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Die Aufgaben Friedrich Wilhelm's III.

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günstiger sie lauten und je mehr die beiden Völker, die Franzosen und die Engländer, geneigt sind, das fremde Gute, es komme woher es wolle, möglichst lange zu ignoriren und es dann so wenig als möglich zu schäßen.

Dem Könige Friedrich Wilhelm III., der mit seinem Volke so ruhmreich aus den Befreiungskriegen hervorgegangen war, blieb für die Zeit des Friedens, abgesehen von dem Gebiete des Schulwesens, noch manche schwere Aufgabe zu lösen. Es galt, den aus verschiedenen Bestandtheilen zusammengesetzten Staat zu einer Einheit zu verbinden, widerstrebende Verhältnisse und einander entgegenlaufende Anforderungen auszugleichen, die Verwaltung neu zu organisiren, Kunst und Wissenschaft zu heben und zu pflegen, Ackerbau, Handel und Gewerbe zu beleben, vor allen Dingen aber den durch die bitteren Leidens- und Kriegsjahre tief zerrütteten Wohlstand wieder zu begründen, mit einem Worte: den Aus

stert (Minister v. Altenstein). Dieser durchgreifenden Organisation des Unterrichtswesens verdankt Preußen die lebendige Regsamkeit und vortreffliche Ordnung, welche alle Theile dieses großen und so verschiedenartig zusammengeseßten Staates durchdringt, und die geistige Höhe, auf welche es sich in so kurzer Zeit geschwungen hat."

Bulwer-Lytton (,,England and the English", deutsch von Notter) urtheilt: In Preußen, dem Lande, wo die Erziehung unter allen Ländern der Welt am bewundernswürdigsten geordnet ist, hat man das Ministerium der geistlichen Angelegenheiten mit dem des öffentlichen Unterrichtes verbunden; der Minister des einen ist auch der Minister des anderen. In England ist das Erziehungs- und Unterrichtswesen in allen Ständen meist blos Privatsache; die Landesregierung kümmert sich wenig darum; daher es auch mit der Erziehung und dem Unterrichte daselbst herzlich schlecht steht."

Der schwedische Bischof Dr. Tegnér sagt in seinem Werke: „Die Kirche und Schule Schwedens in den beiden letzten Jahrzehnten", deutsch von Monike, 1837, über das deutsche, insbesondere preußische Schulwesen: Die deutschen Gymnasialkurse entsprechen in mehreren Fächern, namentlich in der Mathematik und in den klassischen Sprachen denen der philosophischen Fakultät auf unseren Akademien, und eine sogen. Maturitätsprüfung oder Abgangseramen bei einem preußischen Gymnafium fann man dem philosophischen Magistergrade bei uns völlig an die Seite stellen."

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bau des Staates und die Kraftentwickelung desselben im Inneren mit Ernst und Eifer auszuführen. Im Jahre 1823 wurden, die 1815 verheißene Reichsverfassung anzubahnen, die Provinzialstände gebildet. Eine große That aber, die nicht nur Preußen, sondern noch vielmehr dem übrigen Deutschland zum Segen gereichte, war die Stiftung des Zollvereins. Mit sicherem Blicke, mit Gerechtigkeit, Mäßigung und Milde, geleitet von reicher Erfahrung, führte der König das Szepter. Nur in den großen politischen Fragen und Angelegenheiten schloß sich Preußen zu sehr Desterreich und Rußland an, ohne eigene Ziele zu haben und zu verfolgen; es entäußerte sich zu Gunsten Oesterreichs seines Einflusses in Deutschland und arbeitete - ohne vom Hause Habsburg-Lothringen Dank zu finden ihm willig bei der Ausführung der in Wien geplanten Maßregeln zur Unterdrückung des deutschen Nationalgefühles und der deutschen Gesinnung in die Hände.

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Die in dem Gesetze über die Provinzialstände verheißenen ,weiteren Bestimmungen über die Reichsverfassung“ wurden unter dieser Regierung nicht mehr erlassen. Regten die französische Julirevolution, der polnische Aufstand und die schreckliche Choleraepidemie auch das Volk in Preußen auf, so war doch das Verlangen nach einer „Reichsverfassung“ noch lange kein allgemeines; am meisten trat es noch in der politisch fortgeschritteneren Rheinprovinz hervor. Das Volk im Großen und Ganzen gab sich bald wieder zufrieden, da es mit Liebe und Vertrauen am Könige hing. Er war einmal, durch russischen und österreichischen Einfluß bestärkt, gegen eine allgemeine Repräsentativverfassung eingenommen, und es war von ihm nicht zu erwarten, daß er, am Abende seines Lebens stehend, sich in neue, vielleicht unruhige und stürmische Verwickelungen einlasse. Er war überhaupt zu einfach, zu praktisch, als daß er hätte das Erperiment mit einer Volksver

