Meine Frau war daheim geblieben, wie gewöhnlich; und solches zu der Zeit auch noch um einer gar hübschen Ursache willen, denn Gott hatte uns in unserm damals schon ziemlich hohen Alter ein wunderschönes Kindlein bescheert. Es war ein Mägdlein, und die Rede ging bereits unter uns, ob wir nicht, dem neuen An- kömmlinge zu Frommen, unsere schöne Landzunge verlaffen woll- ten, um die liebe Himmelsgabe künftig an bewohnbaren Orten beffer aufzuziehen. Es ist freilich bei armen Leuten nicht so damit, wie Ihr es meinen mögt, Herr Ritter; aber lieber Gott! Jeder- mann muß doch einmal thun, was er vermag.-Nun, mir ging unterwegs die Geschichte ziemlich im Kopfe herum. Diese Land- zunge war mir so im Herzen lieb, und ich fuhr ordentlich zusam- men, wenn ich unter dem Lärm und Gezänke in der Stadt bei mir selbsten denken mußte: in solcher Wirthschaft nimmst auch du nun mit nächstem deinen Wohnsig, oder doch in einer nicht viel stillern! -Dabei aber hab' ich nicht gegen unsern lieben Herrgott gemur- ret, vielmehr ihm im Stillen für das Neugeborne gedankt; ich müßte auch lügen, wenn ich sagen wollte, mir wäre auf dem Hin- oder Rückwege durch den Wald irgend etwas Bedenklicheres_auf- gestoßen, als sonst, wie ich denn nie etwas Unheimliches dorten gesehen habe."
Da zog er sein Müßchen von dem kahlen Schädel, und blieb eine Zeit lang in betenden Gedanken sizen. Dann bedeckte er sich wieder, und sprach fort:
„Dieffeits des Waldes, ach dieffeits, da zog mir das Elend entgegen. Meine Frau kam gegangen mit strömenden Augen wie zwei Bäche; sie hatte Trauerkleider angelegt.“ „O lieber Gott,“ ächzte ich, „wo ist unser liebes Kind? Sag' an.“ „Bei dem, den Du rufeft, lieber Mann," entgegnete sie, und wir gingen nun stillweinend mit einander in die Hütte. Ich suchte nach der klei- nen Leiche; da erfuhr ich erst, wie Alles gekommen war. Am See-Ufer hatte meine Frau mit dem Kinde geseffen, und wie sie so recht forglos und selig mit ihm spielt, bückt sich die Kleine auf einmal vor, als sähe sie etwas recht Wunderschönes im Waffer;
meine Frau sieht sie noch lachen, den lieben Engel, und mit den Händchen greifen; aber im Augenblick schießt sie ihr durch die rasche Bewegung aus den Armen, und in den feuchten Spiegel hinunter. Ich habe viel gesucht nach der kleinen Todten; es war zu nichts; auch keine Spur von ihr war zu finden.“
,,Nun, wir verwais'ten Aeltern saßen denn noch selbigen Abends still beisammen in der Hütte; zu reden hatte keiner von uns Luft, wenn man es auch gekonnt hätte vor Thränen. Wir fahen so in das Feuer des Heerdes hinein. Da raschelt was draußen an der Thür; fie springt auf, und ein wunderschönes Mägdlein von etwa drei, vier Jahren, steht reich gepußt auf der Schwelle, und lächelt uns an. Wir blieben ganz stumm vor Erstaunen, und ich wußte erst nicht, war es ein ordentlicher kleiner Mensch, war es blos ein gaukelhaftes Bildniß. Da sah ich aber das Waffer von den goldnen Haaren und den reichen Kleidern herab tröpfeln, und merkte nun wohl, das schöne Kindlein habe im Waffer gelegen, und Hülfe thue ihm Noth.“ „Frau,“ sagte ich, „uns hat Niemand unser liebes Kind erretten können; wir wollen doch wenigstens an andern Leuten thun, was uns selig auf Erden machen würde, ver- möchte Jemand es an uns zu thun."--Wir zogen die Kleine aus, brachten sie zu Bett, und reichten ihr wärmende Getränke, wobei fie kein Wort sprach, und uns blos aus den beiden feeblauen Augenhimmeln immerført lächelnd anstarrte.”
Des andern Morgens ließ sich wohl abnehmen, daß sie keinen weitern Schaden genommen hatte, und ich fragte nun nach ihren Aeltern, und wie sie hierher gekommen sei. Das aber gab eine verworrne und wundersamliche Geschichte. Von weit her muß fie wohl gebürtig sein, denn nicht nur, daß ich diese fünfzehn Jahre her nichts von ihrer Herkunft erforschen konnte, so sprach und spricht fie auch bisweilen so absonderliche Dinge, daß unser Eins nicht weiß, ob sie am Ende nicht gar vom Monde herunter gekommen sein könne. Da ist die Rede von goldnen Schlössern, von kry- stallnen Dächern, und Gott weiß, wovon noch mehr. Was sie am deutlichsten erzählte, war, sie sei mit ihrer Mutter auf dem großen
See spazieren gefahren, aus der Barke ins Wasser gefallen, und habe ihre Sinne erst hier unter den Bäumen wieder gefunden, wo ihr an dem lustigen Ufer recht behaglich zu Muthe geworden sei.
