberpräsidenten v. Meding zu einer Unterredung beschieden, welche in Gegenwart des Konsistorialraths Striez und des Geh. Raths Stubenrauch stattfand. Hier beschuldigte man Diesterweg „sozialistischkommunistischer und demagogischer Tendenzen." Er protestirte dagegen und verlangte Beweise. Das Wort wurde ihm abgeschnitten, ihm aber das Ansinnen gestellt, seine Stelle am Seminar mit der eines Vorstehers des Blindeninstituts zu vertauschen. Diesterweg lehnte dies ab und unterzeichnete auch das geführte Protokoll nicht, weil es nach seiner Ansicht Unrichtigkeiten enthalte. In einer Unterredung mit dem Minister Eichhorn selbst ergriff der lettere Diesterweg's Hand und sagte, er bedauere, ihn nicht früher kennen gelernt zu haben, dann wäre es wohl soweit nicht gekommen.“

Es war aber schon beschlossene Sache, Diesterweg aus dem Amte zu entfernen. Er wurde aufgefordert, selbst Vorschläge zu machen, wohin und in welche Stellung er versezt zu sein wünsche. Seine Vorschläge wurden nicht angenommen, wohl aber erging unter dem 23. April 1847 an den Minister Eichhorn die folgende Königl. Kabinetsordre:

*) Der_Konsistorialrath Striez fragte u. A. dabei einen Hauptlehrer: ob Diesterweg die Seminaristen nicht bloß zum Gehorsam gegen die Geseze, sondern auch zum Ertragen und Dulden des Unrechtes erzöge.

Diesterweg's Amtsenthebung.

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„Auf Ihren Bericht vom 13. d. M. will Ich Sie er mächtigen, das Gesuch des Seminardirektors Diesterweg zu Berlin, wonach derselbe aus seinem gegenwärtigen Amte auszuscheiden und unter Fortgenuß seines bisherigen Gesammteinkommens seine Thätigkeit zunächst der in der Nähe von Berlin neu zu errichtenden Pestalozzi'schen Waisen-Erziehungsanstalt widmen zu dürfen. wünscht, unter der Bedingung zu genehmigen, daß er der disziplinarischen Aufsicht der ihm bis jezt vorgesehten Behörden auch ferner unterworfen und jederzeit verbunden bleibt, ein seiner Befähigung angemessenes und in Einkommen und Rang seinem bisherigen Amte entsprechendes anderweites Amt, welches ihm übertragen werden sollte, anzunehmen."

Hiermit war die praktisch-lehrende Thätigkeit Diesterweg's abgeschlossen *). Er widmete nun seine Thätigkeit der

,,Unmittelbar nach meiner Dienstentlassung," sagt Diesterweg selbst, „entstand in mir der Gedanke, mich einem total anderen Berufe zu widmen, und ich lieh demselben mein Öhr. Aber allmählich entstand dadurch in mir eine Rebellion. Mein innerstes Bewußtsein, der Gott im Menschen," empörte sich gegen jenen Vorsaß, und ich fam erst wieder zur Ruhe, als ich ihn aufgegeben. Ich empfand die Größe und Schwere des Verbrechens, etwas gegen die eigene Natur zu wollen. „Ich will Schulmeister werden," sprach einst eine Stimme in Pestalozzi; ich will Lehrer bleiben, sprach es in mir! Hochgebietenden Ministern gelang es nicht, mich den Lehrern untreu zu machen; dem unfreiwilligen Ruhestande wird es noch weniger gelingen."

In der ersten Hälfte des Jahres 1848 hatte er Aussicht reaktivirt u werden; die Minister Gr. v. Schwerin und Rodbertus hatten die Absicht; ehe sie dieselbe aber verwirklichen konnten, mußten sie selbst zabtreten. Im Frühjahre 1849 wurde Diesterweg die kommissarische Verwaltung der Stelle des evang. Schulrathes zu Marienwerder angetragen, von ihm aber abgelehnt. Als die Budgetkommission der 2. Kammer im Frühjahre 1850 den Etat des Kultusministeriums berieth, fand sie in demselben den Gehalt eines früheren Seminardirektors." Die Kommission trug auf Streichung dieser durch reglementswidriges Verfahren entstandenen Ausgabe“ an; denn entweder habe der betreffende Beamte sich etwas zu Schulden kommen lassen, und dann hätte er bestraft werden müssen, oder er habe nichts verbrochen, und dann hätte man ihn im Amte belassen oder wieder anstellen müssen. Obwohl der Minister v. Ladenberg selbst die Etatsposition mit warmem Worte vertheidigte, wurde die fernere Zahlung dennoch nicht genehmigt. Nochmals erhielt Diesterweg eine Schulrathsstelle und zwar diesmal in Köslin ange

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Diesterweg's Amtsenthebung.