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tretung machen sollen. sten nur ein unverständiges Verlangen, eine Krankheit der Zeit erkennen, wohl geeignet, den Staat in neue Unruhen, neue Wirrnisse zu stürzen. Eine konstitutionelle Monarchie mit ihren Wahlagitationen, Kammerdebatten, Ministerkrisen war dem Könige das Gegentheil jeder geordneten vernünftigen Regierung, und den Schein zu geben, eine Komödie aufzuführen, dazu war der Monarch zu ehrlich, zu wahrhaftig. Die großen Stein-Hardenberg'schen Reformen, in deren Konsequenzen allerdings eine Reichsverfassung lag, waren von den segensreichsten Folgen gewesen; man konnte sich dabei beruhigen. Der Staat gedieh und blühete empor auch ohne Reichsverfassung; das stand unleugbar fest. Warum durch ein neues Wagniß dies wieder in Frage stellen? Warum den gegenwärtigen sicheren Bestand einer unsicheren, schwankenden Verbesserung opfern? - Friedr. Wilhelm III. war zu besonnen, dies zu thun. Er hatte, wie selten ein Fürst, Unglück und Glück kennen gelernt. Und dieses Glück hätte er einer politischen Theorie zu Liebe wieder opfern sollen? Und das Volk? Es hatte sich nach und nach des Gedankens entschlagen; es hatte das Interesse an dieser Angelegenheit verloren. Gewöhnt, jeden Anstoß zum Fortschritt von oben zu empfangen, war es fast durchgehends mit der Zusicherung zufrieden und überließ die Ausführung gern dem Gutdünken dieses Königs. Die Bürger der Städte wußten, was sie ihm zu danken hatten; erst unter seiner Regierung ward ihnen wieder, wie es vor Alters gewesen, ein gesetzlich bestimmter Antheil am Stadtregiment zugesprochen, und der Landmann, obwohl schon vor Friedr. Wilhelm III. von der persönlichen Leibeigenschaft frei, war es unter seinem Szepter auch von der dinglichen geworden; Handel und Wandel, Gewerbe und Landbau, Kunst und Wissenschaft sammt dem Schulwesen blüheten, und so vertagte das Volk gern weitere Hoffnungen,

Er mußte in den Konstitutionsgelü

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die der greise, vielgeprüfte König nicht mehr erfüllen konnte oder wollte, auf die folgende Regierung. Die Trauer war, als der König am Pfingstfeste, am 7. Juni 1840, verschied, eine große und herzliche, in der That eine allgemeine Landestrauer.

15. Abschnitt.

Die neue Zeit und die Bewegung auf dem politischen und kirchlichen Gebiete.

Es ist eine eigenthümliche Erscheinung in der preußischen Geschichte, daß mit jedem Regenten auch ein neues System den Thron bestieg, bewußt oder unbewußt. Es liegt dies im Wesen der absoluten Monarchie, in welcher der ganze Staat sich in der Person des Fürsten konzentrirt. Ein Wechsel dieser Person muß nothwendiger Weise auch Veränderungen in der Leitung des Staatswesens nach sich ziehen. Und die leitenden Prinzipien wechseln oft so plöglich, ja jählings, so unvorbereitet, daß dadurch dem Staate zuweilen große Gefahr erwächst. Betrachten wir die ganze Reihe der brandenburgisch-preußischen Regenten seit mehr denn zweihundert Jahren! It's nicht eine Reihe solcher Gegensäge? Georg Wilhelm, Friedrich Wilhelm, der große Kurfürst; Friedrich I. drich II.

helm III.

Friedrich Wilhelm I.; Frie

- Friedrich Wilhelm II.; Friedrich WilFriedrich Wilhelm IV. und nun gar

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Wilhelm, der Kaiser deutscher Nation!

König Friedrich Wilhelm IV.

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Was wird die Zukunft bringen? war darum die Frage, die Millionen in fieberhafte Spannung versezte, als kaum das Trauergeläute um Friedrich Wilhelm III. verklun= gen war.

König Friedrich Wilhelm IV. (1840-1861) wurde mit Jubel begrüßt. In seinem hohen Geiste flossen, beruhend auf sittlicher und religiöser Grundlage, die edelsten Richtungen des deutschen Wesens zusammen; aber sie verbanden sich bei der geistigen Lebendigkeit des Königs, wie die Folge lehrte, nicht immer zu einem harmonischen Ganzen. Von ihm aber, dem Manne von großen Gaben, leutselig und gewinnend, poetisch und empfänglich für alles Gute, Edle und Schöne, hoffte man die Erfüllung aller Hoffnungen. Wie ein Strom brausen die Erwartungen hervor, plötzlich und ungeahnt, ohne Rand und Band, in Vereinen, in Bürgerversammlungen, in der Presse; hatte doch der König gesagt, es werde ihm lieb sein, die Wahrheit zu hören, auch da, wo sie Unangenehmes für ihn enthielte, und andere Aeußerungen, wie die zu dem alten Humboldt: Als Kronprinz war ich der erste Adlige meines Landes und mußte es sein; als König bin ich nur noch der erste Bürger," steigerten die allgemeine Begeisterung. Ja, die Zeit war schon an und für sich darnach angethan, die Pulse schneller zu bewegen. 1840 war das große Jahr der Jubiläen, so zuvörderst der Buchdruckerkunst. Aber für Preußen insbesondere hatte in früheren Jahrhunderten das Jahr vierzig viermal das Schicksal bestimmt, eine neue Zeit geboren, dreimal darunter für Deutschland, für Europa auch. 1440 war das Todesjahr Friedrich's I.; 1540 hatte Kurfürst Joachim II. sich öffentlich und vollständig dem Protestantismus zugewandt und den ersten Schritt zu dem Prinzipat über das evangelische Deutschland gethan; 1640 hatte der große Kurfürst seine Regierung angetreten, war der Vorkämpfer deutscher Freiheit geworden und hatte

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