,,Nun hatten wir noch eine große Bedenklichkeit und Sorge auf. dem Herzen. Daß wir an der lieben Ertrunkenen Stelle die Gefundene behalten und auferziehen wollten, war freilich sehr bald ausgemacht; aber wer konnte nun wiffen, ob das Kind getauft sei, oder nicht? Sie selber wußte darüber keine Auskunft zu geben. Daß sie eine Creatur fei, zu Gottes Preis und Freude geschaffen, wisse sie wohl, antwortete sie uns mehrentheils, und was zu Gottes Preis und Freude gereiche, sei sie auch bereit, mit sich vornehmen zu lassen.—Meine Frau und ich dachten so: ist sie nicht getauft, so giebt's da nichts zu zögern; ist sie es aber doch, so kann bei guten Dingen zu wenig eher schaden, als zu viel. Und dem zu Folge fannen wir auf einen guten Namen für das Kind, das wir ohnehin noch nicht ordentlich zu rufen wußten. Wir meinten endlich, Dorothea werde sich am besten für sie schicken, weil ich einmal gehört hatte, das heiße Gottesgabe, und sie uns doch von Gott als eine Gabe zugesandt war, als ein Trost in unserm Elend. Sie hingegen wollte nichts davon hören, und meinte, Undine sei fie von ihren Aeltern genannt worden, Undine wolle sie auch ferner heißen. Nun kam mir das wie ein heidnischer Name vor, der in keinem Kalender stehe, und ich holte mir deshalben Rath bei einem Priester in der Stadt. Der wollte auch nichts von dem Undinen-Namen hören, und kam auf mein vieles Bitten mit mir durch den verwunderlichen Wald, zu Vollziehung der Taufhandlung, hier herein in meine Hütte. Die Kleine stand so hübsch geschmückt und holdselig vor uns, daß dem Priester alsbald sein ganzes Herz vor ihr aufging, und sie wußte ihm so artig zu schmeicheln, und mitunter so drollig zu troßen, daß er sich endlich auf keinen der Gründe, die er gegen den Namen Undine vorräthig gehabt hatte, mehr besinnen konnte. Sie ward denn also Undine getauft, und betrug sich während der heiligen Handlung außerordentlich sittig und anmuthig, so wild und unftät sie auch übrigens
immer war. Denn darin hat meine Frau ganz recht: was Tüch- tiges haben wir mit ihr auszustehen gehabt. Wenn ich Euch erzählen sollte--"t
Der Ritter unterbrach den Fischer, um ihn auf ein Geräusch, wie von gewaltig rauschenden Wasserfluthen, aufmerksam zu ma- chen, das er schon früher zwischen den Reden des Alten vernom= men hatte, und das nun mit wachsendem Ungestüm vor den Hüttenfenstern dahin strömte. Beide sprangen nach der Thür. Da sahen sie draußen im jezt aufgegangenen Mondenlicht den Bach, der aus dem Walde hervor rann, wild über seine Ufer hinausgeriffen, und Steine und Holzstämme in reißenden Wirbeln mit sich fortschleudern. Der Sturm brach, wie von dem Getöse erweckt, aus den mächtigen Gewölken, diese pfeilschnell über den Mond hinjagend, hervor, der See heulte unter des Windes schla- genden Fittigen, die Bäume der Landzunge ächzten von Wurzel zu Wipfel hinauf, und beugten sich wie schwindelnd über die reißen- den Gewässer: Undine! Um Gotteswillen, Undine!" riefen die zwei beängstigten Männer. Keine Antwort kam ihnen zurück, und achtlos nun jeglicher andern Erwägung, rannten sie, suchend und rufend, Einer hier, der Andere dort hin, aus der Hütte fort.
Wie sie Undinen wieder fanden.
em Huldbrand ward es immer ängstlicher und verworrner zu Sinn, je länger er unter den nächtlichen Schatten suchte, ohne zu finden. Der Gedanke, Undine sei nur eine bloße Walderscheinung gewesen, bekam aufs neue Macht über ihn, ja er hätte unter dem Geheul der Wellen und Stürme, dem Krachen der Bäume, der gänzlichen Umgestaltung der kaum noch so still anmuthigen Gegend, die ganze Landzunge sammt der Hütte und ihren Bewohnern fast für eine trügerisch neckende Bildung gehalten; aber von fern hörte er doch immer noch des Fischers ängstliches Rufen nach Undinen, der alten Hausfrau lautes Beten und Singen durch das Gebraus. Da kam er endlich dicht an des übergetretnen Baches Nand, und sah im Mondenlicht, wie dieser seinen ungezähmten Lauf gerade vor den unheimlichen Wald hin genommen hatte, so daß er nun die Erdspise zur Insel machte.- lieber Gott, dachte er bei sich selbst, wenn es Undine gewagt hätte, ein paar Schritte in den fürchterlichen Forst hinein zu thun; vielleicht eben in ihrem anmuthigen Eigensinn, weil ich ihr nichts davon erzählen sollte,-und nun wäre der Strom dazwischen gerollt, und sie weinte nun einsam drüben bei den Gespenstern!-Ein Schrei des Entseßens entfuhr ihm, und er klomm einige Steine und umgestürzte Fichtenstämme hinab, um in den reißenden Strom zu treten, und, watend oder schwimmend, die Verirrte drüben zu suchen. Es fiel ihm zwar alles Graufenvolle und Wunderliche ein, was ihm schon bei Tage unter den jezt rauschenden und heulenden Zweigen
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