„deutschen Pestalozzi-Stiftung“ zu Pankow, rief PestalozziVereine zur Unterstützung der Lehrer - Wittwen- und Waisen in's Leben und setzte vor allen Dingen seine literarische Thätigfeit fort.

Die Amtsentsetzung Diesterweg's war eine Maßregel Eichhorn's, die sich am wenigstens rechtfertigen läßt. Erst mit Anerkennung und Lob überschüttet und dann entsegt, Diesterweg, der bis dahin immer derselbe geblieben war, der als Lehrer, wie als pädagogischer Schriftsteller mit Recht großen Ruf hatte! Bittere Verstimmung gegen ein System, das, um sich zu halten, zu solchen Maßnahmen greifen mußte, fonnte nicht ausbleiben.

Ein solches System konnte auf die Dauer nicht bestehen; es mußte an sich selbst zu Grunde gehen *). Es währte in

boten. Er lehnte wiederum ab. „Natur und Vergangenheit,“ sagt er, verweisen mich an Menschen, lebendige Menschen, nicht an todte Aften; für ein bureaukratisches Wesen bin ich nicht geschaffen; ich habe durchaus keine Neigung dazu. Wozu man aber, namentlich im geistigen Berufe, keine Neigung besißt, dazu besißt man auch keine Befähigung." Im Juni 1850 wurde nun Diesterweg unfreiwillig" in den Ruhestand versezt. Damit war," sagt er, mein amtlicher Schiffbruch entschieden. Die Treue gegen die eigene Ueberzeugung hat mir mein schönes Amt gekostet, was dem Lehrer, der in mir lebt, mehr ist, als das halbe Leben; aber ich konnte nicht anders."

An mancherlei Anerkennung und Beweisen herzlicher Verehrung von Seiten der Lehrer, namentlich seiner Schüler, fehlte es nicht. Am 10. Dez. 1858 wurde Diesterweg in Berlin in das Abgeordnetenhaus gewählt, wo er sich der deutschen Fortschrittspartei" anschloß. Nach der Auflösung des Abgeordnetenhauses im Frühjahre 1866, am 3. Juli, dem Schlachttage von Königgräß, wieder gewählt, verschied er indessen, zu tief erschüttert durch den am 27. Juni erfolgten Tod seiner Gattin, schon am 7. Juli. Die deutsche Lehrerschaft hat ihm auf seinem Grabe auf dem Matthäi-Kirchhofe am 7. Juli 1867 ein Denkmal errrichtet.

*) Selbst ein Thilo sagt („Preuß. Volksschulwesen,“ S. 245): ,,Mit diesen beiden terroristischen Maßregeln (Auflösung des Seminars zu Breslau und Entseßung Diesterweg's) war das Ministerium Eichhorn überall auch für diejenigen Schichten des bewegteren Volkes, die für gewöhnlich nicht an Vorgängen auf dem Gebiete des Schullebens Interesse nehmen, charakterisirt, aber in seiner Bestrebung, eine Grunda

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der That auch nicht lange, so lag es gebrochen, und der Minister Eichhorn selbst war auf eine Zeit lang spurlos verschwunden. Was einzelne Männer, welche das Geschick der Völker nicht nach den augenblicklichen Erfolgen, sondern nach den ewigen wiederkehrenden Gesezen der Geschichte beurtheilen, geahnt, gefürchtet: das trat ein.

17. Abschnitt.

Die revolutionären Bewegungen des Jahres 1848 und die Neubildungen auf staatlichem und sozialem Gebiete.

Der Deutsche Bund, die für Deutschland wichtigste Schöpfung des Wiener Kongresses, hatte seine Aufgabe nicht verstanden. Statt anregend und fördernd auf die Entwickelung des Nationalgeistes zu wirken, hatte er denselben gebannt; statt angemessene, dem Heile der Nation dienende Institutionen einzuführen, hatte er die Karlsbader Beschlüsse gefaßt; statt verfassungsmäßige Zustände in den Einzelstaaten zu schaffen und zu pflegen, hatte er sie aufgehoben. Selbst den Anforderungen gegenüber, die das Volk auf wirthschaftlichem Gebiete stellen mußte, sollte der Nationalwohlstand fortschreiten, verhielt sich der Deutsche Bund unthätig; je länger je mehr verfiel er dem unseligen Systeme des Mißtrauens und der

legung zu bewirken für einen Aufbau besserer allgemeiner Zustände an Stelle der angeblich übeln, war es damit noch wenig vorwärts gefommen."

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